Ökumenischer Jahresempfang in Brüssel

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr heute Abend in Brüssel gemeinsam mit meinem katholischen Amtsbruder Ihr Gastgeber sein zu dürfen. In meinem Amt als Militärbischof haben mich friedensethische Fragen und eine Diskussionsrunde zum damaligen Friedensgutachten bereits zu einer längeren Besuchsreise nach Brüssel geführt und auch aus meiner Zeit als Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche weiß ich sehr genau, was wir an unserer evangelischen Vertretung bei den EU-Institutionen haben. Deshalb bin ich froh, dass mein neues Amt auch die Verantwortung für die Europapolitik umfasst und dankbar, dass wir mit Frau Hatzinger und ihrem Team hier in Brüssel so gut aufgestellt sind.

Die besondere Bedeutung europäischer Fragen hat sich mir gleich zu Beginn meiner Amtszeit mit großer Deutlichkeit vergegenwärtigt. Am 3. Oktober sind vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa 360 Menschen auf dem Weg nach Europa ertrunken. Wir Kirchen setzen uns seit Jahren in ökumenischer Verbundenheit für eine andere Asyl- und Einwanderungspolitik ein, in Deutschland und in der EU. Wir fordern eine Politik, die Schutzsuchenden effektiven Schutz gewähren und dem Anspruch der EU, Hort von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu sein, genügen kann. Deshalb habe ich mich letzte Woche im Hinblick auf die Koalitionsverhandlungen in Deutschland dafür ausgesprochen, dass die Koalitionäre sich zu Änderungen beim europäischen Flüchtlingsschutz und in der Einwanderungspolitik bekennen. Eine effektive Seenotrettung mit klaren Zuständigkeiten muss gewährleistet sein, Schutzsuchende brauchen Zugang zum Asylverfahren, und auch für Migranten muss über legale Zuwanderungswege nachgedacht werden. Die Asyl- und Einwanderungspolitik ist für mich eines der wichtigen europäischen Politikfelder der nächsten Jahre, in denen wir als Kirchen gefragt sind, unsere Stimme zu erheben und uns für die Belange von Flüchtlingen und Migranten einzusetzen. „Der Herr hat die Fremdlinge lieb“, heißt es in der Bibel im 5. Buch Mose (Kapitel 10, V18)

Es ist fraglich, ob die Wahlen zum Europäischen Parlament uns hier weiter bringen. Der französische Front National (FN) und die niederländische Partei der Freiheit (PVV), haben kürzlich eine Allianz für die Europawahl im kommenden Jahr geschlossen. Sie wollen im nächsten EU-Parlament zusammen mit anderen europaskeptischen und nationalistischen Parteien eine gemeinsame Fraktion bilden. Die Synode der EKD hat angesichts dieser beunruhigenden Signale auf ihrer Tagung im November in Düsseldorf davor gewarnt, dass diese Gruppierungen die Funktionsfähigkeit des Parlamentes gefährden könnten. Deshalb sollen die Gliedkirchen verstärkt auf die Europawahlen und ihre politische Relevanz aufmerksam machen und zur Wahlbeteiligung aufrufen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir als Kirchen in besonderer Weise verpflichtet sind, Europa zu unserer Sache zu machen und die Kraft und die Reichweite haben, um den europäischen Gedanken zu verbreiten und zu leben.

Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu einem Themenfeld, das mir ebenfalls sehr am Herzen liegt. Vom 19. bis 20. Dezember werden sich die Staats- und Regierungschefs der EU erstmals seit fünf Jahren wieder intensiv mit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik befassen. Da ich derzeit neben meiner Tätigkeit als Bevollmächtigter noch das Amt des Militärbischofs der EKD wahrnehme, ist mir diese Thematik besonders wichtig.

Ein Thema auf der Tagesordnung wird die Bündelung und gemeinsame Nutzung von Verteidigungsgütern und -fähigkeiten sein. Neben den großen Einsparmöglichkeiten und dem Gewinn an Effizienz bedeutet das sogenannte „Pooling & Sharing“ auch einen enormen Vertrauensbeweis der Mitgliedsstaaten untereinander. Gewisse Fähigkeiten und militärische Ausrüstung aufzugeben und für den Ernstfall auf die Bereitstellung durch einen anderen Mitgliedsstaat zu vertrauen, ist Ausdruck der Überzeugung, dass ein Krieg innerhalb Europas nicht mehr denkbar ist. Diese Errungenschaft Europas als Friedensprojekt kann gar nicht hoch genug geschätzt werden, gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse, derer wir im nächsten Jahr gedenken werden: des Ausbruchs des ersten Weltkrieges vor 100 Jahren und des Ausbruchs des zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren.

Auch in Zukunft muss es aber dabei bleiben, dass die meisten Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ziviler Art sind. Der zivile Einsatz für den Frieden muss stets Vorrang vor dem militärischen Eingreifen haben. So erklärt es die letzte Friedensdenkschrift des Rates der EKD aus dem Jahr 2007. Ein Bekenntnis des Europäischen Rats zur weiteren Stärkung der zivilen Fähigkeiten der EU sowie zur stärkeren Fokussierung auf Konfliktprävention und Postkonfliktmanagement wäre daher aus meiner Sicht zu begrüßen, damit die EU ihrer Verantwortung für den Frieden auch in Zukunft gerecht werden kann.

Sie sehen also, ich bin in meinem neuen Amt schon ganz gut angekommen und freue mich auf die neuen Aufgaben und darauf, Sie näher kennenzulernen.

Nun hören wir noch einmal Musik, bevor Sie, lieber Herr Erzbischof, zu uns sprechen werden.