Abendandacht im Kloster Erfurt anlässlich der Reise mit MdB und MdEP im Rahmen des Reformationsjubiläums nach Erfurt und Schmalkalden

Liebe Gemeinde,

wenn wir innerhalb Deutschlands unterwegs sind, denken wir kaum daran, dass wir immer wieder frühere Grenzen einfach über- und durchfahren.

Allein manche Schilder auf der Autobahn weisen uns daraufhin, dass wir zum Beispiel „jetzt Brandenburg verlassen“ und in das „Land der Frühaufsteher“ fahren. Und in dem Moment, wo wir begriffen haben, warum sich Saschen-Anhalt mit dem Titel „Land der Frühaufsteher“ schmückt, kommen wir auch schon in das Territorium des Freistaates Thüringen.

Ja, Deutschland, föderal gegliedert, hat Bundesländergrenzen, die aber für den normalen Reisenden kaum eine Bewandtnis haben, außer, wenn er zu schnell unterwegs ist und sich an den verschiedenen Stempeln der jeweiligen Landespolizeien im Nachhinein erfreuen kann. 

Am 21. Oktober 1850, also vor fast genau 162 Jahren, vereinbarten die Staaten des Deutschen Bundes die Einführung der Passkarte. Damit wurde die Visumspflicht für den innerdeutschen Reiseverkehr abgeschafft. Ein erster Schritt auf dem Weg zum Traum der Reisefreiheit.

Aber beim Reisen, liebe Gemeinde, überschreiten wir trotzdem auch heute noch ständig Grenzen. Es verändern sich Landschaften und Mentalitäten, ja auch so manches veränderte Aussehen, lässt uns spüren, dass es hier anders ist als an anderen Orten.

Oft wechselt die Sprache oder der Dialekt. Wenn wir eine Rast zwischendurch machen hören wir das. Da werden wir mit einem guten Tag oder einem „Grüß Gott“ begrüßt oder mit einem „Tschüss“ oder „Adé“ verabschiedet.  

Aber auch konfessionelle Grenzen sind immer noch etwas spürbar. Nach dem Augsburger Religionsfrieden galt ja der Satz: „cuius regio- eius religio“ – Wer herrscht, der bestimmt die Religion. Bis heute sind deshalb einige Regionen in Deutschland eher römisch-katholisch oder aber eher evangelisch geprägt. Örtliche Bräuche unterscheiden sich bis heute an den ehemaligen Konfessionsgrenzen – denken wir an das Feiern von Fasching oder Karneval, oder die kirchlichen Feiertage Fronleichnam und Reformationstag, die jeweils nur in bestimmten Bundesländern arbeitsfreie Tage sind.

Ähnlich ging das auch Jesus, als er im heutigen Israel unterwegs war. Eine Geschichte im Johannesevangelium im vierten Kapitel berichtet uns davon:

Jesus musste aber durch Samarien reisen. Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab. Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde.

Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen. Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.

Zur Zeit Jesu gab es auch eine bedeutsame konfessionelle Landesgrenze: die Grenze zu Samarien – dort lebten die Samaritaner. Wir kennen diesen Begriff aus dem Gleichnis des barmherzigen Samariters. Im Gleichnis handelt der Samariter mustergültig, und das obwohl er doch der derjenige ist, der eigentlich nicht den richtigen Glauben hat und von daher im jüdischen Blick eher ein unzuverlässiger Mitbürger ist.

Zwar glaubten Juden und Samaritaner an denselben Gott, doch sie verehrten ihn auf unterschiedliche Weise und an verschiedenen Orten: die einen im Tempel in Jerusalem, die anderen im Tempel auf dem Berg Garizim.

Während die Samaritaner nur die fünf Bücher Mose, also die Tora, als Wort Gottes anerkannten, hielten und halten Juden sich auch an die Propheten und die übrigen Schriften der Hebräischen Bibel.

Zu den religiösen Unterschieden kamen ethnische hinzu, das Verhältnis war konfliktreich, man mied einander. Für fromme Juden galt der Kontakt mit Samaritanern sogar als verunreinigend. Mit ihnen zu essen – oder sie um ein Getränk zu bitten, war unvorstellbar. Und doch kam es vor, dass Menschen diese Grenze überschritten.

Jetzt verstehen wir, warum die Frau am Brunnen so erstaunt reagierte, als Jesus sie um Wasser bat.
Er tat dies ja nicht irgendwo, sondern an dem Brunnen, von dem es hieß, dass Jakob ihn seinem Sohn Josef gegeben habe. An einem geschichtsträchtigen Ort spielt die Szene also. An einem Ort, der für beide Parteien bedeutsam ist: Für die Juden und die Samaritaner. Und an diesem Ort lässt sich derjenige, der sich als der rechtmäßige Bewahrer der Tradition Jakobs versteht, von der, aus seiner Sicht, „falschen“ Vertreterin dieses AnspruchsWasser geben. Er erkennt an, Gast zu sein, an einem Ort, der in der eigenen Tradition bedeutsam war und ist. Und dass dies dann auch noch in aller Öffentlichkeit geschah und nicht im Schutze der eigenen oder fremden vier Wände, macht deutlich, welche Grenze Jesus hier überschritt und letztlich natürlich auch die junge Frau.

