Vom christlichen Abendland zum christlichen Europa. Werte bewahren, Zukunft gestalten: Die Erwartung der EKD an die europäische Politik
13./14. November 2008, OKRin Katrin Hatzinger, Wildbad Kreuth
Tagung
Vom christlichen Abendland zum christlichen Europa
Vortrag
Werte bewahren, Zukunft gestalten: Die Erwartung der EKD an die europäische Politik
OKR´in Katrin Hatzinger
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist seit 1990 auf europäischer Ebene mit einem eigenen Büro vertreten. Während in Berlin kirchliche Belange über den „Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union“ in die Bundespolitik eingebracht werden, beobachtet das Brüsseler Büro als Außenstelle des Bevollmächtigten das europäische Rechtsetzungsverfahren und vertritt kirchliche Positionen gegenüber den EU-Institutionen. Dabei handelt die EKD in Umsetzung ihres Öffentlichkeitsauftrages und bringt sich „um Gottes Willen“ politisch ein, wenn Fragen nach Frieden, Gerechtigkeit, der Schutz der Menschenwürde oder die Bewahrung der Schöpfung betroffen sind. Für christliche Werte in einem säkularen Umfeld einzutreten, bedeutet meines Erachtens mehr als sich für den Schutz des Lebens und der Familie einzusetzen. Die Verkürzung christlichen Engagements in der Gesellschaft auf diese beiden Bereiche greift viel zu kurz und ist für den Dialog zwischen Kirche und Politik wenig hilfreich. Stattdessen ist es vielmehr das Anliegen der EKD, sich auf europäischer Ebene mit dezidiert kirchlichen Positionen und in Abstimmung mit den ökumenischen Partnern Gehör zu verschaffen bzw. denen eine Stimme zu verleihen, die sich keine „eigene Lobby“ leisten können.
Im EKD-Büro Brüssel werden die rechtlichen und politischen Entwicklungen in Brüssel beobachtet und ausgewertet. Das Büro dient sowohl als „Frühwarnstelle“ der EKD als auch als „kirchendiplomatische Vertretung“ ihrer originären Anliegen gegenüber den EU-Organen. Gegründet wurde das Büro vor dem Hintergrund der Debatte um die Datenschutz-Richtlinie (95/46/EG), die in der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Ursprungsfassung das deutsche Kirchensteuersystem in Frage gestellt hätte. Nur eine Intervention der deutschen Kirchen konnte dies in letzter Minute verhindern: Künftig wollte man besser aufgestellt sein, um Gefährdungen durch EG-Recht schon frühzeitig begegnen zu können.
Das Büro ist zugleich auch Informationsbüro für kirchliche Einrichtungen und Organisationen in Europafragen. Alle zwei Monate berichten die „EKD-Europa-Informationen“ aus kirchlicher Sicht über das aktuelle politische Geschehen und machen auf Förderprojekte aufmerksam, die für Kirche von Interesse sein könnten (Anm. 1). Regelmäßig werden Besuchergruppen in Vorträgen und Gesprächsrunden über die Arbeit des Büros, die Funktionsweise der Europäischen Union und das Selbstverständnis der Kirchen in Brüssel informiert.
Schließlich ist es unser Anliegen, die EKD auf dem Brüsseler Parkett sichtbar zu machen, Foren der Begegnung und des Austauschs abseits des politischen Tagesgeschäfts zu schaffen. Dies geschieht u.a. durch die Organisation von Vortrags-, Diskussions- und Kulturveranstaltungen, wie etwa 2008 zum Europäischen Jahrs des Interkulturellen Dialogs.
In der täglichen Arbeit findet ein reger Austausch mit den anderen KirchenvertreterInnen vor Ort statt, um die Arbeit zu koordinieren und aufeinander abzustimmen. Gemeinsam ist die kirchliche Stimme in dem Konzert von mehr als 15.000 Lobbyisten besser und hörbarer gegenüber den Institutionen zu artikulieren: Gemeinsamkeit gibt den Stellungnahmen mehr Gewicht. Daneben ist es angesichts der Flut von Gesetzesinitiativen und politischen Vorhaben sinnvoll, sich untereinander auszutauschen. Auf der einen Seite arbeitet das EKD-Büro mit der Kommission für Kirche und Gesellschaft der Konferenz der Europäischen Kirchen (KEK) zusammen. Die KEK umfasst 120 protestantische, orthodoxe und anglikanische Kirchen in West- und Osteuropa; auch die EKD ist Mitgliedskirche. Auf der anderen Seite gibt es eine enge Kooperation mit der Kommission der katholischen Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE), in die 24 Bischöfe delegiert sind. Die Büros melden sich mit gemeinsamen Stellungnahmen, Positionspapieren oder durch Konferenzen/Expertengespräche gegenüber der EU-Politik zu Wort. Daneben wenden wir uns gemeinsam mit anderen kirchlichen Partnern mit konkreten Anliegen an die Europäische Kommission, den Rat oder Mitglieder des Europäischen Parlaments. Ein gutes Beispiel ist die Flüchtlingspolitik: Mit Caritas Europa, dem Jesuitenflüchtlingsdienst oder der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME) bringen wir den biblischen Auftrag, die Fremden zu schützen, und viel Sachverstand aus praktischer Arbeit in die Debatte um die Harmonisierung der europäischen Asyl- und Migrationspolitik ein. Schließlich wird im Wege des klassischen „Doppelkopfbriefs“ von katholischem und evangelischem Prälaten auch immer wieder der Schulterschluss mit der Deutschen Bischofskonferenz gesucht. Hilfreich sind dabei die engen Arbeitskontakte zur Europareferentin, über die das Kommissariat der Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – die politischen Entwicklungen in Brüssel mitverfolgt.
