Das Reformationsjubiläum 2017 feiern

Titel der Publikation „Das Reformationsjubiläum 2017 feiern“
Lichtinstallation des Vereins Reformationsjubiläum 2017 e.V. auf dem Berliner Dom beim „Festival of Lights“ 2015. Zu sehen sind (v.l.) Porträts der Reformatoren Huldrych Zwingli, Luthers Ehefrau Katharina von Bora, Martin Luther, Philipp Melanchthon und Johannes Calvin.

Besonnen, gerecht
und fromm
in dieser Welt leben!
(Tit 2,12)

DAS REFORMATIONSJUBILÄUM 2017 FEIERN

Jede Zeit entfaltet ihr eigenes Gedenken. Alle Gemeinschaften erzählen ihre Ursprungsgeschichten vor dem Hintergrund ihrer Gegenwart. Das gilt für jedes Jubiläum, auch für 2017. Zwischen dem 16. und dem 21. Jahrhundert liegen Welten. Amerika war damals gerade erst entdeckt, der Buchdruck erfunden. Heute sind Smartphones allgegenwärtig, wir leben in einer globalisierten, multikulturellen und in Teilen säkularisierten Welt. Von hier aus werfen wir den Blick auf das, was vor 500 Jahren mit der Frage nach Gott und dem Verhältnis des Menschen zu ihm begann. Denn diese Frage und die Antwort, die die Reformatoren darauf gegeben haben, veränderten damals den Glauben, die Kirche und die europäischen Gesellschaften. Die Reformation hat die Welt, in der wir heute leben, wesentlich mitgeprägt. Daran erinnern wir 500 Jahre später – und wollen zugleich zeigen: Die Kerngedanken der Reformation haben an Kraft nichts eingebüßt. Sie sind auch heute noch aktuell. Das Reformationsjubiläum im 21. Jahrhundert wird anders gefeiert werden als die Jubiläen in vergangenen Jahrhunderten. Es ist nicht nur geistlich und kirchlich, sondern gesamtgesellschaftlich ein bedeutsames Datum für Deutschland, für Europa und weltweit. Im Jubiläumsjahr nimmt der Rat der EKD noch einmal Stellung zu Bedeutung und Gehalt dieses Ereignisses.

Themenmotiv Erinnern

Erinnern

Das Christentum und eine menschliche Gesellschaft leben immer auch aus der Erinnerung an ihre Geschichte. Ein aufrichtiger Umgang mit der Reformation ist stets ein kritischer und historisch aufgeklärter. Echtes Verständnis der Geschichte zielt auf einen Bildungsprozess, der zwischen historischen Ereignissen des 16. Jahrhunderts und der gegenwärtigen Bedeutung dieser Geschichte für uns unterscheidet. Es vermeidet geschichtsvergessene Verklärung und naive Inanspruchnahme.

EIN DATUM.

Der Reformationstag am 31. Oktober erinnert an die 95 Thesen Martin Luthers. Ob Luther seine Thesen zum Ablasshandel wirklich an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen hat, lässt sich nicht mehr mit Gewissheit feststellen. Für sich betrachtet ist der 31. Oktober 1517 ein Einzeldatum, dessen Gewicht nicht überschätzt werden darf. Die symbolische Bedeutung dieses Datums aber ist zentral. Die Reformation begann mit der Kritik an kirchlichen Missständen. Zum Reformationsjubiläum erzählen wir von diesem geschichtlichen Anfang, dessen Folgen bis in unsere Gegenwart reichen. Wir erinnern daran, woher wir kommen und fragen nach der Bedeutung der historischen Ereignisse für unsere Gegenwart.
 

EIN GEIST.

