"Was nennst du mich gut"?
Predigt anlässlich des zentralen Männergottesdienstes am Männersonntag, in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche
Predigt zu Markus 10, 17-26 (der reiche Jüngling)
„Alle lieben Helmut“, so hieß die große Überschrift.
Nein, es war nicht die Mitgliederzeitung der CDU, die mit diesen Worten Helmut Kohl 30 Jahre nach seiner Wahl zum Bundeskanzler feierte.
Ein anderer Helmut war gemeint, vielleicht kann man sogar sagen: der andere Helmut, nämlich Helmut Schmidt. Und es war der Stern, der so titelte, weil Helmut Schmidt laut einer Umfrage des Magazins das größte lebende Vorbild der Bundesbürger ist. Danach folgen Günther Jauch, Angela Merkel, Joachim Gauck, Jogi Löw und Margot Käßmann.
Als Vertreter der evangelischen Kirche kann ich erleichtert aufatmen, denn die Protestanten kommen in dieser Rangliste ganz gut weg. Mit Joachim Gauck und Margot Käßmann sind sogar zwei „Profi-Protestanten“ dabei, aber auch Helmut Schmidt und Angela Merkel sind bekanntermaßen evangelisch. Und heute haben wir hier noch Hans-Peter Durst erlebt, ebenfalls evangelisch. Da kann der deutsche Protestantismus doch ganz zufrieden mit sich sein.
Aber Spaß beiseite. Solche und ähnliche Umfragen werden ja immer mal wieder gemacht.
Als Vorbilder gelten uns Personen, die als richtungsweisende und idealisierte Beispiele angesehen werden. Im engeren Sinne sind Vorbilder Personen, mit denen Menschen sich identifizieren. Sie ahmen ihre Verhaltensmuster nach oder versuchen es zumindest. Meist sind es auch Personen, die dem Betreffenden oftmals überhaupt nicht nahestehen, aber bewusst als Modell gewählt werden, weil sie ein hohes Ansehen genießen.
Wir selbst kennen auch Vorbilder und es ist nicht zufällig, dass diese aus unserer Jugend stammen, weil wir natürlich in unserer Kindheit und Jugend noch stark orientierungsbedürftig waren. Die eigenen Eltern sind hier immer zu nennen, ob man sich an ihnen reibt oder nicht. Sie haben in der Regel als erste Vorbilder gedient.
Und wenn ich an heranwachsende junge Männer denke, dann sind es die Helden, die echten Typen, die immer wieder zum Vorbild dienen. Es sind die Männer, die das Böse überwinden, die Kraft haben und im Einsatz für die gute Sache sind. Der Klassiker hierfür ist vielleicht John Maynard. Das Gedicht von Theodor Fontane über John Maynard, den Steuermann, der das brennende Schiff Schwalbe über den Erie-See steuert, haben wir als Kinder in der Schule verschlungen. Und wir sind innerlich mitgegangen als das Schiff anfing zu brennen und John Maynard es trotzdem nach Bufallo steuerte und alle Passagiere gerettet wurden, auch wenn er dabei starb: Wer erinnert sich nicht an diese ersten Zeilen:
John Maynard!
"Wer ist John Maynard?"
"John Maynard war unser Steuermann,
aushielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron',
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."
Ja, liebe Gemeinde – das ist die Kategorie von Vorbild, das sich junge Männer oder auch in die Jahre gekommene immer gern wählen. Aus diesem Grund sind doch lebensrettende Berufe bei Männern immer noch sehr gefragt und die Jugendfeuerwehren noch immer so beliebt.
Vielleicht wird uns bei dieser Benennung des typischen Vorbildes bewusst, dass Jesus hier nicht einfach hineinpasst, auch wenn er Dinge gemacht hat, die Superman alt aussehen lassen. Aber das zieht nicht: Wenn man die Menschen, zumal junge Männer nach ihren Vorbildern fragt, so taucht der Name Jesus immer seltener auf. Aber wollte Jesus wirklich ein Vorbild sein?
Die Bibel berichtet, dass Jesus sich wehrt, als da ein junger Mann auf ihn zukommt, ihn unumwunden anspricht und „guter Meister“ nennt. Da hat einer in Jesus sein Vorbild, sein Idol gefunden. Er läuft ihm hinterher und will sich als gelehriger Schüler erweisen, indem er ihm eine kluge Frage stellt: „Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ Jesus geht zuerst gar nicht auf die Frage ein und wendet sich sofort gegen die Anrede: „Was nennst du mich gut?“ Er fragt also zuerst: Bin ich wirklich das Vorbild, für das du mich hältst? Wie kommst du eigentlich darauf, gerade mich als dein Vorbild anzusehen? Woher weißt Du, dass ich „gut“ bin und zudem ein „Meister“?
Jesus wehrt sich, auf einen Sockel gezerrt, angehimmelt und bewundert zu werden. Er will nicht als weiser Meister in allen Lebenslagen gefragt werden. Er will nicht auf alles eine Antwort wissen müssen. Er will nicht ehrfürchtig umgarnt werden, wie ein Orakel oder wie ein Guru.
