Impulsvortrag auf dem Deutschen StiftungsTag "Flüchtlingspolitik in Europa- Herausforderungen und Perspektiven"

OKR'in Katrin Hatzinger, Karlsruhe

Sehr geehrte Damen und Herren,

zunächst möchte ich mich bei den Veranstaltern, insbesondere bei Frau Dr. Andrae und Herrn Prof. Dr. Dahling-Sander, recht herzlich für die Einladung nach Karlsruhe bedanken. Ich freue mich über die Gelegenheit, Ihnen heute aus der Sicht der Brüsseler Vertretung der Evangelischen Kirche in Deutschland einige Überlegungen zur europäischen Flüchtlingspolitik darlegen zu dürfen.

Zum besseren Verständnis vorab noch kurz einige Sätze zu unserer Dienststelle. In diesem Jahr ist die EKD seit 25 Jahren in Brüssel vertreten. Ursprünglich war die Triebfeder, die Auswirkungen der EU-Gesetzgebung auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen so gering wie möglich zu halten und als Frühwarnsystem zu fungieren, wenn Gesetzesentwürfe kirchliche Interessen berühren, um dann entsprechend gegenüber den EU- Institutionen tätig werden zu können. Aus diesem Grund liegt die Leitung des Büros auch von Anbeginn an in den Händen von JuristInnen. Das Büro berät ferner Landeskirchen, Gemeinden, diakonische Einrichtungen und auch kirchliche Stiftungen bei der Beantragung europäischer Fördermittel, empfängt kirchliche Delegationen und Besuchergruppen und führt Kultur- und Diskussionsveranstaltungen durch. Im Laufe der Jahre ist außerdem der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche mehr und mehr in den Vordergrund getreten, nämlich, sich um Gottes Willen politisch einzumischen und für diejenigen einzutreten, die in Brüssel keine eigene Lobby haben. Dazu gehören natürlich auch Asylsuchende, Migranten und Flüchtlinge. Denn „Frömmigkeit ohne Engagement für die Welt ist ein Widerspruch in sich“, um den Vorsitzenden des Rate der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm zu zitieren.

Die europäische Asylpolitik ist der EKD ein wichtiges Anliegen und mittlerweile glücklicherweise ein Thema, dass nicht nur in Brüssel kirchliche Akteure, Nichtregierungsorganisationen und den UNHCR umtreibt, sondern auch die Landeskirchen, Gemeinden und Synoden. Der Politikbereich ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr Europapolitik mittlerweile Teil der Innenpolitik geworden ist, mit der Folge, dass die politischen Verhandlungen in Brüssel in der Flüchtlingsszene in Deutschland aufmerksam wahrgenommen und Möglichkeiten zur Einflussnahme bereits auf der EU-Ebene genutzt werden.

Ich selbst verfolge die Debatte um ein gemeinsames europäisches Asylsystem seit nunmehr 10 Jahren. Es handelt sich noch um ein recht junges Politikfeld. Erst mit dem Vertrag von Amsterdam ist 1997 das Ziel formuliert worden, einen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zu schaffen und die Asyl- und Migrationspolitik von der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in die EU-Kompetenz zu überführen. 1999 beschlossen die europäischen Staats- und Regierungschefs im finnischen Tampere einen verbindlicher Fahrplan („Tampere-Programm“) für die Entwicklung einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention. Seitdem haben sich in Brüssel umfangreiche Gesetzgebungsaktivitäten entwickelt, die in den folgenden Jahren in Mehrjahresprogrammen (Den Haag und Stockholm) fortgesetzt worden sind. In den letzten 15 Jahren ist tatsächlich auf dem Papier Einiges erreicht worden. Es ging auch deshalb recht zügig voran, weil durch den Schengenraum und den Abbau der Binnengrenzen, der Schutz der Außengrenzen und gemeinsame Asyl- und Einwanderungsregeln nötig wurden. 2013 wurde nach zähem Ringen stolz die Vollendung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) verkündet. Doch in der Praxis kann von gemeinsamen Standards und Verfahren noch lange nicht die Rede sein, geschweige denn von gemeinsamen Entscheidungs- bzw. Anerkennungspraktiken.