Aber bei dieser Geste bleibt es nicht. Die beiden kommen ins Gespräch:

Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser. Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.

War die Frau am Brunnen schon über ihre eigenen Grenzen gegangen, als sie Jesus etwas zu trinken reichte, so zeigt ihr Jesus nun, dass sie selbst auch ihn um Wasser bitten dürfte. Und er verblüfft sie mit der Feststellung, dass von ihm ein Wasser der besonderen Art zu erhalten wäre. Kein Wasser, das seine Kraft nach einer Zeit verliert und man wieder durstig wird. Nein, ein Wasser, das durstlos werden lässt, weil es in seiner Wirkung ewig hält. Jesus zeigt ihr auf, dass Gott für uns ein Leben möchte, dass in Freiheit geschieht. Gott möchte für uns, dass wir Grenzen nicht als dauerhaft und endgültig ansehen, sondern dass er selbst in Jesus Christus uns die Überwindbarkeit dessen, was uns bedrückt und beengt vorgelebt hat. Überwinden dessen, was uns beschneidet, können wir aber nur, wenn wir nicht matt und müde und hoffnungslos durch das Leben gehen. Vielmehr lädt uns Jesus ein von seinem Wasser zu trinken und an seine Quelle zu kommen. Dort empfangen wir grenzenlose Liebe und Zuwendung. Dort erleben wir wie er Menschen einlädt, von denen wir vielleicht denken würden, dass er sie verhungern lässt.

Liebe Gemeinde, auch die Kirche Jesu Christi lebt vom Wasser, das uns der Herr reicht. Auch wenn wir ihm in seinem Verhalten uns gegenüber nie das Wasser reichen können. Aus diesem Grund ruft Jesus uns immer wieder zur Grenzüberschreitung und zum Gespräch auf. 

Etwas im weitesten Sinne Ähnliches ist vor einem Jahr an diesem Ort geschehen.

In diesem Kapitelsaal fand die Begegnung zwischen dem Papst und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland statt. Hier, auf diesen Stühlen saßen sich Papst Benedikt XIV. und der Vorsitzende des Rates Nikolaus Schneider gegenüber. Der Ratsvorsitzende warb für das Verständnis der Kirchengeschichte als einer gemeinsamen.

Er sagte: „Auch nach 1517 blieben wir als ‚Westliche Kirchen‘ in besonderer Weise aufeinander bezogen - im Guten und im Bösen, in heilsamem Wirken miteinander aber auch in tödlicher Feindschaft gegeneinander.“

Und er lud dazu ein, im Hinblick auf das Reformationsjubiläum 2017 in die „Erinnerungen an die gegenseitigen Verletzungen in der Reformationszeit und der ihr folgenden Geschichte unserer Kirchen zu heilen und konkrete Wege der Aussöhnung zu gehen.“

Und weil dieser Saal Ort einer so besonderen Begegnung war, ist es gut, dass wir uns hier treffen und auf das Wort Gottes hören. Auf das Wort Gottes, das uns gemeinsam ist und das wir als Quelle unseres Lebens immer wieder brauchen.

Dieses Wort war der Grund, dass die Reformatoren die Grenzen des Kirchenraumes verlassen haben, der ihnen vorgegeben war. Sie fühlten sich abgeschnitten von dem Wasser des Lebens und fühlten sich abgespeist mit der trüben lauen Brühe der katholischen Lehre.


Hier an diesem geschichtsträchtigen Ort der Begegnung zwischen römischem Katholizismus und deutschem Protestantismus und morgen in einem Kirchenkreis, der für Jahrzehnte durch die innerdeutsche Grenze von seiner kurhessischen Landeskirche getrennt war, wollen wir uns auf die Spurensuche machen Und wir werden viel .von kleinen und größeren Grenzüberschreitungen hören.

Wie zum Beispiel, dass während der Zeit der Diktatur im Osten Deutschlands der traditionell kurhessische Kirchenkreis Name nicht kurhessisch bleiben durfte und sich der Thüringer Kirche angliedern lassen musste. Doch die Gläubigen auf beiden Seiten der Mauer wussten um ihre Verbundenheit miteinander, was dazu führte, dass der Kirchenkreis Schmalkalden nach dem Fall der Mauer sofort wieder zu einem kurhessischen Kirchenkreis wurde. Kleine Geschichten, die skurill und rührend, ja gleichsam identitätsstiftend sind und die davon Zeugnis geben, dass der Drang in uns Christen nach Freiheit und Wahrhaftigkeit einer ist, der sich nur schwer unterdrücken lässt. Und dies aus dem Glauben heraus, dass derjenige, der uns mit Wasser des Lebens versorgt auch derjenige ist, der auch die letzte Grenze überschritten hat, die uns scheinbar noch gilt: Die des Todes! Doch nein, Jesus Christus hat diese Grenze ein für alle Mal besiegt und hat uns mitgenommen in seinen Sieg, damit wir leben auch wenn wir sterben. Aus dieser Zuversicht heraus können wir unser Leben und das vieler anderer Menschen in Verantwortung gestalten, weil wir von dem wissen, der um uns weiß. Gott sei Dank!

Amen