„Bloß nicht schämen, wenn was scheitert!“

Veränderungen sind nur möglich, wenn sie vor Ort entstehen

Seit vielen Jahren arbeitet Arlett Rumpff im Reform-Büro der EKBO (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg und schlesische Oberlausitz). Die Landeskirche hat gelernt: Veränderungen sind nur möglich, wenn sie vor Ort entstehen. Kirche sollte keine Handlungsempfehlungen, sondern Unterstützung geben.

Arlett Rumpff im Gespräch mit Pfarrer Kevin Jessa aus Fürstenwalde

Arlett Rumpff im Gespräch mit Pfarrer Kevin Jessa aus Fürstenwalde

Frau Rumpff, wie gestaltet die EKBO den Erneuerungsprozess?

Rumpff: Das geht zurück ins Jahr 2006. Damals veröffentlichte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) das Impulspapier „Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Kirche im 21. Jahrhundert“. Damit sollten die vielfältigen Reformbewegungen in den Landeskirchen aufgenommen und gebündelt werden. Die Zielfragen lauteten: Wie könnte Kirche im Jahr 2030 aussehen, wie kann sie möglichst einladend gestaltet werden? Die EKBO reagierte im Jahr darauf mit dem Programm „Salz der Erde“. Es sollte die Prioritäten kirchlichen Handelns aufzeigen und die Erwartungen an ehrenamtliche und berufliche Mitarbeiter klären.

Wie wurde es in den Gemeinden aufgenommen?

Rumpff: Es wurde als sinnvoll und theoretisch erachtet. Das wissen wir aus einer großen Befragung von Kirchenkreisräten, Gemeindekirchenräten und Interessierten, die im Jahr 2010 durchgeführt wurde. Allerdings: Für die konkrete Situation in den Gemeinden vor Ort waren die allgemeingültigen Ideen, Vorschläge und Ziele nicht hilfreich.

Wie wurde darauf reagiert?

Rumpff: Es wurde als Herausforderung angenommen, den Erneuerungsweg besser und praxisnäher fortzusetzen. Die Landeskirche lernte, näher in Kontakt mit den Gemeinden zu treten. Die Phase begann. Ein Reformbüro wurde eingerichtet, die Aufgabe: Die Kommunikation zu verbessern und zwölf ausgewählte Erneuerungsprojekte zu fördern und zu begleiten.

Funktionierte das besser?

Rumpff: Auch hierzu gab es eine Befragung. 1000 Fragebögen und 800 Eingaben wurden ausgewertet. Danach begann ein strukturierter Konsultationsprozess mit Experten und kirchlichen Gremien, außerdem gab es weitere Gesprächskreise mit Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. So wurde klar: Die Kirche zu verändern kann keine Einbahnstraße von oben nach unten sein. Es ist nur im Gespräch möglich - von Gemeinden, Kirchenkreisen, haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden, von Stadt und Land.

2014 wurden die Erkenntnisse in zehn Thesen formuliert: „begabt leben – mutig verändern“. Das waren keine direkten Handlungsanweisungen, sondern so etwas wie Bojen, die den Weg des Schiffes ‚Kirche‘ markieren – wie es Bischof Markus Dröge ausdrückte. (Interview auf YouTube: Reformprozess und Fazit Bischof Dr. Markus Dröge)

Also wieder eher Theorie und Handlungsaufforderungen?

Rumpff: Eine weitere wichtige Station auf dem Weg. Denn wir luden 1000 Delegierte zu einem großen Werktag nach Berlin ein. Hier, im Hangar des ehemaligen Flughafens Tempelhof, entstand erstmals eine „EKBO-Identität“. Die Thesen waren in der Öffentlichkeit angekommen, sie wurden diskutiert und als hilfreich für die Umsetzung empfunden.

Erstaunlich: Die Landeskirche übte weiter konstruktive Selbstkritik. Sie wertete die Erfahrungen mit den 2010 gestarteten 12 Projekten aus. Das Ergebnis: Einige waren erfolgreich, andere nicht. Die Gründe dafür bestanden unter anderem darin, dass nicht ausreichend auf personelle und zeitliche Ressourcen geachtet wurde. Wenige Akteure und Akteurinnen hatten zu viele Projekte begleitet. Und: Es wurde immer noch zu viel „von oben“ agiert, ohne Anbindung an regionale Mitarbeitende. Werden auf diese Weise Reformen versucht, laufen sie ins Leere – das ist die wichtige Erkenntnis dieser Phase. Damit war klar: Es geht um Vernetzung, um Erfahrungsaustausch, um Wissen teilen.