Das EKD-Büro hat in einer Stellungnahme im Hinblick auf die die zukünftige innenpolitische Agenda der EU im Januar 2014 betont, dass die Europäische Kommission in den nächsten fünf Jahren alle ihr zustehenden Mittel und Instrumente ausschöpfen müsse, um Schutzlücken für Asylsuchende und Flüchtlinge zu schließen.

Weiter haben wir in dem Papier unterstrichen, ich zitiere: „Die anhaltenden Dramen im Mittelmeer verdeutlichen, wie wichtig eine Reform der europäischen Asyl- und Einwanderungspolitik ist. Menschenrechte und Menschenwürde müssen dabei Richtschnur sein. Das Dublin-System sollte reformiert werden, um für mehr Solidarität unter den Mitgliedstaaten und eine gerechte Teilung der Verantwortung zu sorgen. Die EU muss mehr legale Zugangsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Migranten aus Nicht-EU-Staaten schaffen, damit weniger Menschen illegale und gefährliche Wege nach Europa riskieren und die Dienste von kriminellen Schlepperbanden in Anspruch nehmen müssen. Dabei sollten alle Optionen für geschützte Einreiseverfahren und Visaerleichterungen für Flüchtlinge geprüft werden sowie eine einheitliche und zukunftsfähige EU-Einwanderungspolitik geschaffen werden, die verbesserte Zugänge für Arbeitsmigranten bietet. Bestehende Rechtsinstrumente im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik müssen konsequent und in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Insbesondere die Aufnahmebedingungen und die Asylverfahren genügen in einer Reihe von Mitgliedsstaaten nicht den EU-Standards. Hier muss die Kommission auf die Einhaltung des EU-Rechts dringen.

Beim Grenzmanagement und im Rahmen von Frontex-Einsätzen müssen der Schutz von Menschenleben und die Achtung der Menschenrechte absoluten Vorrang haben.

Letztlich haben die Europäischen Staats- und Regierungschefs dann im Juni 2014 lediglich sehr knapp und allgemein gehaltene strategische Leitlinien zur Justiz-und Innenpolitik verabschiedet, die den Schwerpunkt klar auf der Umsetzung des GEAS, die Kooperation mit Drittstaaten und die Bekämpfung irregulärer Einwanderung legen und wenig zu einer Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik enthalten.

Angesichts der unsicheren Lage in Nordafrika und im Nahen Osten und der anhaltenden Wirtschaftskrise schottet sich Europa weiter nach außen ab, anstatt Hilfesuchenden eine Perspektive zu eröffnen. Der Weg hin zu einer echten gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik gestaltet sich also langwierig und schwierig. Eine Asyl- und Einwanderungspolitik im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht muss deshalb immer wieder angemahnt werden, auch und gerade durch die Kirchen. Und, das sage ich hier bewusst auf dem Stiftungstag, das kirchliche Engagement für Flüchtlinge muss auch durch die praktische Arbeit vor Ort, illustriert werden, z.B. durch Projekte kirchlichen Stiftungen.

In Brüssel arbeiten wir deshalb in einem Verbund christlicher Organisationen gemeinsam an Vorschlägen für eine Flüchtlingspolitik auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention. Dabei sind wir in Kontakt mit der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament, dem Rat, sprich der Bundesregierung, insbesondere dem Bundesinnenministerium. Unsere Partner in der flüchtlingspolitischen Arbeit reichen vom Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS Europe) und Caritas Europa über die Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME) bis zum UNCHR Amnesty International und dem Europäischen Flüchtlingsrat (ECRE).

Dass sich in der EU-Asyl- und Migrationspolitik trotz zahlreicher Gesetzespakete praktisch so wenig bewegt, hat meines Erachtens mehrere Gründe:

 1. Das Thema ist politisch sensibel.

Rechtsradikale, populistische und europafeindliche Parteien à la Front National oder UKIP machen auf Kosten der Migranten und Asylsuchenden erfolgreich Politik, indem sie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, Angst vor Überfremdung, Kriminalität und Terrorismus schüren. Deshalb haben viele europäische Regierungen große Bedenken, mit einem zu starken Engagement für eine liberale Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik Wähler zu verprellen.