Solch ein Idol will Jesus nicht sein. Dazu ist er nicht Mensch geworden, dazu hat er sich nicht selbst entäußert und Knechtsgestalt angenommen, wie es der Philipperbrief so treffend formuliert. Denn Gottes Wille in Jesus Christus war es ja gerade, uns Menschen nahe zu kommen, den großen garstigen Graben zwischen ihm und seiner Kreatur zu überbrücken, einer von uns zu werden.
Jesus Christus erinnert uns daran, dass uns Gott einmal zu seinem Ebenbild erschaffen hat, ein Bild, das uns gleich sei (Gen 1,26), so heißt es in der Schöpfungserzählung. Wir sind geschaffen, um Gott gleich zu sein. Wir sind seine Ebenbilder, ihm nachempfunden. Wir sollen seine Ebenbilder werden, ihm nacheifern. Wir sollen werden, was wir sind. Daran erinnert uns Jesus, der Mensch, der zugleich Gott ist. Darin ist er uns Vorbild, Vorläufer, Prototyp, Beispiel. Er verlangt von uns nichts mehr – aber auch nichts weniger – als eben das auch zu sein, umzusetzen, voll zur Entfaltung zu bringen: Ebenbild Gottes.
Es geht Jesus also gerade nicht darum, fern und abgehoben zu existieren als ein unerreichbares Idol. Als echtes Vorbild, als einer von uns will er uns auf die Qualitäten ansprechen, die in uns schlummern, die vielleicht unentdeckt und ungenutzt verstauben und verkümmern. Damit ist er als Vorbild ganz nah dran an uns, näher, als wir es vielleicht ahnen oder wahrhaben wollen. Denn er weiß, worauf er uns ansprechen kann, er weiß, welche Qualitäten auch in uns stecken, er weiß, welche Saite er in uns zum Klingen bringen kann.
Ein solches Vorbild, das uns nahe ist, weil es uns ähnlich ist, das lässt uns nicht in bequeme Resignation verfallen, weil es sowieso nichts bringt, sich abzumühen, um ihm nachzueifern. Ein solches Vorbild, das uns auf unsere eigenen Qualitäten hin anspricht, reizt zur Nachahmung, motiviert uns, unser eigenes Handeln dem unseres Vorbildes gemäß nach-zubilden, dem Vor-Bild eine Nach-Bildung in unserem eigenen Leben folgen zu lassen.
Darauf zielt auch die Aufforderung Jesu, die er dem reichen Jüngling gegenüber artikuliert: Du kennst doch die Gebote! (Mk. 10,19)
Und der Prophet Micha erinnert uns durch einen kurzen Satz an die Gebote, wenn er sagt:
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. (Mi 6,8)
Doch der reiche Jüngling lässt sich mit dieser ersten Antwort Jesu nicht abspeisen und sagt keck: Das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. (Mk 10,20)
Toll, ja beeindruckend, da ist ein religiös und moralisch hoch integrer junger Mann, der es ernst meint und der mit einer unerwarteten Bestleistung, fast schon als religiöser Musterschüler auftritt. Jesus bemerkt den Anspruch des jungen Mannes. Hier ist keiner, der Schwierigkeiten hat das zu machen, was für die anderen schon eine Zumutung ist: Das Halten der Gebote Gottes. Hier ist einer, der seinen Geist und seinen Körper derart im Griff hat oder diese im Geist Gottes gezähmt hat, dass er vielleicht innerlich sogar merkt, dass damit noch nicht das getan ist, was zum Ererben des ewigen Lebens nötig ist. Das verunsichert ihn ja und lässt ihn zu Jesus kommen.
Neben all denen, die der Religion gegenüber gleich-gültig werden, gab und gibt es immer auch die, die mehr wollen, die sich einsetzen wollen – ja, die das ewige Leben zu erlangen trachten.
Wie reagiert Jesus gegenüber dem anspruchsvollen jungen Mann?
Jesus geht in seinem Gespräch einen Schritt weiter. Er erkennt gut, woran es bei diesem Menschen, der da vor ihm steht, fehlt.
Die Orientierung an Jesus Christus, hat auch immer etwas damit zu tun dem Geist Gottes zu entsprechen. Dass der junge Mann die Gebote hält, das war in seinen Kreisen sicherlich schon etwas Außergewöhnliches und doch war es in den Augen Jesu nicht allein das, was für ihn angezeigt war.
Ihm hat das Halten der Gebote im Gegensatz zu den vielen anderen, die daran scheitern, anscheinend nichts ausgemacht. Es ist fast so, als wenn ein Nichtraucher damit angäbe, dass er während der Fastenzeit auf das Rauchen verzichtet hätte. Das bringt dich dem ewigen Leben oder der Gnade Gottes nicht näher.
Echte Nachfolge geht über die je eigenen Grenzen hinaus.
Diese Grenzen sind bei jedem von uns an einer anderen Stelle erreicht.
Aber ohne dass man die eigenen Grenzen überschreitet, ist Nachfolge nicht zu haben. Die Nachfolge Jesu ist zuweilen unbequem, sie schmerzt.