2009 ist nicht nur in Deutschland das „Superwahljahr“, es wird auch ein besonderes Jahr für die Europäische Union. Am 7. Juni werden in Deutschland die Europawahlen stattfinden, das Mandat der Europäischen Kommission neigt sich dem Ende entgegen, die Zukunft des Vertrages von Lissabon wird sich – aller Voraussicht nach – an einem zweiten Referendum der Iren entscheiden.
Angesichts dieses Ausblicks möchte ich Ihnen im Folgenden an Hand von aktuellen Beispielen darstellen, was die Kirchen von der Europapolitik erwarten, aber auch verdeutlichen, welche Anliegen, sie selbst in die politische Debatte einbringen.
Was erwarten die Kirchen, was bringen sie selbst ein?
• Reformvertrag
Seit der Einberufung des Verfassungskonventes in Laeken am 14./15. Dezember 2001 hat das EKD-Büro Brüssel, gemeinsam mit den ökumenischen Partnerbüros vor Ort, die Arbeit des Konvents durch Stellungnahmen, persönliche Gespräche und Diskussionsbeiträge begleitet. Dabei gab es einen regen Meinungsaustausch zwischen Konventsmitgliedern und den kirchlichen VertreterInnen. Ziel des Verfassungskonventes war es, die Europäische Union transparenter, bürgernäher und demokratischer zu gestalten.
Dementsprechend hat die EKD das Bestreben der deutschen Ratspräsidentschaft nachhaltig unterstützt, nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden, das Reformprojekt in Form des Vertrages von Lissabon (Anm. 2) wieder auf den Weg zu bringen.
Zunächst ist es höchst bedauerlich, dass weder der Verfassungs- noch der Reformvertrag einen Gottesbezug oder einen expliziten Hinweis auf das Christentum enthalten. Europa ist historisch ohne das Christentum nicht denkbar und auch zukünftig auf den gemeinschaftsbildenden und gemeinwohlorientierten Beitrag der Kirchen zu einem offenen, sozial verantworteten und an der Würde des Menschen ausgerichteten Europa angewiesen. Das Christentum bleibt eine der unverzichtbaren Prägekräfte Europas. Denn ohne das Bewusstsein von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen würden die Maße des Menschlichen aus dem Blick geraten.
Angesichts des Einstimmigkeitserfordernisses unter den europäischen Staats- und Regierungschefs und im Wissen um die starre Haltung von Belgien und Frankreich, aber auch aufgrund der ablehnenden Haltung einiger skandinavischer Länder wie z.B. Dänemark und Finnland (das aufgrund der eigenen Verfassungstradition gänzlich auf die Präambel verzichten wollte), war diese Forderung politisch jedoch nicht umzusetzen. Die angenommene Formulierung „Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die universellen Werte der unverletzlichen und unveräußerlichen Werte des Menschen, Demokratie, Freiheit und der Vorrang des Rechts entwickelt haben“ ist deshalb durchaus als „Verhandlungserfolg“ zu werten, belässt sie es doch nicht bei einer Bezugnahme auf das religiöse Erbe Europas, sondern streicht die Bedeutung der Religion als Quelle für die universellen Menschenrechte heraus. Außerdem ist die Präambel durch die Streichung des ersten Absatzes, der den Humanismus als Wertequelle in den Vordergrund rückte, ausgewogener und präziser geworden.
Die Prägekraft des Christentums für die europäischen Werte wird in der Präambel also eindeutig anerkannt. Dies ist ein großer Fortschritt gegenüber der Präambel der Grundrechte-Charta, die unter dem Vorsitz von Roman Herzog verhandelt und abgestimmt worden war, in allen nicht-deutschen Sprachfassungen allerdings lediglich vom „spirituellen Erbe“ spricht.
Für die künftige Arbeit der Kirchen bedeutsam und ein besonderer Erfolg für das kirchliche Engagement in Europa ist die Aufnahme des Art. 17 in den Vertrag von Lissabon. Er enthält als Norm des Primärrechts wichtige Richtungsentscheidungen für die Bestimmung des Verhältnisses der Europäischen Union zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Absätze I und II - die auf eine gleich lautende Formulierung der Amsterdamer Kirchenerklärung von 1997 zurückgreifen - erkennen die Vielfalt der europäischen Staatskirchensysteme an und akzeptieren damit die nationale Kompetenz für das Verhältnis von Staat und Kirche. Die Mitgliedstaaten sind danach frei, ihr Verhältnis zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften selbständig zu bestimmen, ohne dass die Europäische Union dieses beeinträchtigen würde. Die Gemeinschaft ist für das Staatskirchenrecht also nicht zuständig.
