Bibelarbeit auf dem 29. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Frankfurt am Main (1. Mose 12, 1-20 )
Robert Leicht
Dass wir nicht lachen!
Im Namen des Vaters, des Sohne und des heiligen Geistes. Amen
Der Volksmund sagt: Sich regen bringt Segen. Und dann fügen wir hinzu: Machst’e was, dann kriegst’e was. Und schließen: „Hast’e was, dann bist’e was. – Heute morgen werden wir erfahren, dass alles ganz anders ist - und warum.
[Lied: Die güldene Sonne bringt Leben und Wonne
Fußnoten, Nr. 41, 1-5)]
LUT Genesis 12:1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. 2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. 3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. 4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog. 5 So nahm Abram Sarai, seine Frau, und Lot, seines Bruders Sohn, mit aller ihrer Habe, die sie gewonnen hatten, und die Leute, die sie erworben hatten in Haran, und zogen aus, um ins Land Kanaan zu reisen.
[Und sie kamen in das Land, 6 und Abram durchzog das Land bis an die Stätte bei Sichem, bis zur Eiche More; es wohnten aber zu der Zeit die Kanaaniter im Lande. 7 Da erschien der HERR dem Abram und sprach: Deinen Nachkommen will ich dies Land geben. Und er baute dort einen Altar dem HERRN, der ihm erschienen war. 8 Danach brach er von dort auf ins Gebirge östlich der Stadt Bethel und schlug sein Zelt auf, so daß er Bethel im Westen und Ai im Osten hatte, und baute dort dem HERRN einen Altar und rief den Namen des HERRN an. 9 Danach zog Abram weiter ins Südland. 10 Es kam aber eine Hungersnot in das Land. Da zog Abram hinab nach Ägypten, daß er sich dort als ein Fremdling aufhielte; denn der Hunger war groß im Lande. 11 Und als er nahe an Ägypten war, sprach er zu Sarai, seiner Frau: Siehe, ich weiß, daß du ein schönes Weib bist. 12 Wenn dich nun die Ägypter sehen, so werden sie sagen: Das ist seine Frau, und werden mich umbringen und dich leben lassen. 13 So sage doch, du seist meine Schwester, auf daß mir's wohlgehe um deinetwillen und ich am Leben bleibe um deinetwillen. 14 Als nun Abram nach Ägypten kam, sahen die Ägypter, daß seine Frau sehr schön war. 15 Und die Großen des Pharao sahen sie und priesen sie vor ihm. Da wurde sie in das Haus des Pharao gebracht. 16 Und er tat Abram Gutes um ihretwillen; und er bekam Schafe, Rinder, Esel, Knechte und Mägde, Eselinnen und Kamele. 17 Aber der HERR plagte den Pharao und sein Haus mit großen Plagen um Sarais, Abrams Frau, willen. 18 Da rief der Pharao Abram zu sich und sprach zu ihm: Warum hast du mir das angetan? Warum sagtest du mir nicht, daß sie deine Frau ist? 19 Warum sprachst du denn: Sie ist meine Schwester -, so daß ich sie mir zur Frau nahm? Und nun siehe, da hast du deine Frau; nimm sie und zieh hin. 20 Und der Pharao bestellte Leute um seinetwillen, daß sie ihn geleiteten und seine Frau und alles, was er hatte.]
*
„Aber ihr wartet sowieso vergeblich. Und ich sage auch jetzt hier eines verbindlich:
- a) ich will nicht und werde nie Stammvater werden,
- b) ich halte Abraham, den ich nur im Wissen, den ich trotz meines Wissens um seine Unzulänglichkeit um des lieben Friedens willen ... unterstützt habe, wird nie Stammvater werden.
Er ist total unfähig, ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür. Aber man kann unter Umständen mit jedem regieren. Das geht da auch noch.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Das ist nun gewiss das Gegenteil von einem Segenswunsch! Und Sie alle werden gewiss längst erkannt haben, wer da in Wirklichkeit wen verflucht hat: Dies war – ein wenig verfremdet – ein Stück aus der berüchtigten Wienerwald-Rede des Franz Josef Strauß über Helmut Kohl aus dem November 1976.