An diesem Punkt stehen Sie jetzt?

Rumpff: Ja. Die Zeit, in der man glaubte, mit kirchleitenden Thesen, Papieren und Handlungsempfehlungen Neuerungen in Gang zu setzen, ist seitdem endgültig vorbei; das haben wir teilweise schmerzhaft lernen müssen. Die Situation vor Ort, in den Gemeinden, ist sehr unterschiedlich und muss für sich gesehen werden. Veränderungen lassen sich nur erwirken, wenn die Menschen vor Ort sie wollen und tragen. Deswegen entwickeln wir eine Unterstützungskultur. Wir beraten und erkunden im Gespräch: Worin bestehen die Hauptherausforderungen eines Projektes? Was können wir an Unterstützung bieten? Wir bieten Menschen Raum an für Austausch. Unsere Aufgabe dabei ist, Gespräche zu organisieren, Themen zu bündeln und methodische Hilfen zu geben. Die Ziele werden immer von den Beteiligten selbst erarbeitet. Aus Rückmeldungen wissen wir, dass dies als sehr hilfreich empfunden wird. Diese Arbeitsweise ist ein sehr großer Unterschied zur bisherigen. Unser Ziel ist nicht, landeskirchlich definierte Projektideen umzusetzen oder nach unten durchzureichen. Unser Ziel ist, mit Engagierten vor Ort Projekte zu realisieren. Vorgaben aus dem Konsistorium, dem Kirchenamt, helfen nicht weiter.

Hat Kirchenreform etwas mit der Machtfrage zu tun?

Rumpff: In jedem Fall. Auch Macht von oben muss geteilt werden. Was für eine tolle Vorstellung: Alle würden im Team arbeiten. Viele Kirchenverantwortliche von der mittleren Ebene an denken noch immer, sie seien unersetzlich. Das ist mein Traum von Kirche: Bischöfe und andere Kirchenleitende hetzen sich nicht mehr durch ihre zu 200 Prozent gefüllten Kalender. Gemeinden werden beteiligt. Da, wo tatsächlich etwas passiert und vorangebracht wird, müssen die Ressourcen hin! Die Kirchenleitenden fahren herum in die Gemeinden und Werke und sind da, wenn sie gebraucht werden und stoßen Diskussionsprozesse an. Sie sind befreit vom Zwang, alles kontrollieren zu müssen. Sie lassen die Mitarbeitenden ihre Ideen umsetzen.

Das klingt nach einem langen Weg.

Rumpff: Ja, aber um den langen steinigen Weg mit vielen Schlaglöchern und Enttäuschungen kommt man nicht rum. Wichtig ist, die Erfahrungen zu reflektieren, immer wieder Zwischenstände einzuholen, auch mit Externen, also Beobachter von außen analysieren zu lassen: Was wurde getan? Was wurde damit verändert oder gar erreicht? Die Rückmeldungen müssen ernst genommen werden. Und es ist ständige Kreativität nötig: Wie können wir die Arbeitsprozesse anpassen, was können wir noch probieren? Das ist nicht leicht, aber in der EKBO wird das gemacht. Das hat mich beeindruckt und ist der Grund dafür, weswegen ich daran mit Leidenschaft mitarbeite. Obwohl mir die Kirche manchmal wie ein behäbiger Tanker vorkommt und viele Strukturen noch fest sind, gibt es den unbedingten Willen, sich zu ändern und Kirche so attraktiv zu machen, dass sie zukunftsfähig wird.

Und wenn wieder neue Kirchenaustrittszahlen zu berichten sind: frustriert das nicht die Beteiligten?

Rumpff: Unsinn. Was bilden die denn ab? Sie sagen nichts darüber aus, mit welchen Menschen wir wirklich arbeiten, die engagiert sind. Das ist Zahlenwerk. Da geht’s um Geld. Geld ist aber nicht das einzige oder wichtigste an Unterstützung. Ich ärgere mich darüber, dass Kirchenreform mitunter an Zahlen festgemacht wird, statt genau hinzusehen: Wo sind wir aktiv? In jeder Gemeinde gibt es Initiativen und eine christliche Werte-Gemeinschaft. Das lässt sich doch nicht in Zahlen abbilden! Wir sollten aufhören, im Rahmen des Kirchensteuermodells zu denken. Und können auch fragen: Wie würde Kirche denn ohne Kirchensteuer leben? Auch da könnten wir einiges ausprobieren.

Was würden Sie persönlich denn gerne umsetzen?

