„Die Kirche muss die Chance nutzen, mit diesen Mitgliedern ins Gespräch zu kommen“

Autor Wolfgang Thielmann fordert mehr Dialog zwischen Christen und der AfD

In den Augen der Kirchen basiert vieles an der Programmatik der AfD auf einem Menschenbild, das nicht mit dem christlichen Glauben zu vereinbaren ist. Die Rechtskonservativen selbst geben sich als Hüter des christlichen Abendlands, liegen mit den großen Kirchen aber so über Kreuz, dass es bereits von Vertretern Aufrufe zum Kirchenaustritt gab. Die Positionen scheinen verhärtet. Dennoch sollten beide Seiten miteinander reden, fordert der langjährige Journalist und Pastor Wolfgang Thielmann, der kürzlich ein Buch zum Thema veröffentlich hat. Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sprach Thielmann über einen möglichen Umgang der Kirchen mit der AfD und die Frage, warum es überhaupt Christen gibt, die Populisten wählen.

Spitzenpersonal der AfD hat in der Vergangenheit Positionen und Personal der Kirchen scharf angegriffen. Sie fordern in Ihrem Buch, dass beide Seiten stärker miteinander reden. Warum sollte die Kirche den Dialog mit dieser Partei suchen?

Wolfgang Thielmann: Mir ist bewusst, dass die Auseinandersetzung mit der AfD schwierig ist. Es gibt dieses Strategiepapier, in dem es heißt, dass es der AfD mehr auf Provokation als auf Argumente ankommt. Trotzdem muss man gerade in der Kirche die Auseinandersetzung mit Argumenten suchen. Mein Ausgangspunkt für das Buch war die Aussage des Kölner Erzbischofs Rainer Maria Woelki, dass diese Alternative kein Mensch brauche. Mein Gedanke damals war: So können wir uns damit nicht auseinandersetzen. Ich kann nicht pauschal eine Partei verurteilen, sondern muss mir die Mühe machen, herauszuarbeiten, warum und wo sie gegen grundlegende Prinzipien, von denen wir als Christen überzeugt sind, verstößt. Und im kritischen Gespräch muss ich bereit sein, meine eigene Position infrage stellen zu lassen und zu überdenken. Ich fand es gut, dass der Kirchentag die Auseinandersetzung mit der AfD geführt hat. 

Dort diskutierten der Berliner Bischof Markus Dröge und die Sprecherin der Christen in der AfD, Anette Schultner. Schultner und weitere AfD-Vertreter warfen den Kirchentagsorganisatoren im Nachhinein eine Inszenierung zulasten der AfD vor. Laufen die Kirchen bei ihren Gesprächsangeboten nicht Gefahr, der AfD eine Plattform für eine Opferrolle zu bieten?

Thielmann: Diese Gefahr gibt es, ich glaube am Ende aber an die Kraft von Argumenten. Man kann die, die strikt anders denken, zumindest verunsichern und Unentschiedene sogar gewinnen. 

Was kann das Ziel einer solchen Auseinandersetzung zwischen Kirchen und AfD sein? Eine Annäherung der Positionen beispielsweise in der Flüchtlingspolitik ist schwer vorstellbar.

Thielmann: Wenn jemand in eine Diskussion geht, um seine Linie zu halten, dann werden ihn Argumente schwer überzeugen. Die Kirche hat einen Vorteil: Sie ist organisiert bis in die Ortsteile und hat Personen, die Vertrauen in der Mitte ihrer Mitgliedschaft besitzen. Schon deshalb lohnt sich ein Gespräch. Vertrauen macht es leichter, auf Argumente zu hören. Das gilt übrigens auch für Sportvereine und Feuerwehren.

Heißt das, Gespräche mit der AfD sind vor allem in der Basis, also auf kommunaler Ebene sinnvoll anstatt auf der großen Bühne zwischen Evangelischer Kirche in Deutschland beziehungsweise der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und dem Bundesvorstand der Partei?

Thielmann: Der Dialog muss auf allen Ebene geführt werden. Besonders auf Ebene der Kirchenvorstände, Gemeinderäte oder Presbyterien ist aber viel Nachholbedarf. Mich hat das Beispiel in Wuppertal erschreckt, wo ein Presbyterium geschlossen zurückgetreten ist, damit ein Mitglied, das gleichzeitig für die AfD bei der Landtagswahl kandidierte, sein Amt verliert. Ich bin der Ansicht, dass ein so vorsätzlich herbeigeführter Betriebsunfall nicht das letzte Mittel sein kann.

Woran liegt es, dass insbesondere in konservativen Kreisen der Kirchen die AfD so viel Erfolg hat?

Thielmann: Das liegt an der Struktur der Volkskirchen, die die Breite der Bevölkerung repräsentieren. Deswegen kann man davon ausgehen, dass die Unterstützung für die AfD in den Kirchen so groß ist wie im Rest der Bevölkerung. Es gibt bei einigen Gruppen aber auch eine größere Nähe, etwa im rechtskatholischen Spektrum, wo man gegen Abtreibung und die traditionelle Ehe kämpft. Da gibt es inhaltliche Überschneidungen mit der AfD. Das gleiche gilt für den konservativen Protestantismus: Es gibt einige Evangelikale, die sich für die AfD engagieren.

Wie läuft nach Ihrer Einschätzung der Dialog zwischen den Kirchenleitungen und diesen Mitgliedern? 

Thielmann: Es ist wichtig, dass sich die evangelische Kirche, die ich besonders im Blick habe, um ihre konservativen Mitglieder kümmert. Ich erfahre aus konservativen Kreisen die Rückmeldung, dass man sich von Kirchenleitungen eher weniger repräsentiert, vielleicht sogar abgehängt fühlt. Ich sehe es persönlich am Beispiel der Flüchtlingshilfe oder Vor-Ort-Initiativen zum Dialog der Religionen. Einige finden das richtig. Andere sehen das kritisch, formulieren das aber nicht, weil sie ein „Das darf man ja nicht sagen“ im Kopf haben. Die Kirche muss die Chance nutzen, mit diesen Mitgliedern ins Gespräch zu kommen. Momentan gibt nur die AfD ihnen die Gelegenheit, das zu thematisieren. 

Das heißt, es gibt eine Art von political correctness in Kirchengemeinden, die dazu führt, dass manche Mitglieder aus Angst vor einem Verstoß dagegen nicht mehr offen reden?

Thielmann: Auch in den Kirchengemeinden gibt es Tabus. Es gibt den Eindruck, dass man sich gegen eine Festlegung der Landeskirche oder des Gemeindevorstandes nicht positionieren darf. Was oft vergessen wird, ist, auch Menschen für solche Beschlüsse zu gewinnen. Mit dem Fassen eines Beschlusses fängt die Arbeit erst an.

Das Interview führte Corinna Buschow (epd)