Patientenverfügung

Beitrag von Prälat Dr. Bernhard Felmberg für "Die BKK"

Ende Mai haben wir den 60. Geburtstag unseres Grundgesetzes gefeiert. Beim großen Bürgerfest am Brandenburger Tor in Berlin hatten die evangelische Kirche und das Diakonische Werk einen Stand aufgebaut, an dem auch das Formular einer christlichen Patientenverfügung auslag. Die ökumenisch ausgearbeitete „Christliche Patientenverfügung“ war nach wenigen Stunden vergriffen. Insgesamt wurde sie seit der ersten Auflage im Jahr 2003 schon mehr als drei Millionen Mal abgerufen. Daran zeigt sich, dass das Thema „Patientenverfügung“ die Menschen umtreibt. Es nimmt nicht Wunder, dass sich die Politik des Themas angenommen hat. Doch zunächst: Worum geht es?

Eine Patientenverfügung setzt man auf für den Fall, dass man sich am Ende seines Lebens nicht mehr äußern und sein Selbstbestimmungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten nicht mehr wirksam ausüben kann. In der Patientenverfügung kann vorsorglich erklärt werden, welche Behandlungen in bestimmten Krankheitssituationen vorgenommen und welche unterlassen werden sollen.

Die medizinische Forschung hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Krankheiten, die früher nicht therapierbar waren, können heutzutage geheilt werden. Auf der anderen Seite kann es geschehen, dass intensivmedizinische Maßnahmen das Leiden und Sterben von Menschen unnötig verlängern. Um ein würdiges Sterben zu ermöglichen, kann in einem Fall die Anwendung, in einem anderen Fall der Verzicht auf intensive Medizin geboten sein. Eine Entscheidung in dieser Frage muss aus der konkreten Situation heraus getroffen werden und die Wünsche und Bedürfnisse des Sterbenden berücksichtigen. Zu deren Ermittlung ist die Patientenverfügung eine wichtige Hilfe. Sie darf aber nicht die einzige Entscheidungsgrundlage sein. Der Patientenverfügung wohnt nämlich folgende Problematik inne: Sie antizipiert eine zukünftige Situation, deren Konturen demjenigen, der die Verfügung erlässt, noch nicht deutlich vor Augen stehen können. Denn wer kann sagen, welche medi-zinischen Möglichkeiten zum Zeitpunkt seines Sterbens bestehen werden? Wer kann sagen, welche neuen therapeutischen Methoden er dann ablehnen oder begrüßen würde? Zudem ist es schwierig, die Situation, in der die Patientenverfügung greifen sollte, genau zu bestimmen. Ist das, was in der Patientenverfügung steht, noch das, was der Patient in seiner konkreten Sterbesituation wünscht? Patientenverfügungen legen den Menschen auf vorab Bestimmtes fest. Darum ist es zwingend notwendig, die Patientenverfügung zu ergänzen durch eine Vorsorgevollmacht an eine Person des eigenen Vertrauens. Diese Vertrauensperson hat im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit des Sterbenden Entscheidungen zu treffen, welche Therapie-maßnahmen vorgenommen werden sollen und welche nicht. Der größte Vorteil der Vorsorgevollmacht besteht darin, dass hier eine vertraute Person den Sterbeprozess begleitet. Eine weitere Möglichkeit zur Ermittlung von Wünschen und Bedürfnissen eines Sterbenden besteht darin, sensibel auf seine noch verbliebenen Artikulationsmöglichkeiten zu achten. Auch Menschen im Zustand der Nichteinwilligungsunfähigkeit haben solche Möglichkeiten, wie die Forschung an Demenzkranken in den letzten Jahren zeigen konnte. Hier bedarf es freilich einer großen Aufmerksamkeit und Zugewandtheit auf Seiten der Angehörigen und des Pflegepersonals.

Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und sensible Beobachtung des Sterbenden erlauben die Annäherung an das, was ein Mensch im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit möchte. Die Patientenverfügung allein greift diesbezüglich zu kurz. Die Evangelische Kirche in Deutschland steht darum einer gesetzlichen Regelung, welche die Patientenverfügung zur einzigen und juridisch verbindlichen Richtschnur am Ausgang des Lebens macht, kritisch gegenüber. Sie will in diesem Bereich kein Gesetz um jeden Preis.

Das Thema Patientenverfügung geht auf die Frage ein, wie es mit mir zu Ende gehen soll. Jeder Mensch muss seinen eigenen Tod sterben. Niemand kann ihm diese Aufgabe abnehmen. Dem Bedenken des Todes und der persönlichen Vorbereitung auf ihn sollte kein Mensch ausweichen. Im 16. und 17. Jahrhundert sprach man in diesem Zusammenhang von der „ars moriendi“, also von der Kunst des Sterbens. Diese zu lehren war und ist eine wichtige Aufgabe der Kirche. Bietet der christliche Glaube, der mit einem Leben nach dem Tod rechnet, doch eine Menge geistlicher Ressourcen, die ein gutes und gefasstes Sterben erlauben.

Sollte die aktuelle Diskussion über die Patientenverfügung dazu führen, dass sich Menschen wieder intensiver mit ihrem Lebensende befassen, wäre das nicht das schlechteste Ergebnis einer politischen Debatte, selbst wenn sie nicht zu einem neuen Gesetz führt.