"Missionarisch Volkskirche gestalten - Möglichkeiten der mittleren Leitungsebene" der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste
Grußwort zur Tagung
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,
ich freue mich sehr, Sie in der Dienststelle des Bevollmächtigten hier am Gendarmenmarkt begrüßen zu dürfen. Ich hoffe, dass Sie eine angenehme Anreise hatten und auch den Weg zu uns gefunden haben, denn: Nicht jeder Taxifahrer kennt unser „Haus der EKD“, und auch nicht alle Ortsansässigen können den Weg hierher weisen. Und das, obwohl der Bevollmächtigte hier schon mehr als zwölf Jahre seinen Sitz hat und das Gebäude in seiner Farbigkeit und – zumindest wenn die Witterung es zulässt - mit den Kirchenfahnen auf dem Dach - eigentlich unverkennbar aus dem Ensemble am Gendarmenmarkt herausragt.
Aber so ist das eben manchmal mit unserer Kirche: Nicht alle, die vorbeikommen, wissen, wer oder was sie erwartet. Sie sehen nicht die einladend winkenden Fahnen auf dem Dach. Und wir, die wir drinnen sitzen, fragen uns: Was können wir tun, um noch mehr auf uns aufmerksam zu machen, um noch deutlicher in die Wahrnehmung der Menschen einzutreten, um noch deutlicher einzuladen? Missionarisch könnten wir fragen: Braucht das Gebäude einen frischen Anstrich? Brauchen wir wetterfeste Fahnen für jede Jahreszeit? Müssen es mehr sein? Müssen sie eine andere Farbe haben oder am Ende vielleicht sogar etwas anderes abbilden als das Kreuz? Oder sind möglicherweise doch noch andere Zeichen nötig, damit die Menschen zu uns finden?
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich bin froh, dass Sie sich Zeit genommen haben, um über eines der wichtigsten Themen, das unsere Kirche derzeit bewegen muss, nachzudenken und zu debattieren. Der Dialog über die missionarische Gestaltungsaufgabe der Kirche ist so nötig wie selten zuvor. Wir müssen uns bewegen, und wir müssen uns offenbar noch stärker auf die Menschen zu bewegen, als es uns bislang trotz aller Anstrengung gelingt. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie der Einladung des AMD gefolgt sind, um „Möglichkeiten der mittleren Leitungsebene“, um gute Wege für diese dringend notwendige missionarische Bewegung zu suchen und zu finden.
Sie werden im Rahmen der Tagung über die Glaubwürdigkeit, die Ausstrahlung, die missionarische Kraft oder Schwäche unserer Kirche sprechen und darüber, wie der einladende Charakter dieser Kirche verstärkt werden kann. Meine Überzeugung in diesem Zusammenhang lautet: Natürlich geht es nicht darum, nach den Fahnen auf dem Dach zu schielen und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie diese gestaltet werden können. Es geht darum, in welchen Kreisen, in welchen Räumen wir wie von dem sprechen, was uns selbst wichtig ist, was uns umtreibt, damit es andere bewegt. Die Frage lautet: Wo und wie - auch jenseits der ausgetretenen und auch bewährten Pfade - können wir das Evangelium für Menschen erlebbar machen? Und wo begegnen wir den Menschen? Sind wir wirklich zu jeder Zeit bei den Menschen, so wie Gott es von seiner Kirche erwartet?
In meiner Funktion als Bevollmächtigter des Rates der EKD versuche ich dies. Dankbar darf ich dabei auf diejenigen blicken, die vor mir dieses Amt ausgefüllt haben, so dass das Ansehen des Bevollmächtigten in der politischen Gemeinde wirklich hoch ist. Gott sei Dank: Die Politiker, vor allem die evangelischen, kennen das Haus des Bevollmächtigten. Aber diese Tatsache ist eben kein Ruhekissen, sondern Ansporn und Verantwortung, dieses Amt in seiner Vielfältigkeit auszufüllen, um auf den hinzuweisen, der der Herr der Kirche ist.