2. Das Thema ist politisch nicht sonderlich populär.

2015 wurde und wird in vielen EU Staaten gewählt (Finnland, Großbritannien, Portugal, Polen Spanien, Dänemark). Mit einer neuen Asylagenda lassen sich in Zeiten einer Wirtschaftskrise keine Wahlen gewinnen. Also warten die meisten Mitgliedstaaten lieber ab, als sich bei der Flüchtlingsaufnahme solidarisch zu zeigen. Aus wahltaktischen Gründen hält sich z.B. Großbritannien gerade sehr bedeckt.

Statt aber vor einer radikalen Minderheit zurückzuweichen, sollte aber vielmehr auf die große Welle der Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung für Schutzsuchende und Flüchtlinge aufgebaut werden.

3. Das Thema ist für Mitgliedstaaten unterschiedlich relevant. Während Länder wie Malta, Italien und Griechenland aufgrund der eigenen Betroffenheit Reformen in der europäischen Asylpolitik einfordern, verhalten sich viele mittel- und osteuropäische Staaten passiv bis gleichgültig im Hinblick auf Flüchtlingsfragen. Diese Länder sind keine klassischen Asyl- oder Einwanderungsländer, werden aber durch den EU-Beitritt zunehmend mit dem Phänomen konfrontiert und halten sich deshalb etwa bei der Aufnahme von Flüchtlingen oder der Debatte um eine gerechte Verteilung zurück.

Speziell in Deutschland herrscht bei Manchem immer noch Groll darüber, dass man in den 90 er Jahren mit der Aufnahme der Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehem. Jugoslawien von den europäischen Partnern weitestgehend allein gelassen wurde. Nun sind andere Länder, gerade im Süden Europas, besonders betroffen und es wäre höchste Zeit, Befindlichkeiten zurückzustellen und in der EU gemeinsam Verantwortung für Schutzsuchende wahrzunehmen. Die Herausforderungen sind komplex und müssten im europäischen Schulterschluss angegangen werden.

Die neuerliche Flüchtlingskatastrophe vor der lybischen Küste mit mehr als 900 Todesopfern verdeutlicht den dringenden Handlungsbedarf zur Neuausrichtung der EU-Asyl-und Migrationspolitik. Beileidsbekundungen und Betroffenheitsrhetorik helfen nicht weiter. Das Sterben im Mittelmeer kann nur durch eine abgestimmte europäische Seenotrettungsmission mit entsprechender technischer Ausrüstung und breitem Einsatzgebiet gestoppt werden. Jedes weitere Zögern und Zaudern wird weitere Menschenleben fordern, dem sollten sich die politisch Verantwortlich bewusst sein. Das hat auch die EKD Synode in ihrer konstituierenden Tagung Anfang Mai in Würzburg in einen Beschluss zum Flüchtlingssterben im Mittelmeer unterstrichen.

Dabei gibt es keine Patentlösung, sondern es geht darum aus der Vielzahl bestehender Instrumente zu schöpfen. Die Beschlüsse der europäischen Staats- und Regierungschef vom 23. April zur Flüchtlingssituation im Mittelmeer werden dem Ernst der Lage jedenfalls nicht gerecht und sind ein weiterer Ausweis der fatalen Uneinigkeit der EU-Mitgliedstaaten in dieser Frage. Es wird weitgehend auf altbewährte Rezepte gesetzt: verstärkte Zusammenarbeit mit Drittstaaten, Ausbau von Rückführung und verstärkter Grenzschutz. Im Hinblick auf die Neuansiedlung von anerkannten Flüchtlingen war man noch nicht einmal in der Lage sich auf konkrete Zahlen für die sichere Aufnahme dieser besonders Schutzbedürftigen zu einigen.

Leichter einigen hingegen können sich die Staaten, wenn es um den Ausbau von Abwehr-  und Abschreckungsmaßnahmen geht. Legale Wege für Flüchtlinge und Migranten in die EU stehen weiterhin nicht wirklich zur Verfügung, auch fehlt es an der notwendigen Abstimmung verschiedener Politikbereiche, wie Entwicklungs-, Agrar-, Fischerei-, Handels-, Außen- und Innenpolitik, um Fluchtursachen langfristig und nachhaltig zu bekämpfen.

 Dabei befinden sich natürlich die meisten der über 50 Millionen Flüchtlinge weltweit außerhalb der EU, ihr Schicksal gerät angesichts der Dramatik im Mittelmeer leider oft aus dem Blick.