Aber wie das im Leben so ist: Helmut Kohl hat diesen Fluch gewiss für ganz und gar unerträglich gehalten – und ihn auf seine Weise widerlegt.
Abraham aber – wie hätte der reagiert, wenn ihm ein Zeitgenosse bescheinigt hätte: „Der wird nie Stammvater werden. Er ist total unfähig. Ihm fehlt alles dafür!“?
Er hätte wohl im Grunde seines Herzens gesagt: „Da magst Du recht haben.“
Ein paar Verse bevor unser Bibeltext einsetzt, heißt es:
LUT Genesis 11: 28 Haran aber starb vor seinem Vater Terach in seinem Vaterland zu Ur in Chaldäa. 29 Da nahmen sich Abram und Nahor Frauen. Abrams Frau hieß Sarai und Nahors Frau Milka, Harans Tochter, der der Vater war der Milka und der Jiska. 30 Aber Sarai war unfruchtbar und hatte kein Kind.
Noch bevor der HERR zu seinem geradezu überwältigenden Segensspruch ansetzen kann, wird uns in aller Drastik mitgeteilt: Daraus kann doch eigentlich gar nichts werden.
Und eine Weile später, nach der merkwürdig irritierenden Geschichte, in der Abraham sich von Sarai anstiften lässt, mit der Magd Hagar einen Sohn – wenigstens eine Art Halb-Sohn – , den Ismael, zu zeugen, ( in einer Vorgehensweise, die damals übrigens rechtlich wie moralisch in Ordnung war, angesichts der Not, ansonsten überhaupt keinen leiblichen Erben zu haben, nur eben einen schlichten Knecht als Ersatz- und Noterben, in diesem Fall den Knecht Eliëser) – eine Weile später spricht Gott abermals zu Abraham über Sara:
LUT Genesis 17:15 ...ich will sie segnen, und auch von ihr will ich dir einen Sohn geben; ich will sie segnen, und Völker sollen aus ihr werden und Könige über viele Völker. 17 Da fiel Abraham auf sein Angesicht und lachte und sprach in seinem Herzen: Soll mir mit hundert Jahren ein Kind geboren werden, und soll Sara, neunzig Jahre alt, gebären?“
Abraham haut es vor Staunen um! Mir fehlt doch alles! Ich soll Stammvater werden – dass ich nicht lache!
Nein. Abraham, bleibt nüchtern und ganz bescheiden:
LUT Genesis 17:18 Und Abraham sprach zu Gott: Ach daß Ismael…
– der Halb- und Nebensohn –
daß Ismael möchte leben bleiben vor dir!
(Ein kleines Nachwort zu der Geschichte mit Abraham und Hagar: Wenn uns diese alte Episode, diese archaische Art von Leihmutterschaft zurecht befremdlich vorkommt – wie müssen wir dann erst über die modernen Formen der zuweilen regelrecht kommerzialisierten Leihmutterschaft denken; und über vieles, was da in vitro geschieht – und erst noch geschehen soll?)
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Liebe Schwestern und Brüder,
da soll also jemand groß herauskommen: „Ich will dir einen großen Namen machen...“
Wie reagieren eigentlich wir darauf, wenn um uns herum, im Beruf, in der Politik und Gesellschaft jemand groß herauskommt?
Sind wir dann etwa neidlos einverstanden: Das ist die richtige Frau, der richtige Mann am richtigen Platz.? Vor allem, wenn es für uns zunächst gar nicht danach aussieht?
Ein Vorgesetzter, tausend Zurückgesetzte! Und dann das berühmt-berüchtigte Peters-Prinzip: Es wird jemand so lange befördert, bis er die Stufe seiner Inkompetenz erreicht hat…
Vielleicht lebt es sich mit dem Erfolg der anderen wirklich etwas leichter, wenn man ihn ein wenig kleiner reden kann.