Im Zentrum der Reformationszeit stand die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu Gott. Gottes Gerechtigkeit richtet den Menschen nicht zugrunde, sondern richtet ihn auf: Diese Erkenntnis wurde für Martin Luther in seiner religiösen Suche zur »Pforte des Paradieses«. Sinn und Freiheit, Trost im Leben und im Sterben, Gewissheit in Ängsten und Anfechtungen können nicht verdient werden. Im Leben und Sterben Jesu Christi wird Gott neu erkannt, der Mensch neu verstanden. Damit haben die Reformatoren die Grundzüge eines neuen Verständnisses des Glaubens formuliert, der im Gewissen an Gott gebunden und darum innerlich frei und dem Nächsten in Liebe zugewandt ist.
 

EINE LESEGESCHICHTE.

Die Geschichte protestantischer Theologie und Frömmigkeit ist bis heute eine Geschichte des Umgangs mit der Bibel. Die Hinwendung zur Heiligen Schrift, ihre Übersetzung in die deutsche Sprache, die Wahrnehmung ihrer Autorität und kritischen Funktion gegenüber kirchlichen Traditionen und Institutionen werden zu einem Kennzeichen der Reformation. Wichtige weitere Schritte waren die Ausbildung einer kritischen und rationalen Standards entsprechenden Lektüre der Schrift seit der Aufklärung und eine das Herz berührende und die Lebensführung bestimmende Bibelfrömmigkeit, wie sie besonders der Pietismus ausgebildet hat. Beides wird bis heute in der wissenschaftlichen Schriftauslegung und kritischen Diskussion biblischer Inhalte ebenso gelebt wie in geistlicher Betrachtung und ethischer Orientierung. Die Liebe zur Bibel gehört seit der Reformation gleichsam zur DNA des reformatorisch geprägten Glaubens.
 

EINE BEWEGUNG.

Martin Luther hatte in den ersten Jahren nach 1517 eine überragende Bedeutung für den Fortgang der Reformation. Andere Reformatoren ließen sich von ihm inspirieren – in Wittenberg, Straßburg, Genf, Zürich und an vielen anderen Orten. Johannes Calvin wurde neben Luther zu einer Hauptgestalt der Reformation, die dem Wittenberger an Bedeutung und Prägekraft nicht nachsteht. Daneben formierten sich radikalere Bewegungen, in deren Tradition einige der heutigen Freikirchen stehen. Landesfürsten und Stadträte, aber auch einfache Bürger und Bauern haben die Reformation gefördert. Netzwerke von Einzelnen und Gruppen, Männern und Frauen, machten den reformatorischen Aufbruch möglich, prägten ihn weit über Wittenberg hinaus und sicherten das Überleben der reformatorischen Bewegung. Die Reformation entwickelte sich in ihrer Vielgestaltigkeit zu einem europäischen Ereignis. Eine enorme internationale Wirkungskraft hat dann vor allem der reformierte Protestantismus entfaltet. Das Reformationsjubiläum ist deshalb mehr als ein Lutherjubiläum.
 

EINE REFORM.

Die Reformatoren wollten keine Kirchentrennung, sondern eine Erneuerung der Kirche Jesu Christi aus dem Geist des Evangeliums. Die Reformation lässt sich nicht auf die Überwindung eines vermeintlich »finsteren« Mittelalters und einer angeblich »degenerierten« Papstkirche reduzieren. Die Reformatoren griffen auf ein reiches spirituelles und theologisches Erbe zurück und knüpften an vorangegangene Reformbemühungen an. Der von den Reformatoren erneuerte Glaube und die Widerstände gegen ihn führten zu einer neuen, eigenen Gestalt von Kirche. Das Ziel einer universalen Reform konnte nicht verwirklicht werden. Aber auch die römisch-katholische Kirche hat sich durch die Reformation verändert. Die Reformation gewann so für das ganze abendländische Christentum Bedeutung.
 

EINE LERNGESCHICHTE.