Absatz III formuliert die institutionelle Anerkennung der Kirchen als gesellschaftliche Kraft, indem er den „offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog“ zwischen den EU-Institutionen und den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Primärrecht normiert. Mit der Anerkennung der spezifischen Identität der Kirchen schafft er eine wesentliche Grundlage für die aktive Partizipation von Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der Aus- und Mitgestaltung der EU.
Auch wenn der Reformvertrag in seinem Umfang für den Normalbürger tatsächlich „unlesbar“ ist, ist er doch ein wichtiger Schritt hin zu mehr Transparenz, Bürgernähe und Demokratie in der EU. Die EKD begrüßt die gestärkten Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments und den Übergang zur Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Rat der Fachminister. Auch das Instrument des Europäischen Bürgerbegehrens, die Stärkung des Subsidiaritätsgrundsatzes und die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte-Charta sind positive Aspekte der Vertragsreform. Allein die Grundrechte-Charta, die erstmals die gemeinsamen Grundrechte aller BürgerInnen Europas verbrieft, spiegelt eine Vielzahl christlicher Werte wieder, nicht nur, weil der Schutz der Menschenwürde (nach dem Vorbild des Grundgesetz) an erster Stelle steht, sondern weil u.a. auch die Religionsfreiheit in die Charta Einzug erhalten hat.
Die Europäische Union muss nach dem ablehnenden Referendum der Iren am 12. Juni 2008 nun demonstrieren, dass sie in der Lage ist, im Interesse der BürgerInnen Europas Politik zu machen und sich nicht nur mit sich selbst zu beschäftigten. Das „Nein“ zum Reformvertrag sollte auch als Mahnung begriffen werden, sich ernsthafter als bisher mit den Vorbehalten der Bürger gegenüber der EU-Politik auseinander zu setzen und die durchaus bestehenden Ambivalenzen im Prozess der europäischen Integration offen anzusprechen. Ein wenig Selbstkritik würde der EU nicht schaden. Aber auch die zahlreichen positiven Errungenschaften der europäischen Einigung müssen noch verständlicher, aber auch engagierter, vielleicht sogar leidenschaftlicher als bisher dargestellt werden. Hier sind auch wir Kirchenvertreter in der Pflicht, uns klarer zur europäischen Friedens- und Versöhnungsunion zu bekennen.
Nur ein effektives Europa kann ein erfolgreiches Europa sein. Strukturen, die für zwölf Mitgliedstaaten gedacht waren, passen für 27 Mitgliedstaaten nicht mehr. Die Vertiefung muss insbesondere auch ein Mehr an Demokratie im Sinne direkterer Einflussmöglichkeiten der Bürger bedeuten. Im Reformvertrag von Lissabon ist es den Staaten gelungen, einen großen Teil der Reformansätze zu bewahren, die der Verfassungskonvent in einem offenen und partizipativen Prozess als Kompromiss zwischen vielen Interessen herausgearbeitet hat. Der im Reformvertrag verankerte Dialog der EU-Institutionen mit der Zivilgesellschaft und den Kirchen ist ein wichtiger Erfolg dieses Prozesses. Für die Weiterentwicklung und das Gelingen des europäischen Gedankens ist es unabdingbar, dass dieser Kompromiss institutionelle Wirklichkeit wird.
Bislang haben 23 Länder den Vertrag ratifiziert, wobei in der Bundesrepublik noch die Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten aussteht, der zunächst den Ausgang des Verfahrens in Karlsruhe (Verfassungsbeschwerde) abwartet. Neben Irland steht die Ratifizierung noch in Polen und Tschechien aus.
• Wahlen zum Europäischen Parlament
Durch die Beteiligung an den 7. Direktwahlen zum Europäischen Parlament am 7. Juni 2009 haben die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, die Europapolitik der kommenden fünf Jahre mitzugestalten. Die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) beabsichtigen deshalb, einen gemeinsamen Wahlaufruf zu veröffentlichen.
Demokratie lebt von Beteiligung. Lag die Wahlbeteiligung 1979 in Deutschland noch bei 65,7 % ist sie zu jeder Europawahl kontinuierlich gefallen, um 2004 gerade noch 43 % zu erreichen. Fast 60 % der Wahlberechtigten blieben ihr also fern. Dieser Trend stimmt bedenklich, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Mehrzahl der deutschen Gesetze auf Vorgaben aus Brüssel beruht und die europäische Gesetzgebung heute in fast alle Lebensbereiche ausstrahlt.
Seit seiner ersten Direktwahl 1979 hat das Europäische Parlament einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung der EU geleistet. Zur wachsenden Bedeutung des Parlaments trägt die Ausweitung des so genannten Mitentscheidungsverfahrens bei. Auch dies ist ein Zeichen für die wachsende Demokratisierung der Europäischen Union, die von einer Staatengemeinschaft mehr und mehr auch zu einer Gemeinschaft ihrer Bürger wird. Diese Rolle des Parlaments gilt es anzuerkennen und zu würdigen.