Wieso denn der? Dahinter steht oft genug, nicht nur im Wienerwald, die andere Frage. Wieso denn nicht ich?
Aber die wirklich beklemmende Frage lautet ganz anders – und über die wird kaum jemals offen gesprochen. Nicht also: Wieso denn der? Nicht also: Warum denn nicht ich? Sondern: Wieso denn ich ?
Wahrscheinlich ahnen wir gar nicht, wie oft Menschen daran leiden, ja darunter ächzen und stöhnen, dass sie groß herausgekommen sind, von anderen auch noch beneidet. Und die dann spüren, dass sie den Anforderungen gar nicht richtig gewachsen sind. Oder dass in ihrem Amt Entscheidungen auf sie zurollen, die nicht nur ihre Kraft, sondern auch ihre Gewissen überfordern: Wieso muss denn gerade ich tausend Leute entlassen – nur damit meine Firma groß herauskommt?
Wieso denn gerade ich? Diese Frage stellten nicht zuletzt die Propheten – die echten, nicht die selbst-ernannten. Zum Beispiel der Prophet Jeremia:
LUT Jeremiah 1:6 : Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.
Oder der Prophet Jesaja:
LUT Isaiah 6:5 Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen;
Abraham aber sagt nichts, fragt nichts. Er packt einfach seine sieben Sachen:
4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog. 5 So nahm Abram Sarai, seine Frau, und Lot, seines Bruders Sohn, mit aller ihrer Habe, die sie gewonnen hatten, und die Leute, die sie erworben hatten in Haran, und zogen aus, um ins Land Kanaan zu reisen.
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„Viel Glück und viel Segen auf all Deinen Wegen, Gesundheit und Wohlstand sei auch mit dabei!“
(Zunächst unisono, dann im Kanon für alle, die heute Geburtstag haben)
So also singen wir aufrichtig, herzlich und ein wenig harmlos, wenn jemand unter uns Geburtstag hat.
Aber wissen wir immer, was wir dabei tun – und singen?
Wenn Gott segnet, geht es nicht immer harmlos und fröhlich zu – aber segensreich!
Die Geschichte von Abrahams Berufung zeigt uns:
Wenn Gott segnet, dann handelt er gegen alle unsere Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten – und Unfruchtbarkeiten.
Wenn Gott segnet, reißt er uns aus all unseren Sicherheiten und Gewohnheiten, aus allen Verankerungen in Volk und Vaterland, aus Trott und Trotz – und stellt unsere Füße auf weiten Raum:
„Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“
Genauso wird Jesus bei Matthäus im 8. Kapitel, Vers 22 sprechen:
„Folge du mir, und laß die Toten ihre Toten begraben!“
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Da mögen wir Menschen denken, dass in einem Leben längst schon alles zuende ist – schon längst vor dem Tod. Wozu noch weiterleben? Das Leben ist unfruchtbar geworden in jeder Hinsicht. Nichts mehr ändert sich, alles ist festgefahren, ausgetrocknet in den menschlichen Beziehungen: Die Gespräche setzen nur noch die alten eingefahrenen und verhakelten Konflikte fort, zwischen Müttern und Töchtern, Väter und Söhnen, Männern und Frauen... Wir alle haben solche toten Beziehungen schon irgendwo – oder aus nächster Nähe – gesehen.
Und dahinein fährt nun die Verheißung:
„...Ich will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.“
Dass wir nicht lachen! – wie Abraham und Sara.
Sie kennen vielleicht die Geschichte von Bertold Brecht über die „unwürdige Greisin“ – über eine alte Frau, die in ihren neunziger Jahren – nachdem sie ein Leben lang nur gedient hatte (zurückgestanden, verzichtet, gespart) –, die nun also mit über neunzig Jahren auf einmal anfängt zu leben, und das nicht schlecht – und die mit einem Mal anfängt, sich endlich selber zu verwirklichen. Zum Entsetzen aller Verwandten, die schon ungeduldig auf das Erbe spekuliert hatten.
Eine hinreißende Geschichte!
Nur eben nicht unsere Geschichte, nicht die Geschichte von Sara und Abraham.