Mühsam und erst nach einer langen Gewalt- und Leidensgeschichte lernten die europäischen Mächte, das friedliche Zusammenleben verschiedener Konfessionen zu organisieren. Die Ausbildung eines nicht religiös begründeten Staats- und Rechtsverständnisses, die fortschreitende staatliche, religiöse und kirchliche Selbstbestimmung waren wichtige Schritte auf diesem Weg. In Deutschland stehen heute nicht nur die christlichen Kirchen, sondern alle Religionen vor der Aufgabe, sich selbst so zu verstehen und zu organisieren, dass sie nicht in Widerspruch zu der geltenden, religiös neutralen Rechtsordnung geraten. Zugleich ist die konfessionelle Vielfalt auch innerhalb des Protestantismus ein wesentliches Resultat dieser Geschichte. Sie ist Bürde und Reichtum zugleich und fordert die Konfessionen heraus, sich im Geist der Ökumene wechselseitig inspirieren und anfragen zu lassen.
 

VIELE FOLGEN.

Im Laufe der Jahrhunderte wuchs der Protestantismus zu einer vielgestaltigen wirkmächtigen Kraft, die auf dem Weg in die Moderne ihrerseits zahlreiche Umformungen und Weiterentwicklungen erfuhr. Steter Wandel, produktive Aufnahme kritischer Fragen und neuer Erkenntnisse prägten ihn von Anfang an. Konfessionelle Konkurrenz entwickelte eine bedeutende kulturgeschichtliche Wirkung. Der Protestantismus hat – oft unter Mühen und verbunden mit inneren Kämpfen – zur Ausformung der modernen Welt beigetragen und den christlichen Glauben in ihr beheimatet.

Themenmotiv Gott neu vertrauen.

Vergewissern

Reformation ist ein historisches Geschehen des 16. Jahrhunderts, sie ist aber auch ein Prozess der ständigen Erneuerung von Glaube, Kirche und Gesellschaft. Im Zusammenspiel mit anderen Kräften und Ideen hat die Reformation durch die Jahrhunderte in vielen Bereichen der Gesellschaft ihre Wirkungen entfaltet und eine Lerngeschichte angestoßen. Für das 21. Jahrhundert gilt: Von der Reformation inspiriert sein, heißt über sie hinausgehen. Die historischen Wirkungen der Reformation dürfen nicht verwechselt werden mit dem reformatorisch geprägten Glauben selbst. Der Rat der EKD sieht darum im Jubiläumsjahr 2017 eine große Chance, eine im Geist der Reformation geprägte Lebenshaltung glaubwürdig und attraktiv zu entfalten. Die Suche und Sehnsucht nach Gott, nach dem Heiligen, nach Frömmigkeit und Innerlichkeit ist dabei verknüpft mit der Verantwortung für den Nächsten, die Welt und die Zukunft. Die folgenden sieben Grunddimensionen beschreiben diese Lebenshaltung. Sie will individuell gestaltet werden und spiegelt doch den einen Geist, den Gott uns gegeben hat: nicht »den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit« (2. Tim 1,7).

GOTT VERTRAUEN.

Eine reformatorisch geprägte Lebenshaltung weiß darum, dass der Glaube ein Geschenk ist. Er lebt nicht aus dem Für-Wahr-Halten kirchlicher Lehren oder der Einhaltung ritueller Vollzüge oder der Befolgung moralischer Vorschriften. Er lebt aus dem Vertrauen auf Gott als Geheimnis der Welt. Als Geschöpfe Gottes sind wir gewollt und haben eine unverlierbare Würde. Gottes Geist befreit uns aus Ängsten und ruft zu einem neuen Leben.

DAS JUBILÄUM 2017 GIBT ANLASS,
DAS EIGENE LEBEN IM GEIST DIESES
GOTTVERTRAUENS NEU ZU BEDENKEN.

