Ansprache zur Einführung der Rundfunkbeauftragten der EKD, Frau Johanna Haberer

Robert Leicht

Darf ich Sie für einen Augenblick verführen? Zurückverführen in eine staatskirchenrechtliche Vorlesung meines damaligen Saarbrücker Lehrers Herbert Wehrhahn - der berühmt war, ja geradezu berüchtigt für seine scheinbar, - aber eben: nur scheinbar - abwegige Originalität, für ein biederes Examen regelrecht unbrauchbar - und deshalb zu Unrecht wenig besucht in seinen Lehrveranstaltungen. Eines Tages kam er mit dem neusten Amtsblatt des Saarlandes ins Kolleg und las uns eine neuste Verordnung über die Bezuschussung von Dienstkleidung (oder dergleichen) im Geschäftsbereich des Kultusministeriums vor - Wort für Wort. Am Ende der Verordnung hieß es dann noch: "Verkündigt am 28. Februar 1968. Gezeichnet: Der Kultusminister: in Vertretung Franz Josef Röder, Gezeichnet: Der Ministerpräsident Franz Josef Röder."

Ob uns etwas aufgefallen sei. - Aber was? - Darf der Ministerpräsident zugleich für den abwesenden Kultusminister unterzeichnen? Nochmalige Verlesung - Immer noch nichts aufgefallen - Nach einer Weile meldet sich ein Student (das war, glaube ich, sogar ich selber) und fragte: "Steht da wirklich: Verkündigt am 28. Februar? Müßte es nicht heißen: Verkündet?" Endlich das erhoffte Strahlen auf dem Antlitz des verehrten Professors - und dann ein extemporiertes Kolleg über den unterschiedlichen Begriff von Publizität in Staat und Kirche.

Verkündung und Verkündigung - der Unterschied hat es immer noch in sich, gerade aus unserem heutigen Anlaß.

Der Staat - die Macht, die auf sich selber verweist -, er verkündet: und zwar mit Macht, also (um Max Weber zu variieren) mit dem Anspruch auf Gefolgschaft, auf Gehorsam.

Die Kirche hingegen - die Ohnmacht, die auf ihren Herrn verweist - , sie verkündigt - und zwar nicht mit Macht, sondern mit Vollmacht. Nicht mit dem Weber'schen Anspruch auf Gehorsam, sondern, indem sie die frei gebildete Überzeugung anspricht.

Verkündung: Sie erfolgt mit Macht und zielt auf Gehorsam, zur Not mit Zwangsmitteln.

Verkündigung: Sie erfolgt mit Vollmacht und zielt auf Überzeugung; jeglicher Zwang aber zerstört die Überzeugung.

Diese beiden unterschiedlichen Formen der Publizität des Staates wie der Kirche schließen einander - zu Ende gedacht - regelrecht aus. Das ist übrigens einer der Gründe, aus denen Präses Kock in seiner Predigt zum Eröffnungsgottesdienst der Wetzlarer Synode im November 1997 gesagt hat: Zwar könnten Staat und Kirche in der Demokratie einander als Partner gegenübertreten; niemals aber könnten Gott und Kaiser Partner sein.

Es gehört zu den unseligen Restbeständen aus dem Erbe des protestantisch-landesherrlichen Bündnisses zwischen Thron und Altar, daß dieser Unterschied zwischen Verkündung und Verkündigung immer noch nicht deutlich genug wahrgenommen wird. Und zwar herrscht diese Verwirrung inzwischen weitaus weniger in den Kirchen selber, als vielmehr außerhalb der Kirchen. Weite Teile der Gesellschaft, ja gerade die kirchenfernen Teile der Gesellschaft stehen immer noch unter der nachwirkenden Vorstellung: Wenn die Kirche sich öffentlich äußert, beanspruche sie die Herrschaft des Thrones - und wer sich mit kirchlichen Äußerungen auseinandersetzt, müsse den angemaßten Anspruch weltlicher Herrschaft, ja geradezu: eine freche Fremdherrschaft aus eigenem Organisations- und Macht-Ínteresse abweisen.

