Zur Weiterentwicklung von Lehramtsstudiengängen Evangelische Religionslehre

Empfehlungen der Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums, EKD-Text 126, Hrg. EKD, Dezember 2015, ISBN: 978-3-87843-041-4

Empfehlungen

1. Berufsfeldbezogene Kompetenzorientierung

Theologisch-religionspädagogische Kompetenz als Ziel des Lehramtsstudiums anstreben

In den »Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung« betont die Kultusministerkonferenz (KMK), dass sich diese zentral aus den Anforderungen im Berufsfeld von Lehrkräften ableiten; sie beziehen sich auf »die Kompetenzen und somit auf Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen, über die eine Lehrkraft zur Bewältigung ihrer Aufgaben im Hinblick auf das jeweilige Lehramt verfügen muss« (KMK 2008, 3). Dabei stehen an erster Stelle »Grundlegende Kompetenzen hinsichtlich der Fachwissenschaften, ihrer Erkenntnis- und Arbeitsmethoden sowie der fachdidaktischen Anforderungen«, die »weitgehend im Studium aufgebaut« werden (ebd.), während die »Vermittlung mehr unterrichtspraktisch definierter Kompetenzen ... vor allem Aufgabe des Vorbereitungsdienstes« ist (ebd).

Dementsprechend sollen im Lehramtsstudium für das Fach Evangelische Religionslehre die Studierenden eine grundlegende theologisch-religionspädagogische Kompetenz erwerben, »die sich in der weiteren Ausbildung und im Verlauf der beruflichen Tätigkeit entfaltet und sie befähigt, mit Lern- und Bildungsprozessen in ihrem späteren Berufsfeld fachlich, didaktisch und pädagogisch angemessen umzugehen« (KMK 2008, 47). »Theologisch-religionspädagogische Kompetenz meint dabei die Gesamtheit der beruflich notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten, der Bereitschaft und berufsethischen Einstellungen, über die ein Religionslehrer bzw. eine -lehrerin verfügen muss und die es ihnen ermöglicht, mit der Komplexität von beruflichen Handlungssituationen konstruktiv umzugehen, d. h. religionspädagogisch handlungsfähig zu sein.« (EKD 2009, 16) Dabei erhält im theologischen Lehramtsstudium, im Vergleich zu anderen Lehramts-Fächern, die persönliche Auseinandersetzung mit den fachwissenschaftlichen Inhalten und Perspektiven ein besonderes Gewicht, weil die Klärung eigener Glaubensfragen und theologischer Positionen eine zentrale Voraussetzung für erfolgreichen Religionsunterricht darstellt.

Das Studium der Evangelischen Theologie/Religionspädagogik setzt somit zwar phasenbezogen Schwerpunkte, muss aber den gesamten Qualifikationszeitraum der ersten, zweiten und dritten Ausbildungsphase beachten. Die Anforderungen an die fachwissenschaftliche und fachdidaktische Ausbildung im Studium können also nicht isoliert entfaltet werden, sondern sollen für die nachfolgenden Bildungsphasen nicht nur anschlussfähig sein, sondern auch auf den Qualifikationserwerb in diesen Phasen einschlägig vorbereiten. Lehramtsstudiengänge in Evangelischer Theologie/ Religionspädagogik sind daher implizit und explizit auf die Kompetenzanforderungen der zweiten und dritten Phase der Lehramtsausbildung zu beziehen.

2. Leitkompetenz und Teilkompetenzen

Das Studium als systematischen Kompetenzaufbau konzipieren

»Grundlage professioneller Identität ist die Auseinandersetzung mit der theologischen Fachwissenschaft im Studium, in deren Verlauf Studierende eine berufsbezogene theologische Kompetenz erwerben sollen. Diese berufsbezogene theologische Kompetenz ist die notwendige Voraussetzung für den Erwerb aller übrigen beruflichen Kompetenzen.« (EKD 2009, 18)

Das komplexe Berufsfeld von Religionslehrkräften erfordert in diesem Sinne differenzierte Kompetenzen in den schulischen Handlungsfeldern (KMK 2008, 47):

  • Fachwissenschaftliche Kompetenz
  • Rollen- bzw. Selbstreflexionskompetenz
  • Wahrnehmungs- und Diagnosekompetenz
  • Theologisch-didaktische Erschließungskompetenz
  • Gestaltungskompetenz
  • Dialog- und Diskurskompetenz
  • Entwicklungskompetenz.