 

Glaube in evangelischer Perspektive fürchtet keine Rationalität. Er hat vielmehr selbst dazu beigetragen, Irrationalitäten und Missbräuche zu erkennen und aus dem Glauben auszuschließen. Eine von Aufklärung und Wissenschaft geprägte Weltsicht erscheint deshalb als eine Verbündete. Im Dialog zwischen Wissenschaft und Glaube lassen sich ideologische Fixierungen und Engführungen auf beiden Seiten eher erkennen und durchbrechen. Aufgabe des Glaubens ist es, besonnen den Missbrauch der Religion zu bekämpfen.
 

DEMÜTIG WERDEN.

Eine reformatorisch geprägte Lebenshaltung gründet im Glauben an Jesus Christus, sein Leben, Leiden und seine Auferstehung. Wurzel aller Haltung und Hoffnung ist das Kreuz. Es konfrontiert uns mit tiefer Schuld und brutaler Gewalt, mit Bosheit und unfassbarer Ungerechtigkeit, zugleich aber auch mit der versöhnenden Kraft der Liebe. Es macht uns empfindsam für menschliches Leiden und realistisch angesichts menschlicher Schuld – auch der eigenen. Das Kreuz Jesu Christi kann Menschen in ihrem Innersten verwandeln. Es rückt die menschlichen Grenzen in das Licht der unzerstörbaren Güte Gottes und öffnet die Herzen für Scham und Schuld, für Aufrichtigkeit und Umkehr. Das Kreuz durchkreuzt etablierte Selbstverständlichkeiten. Es macht die Seele bereit für Gottes Barmherzigkeit und zugleich demütig und kämpferisch für alle Gedemütigten.


FREIHEIT LEBEN.

Eine reformatorisch geprägte Lebenshaltung bestärkt den Menschen in seiner inneren Freiheit und hilft ihm, aufrecht, selbstbewusst und berührbar durchs Leben zu gehen. Das Leben in Familie und Beruf, in den alltäglichen Verantwortlichkeiten und konkreten Aufgaben ist der Ort, an dem sich evangelischer Glaube bewährt. Nicht der Rückzug aus der Welt, sondern die Hinwendung zu ihr und die Zuwendung zum Nächsten entspricht reformatorisch geprägter Frömmigkeit. Ein solches Leben kann geistlich reich und innerlich weit, mitfühlend und empfindsam machen. Dazu gehört auch der weite Kosmos der Kultur – von der Musik über Literatur, bildende Kunst, Bildung und Wissenschaft bis hin zur Debattenkultur in Politik und Zivilgesellschaft. Gottes Wort schafft einen neuen Raum des Geistes, der  Menschen Halt und Haltung, Trost und Mut, Selbstbewusstsein und  Freiheit schenkt. Religiöse Bildung und geistliche Übung helfen, das eigene Selbst zu stärken und sich den Nächsten zuzuwenden. Lebendige Gottesdienste und engagierte Bibellektüre, regelmäßige Gebete und Meditationen, Zeiten der Stille und des Rückzugs sind Quellen einer evangelischen Freiheit, die sich im Alltag bewährt.

WIDERSTÄNDIG SEIN.

Eine reformatorisch geprägte Lebenshaltung steht für die freiheitlichdemokratische Grundordnung unserer Gesellschaft ein. Sie motiviert zur Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben. Zwar hat sich der deutsche Protestantismus durch eine enge Allianz von Thron und Altar im landesherrlichen Kirchenregiment lange Zeit mit modernen Staatsauffassungen schwer getan. Aber die Betonung einer im Glauben gegründeten Gewissensfreiheit, einer Skepsis gegenüber Hierarchien und Autoritäten sowie die Aufwertung des weltlichen Lebens waren Beiträge für die Schaffung eines modernen politischen Bewusstseins und einer offenen Gesellschaft. Dabei steht die reformatorisch geprägte Lebenshaltung für eine Kultur des Widerstandes gegenüber Missbrauch von Macht, gegen Fundamentalismus und gegen Angriffe auf gesellschaftliche Minderheiten. Der Protestantismus beteiligt sich konstruktiv an gesellschaftlichen Debatten und setzt sich für die freie Selbstbestimmung des Einzelnen ein.
 