Wenn so eine alte, scheinbar unwürdige Greisin endlich ihr eigenes Leben entdeckt, endlich wagt, eigene Ansprüche zu erheben, bevor es dafür ganz und gar zu spät ist:
natürlich lässt das auch uns hoffen, dass auch in unserem Leben, in unseren Beziehungen zueinander der Ofen noch nicht aus ist, dass unter mancher Asche noch Leben glüht.
Besser so – als gar nicht! Besser spät – als nie!
Aber in unserer Geschichte von Sara und Abraham geht es um etwas ganz anderes. Da geht es nicht um unsere Ansprüche. Sondern es geht um Gottes Ansprüche auf uns.
Da geht es also nicht um unsere Selbstverwirklichung, sondern um Gottes Verwirklichung!
Wenn Gott segnet, bringt er sich selber zur Geltung – und erst dadurch uns; und uns selber oft anders, als wir es uns gedacht haben:
Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.
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Das Volk Israel erzählt mit dieser Väter-Geschichte von der Berufung Abrahams zugleich seine eigene Geschichte im Rückspiegel. Es erfährt seine eigene Geschichte als eine Geschichte gegen alle Unmöglichkeiten, Unfruchtbarkeiten, Irrungen und Wirrungen, Wanderungen und Wendungen, Entfremdungen und Verfremdungen, Versäumnisse und Versagen. Es erfährt seine Geschichte gerade nicht als eine Geschichte, die nur im eigenen Tun, im eigenen Verdienst und Verschulden befangen und verstrickt bleibt. Sondern als eine Geschichte, in der alle Macht nicht etwa vom Volke ausgeht – sondern nach wie vor von Gott.
Man wagt es kaum zu fragen, gar zu sagen: Ob nicht wir Deutschen, die wir uns in unüberbietbar verbrecherischer Weise an Gottes Volk Israel vergangen haben…
… ob nicht wir Deutschen unsere eigene Geschichte seit 1945 – und seit 1989 – als eine Geschichte zu lesen hätten, in der die Verbrechen vieler unserer Väter ( ja, auch unserer Mütter) nicht das allerletzte Wort haben, sondern Gottes souveräner Segen das erste und letzte Wort bleibt?
Aber sehen wir so aus, nachdem Gott uns aus all unserer Schuld, aus unseren Sicherheiten, Gewohnheiten und Unfruchtbarkeiten heraus-segnen will? „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!“ – dieser Satz flüchtet zurück in die alten Gewohnheiten und Schein-Sicherheiten.
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Wir fahren fort in der Geschichte Abrahams wie sie im Text für diese Bibelarbeit weiterführt:
Da zog Abram hinab nach Ägypten, daß er sich dort als ein Fremdling aufhielte; denn der Hunger war groß im Lande.
(Hier einsetzend, ppp, nur Instrumente: Aller Augen warten, Liedblatt Nr. 11)
Das ist uns eine schöne Verheißung! Kaum macht sich Abraham richtig auf den Weg, im Vertrauen auf Gottes Zuspruch – da kommt eine Hungersnot, da legt sich über die Verheißung eine lebensbedrohende Anfechtung, eine tödliche Infragestellung des Vertrauens. Erst eine Verheißung, die auf Abraham an sich schon wie ein schon biologisch schlechterdings unmögliches Versprechen wirken muss – und dann eine Hungerkatastrophe, die dieser Verheißung jede Grundlage entzieht!
Wir haben ja gut singen. Aber woher soll Abraham das Gottvertrauen nehmen, das im Psalm 145 gebetet wird?
Wir wollen trotzdem dem Abraham hinterhersingen, mit der Nummer 11 auf dem Liederblatt und mit den Zeilen, die Heinrich Schütz so unvergesslich vertont hat – weil wir inzwischen schon gelernt haben: Wo Gott segnet, schwinden alle unsere unfruchtbaren Sicherheiten, aber zugleich unsere unfruchtbaren Ängste:
Aller Augen warten auf dich, Herre, und du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit, du tust deine milde Hand auf und sättigest alles, was da lebet, mit Wohlgefallen. Amen.