Doch selbst mit ihren gesellschaftspolitischen Äußerungen kann sich die Kirche ex definitione nur an die Gewissen und Überzeugungen der freien Bürger und der frei gewählten Politiker wenden. Die Kirche, erst recht die evangelische Kirche kann sich schlechterdings nicht autoritativ äußern - schon gar nicht in weltlichen Dingen. Wenn kirchliche Äußerungen überhaupt Autorität gewinnen können, dann nur unter zwei elementaren Voraussetzungen - sie müssen zum einen von ihrer Vollmacht gedeckt sein und sie müssen sich zum anderen allein an die freien Gewissen der Bürger und Politiker wenden. Ansonsten gilt - mit Luther zu singen: Mit unserer Macht ist nichts getan...

Liebe Frau Haberer, damit ist nun von dieser Seite her auch das Feld ihrer Wirkungsmöglichkeiten und -mittel abgesteckt. Ich wünsche Ihnen, daß es Ihnen in Ihrer Arbeit gelingen möge, immer wieder dieses Eine überzeugend zu verdeutlichen - und zwar gegenüber gesellschaftlichen Vorbehalten ebenso wie gegenüber da und dort vielleicht noch vorhandenen, wie man so sagt, amtskirchlichen Rest-Erwartungen: Kirchliche Verkündigung hat mit der Vollmacht, die über sich selber hinausweist, alles - mit einer Macht, die nur sich selber gilt, gar nichts zu tun. Sie spricht die Menschen und die Gesellschaft auf ihr wirkliches Heil, auf ihr wirkliches Wohl an, insofern: auf ihr Gemeinwohl im allerweitesten Sinne; sie spricht zu freien Menschen - und nicht zu Untertanen. Und selbst dort, wo die Kirche kritisch zu den Menschen und in die Gesellschaft spricht, übt sie nicht Herrschaft aus; sondern sie will von falscher Herrschaft, falscher Macht und falscher Abhängigkeit befreien. Auch von falscher Abhängigkeit, in die sich Menschen scheinbar freiwillig begeben. Und mitunter ist das schlimmste die "Knechtschaft des selbstgewählten Weges" - um eine Formulierung Ernst Käsemanns zu zitieren.

Falsche Herrschaft: das kann der Quotendruck sein.
Falsche Herrschaft - das war ja nicht nur früher so: das kann der sogenannte Konsum-Terror - na: sagen wir Konsum-Druck sein.
Falsche Herrschaft: Das kann der Karrieredruck auch dann sein, wenn man sich selber darunter setzt. Dann werden auch öffentlich-rechtliche Institutionen wirklich zu Anstalten.

Es ist eben immer noch so: Der Mensch wird ja nicht schon dadurch frei, daß man ihn sich selber überläßt - oder dadurch: daß der Mensch selber sich selber überläßt - von mir aus auch vor einem Fernsehschirm, der ihm angeblich nur das vorführt, was er angeblich nur selber sehen will. Diese Besinnungslosigkeit allein kann auch zu psychischer und existentieller Verwahrlosung inmitten aller angeblich autonomen Selbstverwirklichung führen.

Wenn Kirche also kritisch über falsche Herrschaft - und die Herrschaft des Falschen - spricht, predigend oder in der Seelsorge, und mit falscher Herrschaft beides meint : unselige Fremdherrschaft und seelenlose Selbst-Herrschaft (oder, sagen wir: Selbst-Beherrschung) - wenn also die Kirche auf diese Weise herrschaftskritisch redet, so tut sie dies nicht, um selber eine eigene moralisierende Herrschaft zu errichten, sondern aus der einen Theologie der Befreiung.

Und weil dies so ist, darf die Kirche in ihrer Verkündigung frei, ja froh reden - ja, alles andere als verschämt, sondern geradezu un-verschämt, froh und frei. Schließlich sprechen wir ja vom Evangelium, also von einer frohen, einer schönen Botschaft.