EMPFINDSAM BLEIBEN.

Eine reformatorisch geprägte Lebenshaltung gründet in einem eigenverantwortlichen und aufgeklärten Glauben, der seine geistliche Kraft und lebenspraktische Orientierung aus der Bibel schöpft. Aufgeklärte Frömmigkeit bewirkt nach innen die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion und befördert nach außen die Dialogfähigkeit. Der Glaube lebt aus der Beziehung zu Gott, er wird praktisch in der Liebe zum Nächsten in der unmittelbaren Nähe und in der Ferne. Beides findet zusammen in einer christlichen Persönlichkeitsbildung. Es bedarf einer Bildung, die mehr ist als nur ein Mittel zum Zweck. Je globaler und pluraler unsere Welterfahrungen werden, desto bedeutsamer wird dieser reformatorisch vermittelte Grundimpuls: Bildung dient der Weltorientierung und Persönlichkeitsentwicklung. Sie weitet den Horizont, lässt andere Lebenshaltungen und -wege verstehbar werden und macht empfindsam für den Kummer und das Leid anderer Menschen.
 

HEIMAT FINDEN.

Zur reformatorisch geprägten Lebenshaltung gehört eine gute Balance von religiöser Selbstbestimmung und einem gemeinsamen Raum, in dem der Glaube beheimatet ist und Gestalt gewinnt. Der kritische Blick auf die Kirche als Institution ist ein Wesenszug evangelischen Glaubens. Jedoch läuft ein Glaube, der allein mit sich selbst bleibt, Gefahr, sich im Alltag zu verflüchtigen. Glaube drängt hin zur Gemeinschaft, in der man sich wechselseitig anregt und stärkt. Erfahrungen von Gemeinschaft sind ein Reichtum, auf den wir nicht verzichten wollen: Er reicht vom großen Kirchentag bis zur kleinen Gebetsstunde, von einmaligen Erlebnissen einer Evangelisation bis zu der verlässlichen Vergewisserung für den eigenen Glauben im Gottesdienst. Taufe, Kinderkirche, Konfirmandenarbeit, kirchliche Trauung und eine christliche Bestattung markieren Einschnitte im Lebenslauf und gestalten biographische Übergänge. Der christliche Festkalender ist eine heilsame Unterbrechung im Jahres- und Wochenverlauf. Kirchengebäude prägen unsere Landschaften, die »Kirche im Dorf« ebenso wie die Stadtkirche neben Marktplatz und Rathaus. Gesangbuch, eine vielfältige Chorarbeit, Posaune und Orgel, aber auch Schlagzeug und Keyboard, Bachkantaten und Pop-Oratorien sind weitere Symbole für die Präge- und Beheimatungskraft evangelischen Glaubens.
 

AUSATMEN KÖNNEN.

Eine reformatorisch geprägte Lebenshaltung ist gewiss, dass Schöpfung und Weltgeschichte, gegenwärtiges Leben und zukünftiges Geschehen nicht allein vom eigenen Tun und Lassen abhängen. Gegen Selbstausbeutung und Selbstüberforderung, aber auch gegen Weltuntergangsängste vertraut sie in allem menschlichen Schaffen und Tun Gott mehr als der Illusion, der Mensch sei seines eigenen Glückes Schmied. Eine reformatorisch geprägte Lebenshaltung ist von Gelassenheit und Dankbarkeit geprägt, sie kann feiern und genießen. Sie lässt jedem Tag seine eigene Sorge und sein eigenes Glück.