(Separates Liedblatt, Nr. 11)
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Hinter sich die Hungersangst – vor sich die Todesangst, dem Abraham und seiner Sara bleibt aber auch nichts erspart:
11 Und als er nahe an Ägypten war, sprach er zu Sarai, seiner Frau: Siehe, ich weiß, daß du ein schönes Weib bist. 12 Wenn dich nun die Ägypter sehen, so werden sie sagen: Das ist seine Frau, und werden mich umbringen und dich leben lassen. 13 So sage doch, du seist meine Schwester, auf daß mir's wohlgehe um deinetwillen und ich am Leben bleibe um deinetwillen.
Was sollen wir nun dazu sagen? Sollen wir Abraham nun als Realpolitiker bewundern? Sollen wir ihn für die feige Verleugnung seiner Ehe tadeln? Oder müssen wir seinen juristischen Scharfsinn, seine Fähigkeit zur ungelogenen Halbwahrheit anerkennen? Denn an anderer Stelle erfahren wir, dass er nicht nur den Pharao mit dieser Schwestern-Geschichte hinters Licht geführt hat, sondern auch Abimelech, den König von Gerar. Und in der anderen Version erfahren wir eben auch folgendes. Von Abimelech zur Rede gestellt, sagt Abraham nämlich dieses:
[LUT Genesis 20:11 Abraham sprach:] Ich dachte, gewiß ist keine Gottesfurcht an diesem Orte, und sie werden mich um meiner Frau willen umbringen. 12 Auch ist sie wahrhaftig meine Schwester, denn sie ist meines Vaters Tochter, aber nicht meiner Mutter Tochter; so ist sie meine Frau geworden.
Auch vor dem Pharao bedient sich Abraham einer Notlüge am Rande der Wahrheit – oder eben: einer Wahrheit am Rande der Notlüge.
Das ändert freilich nichts daran, dass der Pharao ihn beim Wort – und seine Frau nahm. Insofern – und auf die Wirkung berechnet – eben doch eine Lüge; und ein schwerer und schlimmer Verrat.
Merkwürdig, das Gott sich auch der Lügner und der Verräter bedient – ohne dass immer gleich der Hahn zum dritten Mal kräht und ein Fels, auf den er bauen will, bitterlich weint!
Und wir? Haben wir uns nicht auch schon beim Verleugnen ertappt, und zwar weit vor jeder Doppelgefahr von Hunger im Rücken und Tod vor Augen?
Würden wir für den Abraham nach mildernden Umständen suchen, dann könnten wir ja auf folgende Ausrede kommen: Abraham soll Stammvater werden, das ist ihm verheißen. Aber Tote werden keine Stammväter. Also, warum soll er denn nicht für sein Überleben Sorge tragen? Andererseits: das mit dem Stammvater, das kann freilich auch nichts werden, wenn er die potentielle, und doch anscheinend unfruchtbare Stammmutter dem Pharao ausliefert.
Wie oft haben wir uns selber schon krummgelegt um höherer, angeblich höherer Ziele willen: „Ich musste mitmachen, um Schlimmeres zu verhüten“? – „Wenn ich den Bettel hingeschmissen hätte, dann hätte ein anderer noch ganz anders gesündigt!“ Das wäre ja schön, wenn die Alternative lauten würde: Entweder aus reiner Gesinnung sterben – oder aus reiner Verantwortung weiterleben. Dabei ist uns in Wirklichkeit die heile Haut doch oft noch viel näher als Hemd und Rock zusammen.
Abraham wenigstens ist ehrlicher, wenn er sein Weib dem Pharao ausliefert – und faselt nicht von höheren Zielen. Obwohl – ganz ehrlich ist er doch nicht:
13 So sage doch, du seist meine Schwester, auf daß mir's wohlgehe um deinetwillen und ich am Leben bleibe um deinetwillen.
