„... damit ihr nicht traurig seid“ - Christlicher Umgang mit Sterben und Tod

Eine Handreichung der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland und der Evangelischen Kirche in Deutschland, 2018

Das Gedächtnis der Verstorbenen

Das Handeln der Kirche im Umfeld von Sterben und Tod

„Ewig währe dein Andenken, … wir werden deiner immer gedenken!“
(orthodoxe Totenandacht)

Weil die Kirche als Leib Jesu Christi nach evangelischem und nach orthodoxem Verständnis sowohl die Lebenden als auch die Entschlafenen umfasst, gedenken wir der Toten. In ihren kulturellen Kontexten haben beide Traditionen je eigene gottesdienstliche Formen dieses Gedenkens entwickelt. Beide kennen darüber hinaus den Brauch, im familiären Rahmen an die Verstorbenen zu erinnern.


Evangelisch:

Die evangelische Kirche pflegt das Gedenken der Verstorbenen am letzten Sonntag des Kirchenjahres, dem „Totensonntag“ bzw. dem „Ewigkeitssonntag“. Die Gottesdienstordnungen bieten dafür zwei unterschiedliche inhaltliche Akzentsetzungen: Der „Gedenktag der Entschlafenen“, der auch „Totensonntag“ genannt wird, bedenkt mit den Worten 90. Psalms die Endlichkeit des Lebens: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Psalm 90,32). Diesem Wissen setzt das Wochenlied des Totensonntags ein aus der Glaubenszuversicht gesprochenes „dennoch“ entgegen:

Gut und Blut, Leib, Seel und Leben / ist nicht mein, Gott allein / ist es, der’s gegeben. / Will er’s wieder zu sich kehren, / nehm er’s hin; ich will ihn / dennoch fröhlich ehren.
Evangelisches Gesangbuch 370

Die Gottesdienstordnung zum „Ewigkeitssonntag“ weist in besonderer Weise auf den Trost im Sterben hin. Die biblische Lesung des Gleichnisses von den fünf klugen Jungfrauen fordert zur geistlichen Wachheit auf: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen“ (Lukas 12,35). Das Wochenlied des Ewigkeitssonntags „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ nimmt dieses Motiv auf:

Zion hört die Wächter singen, / das Herz tut ihr vor Freude springen, / sie wachet und steht eilend auf. / Ihr Freund kommt vom Himmel prächtig, / von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig, / ihr Licht wird hell, ihr Stern geht auf. / Nun komm, du werte Kron, / Herr Jesu, Gottes Sohn! / Hosianna! / Wir folgen all zum Freudensaal / und halten mit das Abendmahl.
Evangelisches Gesangbuch 147

In vielen evangelischen Gottesdiensten werden am Totensonntag / Ewigkeitssonntag die Namen der Verstorbenen verlesen. Oft werden die Zugehörigen der Verstorbenen eigens zu Andachten auf den Friedhöfen eingeladen, wo man für diesen Tag die Gräber schmückt.


Orthodox:

Die orthodoxe Kirche unterscheidet zwischen dem Totengedenken für den einzelnen Verstorbenen und dem allgemeinen Totengedenken für alle verstorbenen Christen.
Nach dem Tod eines orthodoxen Christen versammelt sich die Gemeinde bzw. die Zugehörigen des Verstorbenen am dritten Tag, um für ihn zu beten. Dieser Tag symbolisiert die Auferstehung Christi.

Das für orthodoxe Christen wichtigste Gebet für den Verstorbenen wird am vierzigsten Tag nach dessen Tod gesprochen. Denn nach der Vorstellung der orthodoxen Christen tritt die Seele des Verstorbenen zu diesem Zeitpunkt das erste Mal vor Gott. Das geschieht zur Erinnerung daran, dass Christus am vierzigsten Tag nach seiner Auferstehung zum Vater heimkehrte.

Darüber hinaus wird auch an anderen Tagen je nach lokaler Tradition für den Verstorbenen gebetet. Das Gedächtnis zum Jahrestag findet in der Kirche statt.

Jeder Samstag ist in der orthodoxen Kirche den Verstorbenen gewidmet. Daneben kennt das Kirchenjahr zwei spezielle Totensamstage (Seelensamstage): den Samstag vor der Großen Fastenzeit zu Ostern und den Samstag vor Pfingsten; mancherorts wird auch der Samstag vor dem Fest des Heiligen Demetrios dazu gezählt. An diesen Samstagen versammelt sich die Gemeinde zunächst in der Kirche zur Liturgie, um danach auf dem Friedhof das allgemeine Totengedächtnis für alle Verstorbenen zu feiern. In einigen Regionen finden am Freitag nach Ostern oder am Montag nach dem „Thomassonntag“ (erster Sonntag nach Ostern) Prozessionen zu den Friedhöfen statt, um die Freude der Auferstehung Christi mit den Verstorbenen zu teilen.

Zentrales Anliegen der Gebete bzw. des liturgischen Totengedächtnisses ist die Bitte um Vergebung der Sünden und das Heil der Seelen der Verstorbenen. Dabei werden Kerzen angezündet, gekochter Weizen (als Symbol für die Auferstehung) gereicht und die Grabstelle kreuzförmig mit Wein übergossen.

Auch bei der Vorbereitung der Gaben für die Eucharistie gedenkt der Priester vor jeder Göttlichen Liturgie aller Verstorbenen, die ihm namentlich bekannt sind.

Im Gebet für die Verstorbenen, als einem festen Bestandteil des Gottesdienstes, und im regelmäßigen liturgischen Gedächtnis im Laufe des Kirchenjahres, kommen Verbundenheit, Fürsorge und Liebe, die über den Tod hinausgehen, gegenüber den Verstorbenen zum Ausdruck. Gleichzeitig erinnern die liturgischen Texte an die eigene Vergänglichkeit und mahnen die Lebenden zum verantwortungsvollen Umgang mit dem Gottesgeschenk des irdischen Lebens.

Alle menschlichen Dinge sind eitel. Sie bleiben uns nicht nach dem Tode. Es bleibt nicht der Reichtum, der Ruhm geht nicht mit uns. Beim Nahen des Todes entschwindet dies alles. Deshalb lasset uns zu Christus, dem unsterblichen König, rufen: Bringe zur Ruhe, die von uns Geschiedenen, wo die Wohnstatt derer ist, die sich freuen in Dir.
Aus der orthodoxen Begräbnisordnung

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