In vielen Politikbereichen wird die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments auch künftig für ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben in der Union bedeutsam sein. Darunter fallen insbesondere die Bereiche Klimaschutz und Energie; Entwicklungshilfe; Asyl- und Einwanderungspolitik; Gleichstellungspolitik, Armutsbekämpfung und bioethische Fragen im Kontext der Forschungspolitik.
• Sonntagsschutz
Zusammen mit den ökumenischen Partnern auf nationaler und europäischer Ebene tritt das EKD-Büro Brüssel dafür ein, über die Revision der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) den besonderen Schutz des Sonntags im Gemeinschaftsrecht zu verankern. Eine entsprechende Aufforderung kam auch von der 10. EKD-Synode, die vom 2. bis 5. November 2008 in Bremen getagt hat.
In der ursprünglichen Richtlinie von 1993 war festlegt, dass die wöchentliche Mindestruhezeit grundsätzlich den Sonntag einschließt. Diese Bestimmung wurde aufgrund einer Klage des Vereinigten Königreichs vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für nichtig erklärt. Zur Begründung hieß es von Seiten des Gerichtshofs, dass der Rat als Gesetzgeber nicht deutlich gemacht habe, wie diese Bestimmung mit dem Zweck der Richtlinie und der europäischen Kompetenzordnung zu vereinbaren sei. Ein Bezug zum Arbeitnehmerschutz sei nicht erkennbar. Mit anderen Worten, es sei nicht deutlich, warum der Sonntag als wöchentlicher Ruhetag mehr als jeder andere Wochentag zur Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer beitrage.
Dementsprechend wollen die europäischen Kirchen die Debatte um die Revision der Richtlinie nutzen, um darzulegen, dass der Sonntag in engerem Zusammenhang mit der Gesundheit der Arbeitnehmer steht als jeder andere Wochentag.
Eine von der Generaldirektion SANCO am 13. Juni 2008 veröffentlichte Studie (Anm. 3) stellt fest, dass psychische Gesundheit
• durch Maßnahmen betroffen wird, die sich auf das Familienleben auswirken,
• die Fähigkeit beinhaltet, soziale Beziehungen aufzubauen und zu pflegen,
• die Fähigkeit beinhaltet, sich spirituell zu entwickeln.
Wie kein anderer Tag der Woche ist der Sonntag der Tag der Familie, er dient der Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben. Der Sonntag ist von großer Bedeutung für das soziale, kulturelle, sportliche und ehrenamtliche Engagement von Arbeitnehmern in der Zivilgesellschaft. Schließlich dient er wie kein anderer Tag der spirituellen Entfaltung. Vor diesem Hintergrund sehen es die Kirchen als geboten an, das Thema erneut aufzugreifen. Derzeit finden zahlreiche Gespräche und Schriftwechsel mit Europaabgeordneten und Gewerkschaften statt.
Auch wenn noch nicht abzusehen ist, ob es gelingen wird, den Sonntagsschutz wieder in der Richtlinie zu verankern, ist positiv zu vermerken, dass es durch das abgestimmte Vorgehen der Kirchen in Europa gelungen ist, das Thema „Sonntagsschutz“ auf EU-Ebene fraktionsübergreifend zu besetzen (Anm.4).
• EU-Erweiterung: Religionsfreiheit in der Türkei
Am 5. November 2008 hat die Europäische Kommission ihren jährlichen Fortschrittsbericht (Anm. 5) über die Beitrittsverhandlungen der Türkei vorgesellt. Die EKD verfolgt in diesem Zusammenhang mit besonderem Interesse die Lage der religiösen Minderheiten in der Türkei, die leider immer noch Anlass zu großer Besorgnis bietet.
Die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei wurden im Oktober 2005 eröffnet. Bedingung war die hinreichende Erfüllung der politischen Kopenhagener Kriterien sowie die Unterzeichnung des Protokolls zur Einbeziehung der neuen Mitgliedstaaten in das Assoziierungsabkommen EWG/Türkei von 1963 ("Ankara-Abkommen") und damit auch in die Zollunion EG/Türkei von 1995 durch die Türkei am 29. Juli 2005. Die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen verdeutlicht, dass die EU ihr Wort hält, ist aber auch als Zeichen der Anerkennung für die Einleitung politischer und rechtlicher Reformen in der Türkei zu verstehen.
Von 33 Verhandlungskapiteln insgesamt wurden bisher acht eröffnet, aber nur eines abgeschlossen (Wissenschaft und Forschung). Für 13 Kapitel wurden sog. opening benchmarks festgelegt. Da die Türkei ihren Verpflichtungen aus dem Zusatzprotokoll zum „Ankara- Abkommen“ noch nicht nachgekommen ist, wurden im Dezember 2006 die Verhandlungen zu acht Kapiteln vorläufig ganz ausgesetzt.
Der Bericht vom November 2008 untersucht die Fortschritte der Türkei im vergangenen Jahr zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien. Wenn man die Ergebnisse der Kommission im Detail betrachtet, muss man allerdings feststellen, dass eher von einer Stagnation als von Fortschritten gesprochen werden muss.
