Ansprache beim Medien-Empfang des Rates der EKD, der Ev. Akademie zu Berlin, des GEP, des Rundfunkbeauftragten und des Bevollmächtigten des Rates

Manfred Kock

Dienstgebäude des Bevollmächtigten, Charlottenstr. 53/54

Anrede,
vor einem Jahr haben wir Ihnen eine kleine Broschüre mit auf den Weg gegeben mit dem Titel ”Protestantismus und Kultur”, ein Gesprächsangebot der evangelischen Kirche an die Kulturschaffenden. Der Kommunikationsprozeß, den wir damit angestoßen haben, ist nun nahezu abgeschlossen. Er hat zu einer neuen Verhältnisbestimmung von Protestantismus und Kultur beigetragen.

Gott sei Dank ist ja die evangelische Kirche nun gerade kein Monolith, dessen Grenzen und Profil man bei geeigneter Ausleuchtung wie einen Schattenriß in eine kulturelle Landschaft projizieren könnte.

Wir gerieren uns in dieser Kultur eher wie ein vielstimmiger Chor, dessen Stimmlagen bisweilen sehr eigene Interpretationen des Grundstoffs bieten. Das symphonische Geschehen braucht immer wieder Mitwirkende, die den Ton angeben und ihn halten können, auch virtuose Solisten, aber durchaus keine autoritären Einpeitscher oder kleinlichen Beckmesser. Bei den konzertanten Auftritten evangelischer Stimmen kann man bestimmte Grundmelodien immer wieder heraushören, wenn man sie denn hören will.

Da ist der Widerspruchsgeist der Protestanten, die sich im Gestus wiederkehrender Kulturkritik gefallen und mahnen und warnen, und dann gibt es wieder die, welche diese Kritiker mit geduldiger Grazie hinnehmen, wenn sie das Erwartete und das darum Un-erhörte sagen.

Allerdings scheint es mit diesen Kritikern ein bißchen zu gehen wie mit dem Jungen, der immer wieder ruft: ”Der Wolf, der Wolf!” - und wenn er wirklich kommt, will ihm keiner glauben.

In der Tat, unsere Kultur zerrt derzeit an allen Ecken und Enden an den Grundfragen des christlichen Menschenbildes herum, wie an einer zu kurz gewordenen Bettdecke.

Wann ist der Mensch ein Mensch? Wann ist er es schon und wann ist er es noch? Ist konsequenter Embryonenschutz gewährleistet oder droht die Freigabe frühester Formen menschlichen Lebens als genetisches Ersatzteillager? Ist in der biomedizinischen Forschung unter dem hohen Ziel der Leidverminderung alles erlaubt? Ab wann ist der Mensch nur noch manipulierbare Biomasse? Wo geschieht der Quantensprung vom persönlichen Wunsch nach bewußtem Sterben hin zum gesellschaftlich erwünschten, weil ”sozialverträglichen” Sterben. Unsere technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten potenzieren sich, unsere kulturelle Ratlosigkeit auch.

Wir Christen halten fest an der Überzeugung, daß ein Mensch sich das Leben nicht selbst geben kann und darum weder sich noch anderen nehmen darf. Nach unserer Überzeugung steht das Leben nicht zu unserer Disposition, sondern unter dem Eigentumsvorbehalt Gottes. So überliefert es die christliche Kultur, so denkt unser Grundgesetz.

Ein solcher Anspruch Gottes widerspricht der heute gängigen Auffassung von Selbstbestimmung des Einzelnen, der seinen freien Willen auch in den Fragen um Leben und Tod zum Ausdruck bringen will.

Bei allem protestantischen Respekt vor der Freiheit und der Selbstverantwortung des Individuums, haben wir die Sorge, daß man uns die durch Reformation und Aufklärung errungene Autonomie des Individuums jetzt wieder abkauft.