Themenmotiv Verantworten

Verantworten

Eine reformatorisch geprägte Lebenshaltung bleibt nicht bei sich selbst. Sie gestaltet unterschiedliche Lebenszusammenhänge verantwortlich mit: »So fließt aus dem Glauben die Liebe und die Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies, williges, fröhliches Leben, dem Nächsten umsonst zu dienen.« (M. Luther). Die Möglichkeiten einer christlichen Lebenshaltung sind heute vielfältiger und pluraler geworden. Reformatorisch geprägter Glaube kann eine Vielzahl auch unterschiedlicher ethischer Konkretionen im Rahmen einer gemeinsamen evangelischen Haltung gelten lassen. Der Rat der EKD erkennt diese Vielfalt an und versteht sie als Reichtum. Im Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 sind ihm folgende Aspekte wichtig:

FRÖHLICH FEIERN.

Kritisches Gedenken und fröhliches Feiern gehören zusammen. In der Gemeinschaft reformatorischer Kirchen in Europa und weltweit und zusammen mit der ganzen Gesellschaft feiert die Evangelische Kirche in Deutschland das Jahr 2017. Von musikalischen Höhepunkten über moderne Theaterinszenierungen bis hin zu Literatur- und Bildungsveranstaltungen reichen die Aktivitäten. Sie alle zeigen auf ihre Weise, dass die Reformation auch Kulturgeschichte geschrieben hat. Wir sind überzeugt: Reformatorisch geprägte Stimmen können der (Welt-) Gesellschaft guttun.
 

SELBSTKRITISCH BLEIBEN.

Die Evangelische Kirche in Deutschland sieht sich verpflichtet, mit ihrer eigenen Geschichte ehrlich und kritisch umzugehen. An keinem anderen Punkt wird dies so deutlich wie im Blick auf Luthers feindselige Haltung gegenüber den Juden. Die Erinnerung daran erfüllt uns heute mit Trauer und Scham. Polarisierungen der Reformationszeit und ihre weitreichenden Wirkungen – die oftmals aggressive und maßlose Polemik gegen Katholiken oder radikale Reformatoren – müssen kritisch aufgearbeitet werden. Nur wenn Widerspruch und Zustimmung zur Reformation in ein theologisch verantwortetes Verhältnis gesetzt werden, besteht die Chance, dass von 2017 zukunftsweisende Impulse für Kirche und Gesellschaft ausgehen.
 

ÖKUMENISCH GLAUBEN.

2017 ist ein ökumenisch einladendes Reformationsjubiläum möglich, das die Unterschiede der Konfessionen als Bereicherung in Geschichte und Gegenwart betrachtet. Die Evangelische Kirche in Deutschland ist dankbar für die Gemeinschaft mit der römisch-katholischen Kirche. Unter dem Leitwort eines »Christusfestes« erinnern sie gemeinsam an den verbindenden Grund des Glaubens. Sie bekennen ihre gegenseitige Schuld aneinander vor Gott und erklären ihre gemeinsame Verantwortung für die Gesellschaft. Die Evangelische Kirche begeht das Jubiläum gemeinsam mit den Freikirchen und freut sich über die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Schwestern und Brüdern in den orthodoxen Kirchen. In den vielfältigen ökumenischen Beziehungen wird die weltweite Dimension der Reformation sichtbar.
 

RELIGIONEN VERSÖHNEN.

Das Reformationsjubiläum 2017 findet in einer Welt statt, in der religiöse Kräfte auch als Quelle von Gewalt und Terrorismus erlebt und erlitten werden. Demgegenüber setzt die Evangelische Kirche auf die versöhnende und friedensstiftende Kraft des Glaubens. Sie hat angesichts einer langen eigenen Gewaltgeschichte gelernt: Es liegt alles daran, die Friedenskraft des Glaubens wirksam werden zu lassen; diese kann sich am besten entfalten, wenn die Religionen im öffentlichen Raum sichtbar und wirksam sein können und sich dabei in den zivilisatorischen Rahmen der modernen Gesellschaft in kritischer Solidarität und Mitverantwortung integrieren.
 

ÖFFENTLICH EINLADEN.

