Tag des Grundgesetzes - Predigt zu Psalm 8

Predigt des Bevollmächtigten am 23. Mai 2019 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche

Die Gnade unseres Herrn…

 

Bevor ich mit meiner Predigt beginne, möchte ich wenige Sätze zu meiner Person und meiner Aufgabe sagen. Mein Name ist Martin Dutzmann und ich vertrete hier in Berlin die Evangelische Kirche in Deutschland gegenüber den Organen des Bundes. Unser Grundgesetz, das heute auf den Tag 70 Jahre alt ist, schreibt zwar die Trennung von Kirche bzw. Religion und Staat vor, fördert aber zugleich eine Kooperation zwischen beiden. Anders gesagt: Unserem Staat ist es wichtig, dass seine Bürgerinnen und Bürger in ihrer Religion geschützt sind und mit ihrer Religion zum Gemeinwohl beitragen. Insofern sind auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften in Deutschland dankbar für das Grundgesetz und feiern seinen Geburtstag gerne mit. Aber jetzt zur Sache!

 

Liebe Gemeinde,

 

nie wieder! Nie wieder todbringende Willkürherrschaft! Nie wieder sollte in Deutschland die Menschenwürde so missachtet werden, wie es unter der Naziherrschaft millionenfach geschehen war. Nie wieder sollten die Menschenrechte in so eklatanter Weise verletzt werden. Deshalb stellten die Väter und Mütter des Grundgesetzes allen weiteren Bestimmungen der neuen Verfassung in Artikel 1 dieses Bekenntnis zur Menschenwürde und zu den Menschenrechten voran: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Menschenwürde und Menschenrechte. Dazu bekennt sich viele Jahrhunderte zuvor bereits die Bibel. Ein besonders wichtiger Text ist der 8. Psalm. Was er über den Menschen zu sagen weiß, ist zum Teil ins Grundgesetz eingeflossen, doch setzt dieses alte biblische Gebet auch eigene Akzente. Hören Sie selbst…

 

(Psalm 8 lesen)

 

Der 8. Psalm, liebe Gemeinde, bekennt sich zur Menschenwürde. Aber weder beginnt noch endet er mit einer Aussage über den Menschen. Am Anfang und am Ende des Gebetes steht das Lob Gottes: „HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!“  Vor allem Lob des Menschen kommt das Lob Gottes. Bevor der Beter sich zur Würde des Menschen bekennt, bekennt er sich zur Größe Gottes. Und auch das letzte Wort gilt nicht dem Menschen, sondern Gott: „HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!“  Der Mensch bekommt also gleichsam einen göttlichen Rahmen gesetzt; er wird konsequent im Zusammenhang mit Gott betrachtet.

 

Das Grundgesetz hat sich diese Sicht des Menschen zu Eigen gemacht, wenn es in der Präambel heißt: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…hat sich das Deutsche Volk …dieses Grundgesetz gegeben…“

 

„In Verantwortung vor Gott und den Menschen.“ Dieser so genannte „Gottesbezug“ des Grundgesetzes meint keine bestimmte Konfession oder Religion und legt erst recht keine Staatsreligion fest. Der Gottesbezug meint schlicht und ergreifend dies: Wir sind Menschen und nicht Gott. Im Unterschied zu Gott sind uns Menschen nämlich Grenzen gesetzt. Dieser Grenzen sollen wir uns bewusst sein.

 

Uns unserer Grenzen bewusst sein. Das ist alles andere als banal. So sind uns Menschen zeitliche Grenzen gesetzt: „Unser Leben währt siebzig Jahre und wenn’s hochkommt, so sind’s achtzig Jahre.“ heißt es in Psalm 90. Die Altersgrenze hat sich durch veränderte Lebensbedingungen und Fortschritte in der Medizin dankenswerter Weise verschoben: Die Lebenserwartung ist – jedenfalls in unseren Breiten - heute deutlich höher als zu biblischer Zeit. Aber unser Leben ist nach wie vor endlich, und das muss Folgen für unser Planen, Entscheiden und Handeln haben. Aber was sage ich? Das hätte Folgen für unser Planen, Entscheiden und Handeln haben müssen. Denn: Wir – meine Generation mehr noch als Ihre – haben mit unserem maßlosen Konsum mehr Ressourcen verbraucht, als uns für unsere begrenzte Lebenszeit zustanden. Die stehen nun den nachfolgenden Generationen für ihre Lebenszeit nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr zur Verfügung. Hoffentlich schaffen wir es noch, den Schaden wenigstens einigermaßen zu begrenzen!

Auch unserem Wissen und Verstehen sind Grenzen gesetzt. Zwar ist die Forschung auf vielen Gebieten rasant vorangekommen und die Wissensbestände vervielfachen sich in kürzester Zeit. Das ist faszinierend. Aber es liegt darin auch das Risiko, dass wir Menschen uns selbst überschätzen und uns und anderen Schaden zufügen. Gerade angesichts technischer Leistungen und Erfolge ist es deshalb wichtig, sich immer wieder der eigenen Grenzen bewusst zu werden. Im Blick auf die fortschreitende Digitalisierung fast aller Lebensbereiche etwa bedeutet das, dass wir nicht auf die vermeintlich grenzenlosen Möglichkeiten der Digitalisierung vertrauen, sondern sehr genau hinschauen und sorgfältig unterscheiden. Viele Anwendungen erleichtern zweifellos das Leben, aber es gibt eben auch solche, die unsere Würde und Freiheit in Frage stellen.