In zwei Bereichen sind Gesetze angenommen worden, die zu einer Verbesserung der Grundrechtssituation beitragen sollen:
Erstens wurde der umstrittene Art. 301 Türkisches Strafgesetzbuch (Beleidigung des Türkentums) verändert, um so eine bessere Gewährleistung der Meinungsfreiheit zu erreichen. Strafverfolgung ist nun erst nach einer ausdrücklichen Genehmigung durch das Justizministerium möglich. Da der Wortlaut jedoch nur geringfügig modifiziert wurde, führt die neue Regelung dazu, dass Klagen nun noch abhängiger von der politischen Bewertung (durch den jeweiligen Minister) sind. Der EU-Bericht fordert daher eine weitere genaue Überwachung der Rechtsanwendung und weitere Reformen im Strafrecht, um Gesetze, Rechtsanwendung und Rechtsprechung in Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention zu bringen.
Zweitens wurde endlich das Stiftungsgesetz reformiert, so dass tatsächlich eine gewisse Verbesserung für die – nur über ihre Stiftungen rechtlich handlungsfähigen – Minderheitenreligionen geschaffen wurde. Das Gesetz bringt jedoch keine Lösung aller Eigentumsprobleme: Bei finanziellen Hilfen aus dem Ausland, einschließlich direkter EU-Unterstützungen, gibt es immer noch große administrative Hürden. Einige Bereiche, z.B. die Entschädigung von konfiszierten und an Dritte verkauften Liegenschaften der Stiftungen, oder gegen ihren Willen aufgelöste oder verschmolzene Stiftungen, wurden gar nicht behandelt. In anderen Bereichen, z.B. die Entschädigung von Stiftungen, die unter anderem Namen weitergeführt oder direkt dem Staat unterstellt wurden, ist die Anwendung der erst im September 2008 veröffentlichten Ausführungsverordnung abzuwarten. Bisherige Ausführungsverordnungen haben in der Vergangenheit oft gar nichts bewirkt.
Darüber hinaus sind für die nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften keinerlei Fortschritte zu vermelden: Eine Rechtspersönlichkeit können sie weiterhin nicht erlangen. Minderheiten konnten ihre Gebetsstätten in mehreren Fällen nicht registrieren lassen (darunter zwei evangelische Kirchen; ein Cem-Haus wurde allerdings erstmals anerkannt), die Ausbildung von Geistlichen wird weiterhin behindert, das orthodoxe Priesterseminar in Halki bleibt geschlossen. Der Ökumenische Patriarch darf weiterhin seinen geistlichen Titel nicht öffentlich führen.
Während in der EU Einigkeit über das Ziel herrscht, die Türkei auf ihrem Kurs hin zu „europäischen Werten“ zu stabilisieren, besteht Uneinigkeit über den besten Weg dorthin: Soll man Probleme eher herunterspielen, oder – wie einige Mitgliedstaaten es bevorzugen würden – durch klare Worte den Druck erhöhen?
Die EKD hat seit der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mehrfach den Kommissionsdienstellen Berichte zur Situation der nicht-muslimischen Minderheiten in der Türkei übergeben. Die EKD hat sich dabei vor allem um eine vorrangige politische Berücksichtigung der Fragen der Religionsfreiheit und um die Verbesserung der Lage der Minderheits-Kirchen bemüht. Die Forderungen und Bedenken der EKD im Hinblick auf den Türkei-Beitritt finden sich im Beschluss der 10. EKD- Synode vom 11. November 2004. Darin unterstreichen die Synodalen, dass die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen nicht die Entscheidung über den Beitritt vorwegnehmen dürfe.
In ihrem Beschluss bemängeln sie, dass die Lage der Christen und anderer Religionen in der Türkei sich bislang nicht in ausreichendem Maße gebessert habe. Das Verhältnis von Religionsfreiheit und Laizismus bedürfe der kritischen Analyse, da in der türkischen Wirklichkeit nur der vom Staat weitestgehend organisierten Religion (sunnitscher Islam) öffentliche Entfaltungsfreiheit gesichert sei. Daneben weist der Beschluss auf die problematische Menschenrechtssituation in der Türkei hin, insbesondere was die Rechte von Minderheiten und der kurdischen Bevölkerung angeht. Diskriminierungen von Frauen, Gewalt gegen Frauen und auch „Ehrenmorde“ würden Anlass zu ernster Sorge geben. Die Politik gegen Folter müsse konsequent umgesetzt werden.
Die Umsetzung rechtlicher Reformen müssen energischer vorangetrieben werden. Der Beschluss weist darauf hin, dass durch die Erweiterung die Institutionen der EU und deren Handlungsfähigkeit nicht überfordert werden und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Gemeinschaft nicht gefährdet werden dürften. Schließlich müsse in den Gesprächen mit der Türkei das Problem der Leugnung des Genozids an den Armeniern ausdrücklich thematisiert werden.