Liebe Frau Haberer, da ich Sie inzwischen ein wenig kenne, traue ich Ihnen diese fröhliche Unverschämtheit ohne weiteres zu.

Zu schön, werden Sie nun vielleicht einwenden, zu schön um wahr zu sein. Denn im Feld der öffentlich-rechtlich geordneten Medien bewegt sich kirchliche Publizität auf einem doppelten Boden: Der Inhalt ihrer Publizität ist die Botschaft von der Befreiung - dieses spezifische Forum ihrer Publizität indessen ist sozusagen halb-staatlich, nämlich öffentlich-rechtlich geordnet, also ziemlich machtnah; zudem verleiht allein die Präsenz in diesen Medien gesellschaftliches Gewicht - und insofern eine gewisse reale Macht; wirklich ohnmächtig ist in unserer Gesellschaft nur, wer in diesen Medien nicht vorkommt.

Die Rundfunkbeauftragte ist also in gewisser Weise ein Zwitterwesen: Sie hat zum einen immer wieder verständlich zu machen, daß die Verkündigung der Kirche reine herrschaftsfreie Freiheit anstrebt, und gleichzeitig darauf zu achten, daß die Kirche in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht zu kurz kommen. Daß also, weltlich gesprochen, immer gilt: pacta sunt servanda. Daß aber, geistlich gesprochen, immer wahr bleibt: Mit unsrer Macht ist nichts getan...

Dies, liebe Frau Haberer, wird Ihnen umso besser gelingen, je deutlicher sie machen können, daß die Kirche den ihr vertraglich eingeräumten Einfluß nicht um ihrer selbst willen wahrnimmt, sondern allein treuhänderisch im Dienste ihrer Vollmacht und im Dienste der geistigen und gesellschaftlichen Freiheit aller Bürger, nicht nur der förmlichen Kirchenmitglieder.

Fort also mit allen mentalen Restbeständen des Bündnisses von Thron und Altar - da wie dort. Stattdessen brauchen wir das Bündnis von Kanzel und Kritik. Was zur Kanzel zu sagen ist, ist gesagt. Was aber nun zur Kritik? Ihr hat sich kirchliche Publizität in der Gesellschaft auf doppelte Weise zu stellen, und zwar aufrichtig und (so merkwürdig das klingen mag) ausgesprochen gerne - zum einen, was den Inhalt betrifft, zum anderen was das Forum angeht, und: ihre Behauptung auf demselben.

Zum Inhalt: Wenn die kirchliche Botschaft nur mit der freien Überzeugung der Hörer rechnet, muß sie die mündigen (oder doch auf Mündigkeit hin anzusprechenden) Hörer auch als Kritiker dessen annehmen, was sie sagt. Doch auf diesem Feld ist wohl weniger die Kritik das Problem, als vielmehr die Gefahr der Gleichgültigkeit - des Ignoriert-Werdens. Schade, daß viele angeblich moderne, oder: post-moderne Zeitgenossen die kirchliche Rede nur noch als moralin-saure Erinnerung an vergangene bürgerliche Enge verstehen - im besten Fall: als Gegenstand des geistigen Denkmalschutzes. Schade aber auch, daß manche kirchliche Rede zu diesem Mißverständnis Anlaß gegeben hat. Schade erst recht, daß manche kirchliche Rede heute sich vor lauter Schuldbewußtsein ganz in die ängstliche, ja: im Grunde verächtliche Defensive verkrochen hat - und jedes fröhliche Selbstbewußtsein vermissen läßt.

Soviel zu Inhalt und Kritik kirchlicher Rede. Zum Forum aber und der Kritik: Hier ist nicht nur die Botschaft der Kirche, sondern die Kirche als Institution selber Gegenstand der Kritik, und zwar in ihrem praktischen und taktischen Verhalten in den Medien und ihren Anstalten. Und umgekehrt: Dort können auch die Medien und Anstalten Gegenstand kirchlicher Kritik werden.

