„Gib die Mutti doch ins Heim“

Mit einem Kursprogram unterstützt die Diakonie pflegende Angehörige von Demenzkranken

Fünf Jahre hat Ursula Stebel durchgehalten. Dann konnte sie nicht mehr. Vor rund zehn Jahren hatte sie eine Diagnose bei ihrer Mutter aus der Bahn geworfen: Alzheimer. Fünf Jahre kümmerte sie sich zu Hause um ihre Mutter, bis es nicht mehr ging, zu aufreibend wurde – neben Arbeit, Privatleben, Haushalt.

Personen halten sich an den Händen
Die Versorgung und Betreuung Demenzkranker ist für die pflegenden Angehörigen körperlich wie seelisch eine große Belastung.

Das Schlimmste neben der emotionalen und der körperlichen Belastung durch die kranke Mutter war das mangelnde, oft auch gar nicht vorhandene Verständnis, wie belastend die Situation für Stebel war. „Gib die Mutti doch ins Heim“, sagten ihre Geschwister. Das aber konnte sie damals noch nicht. „Dann bist du selbst schuld“, hieß es.

Wissen geht nicht über Vorurteile hinaus

So wie Ursula Stebel (alle Namen der Betroffenen geändert) geht es vielen Angehörigen von Demenzkranken oder auch Ehrenamtlichen, die sich in dem Bereich engagieren. „Jeder hat schon mal was von Alzheimer oder Demenz gehört“, sagt Schwester Christiane Schuh, Pflegefachkraft für Geronto-Psychiatrie bei der Diakonie Neuendettelsau. Aber wirklich tief gehe das Wissen nicht, oft gehe es nicht einmal über Vorurteile hinaus. „Vergesslichkeit ist oft das einzige, was die Menschen mit Alzheimer und Demenz in Verbindung bringen“, sagt die Leiterin des Kurses „Edukation Demenz“, mit dem betroffene Angehörige unterstützt werden sollen.

Entwickelt hat das Kursprogramm Sabine Engel. Ziel ist es, Angehörigen, Betroffenen und Ehrenamtlichen ein besseres Leben mit der Krankheit zu ermöglichen. Engel, die zwischen 2008 und 2013 die Professur für psychogerontologische Intervention am Institut für Psychogerontologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg innehatte, will den Teilnehmern verschiedene Aspekte näherbringen. Zum einen Infos über die verschiedenen Krankheitsbilder, deren Verläufe, Symptome und die Therapie, aber auch wie man mit Demenzkranken kommuniziert oder auch was es für Entlastungsmöglichkeiten für Angehörige gibt.

„Oft fühlen sich die Angehörigen alleingelassen“, sagt Christiane Schuh. Denn auch wenn Demenz kein Tabuthema mehr ist – im direkten sozialen Umfeld sind die Isolation und die Belastung für pflegende Angehörige enorm. Eine Erfahrung, die auch Isolde Korn gemacht hat. „Die Oma – also meine Schwiegermutter – hat seit zehn Jahren Demenz“, sagt sie. Tagsüber pflegt sie die Frau, nachts arbeitet die selbstständige Unternehmerin dann die Berge auf ihrem Schreibtisch ab. Nie könne man die Schwiegermutter alleine lassen: „Ich kann nicht mal einkaufen oder zum Friseur, ohne eine Betreuung zu organisieren.“

Angehörige reiben sich auf bis zum Burn-out

Viele Angehörige rieben sich auf bis zum Burn-out, sagt Expertin Schuh: „Es ist für viele Menschen nicht leicht, sich einzugestehen, dass sie nicht mehr alleine zurechtkommen.“ Die Diakonie Neuendettelsau etwa bietet neben Heimplätzen auch Tagesbetreuung für Demenzkranke an, damit die Angehörigen stundenweise entlastet werden. Aber auch das kann nicht jeder zulassen, betont Schuh.

Im Kurs bekommen die Angehörigen Tipps und Ratschläge für ihren Alltag: „Negative Gedanken zum Beispiel sind wenig hilfreich“, erklärt Schuh: „Es bringt Ihnen nichts, wenn Sie sagen: ‚Jetzt hat er schon wieder die Einlage nassgemacht, kaum dass wir zehn Meter aus dem Haus sind! Das macht der immer!‘“ Denn Absicht stecke bei kaum einer Verhaltensweise von Demenz-Patienten dahinter: „Sie fangen mit dem Essen an, ohne zu warten. Sie sind fordernd, manchmal regelrecht unverschämt. Sie sind sehr direkt, haben ihre Gefühle nicht mehr unter Kontrolle.“ Das ist schwierig für die Betroffenen – und die Angehörigen.

Aber auch Experten können den Angehörigen zusetzen. Mechthild Fiedler erinnert sich an einen Besuch mit ihrem demenzkranken Mann bei einem Neurologen: „Ich war vollkommen überlastet, brauchte Hilfe und wollte mit dem Arzt über eine Betreuungsgruppe sprechen, bei der mein Mann am Nachmittag stundenweise einen Platz bekommen hätte.“ Der Arzt jedoch redete ihr ein schlechtes Gewissen ein: „Was wollen Sie ihrem Mann da antun?“

Daniel Staffen-Quandt