Abschließend heißt es in dem Beschluss: „Angesicht globaler Herausforderungen bedarf es eines intensiven Dialogs darüber, ob und wie die Türkei eine Brückenfunktion zwischen islamischer und westlicher Welt einnehmen kann. Die Überwindung von Vorurteilen, aber auch Mut zur wechselseitigen kritischen Befragung sind unabdingbar, damit Vertrauen und verlässliche Beziehungen zwischen der EU und der Türkei wachsen können.“
Die Kirchen in der Türkei haben in den Prozess der Annäherung der Türkei an die Europäische Union im Rahmen der Bewerbung um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union hohe Erwartungen gesetzt. Der Druck im Hinblick auf eine Angleichung der Rechtsstandards und der Stärkung der Zivilgesellschaft wurde als hilfreich für die Erlangung einer Rechtsposition und eine Öffnung für kirchliche Belange in der türkischen Öffentlichkeit angesehen. Bislang haben sich diese Erwartungen aber kaum, in manchen Bereichen gar nicht erfüllt.
Die EKD steht in engem Kontakt und Austausch mit den Kirchen in der Türkei. Sie hat in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Initiativen unternommen, um die Arbeit der Kirchen vor Ort zu unterstützen und deren rechtliche und faktische Lage zu verbessern. Dieser Aufgabe wird sie sich auch auf europäischer Ebene in aller Klarheit weiter widmen.
• Irakische Flüchtlinge
Die EKD setzt sich für eine menschenrechtskonforme europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik ein, dazu gehört die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge im Wege von resettlement - Programmen. Das flüchtlingspolitische Konzept des „resettlement“ bezeichnet die Neuansiedlung bzw. die Aufnahme von durch den UNHCR anerkannten Flüchtlingen außerhalb des geregelten Asylverfahrens, die besonders schutzbedürftig sind (z.B. Folteropfer, Alte und Kranke). Resettlement wird dabei gemeinhin verstanden als dritte dauerhafte Lösung zum Flüchtlingsschutz neben Repatriierung und lokaler Integration. Nur sofern die ersten zwei dauerhaften Lösungen nicht möglich sind, kommt die Neuansiedlung überhaupt in Frage. Zentraler Bestandteil eines Neuansiedelungsprogramms sind dabei eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive und Integrationsangebote für die Flüchtlinge, nicht lediglich die Gewährung vorübergehenden Schutzes.
Unter der Prämisse, dass „resettlement“-Programme als Ergänzung zu den bestehenden nationalen Asylverfahren und Schutzsystemen für Vertriebene verstanden werden, hat die Anwendung dieses Instrumentes aus Sicht der EKD z. B. im Hinblick auf die Situation irakischer Flüchtlinge derzeit eine besondere Dringlichkeit, kann aber darüber hinaus grundsätzlich sehr viel für den internationalen Flüchtlingsschutz bewirken.
Dies zeigen sowohl die Erfahrungen der Länder, die aktuell Neuansiedlungsprogramme durchführen, als auch Erfahrungen der Vergangenheit, denn „resettlement“ ist in Europa kein Fremdkörper. Die Neuansiedlung aus und in Europa war ein wichtiges Mittel zur Bewältigung der europäischen und weltweiten Flüchtlingskrise nach dem 2. Weltkrieg. Derzeit wird „resettlement“ als flüchtlingspolitisches Instrument in Deutschland und der Europäischen Union sehr wenig genutzt. Das ist umso verwunderlicher, als dass Europa die Erfahrungen, die Kapazitäten und die Ressourcen hätte, um in größerem Umfang resettlement zu betreiben.
Dementsprechend haben sich auch die Kirchen dafür stark gemacht, dass Wissen über Neuansiedlung in der EU zu verbreitern und in den Mitgliedstaaten für ein verstärktes Engagement zu werben. Die Synode der EKD hat im November 2007 einen Beschluss zum europäischen Flüchtlingsschutz gefasst und darin ausdrücklich die von einigen EU-Mitgliedstaaten begonnenen Neuansiedlungsprogramme (resettlement) für Flüchtlinge, die in Erstaufnahmeländern keinen ausreichenden Schutz erhalten können, unterstützt und deren Ausbau empfohlen. Resettlementprogramme eröffneten Flüchtlingen eine neue Lebensperspektive und seien Ausdruck von Solidarität gegenüber den Erstaufnahmestaaten.
Es sollte aber stets klar sein, dass resettlement immer nur ein Baustein im internationalen Flüchtlingsschutz sein kann, nicht auf einzelne Gruppen, wie etwa Christen beschränkt, sondern insbesondere dazu gedacht, den besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen zu helfen.
Bereits Mitte April 2008 hat der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, die positiven Signale der Innenministerkonferenz zur Initiative von Bundesinnenminister Schäuble begrüßt, Christen und Angehörige anderer religiöser Minderheiten vorübergehend aus dem Irak aufzunehmen. Auf EU-Ebene wurde der Vorschlag des Bundesinnenministers, der weitere Mitstreiter für seine Idee gewinnen wollte, zunächst unterkühlt aufgenommen. Die EU lehnt eine Sonderbehandlung verfolgter Christen aus dem Irak ab. Der EKD-Ratsvorsitzende merkte dazu an, dass eine europäische Koordinierung zwar wünschenswert, aber nicht zwingend notwenig sei. Ein Resettlementprogramm wäre in Deutschland zur Zeit nämlich bereits umsetzbar. Es bedarf lediglich einer politischen Entscheidung der Bundesregierung, die insbesondere auch von den Bundesländern befürwortet werden müsste, da sie einen Großteil der anfallenden Kosten tragen würden.