Die Evangelische Kirche in Deutschland feiert das Reformationsjubiläum in einem modernen weltanschaulich neutralen Rechtsstaat. Sie lädt alle Bürgerinnen und Bürger ein, mitzufeiern. Dies geschieht in staatlichen Zusammenhängen in dem Bewusstsein, dass auch reformatorisches Gedankengut zur Entstehung dieses Rechtsstaates beigetragen hat. Die evangelische Kirche begrüßt, dass das Reformationsjubiläum zu einem gesamtgesellschaftlichen, geschichtlich und kulturell vielgestaltigen Ereignis wird. Besonders freut sie sich darüber, dass der 31. Oktober 2017 ein bundeseinheitlicher Feiertag ist.
 

BARMHERZIGKEIT ÜBEN.

Die Evangelische Kirche sieht mit Kummer, dass auch 500 Jahre nach der Reformation viele Menschen von Teilhabe und Mitgestaltungsmöglichkeiten in Kirche und Gesellschaft ausgeschlossen sind. Das Reformationsjubiläum 2017 ist eine Verpflichtung für diakonische Einrichtungen und Dienste, zusammen mit den Kirchen und Gemeinden in Worten und Taten denen beizustehen, die benachteiligt sind oder ausgegrenzt werden, sei es wegen Armut oder aufgrund von Krankheit, sei es durch Alter oder den Verlust von Heimat oder durch eine andere Beeinträchtigung. Reformatorisch geprägte Stimmen und christliches Engagement, die selbstbewusst zur Suche nach gerechten und solidarischen Wegen des Miteinanders beitragen, tun der (Welt-) Gesellschaft gut.
 

GASTFREUNDLICH SEIN.

Die evangelische Kirche freut sich auf viele internationale Gäste aus der gesamten Ökumene. In ihnen verkörpern sich der Sinn und das Engagement für die »eine Christenheit«. Mit ihnen kommen auch globale Konflikte und Herausforderungen der Gegenwart in unser Bewusstsein. Auch wenn das Reformationsjubiläum nicht vorschnell aktualisiert und für politische Zwecke funktionalisiert werden sollte, ist eine reformatorisch geprägte Lebenshaltung, die besonnen im Glauben und in der Liebe lebt, vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen aktueller denn je.

Eine reformatorisch geprägte Lebenshaltung, die sich
aus der Erinnerung an die Reformation speist,
die im Vertrauen auf Gott und in der Bibel wurzelt und
die Verantwortung in der Gegenwart übernimmt,
ist eine wesentliche Quelle für die Humanität einer
jeden Gesellschaft.
Denn eine durch den Glauben geläuterte Weisheit lehrt:
»Besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben!«
(Tit 2,12)

 

 


LITERATUR


DER TEXT WURDE ERARBEITET VON EINER AD-HOC-ARBEITSGRUPPE IM AUFTRAG DES RATES DER EKD.

MITGLIEDER DER ARBEITSGRUPPE:
Dr. Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Berlin
Kirchenrat Dr. Jan-Dirk Döhling, Bielefeld
Vizepräsident Dr. Thies Gundlach, Hannover
Oberkirchenrat Dr. Martin Hauger, Hannover
Präses Annette Kurschus, Bielefeld (Vorsitzende)
Direktorin Dr. Mareile Lasogga, Konfessionskundliches Institut Bensheim
Kathrin Oxen, Leiterin des Zentrums für evangelische Predigtkultur, Wittenberg
Oberkirchenrat Dr. Georg Raatz, Hannover

Sie können die Broschüre kostenlos bestellen unter: presse@ekd.de

 

Cover 'Reformationsjubiläum feiern'

Das Reformationsjubiläum 2017 feiern

Besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben! Leitfaden zum Reformationsjubiläum

Celebrating the 500th Anniversary of the Reformation in 2017

(English version)

​Downloadmaterialien zur Publikation

Cover Reformationsjubläum feiern Leichte Sprache

Das Reformationsjubiläum 2017 feiern zum Vorlesen