Ökumenischer Neujahrsempfang der Entwicklungsorganisationen

Begrüßung,

alle Jahre wieder versammeln wir uns zum Jahresbeginn in Bonn zu einem ökumenischen Gottesdienst und einem anschließenden Empfang. Es ist eine schöne Tradition, dass wir uns die gemeinsamen Anliegen der Kirchen, der Nichtregierungsorganisationen und der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit vor Augen führen. Zur Vergewisserung unserer Gemeinsamkeiten hatten wir im letzten Jahr eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Das BMZ hatte sein 50-jähriges Bestehen gefeiert. Wir alle haben mitgefeiert und uns - in unterschiedlichem Umfang - mit eigenen Beiträgen an den zahlreichen Veranstaltungen anlässlich dieses Jubiläums beteiligt.

Aber wir haben im letzten Jahr nicht nur gefeiert. Wir schauen auf ein ereignisreiches, ja turbulentes Jahr zurück. Ich nenne nur die Stichworte

- Nordafrika und das Ende der Autokraten Ben Ali, Mubarak und Gaddafi
- Fukushima und Energiewende
- Eurokrise
- Gewalt gegen Christen
- Hochwasserkatastrophen und Dürreperioden
- Somalia und die Hungerkatastrophe am Horn von Afrika

Und damit nicht genug. Wir beobachten, dass sich die tektonischen Platten der Entwicklungszusammenarbeit langsam verschieben. Dazu trägt vor allem die enorm gewachsene Bedeutung der Schwellenländer als globale Akteure bei. Das BMZ hat Mitte 2011 die wachsende Bedeutung der Schwellenländer mit der Veröffentlichung des „Konzepts der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Globalen Entwicklungspartnern“ gewürdigt.

In der Tat: Wir sind gut beraten, diese Ländergruppe noch sehr viel deutlicher in den Blick zu nehmen. So wenn im Juni wieder eine große UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro stattfindet - kurz "Rio plus 20". Die CO2-Emissionen der Schwellenländer sind seit 1990 um rund 95 Prozent gewachsen. Ihr Anteil an den Emissionen weltweit liegt inzwischen bei fast 40 Prozent. Ihre wirtschaftliche Entwicklung ist rasant und sie können auch Erfolge verbuchen. Aber es kann so nicht weitergehen. Die Schwellenländer müssen einen nachhaltigen Entwicklungspfad einschlagen, der nicht primär auf den Verbrauch fossiler Energien setzt. Und die westlichen Industrieländer sind gut beraten, mit gutem Beispiel voranzugehen. Wir brauchen letztlich ein völlig neues Entwicklungsparadigma. Wir müssen die Konsequenzen eines Wachstums erkennen, das weder nachhaltig noch umweltverträglich ausgerichtet ist. Wir brauchen alternative Modelle des Wirtschaftens und einen respektvollen Umgang mit der Schöpfung.

In Rio soll ein möglichst verbindlicher politischer Verpflichtungsrahmen für nachhaltige Entwicklung verabschiedet werden. Neben der Klimakrise sollen Antworten auf die Herausforderungen der Finanzkrise, der Ressourcenkrise und nicht zuletzt der Ernährungskrise gefunden werden. Ein dickes Brett ist da zu bohren.

Die Schwellenländer sind auch bei der Armutsbekämpfung weltweit noch stärker zu beteiligen. Allein in Indien leben rund 55 Prozent der Bevölkerung in Armut. Für uns als kirchliche Hilfswerke heißt das, dass wir unsere Partnerorganisationen und Partnerkirchen noch intensiver in ihrer Lobby- und Advocacyarbeit unterstützen. Arme und benachteiligte Menschen müssen in die Lage versetzt werden, von ihren Regierungen einzufordern, was sie zum Überleben brauchen. Das Recht auf Nahrung, auf Bildung, auf Gesundheit will in vielen Ländern hart erkämpft werden. Verteilungsgerechtigkeit ebenso. Dazu braucht es starke und gut ausgebildete Zivilgesellschaften. Die Potenziale in den Schwellenländern sind groß. Aber die breite Bevölkerung profitiert davon zumeist kaum.

Natürlich müssen auch wir unseren Beitrag leisten. Die eigenen Ressourcen können intelligenter und besser genutzt werden, nicht zuletzt die finanziellen. Ich freue mich, dass sich jetzt die Bundeskanzlerin persönlich und mit Nachdruck für die Einführung der Finanztransaktionssteuer einsetzt - falls die große Lösung nicht klappt, erst einmal nur in der Eurozone. Als Kirchen unterstützen wir diese Forderung schon lange. Und wir fordern, dass die durch diese Steuer generierten Mittel auch für weltweite Armutsbekämpfung und den Klimaschutz eingesetzt werden. Wir würden uns noch mehr freuen, wenn sich auch die Leitung des BMZ diese Position zu Eigen machte.

Wir werden in diesem Jahr erneut ein Jubiläum begehen. Wir schauen auf 50 Jahre erfolgreiche Zusammenarbeit von Kirche und Staat im Entwicklungsbereich zurück. Die Evangelische und die Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE und KZE) feiern ihr 50-jähriges Bestehen. Als die beiden Vorsitzenden freuen sich mein Kollege Karl Jüsten und ich uns daher sehr, dass wir am 21. Juni dieses Jubiläum mit einem ökumenischen Gottesdienst im Bonner Münster und einem Festakt in der Bundeskunsthalle würdigen können. Dazu haben wir prominente Vertreter aus unseren Partnerkirchen eingeladen. Und natürlich sind auch Sie alle herzlich willkommen.

Anlässlich des 50-jährigen Bestehens von EZE und KZE ist im August außerdem eine entwicklungspolitische Reise nach Kenia geplant. Karl Jüsten und ich werden mit Bundesminister Dirk Niebel dort Projekte unserer kirchlichen Partner besuchen, die über die Zentralstellen mit Bundesmitteln gefördert werden. Ich freue mich auf diese Reise. Sie bietet eine hervorragende Gelegenheit, um in der Entwicklungszusammenarbeit von Kirche und Staat in einem konkreten Länderkontext exemplarisch Bilanz zu ziehen und aktuelle Herausforderungen zu identifizieren.

Aus Sicht des Evangelischen Entwicklungsdienstes und von „Brot für die Welt“ ist abschließend noch ein wichtiges Datum zu nennen. Wie Sie alle wissen, fusionieren der EED und das Diakonische Werk der EKD zum Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung. Damit verbunden ist der komplette Umzug der beteiligten Häuser von Bonn und Stuttgart nach Berlin. Die Arbeitsaufnahme am Nordbahnhof in Berlin ist für den 1. Oktober geplant. Bis jetzt läuft alles nach Plan, erst letzte Woche wurde in Berlin das Richtfest gefeiert. Gleichwohl ist auch deutlich, dass die Mitarbeitenden unserer Werke vor großen Herausforderungen stehen. Es gilt ja nicht nur, einen physischen Umzug in das neue Gebäude in Berlin zu organisieren. Die Fusion muss strukturell, organisatorisch und personell gestaltet werden - sowie die ungezählten damit verbundenen Prozesse. Gleichzeitig muss die Arbeitsfähigkeit aufrechterhalten werden und unsere Partner dürfen nicht unter der Fusion leiden.

Es gibt also viel zu tun im neuen Jahr. Packen wir’s an! Ich wünsche uns allen Kraft, Ausdauer und nicht zuletzt Gottes Segen angesichts der großen Aufgaben, die vor uns liegen. Ich wünsche uns allen Mut und Entschlossenheit bei der Bekämpfung von Armut, Hunger und Unrecht in der Welt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.