Erlauben Sie, dass ich in diesem Zusammenhang kurz beispielhaft von meiner Tätigkeit berichte: Wie Sie vermutlich wissen, bin ich als Bevollmächtigter der „Verbindungsmann“ zwischen dem Rat der EKD und den deutschen und europäischen politischen Organen und Institutionen. Meine Mitarbeiter und ich begleiten die aktuellen Gesetzgebungsprozesse, wir informieren den Rat und vermitteln umgekehrt die Positionen der EKD in die Politik hinein.
Wir haben eine sozialanwaltliche Rolle, beschäftigen uns also mit Sozial-, Arbeitsmarkt- oder Familienpolitik, kümmern uns um die Belange von Migranten und Flüchtlingen, um die Entwicklungszusammenarbeit und um ethische Fragestellungen. Außerdem vertreten wir natürlich auch die originären, institutionellen Interessen unserer Kirche, wie Fragen der Kirchensteuer oder der Seelsorge in Bundeswehr und der Bundespolizei.
Die Begegnung mit meinen politischen Gesprächspartnern auf allen Ebenen ist aber nicht ausschließlich rein inhaltlich geprägt. Denn als Prälat bin ich auch Seelsorger für die Akteure des politischen Betriebs. Damit bekommt meine Tätigkeit eine weitere, Ihnen alle wohlbekannte geistliche und missionarische Dimension. Zum einen lade ich regelmäßig ein: Zu Gebetsfrühstücken hier im Haus und zu abendlichen Gesprächskreisen, bei denen aktuelle sozialethische und politische Themen diskutiert werden. Außerdem sind mein katholischer Kollege und ich für Gottesdienste zu besonderen politischen Anlässen verantwortlich, wie zum Beispiel aus Anlass der Konstituierung des Deutschen Bundestages oder vor der Bundesversammlung zur der Wahl des Bundespräsidenten.
Im Rahmen der Lutherdekade bieten wir außerdem jedes Jahr eine „Lutherbildungsreise“ für Abgeordnete an; im vergangenen Jahr haben wir unsere Schätze in Wittenberg gezeigt, dieses Jahr wollen wir die Parlamentarier für die Wartburg in Eisenach begeistern.
Und schließlich suchen die Theologen unsere Dienststelle die Politikerinnen und Politiker auch dort auf, wo sie den größten Teil ihrer Dienstzeit verbringen: In jeder Sitzungswoche organisieren wir eine christliche Morgenandacht im Reichtagsgebäude.
Das sind die Gelegenheiten, die sich mir als Bevollmächtigtem zum missionarischen Handeln bieten, und ich halte es für meine Aufgabe, sie nicht nur voll auszuschöpfen, sondern sie auszuweiten. Immer suche ich nach weiteren Chancen, den Spielraum für missionarisches Handeln zu vergrößern, und noch mehr Menschen eine Begegnung mit dem Evangelium zu ermöglichen.
In den vergangenen beiden Jahren ist mir dies mit Unterstützung von vielen Seiten ab und zu gelungen. Wellen geschlagen hat beispielsweise eine Andacht, die mein katholischer Kollege Prälat Dr. Karl Jüsten und ich aus Anlass der Inbetriebnahme des neuen Landwirtschaftsministeriums in Berlin gehalten haben. Das war für viele Beteiligte eine neue, eine unvorhergesehene Begegnung mit der Kirche. Es gab intensive Diskussionen im Vorfeld, ob ein solcher Gottesdienst denn angemessen wäre. Schließlich ließen sich alle darauf ein, sozusagen als Test. Gott sei Dank: Alles gelang sehr gut, und die Rückmeldungen waren positiv. Wieder hat sich hier gezeigt, dass es gut und richtig ist, „in die Welt“ zu gehen, und nicht bei dem, zu bleiben, was schon gut funktioniert. Es ist gut und richtig, die Vielfalt und den Durst nach geistlicher Orientierung in der Welt ernsthaft wahrzunehmen. Dann tun sich Räume auf.