Diese Kompetenzen müssen bereits im Studium angebahnt und mit entsprechenden Ausbildungsangeboten hinterlegt werden. Dabei kommt es auf einen systematischen Kompetenzaufbau an, der sich in einer entsprechenden Abfolge der Module niederschlägt. Allerdings differieren die Schwerpunkte der einzelnen Ausbildungsphasen: Während in der ersten Phase, dem Studium, die fachwissenschaftliche Kompetenz, die theologisch-didaktische Erschließungskompetenz und die Dialog- und Diskurskompetenz im Mittelpunkt stehen, bilden die Teilkompetenzen Wahrnehmungs- und Diagnosekompetenz, Gestaltungs- und Entwicklungskompetenz stärker den Fokus der zweiten und dritten Phase der Ausbildung. Bindeglied zwischen beiden Schwerpunkten ist die Rollen- bzw. Selbstreflexionskompetenz, die auf die Entwicklung einer geklärten Identität als Religionslehrkraft zielt. Allerdings wird die Ausbildung der Teilkompetenzen der zweiten Phase sowohl durch das konzeptuelle Wissen der ersten Phase als auch durch die zunehmende Integration von Praxisphasen in das Studium vorbereitet.

3. Fachwissenschaften und Fachdidaktik

Die wissenschaftliche Lehre konzentrieren

Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Studienanteile sollen im Lehramtsstudium miteinander verschränkt werden, damit Studierende die Bedeutsamkeit fachlichen Wissens für ihre künftige Berufstätigkeit einzuschätzen lernen. Daher ist die Fachdidaktik nicht als simplifizierende Applikationstechnik misszuverstehen oder zu verwechseln mit Unterrichtsmethodik; vielmehr bildet sie prospektiv den Referenzrahmen für das wissenschaftlich fundierte theologische Lehramtsstudium und hat demnach eine konstitutive Relevanz für die Konstruktion lehramtsbezogener Studiengänge.

Die spezifischen Bedingungen des Studiums und die konkreten Anforderungen des Berufsfeldes der Lehramtsstudierenden machen es notwendig, dass die wissenschaftliche Lehre sich stärker konzentriert auf grundlegende Strukturen, Probleme und Schlüsselfragen, wie etwa Exemplarität und Kontextualität sowie zentrale methodische Verfahren der Erkenntnisgewinnung. Zwar ist die wissenschaftliche Fachsystematik anders strukturiert als die curriculare Systematik des Schulfachs Evangelische Religionslehre, dennoch sollte der Blick auf das, was künftige Lehrkräfte an ihren Schulen unterrichten werden, bei der Auswahl und der Profilierung der Studieninhalte mit berücksichtigt werden. Angesichts der zunehmenden Bedeutung heterogener Lerngruppen sollten insbesondere auch solche Lernangebote theologischreligionspädagogisch erschlossen werden, die der Herausforderung des inklusiven Unterrichts gerecht werden.

Daher ist für alle Dozentinnen und Dozenten im Lehramtsstudium Evangelische Theo- logie/Religionspädagogik die Kenntnis des Praxisfeldes Religionsunterricht und seiner Rahmenbedingungen hilfreich und nützlich. Dies entspricht auch dem hochschul- didaktischen Grundprinzip der Adressatenorientierung.

Der Ausweis eines Kerncurriculums ist für Lehramtsstudiengänge unabdingbar. Mit dem Begriff »Kerncurriculum« ist hier eine Fokussierung der Studieninhalte auf zentrale theologische und didaktische Leitfragen gemeint, die für die künftigen Lehrkräfte eine Art »Roten Faden« zur Orientierung ihrer Lehrtätigkeit abgeben.

Individuelle Schwerpunktsetzungen ermöglichen

Die Lehramtsstudierenden sind mit ihren beiden Fächern auf ein solides Fundament einer wissenschaftlichen Ausbildung und Theorie-Praxis-Reflexion angewiesen und brauchen daher ein auf ihre zeitlichen und künftigen beruflichen Erfordernisse zugeschnittenes Studienangebot. Darüber hinaus sollten jedoch Bereiche ausgewiesen werden, die es den Studierenden ermöglichen, Schwerpunkte zur Vertiefung und Erweiterung ihrer Kompetenzen selbst zu wählen und zu setzen. Ein engagiertes Verhältnis zu theologischem Denken bedarf dringend strukturell möglicher Freiräume für die Auseinandersetzung mit eigenen Fragen. Für Religionslehrkräfte ist es notwendig, eine Begeisterung, Leidenschaft und Neugier für theologisches Fragen und Nachdenken zu entwickeln, um einen lebendigen und lebensförderlichen Religionsunterricht anstreben zu können.