 

„HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!“ Nachdem der Beter des 8. Psalms dem Menschen einen göttlichen Rahmen gesetzt und ihm damit seine Grenzen aufgezeigt hat, findet er wunderbare Worte für eben diesen Menschen, wunderbare Worte für uns. Ungläubiges Staunen spricht aus diesem Gebet: „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“ Überschwänglicher kann man wohl nicht beschreiben, was Menschenwürde meint: Unter allen Geschöpfen Gottes hat der Mensch eine Würde, wie sie sonst niemandem zu eigen ist!

 

Nun ist aber entscheidend, dass wir sehr genau hinhören: Der Mensch hat diese unübertreffliche, uneinholbare, höchste Würde nicht, weil er so schlau wäre oder so gut oder so fleißig. Nein, er hat diese Würde, weil Gott selbst sie ihm gegeben hat. Und Gott hat diese Würde allen Menschen gegeben – unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrem Vermögen, ihrer Leistungsfähigkeit, ihrem Glauben. Das bedeutet: Jede Form von Intoleranz, Nationalismus, Rassismus ist nicht allein ein Vergehen an Menschen, sondern ein Schlag in das Angesicht Gottes!

Was angesichts der Vielfalt der Menschen gleicher Würde nottut, ist Toleranz. Darunter verstehe ich nicht Gleichgültigkeit, sondern eine Haltung, die den anderen in seiner Andersartigkeit respektiert oder – besser noch - in ihm eine Bereicherung für das eigene Leben erkennt. Die Grundrechte, die den ersten Teil des Grundgesetzes bilden, geben dem eine gesetzliche Form, zum Beispiel, wenn es in Artikel 3 heißt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

 

 Diese Bestimmung des Grundgesetzes will allerdings mit Leben erfüllt werden. Das bedeutet auch, dass denen widersprochen und widerstanden werden muss, die eben jener vom Grundgesetz verbotenen Benachteiligung und Bevorzugung das Wort reden, die Migranten und Flüchtlinge diskriminieren und besondere Rechte für jene fordern, die schon länger als Deutsche in Deutschland leben. Gut, dass Sie es sich zur Aufgabe gemacht haben, im Sinne des „Bündnisses für Demokratie und Toleranz“ die von Gott gegebene Menschenwürde zu verteidigen. Im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland danke ich Ihnen für Ihren Einsatz, Ihren Mut und Ihre Beharrlichkeit!

 

Der 8. Psalm ist noch nicht zu Ende. Nachdem der Beter zunächst an die Grenzen erinnert hat, die dem Menschen gesetzt sind, um dann seine unübertreffliche Würde zu preisen, kommt er auf den Auftrag zu sprechen, den wir Menschen in dieser Welt haben. Immer noch an Gott gewandt bekennt er: „Du hast ihn (den Menschen) zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht.“

 

Dieser so genannte „Herrschaftsauftrag“ bekommt seine Deutung in der Schöpfungsgeschichte am Anfang der Bibel. Dort wird erzählt, dass Gott nicht nur den Menschen, sondern alle seine Geschöpfe ansieht und für gut befindet. Sie sind also alle miteinander äußerst kostbar. Mit anderen Worten: Über andere Geschöpfe „herrschen“ heißt im biblischen Sinne zuerst vor allem: Verantwortung für sie übernehmen, sie beschützen und versorgen.

 

Das ist in der Vergangenheit viel zu wenig geschehen und auch heute gilt: Wir Menschen sorgen zu wenig für die uns anvertrauten Geschöpfe, sondern wir nutzen sie in erster Linie aus: „Schafe und Rinder“ werden in LKWs durch die Republik zum Schlachthof gefahren. Die im Psalm nicht genannten Schweine werden, so sie männlich sind, als Ferkel kastriert – immer noch ohne Betäubung, weil die Verbraucher das angeblich verlangen. Überhaupt hat sich in den letzten Jahrzehnten der Fleischkonsum ins Maßlose gesteigert. Die „wilden Tiere“, von denen der Psalm spricht, sind zu einem großen Teil menschlicher Habgier zum Opfer gefallen; viele Arten sind vom Erdboden verschwunden. Und „die Fische und alles, was die Meere durchzieht“ leiden unter dem Müll, den wir Tag für Tag ins Meer kippen.

 

Das Grundgesetz schärft demgegenüber – wenn auch erst seit 2002 - das biblische Verständnis von „Herrschen“ ein. In Artikel 20a heißt es: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere…“

 

Liebe Gemeinde, wer über Menschenwürde und Menschenrechte, aber auch über die Verantwortung der Menschen nachdenkt, bekommt in der Bibel und insbesondere in Psalm 8 wertvolle Hinweise. Die meisten der dort geäußerten Gedanken haben auf unterschiedliche Weise ihren Weg in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gefunden. Dafür kann man am 70. Jahrestag der Verfassung nur dankbar sein. Dass es darüber hinaus viele Menschen gibt, die diese Verfassung mit Leben erfüllen, ist Anlass, Gott zu loben und zu danken. Und was läge näher, als das mit den Worten zu tun, mit denen der 8. Psalm beginnt und endet: „HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!“

 

Und der Friede Gottes…