Tafel zum Gedenken an „Darmstädter Wort“ enthüllt
70 Jahre „Darmstädter Wort“

Vor 70 Jahren veröffentlichte der Bruderrat der Bekennenden Kirche im Darmstädter Elisabethenstift ein „Wort zum politischen Weg unseres Volkes“. Darin werden sechs Irrwege der Kirche klar benannt. Am 17. August kamen im Festsaal des Elisabethenstiftes rund 160 Gäste aus Kirchen, Politik und Gesellschaft zusammen, um an die Erklärung und ihre Autoren zu erinnern und aktuelle Bezüge herzustellen. Anschließend wurde eine Gedenktafel enthüllt. Sie soll später an einer historischen Säule vor dem Festsaal an der Erbacher Straße angebracht werden.
Die Festrede verfasste der emeritierte Siegener Theologieprofessor und Ehrenpräsident des Internationalen Rates der Christen und Juden, Martin Stöhr. Da der 84-Jährige wegen Krankheit seine Teilnahme kurzfristig absagen musste, trug der frühere Propst von Nord-Nassau, Michael Karg, seinen Text vor.
Die Irrwege hätten vor 1933 begonnen
Stöhr hebt in dem Manuskript hervor, dass die Irrwege lange vor 1933 begonnen hätten. Die Kirchen hätten den Vormarsch des Nationalsozialismus nach dem Ersten Weltkrieg sowie die ungelösten sozialen Fragen nicht als ihre brennenden Herausforderungen wahrgenommen. Die Erklärung spreche auch deutlich gegen eine Gleichsetzung von „Christentum und abendländischer Kultur“, die damals üblich gewesen sei, lobt Stöhr. „Der Alleinvertretungsanspruch eines nur westeuropäischen Christentums ist damals eine Lüge und heute lächerlich angesichts der wachsenden Kirchen der Zweidrittelwelt.“
Ein „sehr breiter Irrweg“ werde 1947 von den Autoren des Wortes aber nicht genannt, bedauert Stöhr: Der Antisemitismus und der besonders lange judenfeindliche Beitrag der christlichen Kirchen: Eine zentrale These hätte damals nach Auffassung des Theologen lauten müssen: „Wir sind in die Irre gegangen, als wir glaubten, die jüdische Leidensgeschichte sei Gottes Strafe dafür, dass die Juden Jesus an Kreuz schlugen, die Hebräische Bibel sei nur eine Vorgeschichte des Neuen Testaments und die Kirche habe als das 'wahre Israel' das jüdische Volk abgelöst.“
„Wir sind in die Irre gegangen...“
Die Worte und Taten der Christen von heute seien daran zu messen, ob sie dem Recht und der Wohlfahrt aller dienten, dem inneren Frieden und dem Frieden zwischen den Völkern, betont Stöhr. Zu verlernen sei jede „glaubenslose Gleichgültigkeit, die den christlichen Glauben billig auf einem Supermarkt der Religionen und Weltanschauungen im Resteangebot von früher anbietet“.
Am 8. August vor 70 Jahren war unter Mitwirkung des ersten hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller in Darmstadt eine Erklärung entstanden, die die Verstrickung der Kirche in den NS-Staat klar benennt. Der Text geht weit über die im Oktober 1945 veröffentlichte Stuttgarter Schulderklärung hinaus, indem er eine aktive Mitschuld der Kirche bekennt. Vier Abschnitte beginnen mit dem Satz „Wir sind in die Irre gegangen...“
Das Papier war wegen seiner schonungslosen Selbstkritik umstritten. Die Evangelische Kirche in Deutschland konnte sich nicht dazu durchringen, es zu einem ihrer grundlegenden Texte zu machen. Er entfaltete aber in der DDR, insbesondere in der dortigen Friedensbewegung, eine nachhaltige Wirkung.