Rumpff: Ein Lieblingsprojekt wäre ein Stellentausch für einen Tag. Mitarbeitende aus den Kirchenämtern arbeiten für einen Tag in einer Kirchengemeinde – und umgekehrt. Das würde den Blickwinkel verändern und sicherlich zu besseren Diskussionen führen. Wir müssen aus unseren selbstgemachten Blasen rauskommen und über den Tellerrand gucken. Wir tun das gerade schon in dem Projekt „Dritte Orte“: Hier unterstützt die Landeskirche Projekte, die nicht in Kirchengemeinden oder kirchlichen Einrichtungen stattfinden, sondern ganz woanders. Link: 

Und was, wenn mal ein Projekt scheitert?

Rumpff: Dann ist das schade – bedeutet aber letztlich eine weitere Lernmöglichkeit. Bloß nicht schämen! Auch aus gescheiterten Projekten kann man lernen und trotzdem „Gewinn“ ziehen – wenn die Beteiligten sich über die Gründe klar werden. Das machen wir zu wenig.

Meine berufliche Erfahrung ist: Ich kann Leute nicht auf den richtigen Weg tragen, kann immer nur die Folgen des Handelns beschreiben: „Wenn Sie das machen, dann passiert das und das.“ Und ich kann ihnen Möglichkeiten eröffnen, es anders zu machen. Die Entscheidungen müssen sie aber immer selbst treffen. Scheitert ein Projekt, ist das in Ordnung, dann kommt es darauf an, die Scherben gemeinsam aufzusammeln und Trauerprozesse in Gang zu setzen. Wir versuchen das derzeit mit dem Projekt „Fuck Up-Stories“, das Scheitern aus der Tabu-Zone zu holen: eine experimentelle Form von Seelsorge, Beichte und Gemeindeentwicklung. 

Greifen die Reformprozesse schnell genug?

Rumpff:  Gerne würde ich mich vom Wort „Reformprozess“ verabschieden. Alles ist doch ständig in Veränderung! Diese Veränderungsprozesse müssen schneller gehen, damit wir auf der krassen Sparwelle, die auf uns zukommt, surfen können und nicht in ihr untergehen. Wir sollten uns bemühen, die anstehenden Einsparungen nicht nach dem Rasenmäherprinzip vorzunehmen. Da hoffe ich, dass die im Kirchenamt Entscheidenden auf die Expertise ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hören. Wir können auch Einsparungen befristet vornehmen und sehen: Was passiert, wenn wir Arbeitsfelder nicht mehr bezahlen können?

Ich vertraue darauf, dass dann Neues entsteht.

Die kommende Synode der EKD beschäftigt sich mit dem Thema „Kirche der Zukunft“. Welchen Wunsch haben Sie an das Gremium?

Rumpff: Grundsätzlich sollten kirchliche Gremien sehr zurückhaltend mit Papieren, Handlungsideen und Leitsätzen sein. Wichtig wäre, den Austausch und die Vernetzung der Landeskirchen untereinander zu ermöglichen. Und Raum zu geben, in dem Gutes entstehen wird, da bin ich mir sicher. Und, ganz wichtig: Die Gemeinden müssen ernst genommen werden. Sie können sehr gut eigene Lösungen finden und umsetzen. Dazu brauchen sie Vertrauen und Unterstützung.

Drei meiner Lieblingsprojekte
Screenshot:Missionarische Erprobungsräume im Kirchenkreis Zossen-Flämig:

Missionarische Erprobungsräume im Kirchenkreis Zossen-Flämig

REFO Moabit

REFO Moabit - www.refo-moabit.de
Kirche - Campus - Unit

Film über das Projekt (YouTube-5,34 min)
 

Screenshot: Theologie der Stadt

Theologie der Stadt

Arlett Rumpff (42) ist seit Anfang 2020 EKBO-Referentin für Innovation, Kommunikation und Projektmanagement. Seit 2014 begleitet sie den Reformprozess „Salz der Erde“ als Geschäftsführerin. Ihre vorherigen beruflichen Stationen: Büroleitung im Deutschen Bundestag, Vorstandsassistenz bei der Bayerische Börse AG und verschiedene Positionen bei den Deutschen Evangelischen Kirchentagen.

Kontakt:

Arlett Rumpff
Referentin für Innovation, Kommunikation und Projektmanagement

Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
Goethestr. 26-30
10625 Berlin

Tel. 030-3191-421
E-Mail: a.rumpff@ekbo.de
Internet: https://innovation.ekbo.de

Publikationen aus dem Reformbüro der EKBO 

Film zum Reformprozess der EKBO „begabt und mutig“

12 Jahre Reformprozess Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz

©Foto:

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