Die Genfer Flüchtlingskonvention und ihre Folgen
Grußwort zum 11. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz
Anrede,
ich freue mich sehr, dass Sie am Sonntagabend meiner Einladung und der Einladung der Evangelischen Akademie in den Deutschen Dom gefolgt sind, um sich einen Film anzusehen, der in das Thema des Flüchtlingsschutz-symposiums, das morgen beginnt, bestens einführt. Der Film heißt „Like a Man on Earth“ und zeichnet den Weg von Herrn Yimer nach, der mit einer Gruppe von Freunden von Äthiopien nach Italien geflohen ist.
Ein herzliches Willkommen auch an Sie, Herr Yimer – haben Sie vielen Dank, dass Sie für das Symposium angereist sind – und dass Sie sich bereit erklärt haben, mit uns den Film zu schauen. Wenn ich richtig informiert bin, ist es ungefähr das 520. Mal, dass Sie das zusammen mit Publikum tun. Auch dafür gebührt Ihnen unser aufrichtiger Dank.
Meine Damen und Herren, Sie werden gleich selbst Gelegenheit haben zu sehen, dass Herrn Yimer etwas gelungen ist, das nur selten gelingt: Der Film eröffnet uns Zuschauern eine ungewohnte Perspektive und zwar diejenige des Flüchtenden selbst. Aus den Medien kennen wir nur die Bilder, die am Ende der Reise stehen: Die mit Menschen vollbeladenen Boote kurz vor der Küste. Den erschöpften Asylsuchenden, der sich aus dem Wasser an Land schleppt. Die Grenzschutzbeamten mit Mundschutz, die Wasserflaschen an die Menschen verteilen und ihnen Decken umlegen. Das alles betrachten wir als Außenstehende – als Nicht-Betroffene. Doch was passiert, bevor die Menschen am Ziel sind – wenn sie denn ihr Ziel überhaupt erreichen? Wie verläuft ihre Flucht? Was erleben und erleiden sie auf der Flucht? Herr Yimer nimmt uns auf diese Reise mit. Womöglich werden Sie während des Films diese Reise unterbrechen wollen – oder am liebsten ganz aussteigen. Um nicht allzu genau zu erfahren, was den Frauen in den Gefängnissen zugestoßen ist. Um sich nicht vorstellen zu müssen, was der Mutter und ihrem Kind in dem heißen, vollgestopften Bus ohne Fenster, der durch die Wüste holpert, widerfahren sein mag. Um den Gedanken nicht zuzulassen, dass gerade während wir hier sitzen, sich Menschen in ähnlichen Umständen auf der Flucht befinden. Nicht zuletzt legt der Film das perfide Geldverdienen derer offen, die sich als Schleuser betätigen und die mit verzögerten Aufenthalten dafür sorgen, dass die Geldmaschine immer weiter bedient wird.
„Man on earth“ – mit dem Ausspruch „Ecce homo“, „Seht, ein Mensch“ zeigt in der Bibel der römische Statthalter Pilatus auf Jesus. Um zu sagen: Ich sehe keine Schuld an diesem Menschen. Er ist kein Straftäter, kein Illegaler, kein „Extracomunitario“, wie das in Italien heißt, kein außerhalb der Gemeinschaft Stehender, sondern einer, der dazugehört. Einer von uns. Ein Mensch, der als solcher, qua Geburt, Rechte hat. Mit der gleichen Geste, so scheint mir, zeigt Dagmawi Yimer auf die Menschen in seinem Film. Sie sind kein „Flüchtlingsstrom“, sie sind Menschen. Nein, noch genauer: Jede und jeder von ihnen ist „Ein Mensch auf Erden“.
Das Verdienst dieses Films ist, dass wir uns dieses Gedankens nicht entziehen können. Die Verantwortung für Leib und Leben der Schutzsuchenden auf ihrer Flucht liegt nicht allein bei den Ländern, die sie durchqueren. Vielmehr fällt ein Teil der Verantwortung auch Europa zu. Die EU-Kommission, der Rat und die Mitgliedstaaten hätten den Umgang Libyens mit Flüchtlingen kritisieren müssen, man hätte durch Verhandlungen und Sanktionen, durch Geschick und Drohungen versuchen müssen, Libyen zu einem fairen und menschenrechtskonformen Umgang zu bewegen. Stattdessen hat Italien sich im Rahmen seiner Freundschaftsverträge die Zuarbeit Libyens vertraglich zusichern lassen und einiges dafür bezahlt. Noch im Herbst letzten Jahres hat die Europäische Union ebenfalls Vorverhandlungen mit Libyen aufgenommen: Die EU stellte Zahlungen von 50 Millionen € in Aussicht – im Gegenzug hätte sich Libyen verpflichtet, für die EU die unerwünschte Einwanderung von Migranten und Schutzsuchenden zu unterbinden.
Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat im November 2010 zur Aufnahme der Verhandlungen zwischen EU und Libyen einen Beschluss gefasst. In diesem fordert sie, keine Aufgaben der Migrations- und Grenzkontrolle sowie des Flüchtlingsschutzes auf Libyen zu übertragen – ein Land, das weder die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet, noch ein Asylsystem eingerichtet hat. Die Synode forderte weiter, Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge und Schutzsuchende in die EU zu schaffen und dafür Sorge zu tragen, dass beim Schutz der Grenzen die Menschenrechte der Einwanderungswilligen geachtet werden.
Die Entwicklungen der letzten Wochen und Monaten haben uns gezeigt: Seit dem Zusammenbruch der libyschen Grenzkontrollen kommen wieder Schutzsuchende und Migranten über das Meer nach Europa. Und die EU stellt sich erneut die Frage, wie das zu verhindern ist. Insoweit ist der Film „Like a Man on Earth“ weiterhin ein mahnendes Zeichen: So darf Migrationskontrolle nicht geschehen – so kann mit Schutzsuchenden nicht umgegangen werden.
Ich möchte Sie nun einladen, sich den Film anzuschauen und freue mich, dass Herr Yimer bereit ist, im Anschluss für unsere Fragen zur Verfügung zu stehen.