Sterben ist teuer – ökonomisch gesehen – die aktive Sterbehilfe könnte das Problem verbilligen, nicht wahr? Oder wie ist das häufig benutzte Argument zu verstehen, wir dürften uns nicht vom Fortschritt in der biomedizinischen Forschung und bei der Gentechnik abkoppeln und müssten deshalb Dinge tun, die wir zwar irgendwie nicht wollen, die aber irgendwie ökonomisch unumgänglich scheinen?

Was kostet eine freie Entscheidung?

Ein Blick in die Fernsehprogramme genügt vollauf: Die stündlichen Börsennachrichten brechen über uns herein wie der Wetterbericht oder die Staumeldung, die Abende des gemeinen Fernsehzuschauers bewegen sich zwischen ”Geld oder Liebe”: ”Wer wird Millionär?” und ”Cash” und ”Ich heirate einen Millionär” und ”Millionenspiel” und überall wird suggeriert, dabei gäbe es leichten Zugang zu schnellem Geld.

Nach wenigen Wochen sind die Gags abgenutzt und gähnend zappt der Zuschauer sich in einen anderen Kanal.

Werden wir immer käuflicher? Die Alltagsmenschen, aber auch die Repräsentanten dieser Gesellschaft?

Im vergangenen Jahr ging es wohl um die Frage, ob auch die Demokratie käuflich ist.

Ich meine, es müßte dieser Gesellschaft gelingen, Schutzzonen zu definieren, in denen Menschen vor dem Zugriff des Geldes sicher sind, in denen sie im Abstand von ökonomischen Zwängen Atem holen und über die Risiken der totalen Käuflichkeit nachdenken können. Der Schutz des Sonntags ist so ein Beispiel. Ein Tag in der Woche, der zumindest symbolhaft frei ist von den ökonomischen Prozessen.

Ein paar solcher Biotope müßte es doch geben, in denen Tugenden wie Helfen ohne unmittelbaren materiellen Eigennutz, Mitverantwortung ohne Machtanspruch und die Pflege von Gemeinsinn ohne parteipolitische Verzweckung geschieht.

An vielen Punkten ist zu spüren, daß diese Gesellschaft kulturell in einer Phase des Übergangs ist. Wir Christen können in diesem Diskurs nur immer wieder daran erinnern, daß es in all den Geldstrudeln, in denen der völlige Orientierungsverlust droht, Räume geben muß, in denen Menschen, Darsteller und Berichterstatter wie auch die Zuschauerinnen und Zuschauer, nicht nach dem Kosten- Nutzenprinzip eingeordnet, sondern einen Wert an sich haben.

Das komplexe Gebäude dieser Gesellschaft kann ruhig Büroräume und Tresore, Arbeitszimmer, Esszimmer und Partykeller haben, aber eben auch geschützte Schlafräume und unbeobachtete Badewannen. Bereiche, in denen man sich um seiner selbst willen aufhält, nicht zum Nutzen anderer. Ein Andachtsraum, eine Kapelle, finde ich, gehört auch dazu, wo man Zuwendung erfährt und zu sich selber findet.

Mit ihren Vertreterinnen und Vertretern in den Medienanstalten möchten die Kirchen einstehen für die Maßstäbe der christlichen Ethik und für die Freiheit von Wort, Schrift, Bild und Ton.

Ich freue mich, darum Ihnen heute abend einen solchen Menschen vorstellen zu dürfen. Herrn Bernd Merz, den neuen Rundfunkbeauftragten des Rates der EKD und der Freikirchen, Nachfolger von Frau Haberer.

Nach dem Vortrag von Herrn General von Kirchbach ist sicher Gelegenheit, auch auf ihn zuzugehen. Seine offizielle Einführung haben wir für Ende August im Rahmen der IFA hier in Berlin vorgesehen.

Und nun bin ich gespannt auf Ihren Vortrag, Herr von Kirchbach, zum Schwerpunktthema des heutigen Abends.