4. Disziplinarität - Interdisziplinärst

Zu vernetztem, mehrperspektivischem Denken befähigen

Der je spezifische Charakter der theologischen Fachdisziplinen sollte ebenso zur Geltung kommen wie ihre Wechselbeziehungen im Sinne eines vernetzten theologischreligionspädagogischen Denkens. Eine Stärkung interdisziplinärer Studienangebote dient der Verknüpfung von Kenntnissen, der mehrperspektivischen Wahrnehmung von Problemen und der Schärfung des theologischen Problembewusstseins. Insbesondere fördern interdisziplinäre Veranstaltungen den Erwerb der Dialog- und Diskurskompetenz. Dazu erscheint eine hochschuldidaktisch reflektierte interdisziplinäre Einführung sowie eine im Lauf des Studiums voranschreitende Progression von disziplinären zu interdisziplinären Modulen bzw. Lehrveranstaltungen sinnvoll. Im MA- Studium sind vertiefende disziplinbezogene Veranstaltungen sinnvoll.

Darüber hinaus ist es speziell für Lehramtsstudierende, die jeweils zwei Fächer studieren und sich später in einem breiten Spektrum schulischer Bildungsangebote zurechtfinden und positionieren müssen, hilfreich, wenn sie bereits im Studium in fachübergreifenden interdisziplinären Veranstaltungen Perspektiven anderer Wissenschaften kennenlernen und sich mit ihnen auseinandersetzen können. In jedem Studiengang sollten daher entsprechende Angebote, z. B. mit Lehrenden der Philosophie, der Religionswissenschaften und der Naturwissenschaften, vorgehalten werden. Solche Angebote können ggf. auch als (Wahl-)Pflichtmodule im Studiengang verankert werden.

5. Subjektorientierung

Die Entwicklung der beruflichen Identität unterstützen

Die Studierenden sollen als Subjekte ernst genommen werden, die ihren je einzigartigen religiösen Erfahrungshintergrund und ihre individuelle Bildungsbiographie an die Universität mitbringen. Sowohl das Berufsziel Lehramt als auch der Inhalt Religion/ Theologie bedingen eine verstärkte Beachtung der Persönlichkeitsentwicklung im Studium, die auch die Bildung einer beruflichen Identität als Religionslehrerin oder Religionslehrer umfasst. In anderer Weise als Lehrerinnen und Lehrer anderer Fächer sind Religionslehrerinnen und -lehrer mit ihrer gesamten Biographie, ihrer Person und ihren Lebensvollzügen in unverkennbarer, aber individuell verschieden ausgeprägter Weise in religiöse Kontexte involviert. Von der eigenen Beziehung zum christlichen Glauben und zur evangelischen Kirche werden das berufliche Selbstkonzept, das Berufsethos, die Werthaltungen und die Wahrnehmung der eigenen Rolle als Religionslehrerin oder Religionslehrer ebenso beeinflusst wie die Gestaltung des Unterrichts und die Realisierung der über den Unterricht hinausgehenden Funktionen und Aufgaben. Die Entwicklung der beruflichen Identität ist ein ausbildungs- und berufsbegleitender Prozess, der individuellen Wandlungen unterworfen ist, sich in Auseinandersetzung mit vielfältigen Faktoren vollzieht und sich prinzipiell einer Operationalisierung und Überprüfbarkeit entzieht. Grundlage professioneller Identität ist daher neben der Auseinandersetzung mit der theologischen Fachwissenschaft und -didaktik im Studium, in deren Verlauf Studierende eine berufsbezogene theologische Kompetenz erwerben, immer die Persönlichkeitsbildung - auch im Sinne einer kritischen Reflexionsfähigkeit der eigenen religiösen und theologischen Bildungsprozesse.

Das Studium der Evangelischen Theologie für Lehramtsstudierende sollte daher möglichst eine Studienbegleitung sowie immer auch Angebote einschließen, die den Studierenden eine Reflexion ihrer eigenen religiösen Biographie ermöglichen und ihren Blick für die evangelische Kirche als Bezugspunkt und möglichen Glaubens-, Lebens- und Praxisort schärfen.