Die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Irak ist auf europäischer Ebene bislang leider immer noch ohne Ergebnis geblieben, was angesichts der Sicherheitslage im Irak, aber auch angesichts der prekären Lage der Flüchtlinge in den Nachbarstaaten unverantwortlich ist. Es bleibt zu hoffen, dass sich die europäischen Innenminister auf ihrer Tagung Ende November endlich über eine Aufnahme einigen werden. Erst kürzlich kam eine EU-Expertenkommission zu dem Ergebnis, dass die Lage der ca. zwei Millionen irakischen Flüchtlinge in Syrien und Jordanien alarmierend sei. In ihrem Bericht heißt es, die Situation der Flüchtlinge habe sich weiter verschlechtert. Ihre Ersparnisse seien aufgebraucht und sie hätten keine Arbeitserlaubnis. Eine Chance auf Rückkehr in den Irak bestehe für einige von ihnen auf absehbare Zeit nicht. Stattdessen leben viele von Ihnen in ständiger Angst vor Ausweisung. Dazu kommen Berichte über anhaltende Verfolgungen und Übergriffe im Irak. Allein aus Mossul, der drittgrößten Stadt des Irak, waren erst im Oktober tausende Christen aus Angst um ihr Leben geflohen.
Zuletzt hatte sich die EKD Synode Anfang November in Bremen in einem Beschluss für aktives politisches Handeln auf bundesdeutscher und europäischer Ebene stark gemacht, um den Flüchtlingen im Wege einer dauerhaften Lösung zu helfen: „Die Synode bittet den Rat der EKD, sich angesichts der weiterhin instabilen Sicherheitslage im Irak gegenüber der Bundesregierung und der Europäischen Union für eine umgehende Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen einzusetzen, auch im Wege von Ausbau und Einrichtung von Resettlement-Programmen.“ Bislang verfügte Deutschland im Gegensatz etwa zu den skandinavischen Staaten, England, Irland, den Niederlanden und Portugal über kein nationales Neuansiedlungsprogramm.
Es bleibt zu hoffen, dass diese Solidaritätsaktion erst den Anfang eines nachhaltigen EU-Engagements für Flüchtlinge darstellt und dass die Hilfe für die Schutzbedürftigen bald und schnell und unbürokratisch anlaufen kann. Für 2009 plant die Europäische Kommission jedenfalls, einen Vorschlag für ein europäisches Resettlement-Programm vorzulegen (Anm. 6).
• Kirchliches Arbeitsrecht
Am 31. Januar 2008 wurde durch ein Mahnschreiben von Sozial-Kommissar Špidla an die Bundesrepublik die erste Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen angeblicher Mängel bei der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG im deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eingeleitet. In dem Brief wird u.a. der Inhalt der sog. Kirchenklausel in § 9 AGG als nicht richtlinienkonform kritisiert. Vereinfacht gesagt: Der deutsche Gesetzgeber lasse den Kirchen unter Berufung auf deren Selbstbestimmungsrecht zu viel Spielraum bei der Festlegung der „beruflichen Anforderungen", die es rechtfertigen, nur Christen einzustellen.
Ebenfalls im Januar erging ein Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg. Kurz zum Sachverhalt: Die klagende Bewerberin hatte sich auf die Stelle einer Integrationslotsin des Diakonischen Werkes Hamburg e.V. beworben. Die Stelle war ausgeschrieben für Bewerber/innen mit "abgeschlossenem Studium der Sozialwissenschaften o. ä.". Weiterhin war die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche als Einstellungsvoraussetzung definiert. Die Klägerin, Deutsche türkischer Herkunft und nach eigenen Angaben nicht-praktizierende Muslima, hatte kein abgeschlossenes Studium vorzuweisen. Die Bewerbung wurde abgelehnt; eingestellt wurde eine Christin indischer Herkunft, die über einen Studienabschluss als Sozialpädagogin verfügte.
Die abgewiesene Bewerberin verklagte das Diakonische Werk Hamburg auf Entschädigung nach § 14 Abs. 2 AGG, da sie sich wegen ihrer ethnischen Herkunft und aus Gründen der Religion diskriminiert fühlte. Ihr sei von einer Mitarbeiterin des Diakonischen Werkes am Telefon mitgeteilt worden, die Ablehnung ihrer Bewerbung erfolge aufgrund ihrer mangelnden Kirchenzugehörigkeit.