Die konkreten Vorschläge von NGOs und Kirchen zur EU-Flüchtlingspolitik reichen von der Einrichtung eines großzügigen europäischen Neuansiedlungsprogramms über die Erleichterung von Familienzusammenführungen, über befristete Aussetzung der Visumspflicht für Krisenregionen bis zur Ausstellung humanitärer Visa. Aber auch die Möglichkeiten für Arbeitsmigration in die EU sollten ausgebaut und besser bekannt gemacht werden. Diese Maßnahmen wären die wirksamste Lösung, um den Schleppern das Handwerk zu legen. Im Hinblick auf die 2016 anstehende Überprüfung der Dublin Verordnung durch die Europäische Kommission wird aus Kirchenkreisen außerdem schon lange gefordert, aktiv an Alternativen zum dysfunktionalen Dublinsystem zu arbeiten, um den Verschiebebahnhof von Flüchtlingen in der EU zu beenden.

Am 13. Mai 2015 wird die Europäische Kommission eine europäische Migrationsagenda vorstellen, die den aktuellen Herausforderungen Rechnung tragen soll. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kündigte am 29. April in Straßburg im Hinblick darauf an, dass die Kommission neben dem Ausbau der Möglichkeiten legaler Arbeitsmigration ein europäisches Quotensystem zur Aufnahme von Flüchtlingen in der EU vorstellen werde. Was konkret sich dahinter verbirgt, ließ er offen. Die Forderung nach einem Quotensystem ist allerdings das implizite Eingeständnis, dass das Dublinsystem nicht funktioniert. Ob damit der große Durchbruch hin zu dem dringend nötigen Neuansatz in der europäischen Flüchtlingspolitik gelingen wird, bleibt aber abzuwarten.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch einmal auf die Rolle der Kirche zu sprechen zu kommen: Gelegentlich wird Kirchenvertretern vorgehalten, sie würden allein moralisch argumentieren und sollten sich daher gefälligst aus der politischen Debatte heraushalten. Der Vorsitzende des Rates der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hat diese Kritik auf der Synode in Würzburg aufgegriffen und entgegnet: „Eine Aufgabenverteilung, nach der wir als Kirchen die Vertreter der Moral wären, um dann auf die herabzuschauen, die jeden Tag als politisch Verantwortliche in Dilemmasituationen schwere Entscheidungen zu treffen haben, wäre eine faule Aufgabenverteilung und auch theologisch falsch..(..). Umgekehrt ist es aber auch das Recht, ja die Pflicht der Kirche, an die ethischen Grundorientierungen zu erinnern, die unser Zusammenleben ausmachen. Sie darf, ja, sie muss das auch dann tun, wenn sie nicht gleichzeitig ausgefeilte politische Konzepte vorlegen kann. Denn die Kirche ist keine politische Institution.“

Er fügte hinzu: „Eine pluralistische Gesellschaft ohne moralische Geltungsansprüche, die auch von Akteuren im öffentlichen Diskus mit Leidenschaft vertreten werden, wird am Ende kraftlos und verflacht.“

Dazu kommt, dass die Kirche eben auch bei den Menschen ist und handelt. Gemeinden in Deutschland, die Gliedkirchen der EKD und die Diakonie sind durch ihre Dienste bei der Betreuung und Integration der Flüchtlinge und Asylsuchenden engagiert. In zahlreichen Kirchengemeinden setzen sich Ehrenamtliche tagtäglich für die Betreuung von Flüchtlingen ein. Sie unterrichten Deutsch oder begleiten die Menschen zu Behörden - und geben so eine erste Orientierung. Schließlich engagieren sich auch einige evangelische Stiftungen, etwa indem sie Mittel für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oder traumatisierte Folteropfer bereitstellen. Mit ihrer praktischen Arbeit setzen sie ein Zeichen dafür, dass es den Kirchen mit der tätigen Nächstenliebe ernst ist und dass Fremde in Deutschland willkommen sind. Die Kirche ist eben nicht nur eine prophetische Stimme in der Öffentlichkeit, sondern leistet ganz konkret Hilfe für Menschen in oder aus Krisenregionen.

Deshalb haben wir allen Grund weiter den Mund für die Stummen aufzutun und Deutschlands und Europas Verantwortung für den Flüchtlingsschutz einzufordern.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.