Zum Inhalt
Eine Hand hält das Grundgesetz

Demokratie und Kirche

Der Weg der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Anerkennung der Demokratie

In der Geschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich über einen langen Zeitraum hinweg eine große Zurückhaltung gegenüber der Demokratie gehalten. Die Gründe dafür lassen sich auf den politischen Kontext ihrer Entstehungsgeschichte zurückführen. Die Reformation und die Entstehung der evangelischen Kirchen in Deutschland im 16. Jahrhundert waren nur durch den Schutz und die Unterstützung der jeweiligen Landesherren möglich. Das hatte nachhaltige Folgen: die Herrschaft von Fürsten und Monarchen wurde für den Protestantismus in Deutschland für sehr lange Zeit zur politischen Leitvorstellung. Die Demokratie der Weimarer Republik (1918 – 1933) wurde von kirchlicher Seite aus skeptisch betrachtet und demzufolge kaum unterstützt. In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft (1933 – 1945) fehlte es konsequenterweise – trotz bemerkenswerter einzelner Initiativen – an wirksamen protestantischen Widerstandskräften.

 

Traditionelle Vorstellungen wirkten in der Nachkriegszeit fort

Auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs stand die EKD der demokratischen Staatsverfassung zunächst zurückhaltend gegenüber. In Theologie und Kirche wirkten traditionelle Vorstellungen einer von Gott gegebenen monarchisch verfassten Obrigkeit nach, hinzu kam die Überzeugung von der menschlichen Sündhaftigkeit, die ordnende und pazifizierende Autoritäten als unverzichtbar erscheinen ließ.

Wandel in der Zeit nach 1960 bis zum Jahr 1985

Ein klarer Wandel des Verhältnisses der EKD zur Demokratie wird im Jahr 1985 formuliert: in der vom Rat der EKD beschlossenen Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe“. In dieser grundlegenden Schrift werden längere Entwicklungen der vorausgegangenen Jahrzehnte ab 1960 gebündelt und die Staatsform der freiheitlichen Demokratie schließlich aufgrund ihrer Nähe zum christlichen Menschenbild begrüßt sowie anerkannt, dass „nur eine demokratische Verfassung […] heute der Menschenwürde entsprechen [kann]“[1]  und „keine heute bekannte Staatsform […] eine bessere Gewähr [bietet]“[2] , gegenwärtig zu bewältigende Probleme zu lösen.

Positive Beurteilung der freiheitlichen Demokratie heute

Angesichts der gegenwärtig festzustellenden Vielfalt von Demokratien und demokratischen Staatsordnungen ist darauf hinzuweisen, dass sich die im Anschluss an die Demokratie-Denkschrift von 1985 selbstverständlich gewordene positive kirchliche Beurteilung und Anerkennung der Demokratie auf eine freiheitliche, an Grundgesetz und Grundrechte gebundene sowie sozialstaatliche Form der Demokratie bezieht, mithin auf den freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland.

Theologische Einsicht: Menschen übernehmen Verantwortung 

Dass sich in der evangelischen Theologie und Kirche durchgesetzt hat, die Demokratie als anzuerkennende Form des von Gott gegebenen obrigkeitlichen Auftrags anzusehen, ist zum einen der theologischen Einsicht zu verdanken, dass sich Menschen trotz aller Sündhaftigkeit auch zur Verantwortungsfähigkeit eignen. Dadurch wird die Fähigkeit des Menschen, im demokratischen Staat Verantwortung zu übernehmen und diesen mitzugestalten, gewürdigt. Daneben  sorgt ein weites Verständnis des lutherischen Berufsethos dafür, die Verantwortung der evangelischen Bürger und Bürgerinnen für die Gestaltung ihres demokratischen Staates als Teil ihres Berufes in der Welt, d.h. ihres Diensten an den Nächsten, zu verstehen. Dadurch wird diese Verantwortung geradezu zur Aufgabe jedes und jeder einzelnen.

Oberkirchenrätin Dr. Dorothee Godel,
Referentin für Fragen der öffentlichen Verantwortung der Kirche

 

[1]  Vgl. Kirchenamt der EKD (Hg.): Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1985, S. 14.

[2]  Vgl. Kirchenamt der EKD (Hg.): Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1985, S. 40.

Download