"Nachhaltiges Wirtschaften und Wachstum"
Deutsche Gesellschaft des Club of Rome - Bewertung der 12 Vorschläge der Expertenarbeitsgruppe
Sehr geehrte Damen und Herren,
der uns heute vorliegende Forderungskatalog, über den ich aus der Sicht der Evangelischen Kirche in Deutschland „undankbare“ fünf Minuten sprechen darf, enthält viele äußerst begrüßenswerte Detailvorschläge zur Bewahrung der Schöpfung und zur Generationengerechtigkeit, kurz: zur Verbesserung der Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit unserer Gesellschaft; der Text ist konsistent und adressiert die Wirtschaft ebenso wie die politische Ebene und die Zivilgesellschaft. Ich bin überzeugt, dass die Umsetzung dieser Vorschläge das Thema Nachhaltigkeit in Deutschland ganz erheblich voran bringen könnte, wenn sich die Bundesregierung diese in Gänze zu eigen machen würde.
Einige der von Ihnen formulierten Gedanken prägen die Nachhaltigkeitsdebatte seit langem, sind deswegen aber nicht minder wichtig; besonders positiv würdigen möchte ich die Forderung nach dem Abbau umweltschädlicher Subventionen, ebenso wie die Empfehlung zur Schließung von Gesetzeslücken und den Vorschlag, Energie- und Rohstoffsteuern langsam steigen zu lassen. Als Kirche können wir die hier vorgeschlagenen Maßnahmen – von der Abschaffung der Subventionen im Flugverkehr bis hin zur flächendeckenden Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung – nur nachdrücklich unterstützen
Wenn die Strategie, wie Sie sie mit den skizzierten Maßnahmen vorschlagen, erfolgreich umgesetzt werden soll, ist meiner Ansicht nach allerdings die direkte Thematisierung der Wachstumsfrage unerlässlich. Die Politik in Deutschland und in Europa ist wie selten zuvor auf ein aus evangelischer Perspektive überholtes Wachstumsverständnis fokussiert: auf das quantitative, auf das Brutto-Inlandsprodukt bezogene Wachstum. Nur selten wird reflektiert, dass sich die in der derzeitigen Krise zeigenden Probleme vermutlich nicht mit herkömmlichen Wachstumsstrategien werden überwinden lassen. Einige der zwölf vorliegenden Empfehlungen werden aber als “Bremsen” des klassischen BIP-Wachstums wirken – hier sehe ich einen impliziten Widerspruch zu dem in der Politik vorherrschenden Ziel eines Wachstumsprogramms. Dies ist offen zu thematisieren; Nachhaltigkeit und traditionell verstandenes Wachstum dürfen nicht als gegenläufige Ziele unverbunden nebeneinander diskutiert werden. Die EKD hält es für geboten, dem BIP als zentrales Maß für Wachstum alternative „Wohlfahrtsmaße“ an die Seite zu stellen – ein Beispiel wäre der „Nationale Wohlfahrtsindex“, der von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft – kurz: FEST – in Heidelberg und der FU Berlin im Auftrag des Bundesumweltamtes 2009 entwickelt wurde.
Mit einem zweiten Fragezeichen würde ich die zur Diskussion gestellten Vorschläge zur Institutionenlandschaft versehen. Ihre Arbeitsgruppe schlägt neue Nachhaltigkeitsinstitutionen vor; Begründungen dafür, warum die vorgesehenen Aufgaben nicht von den bereits bestehenden Institutionen – oder von Arbeitsgemeinschaften dieser Institutionen – erfüllt werden können, fehlen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass es den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) gibt, den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), den Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE), den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung, der Staatssekretärsausschuss, dazu die Enquête-Kommission und die entsprechenden Abteilungen im Umweltministerium und im Umweltbundesamt – frage ich mich, ob die Einrichtung neuer Institutionen tatsächlich zielführend ist.
Die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie ist aus unserer Sicht ein hervorragendes Instrument – allerdings genießt es in der politischen Umsetzung nicht unbedingt Priorität. In einigen Feldern besteht ein massives Umsetzungsdefizit – und das ist kein Defizit, das ein neues Gremium zur Beurteilung und Revision der Zielsetzungen erfordern würde. Diese Aufgabe könnte im öffentlichen Diskurs der Experten und der Zivilgesellschaft, durch RNE, WBGU, SRU etc. geschehen; ein neues Gremium ist dafür nicht notwendig.
Stabsstellen für Nachhaltigkeit in Ministerien einzurichten, kann sinnvoll sein, allerdings besteht dabei auch die Gefahr, dass diese zu neuen Spezialistenabteilungen werden, die möglicherweise nur wenig Bedeutung erlangen. Wichtig ist meines Erachtens vielmehr, dass Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe in allen Abteilungen eines Ministeriums “mitgedacht” wird. Idealerweise sollte der jeweilige Minister oder die jeweilige Ministerin das Thema Nachhaltigkeit immer wieder zur “Chefsache” erklären und sich selbst darum kümmern.
Ob eine Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens im Grundgesetz zielführend ist, wage ich nicht zu beurteilen. Wenn dieser Gedanke in das Gesetz hineinformuliert würde, müsste in jedem Fall eine überzeugende Definition von Nachhaltigkeit mit festgeschrieben werden. Unerlässlich aber ist der Mentalitätswandel, den Sie mit dieser Maßnahme anstreben. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf allen Ebenen beharrlich auch die Frage von Lebensstilen und die Frage einer “Ökonomie des Genug” ansprechen müssen. Der Vorsitzende des Rates der EKD, Präses Nikolaus Schneider, hat Nachhaltigkeit mit dem Begriff einer „Ethik des Genug“ verbunden. Diese zielt auf eine Veränderung der Maßstäbe zur Bewertung von wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlichem Wohlstand. "Gut leben statt viel haben", das heißt: Ein materieller Verzicht kann einen Gewinn an Lebensqualität bedeuten. Aus evangelischer Sicht müssen wir mit Gottes guten Gaben für uns verantwortlicher umgehen als bisher. Kein noch so sehr auf Effizienz setzender Weg wird dabei an einer neuen Strategie im Blick auf Wachstum vorbeiführen.
Sehr gern und aus tiefster Überzeugung wollen wir das Thema mit Ihnen weiter verfolgen. Die EKD verfügt in Sachen Nachhaltigkeit über eine kleine, aber feine Infrastruktur, die sich für die gemeinsamen Ziele einsetzen lässt. Da wären zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der EKD, oder auch die Mitarbeiter des Arbeitsbereichs “Frieden und Nachhaltige Entwicklung” der eben genannten Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft als “Think Tank”.
Die EKD versteht das Thema Nachhaltigkeit als einen zentralen Baustein im ökumenischen Programm zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Dies bedeutet auch, dass wir immer auch die internationale Perspektive berücksichtigen wollen. Unser Handeln ist ein Handeln in Verantwortung vor den zukünftigen Generationen, aber auch ein Handeln, das dazu beiträgt, dass den Menschen überall auf der Welt ein Leben in Würde ermöglicht wird. Vielen Dank.