In der Bibel lesen

Die Bibel ist der zentrale Text der Christenheit. Ihre Texte geben bis heute Orientierung im Alltag.

Ein Mensch liest in einer aufgeschlagenen Bibel

Die Bibel fasziniert alle, die sie lesen. Noch jede*r ist angerührt, der etwa im ersten Korintherbrief, Kapitel 13, das Hohelied der Liebe aufschlägt: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle ...“ Oder den 23. Psalm mitten im Alten Testament: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser ...“.

Die Bibel enthält grausame Erzählungen darüber, was Menschen einander antun können. In einem eigenen Teil, dem Buch Hiob, debattiert eine Gruppe von Freunden darüber, wie Gott das Leid in der Welt zulassen kann. Daneben stehen aufbauende Geschichten, vor allem die über Jesus, der die Schwachen stark macht, Kranke heilt, der Kinder um sich versammelt und die Menschen am Rand der Gesellschaft besucht, um mit ihnen zu feiern. Und der sein Leben gibt, um die Menschen zu erlösen. „Dieses Buch macht Löcher in mein Herz“, hat ein afrikanischer Christ über die Bibel gesagt.

Die Bibel ist das am weitesten verbreitete Buch der Weltliteratur. Die Angaben schwanken zwischen einer und drei Milliarden Exemplaren. Wie kein anderes Buch hat sie das Leben der Menschen beeinflusst und die Gesellschaften der Welt mitgestaltet. Sie enthält zum Beispiel den Grundsatz, dass die Kraft einer Gesellschaft nicht nur an der Leistung ihrer Eliten sichtbar wird, sondern auch daran, wieviel Anteil die Schwächsten am gemeinsamen Leben bekommen.

Weltweit in mehr als 500 Sprachen

Deshalb beteiligt sich die evangelische Kirche an der Verbreitung der Bibel. 1965 gab die Synode, das Parlament der evangelischen Kirche, den Anstoß zur Gründung der Weltbibelhilfe. Heute gehören ihr 150 Bibelgesellschaften an. Sie verbreitet die Bibel in 200 Ländern der Erde und ist von der UNESCO als Bildungsorganisation anerkannt. Denn die Bibel ist sozusagen ein Weltkulturerbe. Bibelübersetzungen gibt es in 563 der weltweit knapp 7.000 Sprachen, Teile der Bibel wurden in 1.038 Sprachen übersetzt. Jedes Jahr kommen weitere dazu. Derzeit sind die Bibelgesellschaften mit 400 weiteren Übersetzungen beschäftigt.

Für Christinnen und Christen ist die Bibel die Grundlage des Glaubens an Gott. Denn Gott zeigt darin, wer er ist und was er will. Die Schrift macht klar, wie Christinnen und Christen Maßstäbe für ein Leben nach Gottes Vorstellungen gewinnen können. Zum Beispiel den Wert der Nächstenliebe. Oder die Goldene Regel in Matthäus 7,12: „Was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut ihr ihnen auch.“ Für Jacob Joussen liegt darin ein Leitmotiv für sein Handeln im Alltag: „Wenn jemand bei mir Rat sucht, oder wenn ein Student vor mir sitzt, dann hilft mir dieser Satz“, sagt Joussen. Er ist Professor für Bürgerliches Recht an der Uni Bochum. Zudem gehört er zum 15-köpfigen Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland.

„Die Hoffnung, dass nicht alles zu Ende ist, wenn ein Mensch stirbt, rührt mich immer wieder an.“

Jacob Joussen
Jacob Joussen Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Orientierung und Maßstab

Die wichtigste Geschichte der Bibel ist für ihn die Erzählung, wie Jesus einen Mann mit Namen Lazarus von den Toten auferweckt: „Die Hoffnung, dass nicht alles zu Ende ist, wenn ein Mensch stirbt, rührt mich immer wieder an“, sagt er. Denen, die die Bibel lesen wollen, empfiehlt er die Schöpfungsgeschichten am Anfang, „denn sie sagen, dass da einer ist, der die Welt hält und gestaltet“. Oder die Gleichnisse, die Jesus in den Evangelien erzählt.

Für evangelische Christen und ihre Kirche ist die Bibel die Orientierung für ihr Leben und ihren Glauben – und der Maßstab, an dem sich alles messen lassen muss. Auf Evangelischen Kirchentagen mit hunderttausend Besuchern beginnt jeder Tag mit einer Bibelauslegung. Was Christen denken, wie sie sich verhalten, soll von der Bibel bestimmt sein. Das Zusammenleben in der Kirche, ihre Gesetze wie ihre öffentlichen Äußerungen, sollen erkennen lassen, dass sie aus der Heiligen Schrift begründet sind. Auch die evangelische Theologie bezieht sich immer auf die Bibel.

Alle sollten die Bibel lesen – nicht nur Fachleute

Deshalb sollen alle Christen die Bibel lesen – und nicht nur Fachleute. Die evangelische Kirche bietet viele Hilfen an, um den passenden Einstieg zu finden und schwierige Stellen zu verstehen. Es gibt Bibellesepläne, die einen in 30 Tagen durch ein Evangelium oder in einem Jahr durch die ganze Bibel begleiten. Auch die Ordnung der Predigttexte in den Gottesdiensten soll dazu dienen, dass in größeren Zeiträumen wichtige Texte der Bibel in evangelischen Gottesdiensten gelesen und ausgelegt werden. In vielen Gemeinden laden Gruppen dazu ein, die Bibel gemeinsam zu lesen und sich darüber auszutauschen, ganz gleich, ob die Teilnehmer die Bibel schon kennen oder noch nicht.

In der Schlüsselposition der Heiligen Schrift liegt auch der Grund, warum Martin Luther sie ins Deutsche übersetzte. Er fand dafür so schöne und treffende Worte, dass die Lutherbibel die deutsche Sprache bis heute durchsetzt. Wendungen wie „die ersten werden die letzten sein“ oder „stell dein Licht nicht unter den Scheffel“ stammen aus Luthers Übersetzung, ebenso Formulierungen wie „auf eigene Faust“ oder Sprichwörter wie „wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“. Wer in der Lutherbibel liest, dem prägt sie sich sofort ein. Und keine andere Bibelübersetzung lässt sich leichter auswendig lernen.

wt