Zwar sagt er immerhin: „auf dass mir’s wohlgehe“ – aber der Zusatz: „um deinetwillen und ich am Leben bleibe um deinetwillen“, der klingt dann doch ein wenig windig. Er hätte sie ja einmal um ihre Meinung fragen können. Wenn das damals gegenüber den Frauen üblich gewesen wäre. Heute ist das natürlich ganz anders…
Aber merkwürdig: Abraham kommt jedes Mal gut weg damit. Sowohl der Pharao als auch der König Abimelech lassen ihn reich beschenkt und entschädigt von dannen ziehen, als ob sie es gewesen wären, die vorsätzlich gesündigt haben.
Als ob uns auf diese drastische Weise deutlich gemacht werden sollte, dass es hier überhaupt nicht um Abrahams Schuld geht, sondern allein – dies einmal ganz altväterlich, sozusagen: stammväterlich ausgedrückt – um Gottes Huld, die sich souverän über Schuld und unverschuldete Unfruchtbarkeit hinwegsetzt.
Das Volk Israel erzählt die Geschichte seines Stammvaters, unseres Stammvaters, nicht etwa als fleckenreine Heiligengeschichte, im Gegenteil. Der Segen Gottes macht weder uns noch den Abraham zu einem Heiligen. Der Segen ist Ausdruck des souveränen Willen Gottes – nicht aber Ausdruck oder gar Folge unserer vermeintlich weißen Westen, die wir nach diesem oder jenem Wind hängen. Der Segen Gottes scheitert nicht an unserer Schuld. Nicht unsere Würdigkeit verschafft uns Gottes Segen – aber Gottes Segen, das ist unsere Würde.
*
Gottes Segen und Verheißung kennen also keine menschlichen Grenzen. Aber auch bei Abraham gibt es letztlich etwas, was ohne Grenzen ist.
Immer wieder findet Gott Bilder, die das Grenzenlose seiner Verheißung ausmalen. So sagte er zu Abraham:
(Hier einsetzend, ppp, Instrumente allein: Weißt Du wie viel Sternlein stehen...)
LUT Genesis 13:15 Denn all das Land, das du siehst, will ich dir und deinen Nachkommen geben für alle Zeit 16 und will deine Nachkommen machen wie den Staub auf Erden. Kann ein Mensch den Staub auf Erden zählen, der wird auch deine Nachkommen zählen.
Und ein ander Mal:
LUT Genesis 15:5 Und er hieß ihn hinausgehen und sprach: Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen? Und sprach zu ihm: So zahlreich sollen deine Nachkommen sein!
Unser anrührendes Kinder- und Abendlied ist gewiss von dieser Verheißung inspiriert – und so wollen wir seinen ersten Vers miteinander singen:
Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt, weißt Du wie viel Wolken gehen, weithin über alle Welt? Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet an der großen, ganzen Zahl, an der großen ganzen Zahl.
Grenzenlos bei Abraham ist nicht seine Heiligkeit, nicht seine moralische Perfektion. Sondern – über alles verwirrte Lachen des Abraham und über das verleugnete Gelächter der Sara hinweg – grenzenlos ist schließlich sein Glaube, sein Vertrauen auf Gott. Wie grenzenlos, das werden wir dann in der beklemmenden Geschichte erfahren, in der Abraham gar bereit ist, seinen eigenen Sohn Isaak, die erste sichtbare Erfüllung der Verheißung zu opfern, aus purem Gehorsam, aus einem geradezu aberwitzigen Gehorsam und Vertrauen.
*
Unsere ganze Geschichte fängt an mit der Bekundung wortlosen Glaubens und Vertrauens:
LUT Genesis 12:4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte...
Und wiederum nach der Nacht unter dem Sternenhimmel:
LUT Genesis 15:6 Abram glaubte dem HERRN, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.
Er zog aus – ohne Frage, ohne Widerworte!
Er glaubte dem Herrn – fraglos, widerspruchslos! Grenzenlos!