Besagte kleine Andacht hatte - aber das nur am Rande - sogar eine kritische Anfrage der LINKEN im Bundestag zur Folge. Sie wollten wissen, ob es denn mit der Trennung von Staat und Kirche vereinbar sei, dass ein staatlich genutztes Gebäude mit dem Segen der Kirche in Betrieb genommen würde.
Ein weiteres Beispiel: Zu Ende der vergangenen Legislatur gab es auf Wunsch einer ehemaligen Bundesministerin einen Gottesdienst, bei dem die aus dem Bundestag ausscheidenden Parlamentarier einen Segen erhielten. Jeder trat zum Altar heran und bekam eine Karte mit einem Bibelvers, der vernehmbar beim Empfang zugesprochen wurde. Auch hier konnten wir eine erfreulich große Resonanz verzeichnen. Und schon fast eine schöne Tradition zu nennen ist das vorweihnachtliche volltönende Adventsliedersingen im parlamentarischen Paul-Löbe-Haus, zu dem die interfraktionelle Kulturinitiative des Deutschen Bundestages inzwischen einlädt – nachdem die Kirchen dies angeregt hatten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Feiern von Gottesdiensten, die Nähe zum Menschen in seelsorgerlicher Zuwendung, die das Leben auf Gott hin zur Sprache bringt, sind wesentlich für die missionarische Ausrichtung unserer Kirche. Die Menschen wünschen sich geistliche Begleitung, und sie wünschen diese sehr oft eben genau an dem Ort, an dem sie sich befinden. Ich bin sicher: Wir könnten mehr erreichen, wenn wir noch stärkere Kommunikatoren wären. Wie heißt es zu Recht im Lied: „O komm du Geist der Wahrheit“ von Philipp Spitta: „und musst uns ganz befreien von aller Menschenscheu.“
Dort Kirche zu sein, wo man es nicht erwartet, aber doch erwarten könnte, bleibt eine Herausforderung. In allen unseren Lebensbezügen geht es darum, Menschen Gelegenheiten zu geben, das Evangelium, den guten Geist Gottes zu erfahren und ihr Leben Jesus Christus anzuvertrauen. Was wahr ist und bleiben wird: Als missionarische Kirche sind wir eine aufsuchende Kirche. Ich bin überzeugt, dass wir in den vorhandenen Strukturen, in den Ortsgemeinden sehr viel tun und erreichen können, gerade wenn wir dort eine stärkere Verbindung mit der Diakonie herstellen und diese verstärkt sich ihres christlichen Auftrages besinnt.
Aber es muss die Kirche auch immer mehr „am anderen Ort“, also über die Ortsgemeinde hinaus, geben. Das gilt beispielsweise für die Krankenhausseelsorge oder die Militärseelsorge, für die Autobahnkirchen, für die „Politikergemeinde“ im Bundestag, und – erlauben Sie schließlich den Hinweis des Sportbeauftragten der EKD, der ich sein darf – auch für die Fußballgemeinde im Berliner Olympiastadion. Es wird in Zukunft auch darauf ankommen, inwieweit wir die Menschen, die durch die Ortsgemeinde nicht oder nicht mehr angesprochen werden können – sei es, weil sich berufliche Anforderungen oder familiäre Situationen gewandelt haben – wie wir diese Menschen auf anderen Wegen erreichen. Viele von Ihnen werden diese Erkenntnis längst in ihr tägliches missionarisches Handeln integriert haben. Diejenigen, die damit erst anfangen, kann ich nur ermuntern: Es lohnt sich!
Meine Damen und Herren, ich möchte weder Eulen nach Athen tragen noch die Zeit, die gemeinhin für ein Grußwort veranschlagt wird, überziehen. Schon gar nicht, wenn das Buffet wartet! Ich bin sicher, dass Sie eine anregende Tagung erleben werden, und wünsche Ihnen eine fruchtbringende Zeit und Gottes Segen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.