Wie soll sich die Rundfunkbeauftragte auf diesem Gelände bewegen, das durch das Hinzutreten der privaten Rundfunk- und Fernsehanstalten ja keineswegs einfacher geworden ist, im Gegenteil? Könnten doch die privaten Veranstalter zumindest versucht sein, die kirchlichen Sendung als macht-verfügte Auflage und Bedingung ihrer kommerziellen Tätigkeit zu verstehen, ja, als Hindernis kommerzieller Profitabilität, als Quotenkiller, sozusagen.

Das geht wohl nur, wenn Sie, Frau Haberer, sich als Botschafterin in jeder Hinsicht und in jeder Richtung, hin wie her betätigen. Botschafter aber brauchen Vertrauen - in diesem Falle das Vertrauen beider, des Senders wie der Sender. Und dieses Vertrauen beiderseits kommt nur zustande, wenn jede Seite versteht, wie sehr sie auf das Vertrauen der jeweils anderen Seite angewiesen sind. Hoffentlich geht es Ihnen dabei nicht so, wie man es in London vom Foreign Office sagt, vor allem unter Margret Thatcher sagte: Da waren die Diplomaten als wets verschrien, als Weichlinge, die mindestens mit einem Bein, wenn nicht gar mit beiden Beinen im Lager des anderen Staates stehen, als sei es ein Feind-Staat.

Wie könnte es Ihnen also gelingen, mit beiden Beinen in beiden Lagern zu stehen? Vielleicht so: Indem Sie die beiden Dimensionen der Professionalität zur Geltung bringen.

Da ist zum einen die journalistische, mediale Professionalität. Es ist gewiß viel gewonnen, wenn die Zeitgenossen in den Medien, die Mitarbeiter in den Anstalten, wie Hörer und Zuschauer, erfahren: Eine Botschaft ist nicht nur richtig, sondern sie kommt auch richtig an - sie spricht nicht nur von Freiheit und Frömmigkeit, sondern sie kommt auch einigermaßen gekonnt, also fröhlich daher.

Da ist aber auch jene zweite Dimension von Professionalität. Der Begriff kommt ja vom lateinischen Wort für "bekennen". Wer professionell handelt in der Publizistik, bekennt sich ja nicht nur zu den handwerklichen Aspekten seines Berufes, sondern auch zum Zweck und tieferen Inhalt. Und deshalb ist es gewiß unnötig, es wäre geradezu schädlich, dieses Bekenntnis unter den Scheffel zu stellen, wie es ja mitunter geschieht, wenn kirchliche Mitarbeiter das defensive Gefühl annehmen, sie würden um so besser gehört, desto leiser, ja: verschämter sie sich annähern. Im Gegenteil: Auch hier hilft ein freies, frisches Bekenntnis viel weiter. Und dann stehen mit einem Mal Professionalität wie Konfessionalität, das Bekenntnis also sowohl zum Beruf als auch zur Berufung in einem überzeugendem Zusammenhang.

Berufen, Frau Haberer, sind Sie schon lange - jetzt sind Sie auch ins Amt eingeführt. So darf ich Ihnen vielleicht dies als Tendenz Ihrer job description, Ihrer Arbeitsplatz-Beschreibung mit auf den Weg geben - heute natürlich in einem ganz anderen Kontext: Frisch, fromm, fröhlich und frei. In Wirklichkeit habe ich den Eindruck, Sie brächten diese Eigenschaft schon von Ihrem bisherigen Weg mit - als Bündnispartnerin beider, der Kirche wie der Medien, der Kanzel wie der Kritik. Nicht nur meine Glückwünsche, sondern die Glückwünsche gewiß aller der hier Versammelten begleiten sie auf dem nächsten Stück Weges - und, so wünschen wir heute hinzu: Gottes Segen.

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