LUT Genesis 15:1 Nach diesen Geschichten begab sich's, daß zu Abram das Wort des HERRN kam in einer Offenbarung: Fürchte dich nicht, Abram! Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn. 2 Abram sprach aber: HERR, mein Gott, was willst du mir geben? Ich gehe dahin ohne Kinder, und mein Knecht Elïser von Damaskus wird mein Haus besitzen. 3 Und Abram sprach weiter: Mir hast du keine Nachkommen gegeben; und siehe, einer von meinen Knechten wird mein Erbe sein. 4 Und siehe, der HERR sprach zu ihm: Er soll nicht dein Erbe sein, sondern der von deinem Leibe kommen wird, der soll dein Erbe sein. 5 Und er hieß ihn hinausgehen und sprach: Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen? Und sprach zu ihm: So zahlreich sollen deine Nachkommen sein! 6 Abram glaubte dem HERRN, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.
In diesem Abschnitt haben wir eines der frühesten Stücke systematischer Theologie vor uns. Wir können sogar sagen: Die allererste Fassung der Rechtfertigungslehre – der paulinischen Zusicherung:
LUT Romans 3:28 So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
Durch den bedingungslosen, durch den grenzenlosen Glauben!
Und so ist Abraham, fast hätte ich gesagt: der erste Lutheraner, der erste Protestant. Aber sagen wir es lieber so: Abraham ist wirklich der Stammvater, nämlich der Stammvater all derer, welche die Grenzenlosigkeit von Gottes Verheißung und Segen beantworten – mit der Grenzenlosigkeit und Voraussetzungslosigkeit ihres Glaubens und Vertrauens.
Und so schreibt denn der Apostel Paulus an die Römer – und an uns:
LUT Romans 4:1 Was sagen wir denn von Abraham, unserm leiblichen Stammvater? Was hat er erlangt? 2 Das sagen wir: Ist Abraham durch Werke gerecht, so kann er sich wohl rühmen, aber nicht vor Gott. 3 Denn was sagt die Schrift? »Abraham hat Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden.« 4 Dem aber, der mit Werken umgeht, wird der Lohn nicht aus Gnade zugerechnet, sondern aus Pflicht. 5 Dem aber, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit.
Und so fasst denn Paulus zusammen:
LUT Romans 4:18 [Abraham] hat geglaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war, daß er der Vater vieler Völker werde, wie zu ihm gesagt ist: »So zahlreich sollen deine Nachkommen sein.« 19 Und er wurde nicht schwach im Glauben, als er auf seinen eigenen Leib sah, der schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war, und auf den erstorbenen Leib der Sara. 20 Denn er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark im Glauben und gab Gott die Ehre 21 und wußte aufs allergewisseste: was Gott verheißt, das kann er auch tun.
*
Und wie fassen wir nun unsere Erfahrungen mit Abraham zusammen? Ungefähr so:
Gottes Segen macht nicht an unseren Grenzen halt – und nicht an unseren Mauern.
Sondern: Gottes Segen führt uns aus unserem Grenzen und Mauern heraus.
Gottes Verheißung verspricht uns nicht noch einmal das, was wir uns schon längst vom Leben versprochen haben.
Sondern: Gottes Verheißung befreit uns von all unseren falschen Versprechungen.
Und sie ent-täuscht all unsere Enttäuschungen.
Gottes Segen und Verheißung rechnen nicht mit unserer Unschuld.
Sondern sie setzen sich souverän über unsere Schuld hinweg.
Gottes Segen und Verheißung verdorren nicht an unserer Unfruchtbarkeit und Abgestorbenheit.
Sondern: Der Gott Abrahams macht aus unserem Leben selbst dort noch etwas, wo es für uns wie unfruchtbar und tot aussieht. Zu guter Letzt lässt er es dort erst richtig anfangen und zu sich kommen!
Dass wir nicht lachen – wie Abraham! Aber sagen Sie: Warum wollen wir denn eigentlich nicht lachen – und selig sein?
Amen.
Und nun geht hin mit dem Segen und im Frieden des Herrn:
Der Herr segne und behüte Dich!
Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe Dir Frieden. Amen
*
[Lied: Fürchte dich nicht...“
Fußnoten 81, 1-3]