Das Arbeitsgericht Hamburg hatte eine Diskriminierung aus ethnischen Gründen verneint, aber eine Diskriminierung aus Gründen der Religion wegen Verstoßes gegen § 9 AGG anerkannt und der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von drei entgangenen Monatsgehältern zugesprochen. Während die Kommissionsvertreter das Urteil begrüßten, da es dem Geist der Nichtdiskriminierung entspreche, ist dem von Kirchenseite deutlich widersprochen worden. Vielmehr hat das Arbeitsgericht Hamburg in Verkennung der europarechtlichen Vorgaben die Anwendung des kirchenbezogenen Ausnahmetatbestands des AGG in anmaßender Weise auf Tätigkeiten beschränkt, die „verkündigungsnah“ seien: wohlgemerkt nach der Definition des Gerichts. Eine derartige Rechtsauslegung ist ein massiver Eingriff in das in gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Auch greift es die Essenz der Freiheit der Religionsausübung an, wenn die öffentliche Gewalt den Kirchen vorzuschreiben versucht, welche Tätigkeiten besonders religiös geprägt seien und welche nicht. Dementsprechend wurde gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg Berufung eingelegt: erfolgreich (Anm. 7).
In verschiedenen Gesprächen mit Vertretern der Europäischen Kommission legten Kirchenvertreter Hintergrund und Sinn des in Deutschland sogar verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen dar.
Durch die konfessionelle Bindung der Mitglieder der Dienstgemeinschaft werde die Identität der Kirchen geprägt und ihre Authentizität bewahrt. Dies entspreche auch den noch heute bestehenden Erwartungen der Menschen an die Kirchen und insbesondere an deren soziale Einrichtungen. Gleichzeitig werde durch das Recht auf Selbstbestimmung den Kirchen auch eine Verantwortung auferlegt, welche sie verhältnismäßig und durch kirchenrechtliche Normierung überprüfbar wahrnehmen, wie etwa in der Loyalitätsrichtlinie von 2005 zum Ausdruck komme.
Zugespitzt wurde von Kirchenseite formuliert, dass es letztlich in der Diskussion darum ginge, wer die Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts festlege. Dies können nach deutschem Staatskirchenrecht nur die Kirchen im Rahmen des verfassungsmäßig Zulässigen (Bindung an „das für alle geltende Gesetz“) selbst sein. Diese rechtliche Stellung wird auch durch die Richtlinie 2000/78/EG nicht in Frage gestellt. Vielmehr ist sie europarechtskonform.
Die Bundesregierung hat sich Ende Mai 2008 in ihrem Antwortschreiben im Sinne der deutschen Kirchen zu dem Mahnschreiben von Kommissar Špidla positioniert. Aufgrund der stockenden Verhandlungen über den aktuellen Vorschlag zu einer Antidiskriminierungsrichtlinie ist allerdings in diesem Jahr nicht mehr mit einer Entscheidung der Kommission in diesem Verfahren zu rechnen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen darlegen, dass wir Christen viel einzubringen haben in die politische Debatte auf europäischer Ebene, dass sich die kirchliche Stimme auch in Brüssel Gehör verschaffen kann und muss und dass es sich lohnt, einen Beitrag für Europa als Wertegemeinschaft zu leisten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Anm. 1: http://www.ekd.de/bevollmaechtigter/europa_newsletter.html
Anm. 2:Die konsolidierte Fassung finden Sie unter: http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2008:115:SOM:DE:HTML.
Anm. 3: GD Gesundheit & Verbraucherschutz, Mental Health in the EU, A Background Paper, 13 Juni 2008, S. 5.
Anm. 4: Aktueller Sachstand: Trotz großer Zustimmung im Europäischen Parlament (EP) wurde der Änderungsantrag zum Sonntagsschutz im Dezember unter Verweis auf die Geschäftsordnung des EP nicht zur Abstimmung zugelassen. In der Zwischenzeit hat eine Gruppe von Europaparlamentariern einen Antrag für eine schriftliche Erklärung des EP zum Sonntag eingebracht. Um die Erklärung zu verabschieden, wäre die absolute Mehrheit der Abgeordneten erforderlich.
Anm. 5: http://ec.europa.eu/enlargement/press_corner/key-documents/reports_nov_2008_de.htm
Anm. 6: Aktueller Sachstand: Am 27. November 2008 haben sich die europäischen Innenminister für eine Aufnahme irakischer Flüchtlinge in der EU ausgesprochen. Diese soll freiwillig und gemäß den Aufnahmekapazitäten der Mitgliedstaaten erfolgen. 10 000 Flüchtlinge sollen in der EU aufgenommen werden. 2500 dieser besonders Schutzbedürftigen werden in Deutschland Aufnahme finden. Vorrang sollten Kranke, Folteropfer, alleinerziehende Mütter und Angehörige religiöser Minderheiten bekommen, die keine Aussicht auf eine Rückkehr in ihre Heimat haben.
Anm. 7: Die Klage wurde auf die Berufung des Beklagten vom Landesarbeitsgericht abgewiesen, weil Voraussetzung für eine Benachteiligung im Zusammenhang mit einer Stellenausschreibung die objektive Eignung des Bewerbers bzw. der Bewerberin ist. Wer nicht geeignet ist, kann auch nicht „wegen“ eines unzulässigen Diskriminierungsmerkmals benachteiligt werden. In der Stellenausschreibung für einen Sozialpädagogen/eine Sozialpädagogik war als Einstellungsvoraussetzung u.a. „ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Sozialpädagogik/Sozialwissenschaften (o.Ä.)“ gefordert. Die Klägerin hat weder ein Studium absolviert noch verfügt sie über die Hochschulreife. (Az.: 3 Sa 15/08)