Gottesdienst zur Eröffnung der 18. Legislaturperiode in der Kathedrale St. Hedwig zu Berlin

Hebräer 13,14

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus…

Liebe Schwestern und Brüder,

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Diesen Vers aus dem Brief an die Hebräer – einige von Ihnen wissen das -  hat die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen zur Jahreslosung, also zum biblischen Leitvers für das Jahr 2013, erkoren. Ich bin davon überzeugt, dass er auch als Leitwort für die heute beginnende 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages dienen kann.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Wer es nach aufreibendem Wahlkampf in den Deutschen Bundestag geschafft hat und sich anschickt, voller Tatendrang und Gestaltungswillen an die Arbeit zu gehen, mag irritiert sein: Muss ich mich denn ausgerechnet heute daran erinnern lassen, dass wir hier keine bleibende Stadt haben? Muss ich mir ausgerechnet heute anhören, dass alles vergänglich ist -  einschließlich des Gemeinwesens, für das ich mich einsetzen möchte? Und heißt das womöglich, dass alles Informieren und Debattieren, alles Verhandeln und Entscheiden letztlich umsonst ist? Wo bleibt der Ansporn, wo die Ermutigung für meine wahrhaftig nicht leichte Aufgabe?!

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Hier denkt jemand vom Ende her. Von dem Ende her, das Gott der Welt eines Tages setzen wird. Vom Ende der Welt können wir Menschen nur in Bildern reden. Die Jahreslosung spricht deshalb von der „zukünftigen Stadt“, dem neuen Jerusalem. Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, malt uns das neue Jerusalem in leuchtenden Farben vor Augen. So wird erzählt, welcher Anblick sich dem Seher Johannes in einer Vision bot: „Ihr Mauerwerk war aus Jaspis und die Stadt aus reinem Gold, gleich reinem Glas. Und die Grundsteine der Mauer um die Stadt waren geschmückt mit allerlei Edelsteinen (…) Und die zwölf Tore waren zwölf Perlen, ein jedes Tor war aus einer einzigen Perle, und der Marktplatz der Stadt war aus reinem Gold.“ Wichtiger aber als der perfekte Anblick dieser Stadt ist die dort vollendete Gemeinschaft Gottes mit den Menschen und der Menschen untereinander: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ (Offenbarung 21, 3-4)

Von diesem Ende her fällt ein Licht auf den Anfang. Auf alle Anfänge in unserem Leben, auch auf den Anfang einer Legislaturperiode. Im Licht des von Gott versprochenen Endes der Welt erkennen wir: Nicht wir sind es, die für Vollendung sorgen können und müssen. Nicht wir sind es, die die Menschheit retten müssten. Nicht wir sind es, die diesem Land oder Europa oder gar der ganzen Welt das endgültige Heil zu bringen hätten. Nicht wir sind es, die alles Leid der Welt verhindern oder beseitigen könnten und müssten. Das zu tun hat Gott versprochen, und Gott hält, was er verspricht.

Menschen, die auf das Ende sehen, sehen sich entlastet. Sie können ihren Weg frei und aufrecht gehen und gelassen ihr Tagewerk tun. Menschen, die auf das Ende sehen, haben es nicht nötig, verbissen ihren Willen oder ihr Programm durchzusetzen. Menschen, die auf das Ende sehen, sind so frei, auch andere Meinungen gelten zu lassen und Kompromisse  zu schließen.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Wer auf das Ende sieht, ist gelassen, aber nicht untätig. Wer darauf hofft, dass Gott die Welt vollenden wird, ist entlastet, legt aber nicht die Hände in den Schoß. Es heißt, dass wir die zukünftige Stadt, das neue Jerusalem, suchen. Wer auf das Ende sieht, der sucht schon jetzt nach Wegen, wie Tränen abgewischt, ja möglichst gar nicht erst geweint werden. Wer auf das Ende sieht, dem lassen Leid, Geschrei und Schmerz der Menschen schon jetzt keine Ruhe. Wer auf das Ende sieht, der kämpft schon jetzt gegen den Tod, insbesondere gegen den Tod durch Hunger und Gewalt.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Unmittelbar im Anschluss an die Jahreslosung lesen wir im Hebräerbrief, wie dieses Suchen konkret wird: „So lasst uns nun durch ihn (Jesus Christus) Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.“ Als solche, die auf das Ende sehen, sollen wir also Gottes Namen bekennen. Wir sollen sagen, dass wir von Gott her kommen und zu ihm hin unterwegs sind. Wir sollen davon reden, dass wir im Leben und im Sterben auf ihn vertrauen. Und wir sollen entsprechend handeln. Der Hebräerbrief fährt fort: „Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.“

Gutes tun. Ich bin überzeugt: Sie alle, die Sie heute Ihre Arbeit im Deutschen Bundestag aufnehmen oder wieder aufnehmen, wollen Gutes tun. Sie wollen die Lebensbedingungen in diesem Land so gestalten, dass die Bürgerinnen und Bürger gut leben können. Bitten wir Gott, dass Ihnen das gelingt und dass Ihre Entscheidungen den Menschen in diesem Land gut tun.

„Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, vergesst nicht.“ Dass Gutes bewirkt wird, hängt nicht zuletzt von der Bereitschaft zum Teilen ab. Gelingt es uns Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes, Güter wie Arbeit, Bildung oder Gesundheitsversorgung so zu teilen, dass alle genug davon haben? Schaffen wir es, mit den Ressourcen der Erde so umzugehen, dass alle, wirklich alle Menschen, genug zum Leben haben? Werden wir die Schätze unseres Planeten so nutzen, dass auch künftige Generationen den Teil bekommen, der ihnen zusteht? „Mit anderen zu teilen vergesst nicht“, heißt es. Die Politik kann und muss dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Die Bereitschaft zum Teilen und Verzichten ist aber von allen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes gefordert.

„Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.“ Von Opfern ist da zum Schluss die Rede. Sie, die Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages Gutes tun und für Gerechtigkeit eintreten, bringen manches persönliche Opfer: Ihre Arbeitsbelastung ist hoch, doch hat das in der Bevölkerung kaum eine eben so hohe Anerkennung und Wertschätzung Ihres Berufsstandes zur Folge. Trotzdem gehen Sie heute entschlossen ans Werk. Seien Sie gewiss: Es gefällt Gott, wenn Menschen wie Sie Lebenszeit und Lebenskraft zum Wohl der Gemeinschaft einsetzen.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Die Jahreslosung für 2013 ist ein gutes Leitwort auch für die heute beginnende Legislaturperiode. Der Blick auf das Ende, das Gott dieser Welt bereiten wird, entlastet davon, selbst den Himmel auf Erden schaffen zu müssen. Zugleich fällt vom Ende her ein Licht auf das, was heute zu tun ist.

Einer, der stets das Ende im Blick hatte und sich vom Ende her den Weg weisen ließ, war der Pfarrer und Dichter Paul Gerhardt, der im 17. Jahrhundert nicht weit von hier an der Kirche St. Nicolai Dienst tat. Sein Lied „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ kennen viele von uns vor allem als Sommerlied. Im zweiten Teil dieses Liedes aber malt Paul Gerhardt uns das Ende - nicht als zukünftige Stadt, sondern als wunderschönen Garten - vor Augen. Ganz am Schluss heißt es dann: „Erwähle mich zum Paradeis / und lass mich bis zur letzten Reis / an Leib und Seele grünen, / so will ich dir und deiner Ehr / allein und sonsten keinem mehr / hier und dort ewig dienen, / hier und dort ewig dienen.“

Und der Friede Gottes…