In unserer Geschichte findet Jesus treffsicher genau den Punkt, der für den reichen Jüngling der schmerzhafteste ist: Er fordert ihn dazu auf, all sein Vermögen hinzugeben. Der Verzicht auf Wohlstand – das ist für ihn das, was ihm wirklich etwas ausmacht. Wir alle können uns das vorstellen: So verstandene Nachfolge ist im wahrsten Sinne des Wortes teuer. Und wenn wir überlegen, wie schnell heute der Kirchenaustritt gerade von Männern praktiziert wird, weil sie mit einem Blick auf die Steuererklärung sehen, was Ihnen ihre Verantwortung gegenüber Gott und seiner Kirche kostet, dann ist es ihnen dies nicht wert. Der Unterschied zum reichen Jüngling ist nur, dass „Mann“ heute meint, auch ohne jegliche Form von Beiträgen und eigenem Einsatz dem ewigen Leben nahe zu sein. Wer meint, dass dem Glauben nicht gute Früchte folgen, das heißt auch Verantwortungsübernahme für die Ermöglichung von kirchlichem Handeln. . . Wer meint, dass sich das Christentum ohne eine institutionalisierte Form dauerhaft halten kann, der irrt - und sucht nur eine Argumentation den eigenen Geldbeutel zu schonen und die eigene Seele zu beruhigen. “Wer`s glaubt wird selig!“ Und deshalb ist es wichtig, dass Männer in unserer Kirche im Ehrenamt an den verschiedenen Stellen weiterhin Verantwortung übernehmen und sich einbringen als Vorbild. Als Vorbild für heranwachsende Jungs und junge Männer, die Männer als wahre Nachfolger Jesu in ihrer Gemeinde erleben. Natürlich gelten solche Maßstäbe nicht nur für diejenigen, die Jesus nacheifern, sondern auch für uns selbst, wenn wir als Vorbild fungieren. Jeder von uns ist schon einmal auf die eine oder andere Weise zum Vorbild geworden. Vorbild zu sein sein, ist eine ehrenvolle Aufgabe und eine Herausforderung zugleich.
Und doch kann ich verstehen, wenn sich beim Hören dieses Kompliments manches Mal auch leichtes Unbehagen einstellt. Denn ein solches Kompliment kann uns in ein falsches Licht rücken. Wir wissen ja selbst nur allzu gut, dass nicht alles an uns vorbildlich ist. Manchmal fürchten wir uns fast ein wenig davor als Vorbild hingestellt zu werden, weil das Bild, das vor anderen hergetragen wird, auch schnell an Glanz und Farbe verlieren kann, wenn wir die in uns gesetzten Erwartungen nicht erfüllen.
Zu einem echten Vorbild, an dem sich andere orientieren können, wird ein Mensch erst dann, wenn er im positiven Sinn Grenzen überschreitet, die andere als unüberschreitbar anerkennen. Das gilt auch für die stern Umfrage.
Helmut Schmidt ist im hohen Alter zum Vorbild geworden, wo er die engen Grenzen kleinkarierter Parteilichkeit hinter sich gelassen hat und mit dem Gestus einer gewissen Überparteilichkeit nicht nur den anderen, sondern auch den Seinen mit klugen und weitreichenden Gedanken die Welt erklärt, wo andere im täglichen Grabenkrieg des politischen Alltags die großen Linien vergessen.
Joachim Gauck hat als Bürgerrechtler in der DDR die engen Grenzen, in denen Freiheit damals für einen bekennenden Christen realisierbar war, ausgereizt, er hat daran gearbeitet, sie auszudehnen und zu überschreiten. Und dafür Dinge riskiert, vor denen sich andere eben gescheut haben.
Und in London haben wir bei den Paralympics erlebt, dass Menschen mit Behinderung diese fast vergessen ließen, wenn sie über das hinausgehen, was andere von ihnen erwarten. Sie sind die Vorbilder für diejenigen, die mit ihren Behinderungen den Alltag zu bewältigen haben und täglich um Anerkennung kämpfen.
Und Jesus? Wie reiht er sich ein?
Er ist und bleibt für uns das Vorbild schlechthin. Seine Existenz, sein Leben, ist die schlechthinnige Grenzüberschreitung. Er verbindet uns mit Gott und mit den anderen Menschen. Er zeigt uns durch seine Worte und Taten, dass wir an die Stummen und Schwachen gewiesen sind. Er zeigt uns, dass jeder Mensch der Liebe wert ist und, dass es keinen gibt, der hiervon ausgenommen ist. Jesus ist der Quell der Liebe. Er spricht noch von Liebe, wenn andere schon die Saat des Hasses säen. Er hat die Grenze des Todes durchschritten, damit wir leben auch wenn wir sterben.
Er gibt uns das, was wir brauchen: Eine Perspektive – für uns und für andere.
Denn durch seine Nachfolge werden wir selbst zu Vorbildern für andere und diese wiederum für jene, die vorbildlos durchs Leben ziehen.
In ihm allein ist die Kraft, die unser Bild und unser Wesen prägt. Prägen wir die Welt in seinem Sinn – vorbildlich.
Amen