6. Arbeits- und Lernformen

Kooperatives und selbständiges Lernen fördern

Die Studierenden konstruieren ihr Wissen, ihre Vorstellungen und ihre Haltungen letztlich in Auseinandersetzung mit bildungsorientierten Impulsen selbst. Dieser Grundeinsicht in die Psychologie des Lernens sollte in der didaktischen Anlage der Studienmodule Rechnung getragen werden. Diesem Ziel entsprechende kommunikative und individualisierende Arbeitsformen sowie eine hochschuldidaktisch sinnvolle Abwechslung zwischen instruktiven und konstruktiven Lehr- und Lernphasen sollten in die Studienstruktur integriert werden. Exemplarisch seien hier Möglichkeiten zur Förderung der persönlichen Entwicklung der Studierenden genannt, die in den gemäß der Studienordnung festgelegten Lehrveranstaltungsarten und deren Abfolge ihren Niederschlag finden (z. B. teilvirtualisierte Lehrveranstaltungen mit höherem Anteil an eigenständiger Arbeit, Projektseminare, Kombination von Vorlesung und begleitender Übung; auch Blockseminare und mentorenunterstützte Lehrveranstaltungen fördern die persönliche Entwicklung der Studierenden).

7. Praxisbezug und forschendes Lernen

Eine forschende, erfahrungsoffene professionelle Grundhaltung anbahnen

Schulpraktika sind ein wichtiger Bestandteil des Studiums. Idealerweise sollten längere zusammenhängende Phasen von Schulpraxis ermöglicht werden (z. B. begleitetes Praxissemester). Kurze Praktika von nur wenigen Wochen verfehlen häufig ihr Ziel, den Studierenden einen tieferen Einblick und ausreichende eigene Erfahrungen mit Schule und Religionsunterricht zu ermöglichen. Entscheidend für den Lernerfolg in Praktika ist jedoch, dass die Erfahrungen reflektiert, unter kundiger Assistenz von Lehrenden aufgearbeitet und mit grundlegenden theoretischen Erkenntnissen korreliert werden. Dazu gehört auch, dass in den theologisch-fachwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen fachdidaktische Perspektiven nach Möglichkeit einbezogen werden sowie in den dezidiert fachdidaktischen Lehrveranstaltungen theologisch-fachwissenschaftliche Erkenntnisse integriert werden.

Sowohl in fachwissenschaftlichen wie fachdidaktischen Lehrveranstaltungen sollen die Studierenden zu einer fragenden, forschenden Haltung angeregt und ansatzweise zu eigenem forschenden Lernen angeleitet werden. Es geht um einen basalen Habitus als Grundlage für die spätere Berufsausübung, der im Studium angebahnt und in der Vorbereitungsphase sowie in der Lehrerfortbildung weiterentwickelt werden sollte. Die Lernformen, durch die forschendes Lernen unterstützt werden kann, sind unter Punkt 6. beschrieben. Im Sinne des Berufsfeldbezugs sollen insbesondere anschauliche Beispiele aus der empirischen Praxisforschung herangezogen und die Studierenden zur eigenen praxisrelevanten Erforschung und Evaluation von Religionsunterricht befähigt werden (Integration von Lernformen, die eine eigenständige evaluative und forschende Lehr-Lernhaltung fördern, z. B. forschende Leitfragen zur Unterrichtsbeobachtung bzw. -planung).

8. Leistungsbewertung: Maß und Vielfalt

Prüfungsleistungen studienverträglich und vielfältig gestalten

Angesichts der Klagen von Studierenden über die Prüfungsflut in modularisierten Studiengängen hat die KMK betont, dass Module in der Regel mit einer Prüfung abgeschlossen werden sollten. Dies entspricht auch dem Grundgedanken, Module als eine thematisch-inhaltliche Einheit zu verstehen, die mit einem hohen »workload« ausgestattet ist. Einer Einengung und Überforderung der Studierenden durch eine Vielzahl von Modulprüfungen ist ebenso zu wehren, wie ein möglichst großes Maß an Freiheit des Studiums zu wahren ist. Zu beachten ist, dass die Vielfalt der Prüfungsarten und -elemente möglichst die Vielfalt der späteren Berufsanforderungen widerspiegelt, so dass neben Referaten, Hausarbeiten und Klausuren auch Leistungsnachweise angeboten werden, die selbstreflexive Kompetenzen im Rahmen einer Persönlichkeitsbildung fördern und sich nicht ausschließlich auf eine fachwissenschaftliche Kompetenz beziehen: z. B. Präsentationen, Kolloquien, Essays, Unterrichtsentwürfe, Projektbeschreibungen, empirische Untersuchungen, Portfolios, Lerntagebücher etc.

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