Folgen aus der Krise - Möglichkeiten und Grenzen eines vereinten Europas.
Grußwort zum Treffpunkt Gendarmenmarkt
Anrede,
ich darf Sie sehr herzlich zu der heutigen Ausgabe des „Treffpunkt Gendarmenmarkt“ willkommen heißen, die wir unter die Überschrift gestellt haben: „Folgen aus der Krise - Möglichkeiten und Grenzen eines vereinten Europas.“
Ich freue mich, dass Sie so zahlreich unserer Einladung gefolgt sind.
Es ist mir persönlich eine große Ehre und Freude, dass es uns gelungen ist zu diesem aktuellen und wichtigen Thema den Bundesminister der Finanzen und den vormaligen Vorsitzenden des Rates der EKD zusammenzubringen, und ich blicke Ihrem Austausch mit Spannung entgegen.
Mit Wolfgang Schäuble haben wir nicht nur einen europapolitisch überaus versierten und erfahrenen Politiker gewinnen können, sondern auch einen überzeugten Europäer. Er trägt gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die große Verantwortung dafür, Deutschland sicher durch das Fahrwasser dieser momentanen Krise der EU zu steuern.
Als gebürtigem Straßburger ist Europa Wolfgang Huber sozusagen in die Wiege gelegt. Nicht zuletzt in seiner Zeit als Vorsitzender des Rates der EKD hat er die europapolitische Sensibilität unserer Kirche geschärft und u.a. die Debatte um den europäischen Verfassungsvertrag hin zum Vertrag von Lissabon aufmerksam begleitet.
Die Evangelische Kirche in Deutschland engagiert sich aber nicht nur ideell, sondern ganz konkret vor Ort für die europäische Idee, nicht zuletzt durch meine Dienststelle bei den EU-Institutionen in Brüssel, unter Leitung von Frau OKR´in Katrin Hatzinger.
Neben der Aufgabe, institutionelle Interessen der EKD zu vertreten, nimmt das Brüsseler Büro den Öffentlichkeitsauftrag der Kirche wahr und bringt sich sozialanwaltlich in den politischen Prozess ein. Aktuelle Schwerpunkte der Arbeit in Brüssel sind die Achtung der Menschenrechte im Rahmen der europäischen Asyl- und Migrationspolitik, das Eintreten für ein soziales Europa angesichts der Krise, der Schutz des arbeitsfreien Sonntags sowie ethische Fragen im Hinblick auf das neue Forschungsrahmenprogramm.
Seit November vergangenen Jahres informiert und berät zudem eine Servicestelle in der Dienststelle Brüssel kirchliche und diakonische Einrichtungen darüber, wie sich Projektideen mit europäischen Fördermitteln realisieren lassen. Dabei reicht die Bandbreite von der Kirchensanierung über die Arbeit mit Migranten bis hin zur Finanzierung von Pilgerwegen. Sie sehen also, die EKD nimmt die Chancen, die Europa bietet, ausführlich wahr: Wir mischen uns ein.
Nicht zuletzt ist es unser Anliegen, das vielfältige Engagement der evangelischen Kirche und den Sachverstand ihrer Gremien auf dem Brüsseler Parkett sichtbar zu machen, und Foren des Austauschs zwischen Kirche und Politik zu schaffen. Sei es durch ein mit einer Andacht verbundenes Abgeordnetenfrühstück oder die Vorstellung kirchlicher Publikationen.
Bei allen diesen Tätigkeiten besteht der Antrieb der EKD darin, die Errungenschaften der europäischen Einigung als Prozess des Friedens, der Stabilität und des Wohlstands nach innen und außen zu kommunizieren. Fehlentwicklungen und Missstände werden dabei nicht ausgeklammert, aber es ist klar, dass wir die europäische Idee – auch in stürmischen Zeiten- unbedingt unterstützen. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, gemeinsam mit Partnern aus der Ökumene, der Zivilgesellschaft und nicht zuletzt aus der Politik die gemeinsame europäische Geschichte fortzuschreiben und in christlichem Sinne mitzugestalten. Deshalb wollen wir heute Abend auch über die Tagespolitik hinausdenken und einen Blick in die Zukunft wagen.
„Europa ist wie ein Fahrrad. Hält man es an, dann fällt es um.“ Dieses schöne Bonmot von Jacques Delors ist vielleicht so etwas wie der cantus firmus dieses Abends. Denn Europa kann sich gerade in den Zeiten der Krise keine Verschnaufpause leisten. Konstruktionsfehler der Gemeinschaftswährung, aber auch der politischen Zusammenarbeit in Europa sind durch die Schuldenkrise offenkundig geworden. In der Zwischenzeit wurden - auch bedingt durch den Druck der Märkte - viele notwendige Weichenstellungen in Angriff genommen. Jüngstes Beispiel dafür ist der Fiskalpakt. Doch wohin geht die Reise jenseits von Schuldenbremse und Rettungsschirmen? Welche Chancen für eine neue Vision Europas stecken in der Krise? Bewegen wir uns auf die vereinigten Staaten Europas zu oder zerfällt die Union in Kern und Peripherie?
Ist die Zeit der Nationalstaaten endgültig vorbei und wenn dem so ist, wie kann es gelingen, das Vertrauen der Menschen in die Einheit dieses Europas der Völker zu gewinnen?
Die Vize-Präsidentin der Europäischen Kommission, Viviane Reding, stellte am 9. März in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Fünf-Punkte-Plan für die institutionelle Erneuerung der EU vor. So plädiert sie u.a. dafür, 2013 in den Mitgliedstaaten einen Dialog mit den nationalen Parlamenten, den politischen Parteien und den Bürgerinnen und Bürgern zu der Frage zu initiieren, wie Europa im Jahr 2020 aussehen soll.
Wir wollen nicht so lange warten, sondern schon heute Abend in den Austausch über die Zukunft der Europäischen Union eintreten.
Ich freue mich mit Ihnen auf einen interessanten und anregenden Abend und übergebe nun die Diskussionsleitung an die Moderatorin des heutigen Abends, die vielen von Ihnen aus dem Fernsehen bekannt ist:
Frau Anke Plättner ist Journalistin und Korrespondentin des WDR hier in Berlin. Ich bin sehr froh, liebe Frau Plättner, dass Sie uns nach den beiden Eingangsstatements weiter durch den Abend führen. Nun hat zunächst Herr Dr. Schäuble das Wort.