Taube und Schriftzug „Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“

Friedenskonsultation 2018

12. bis 14. September 2018 in Wittenberg

Schlüsselthema Frieden

Wir leben in einer Zeit dramatischer kriegerischer und ökonomischer Konflikte. 
Internationale Institutionen werden zunehmend handlungsunfähiger und eine tiefgreifende politische Polarisierung verunsichert viele Menschen – auch in Deutschland. Die Kirchen greifen das Thema Frieden auf und suchen nach Lösungsansätzen für eine friedlichere Welt.  

Gerechtigkeit und Frieden in den internationalen Beziehungen,

friedliches Zusammenleben in einer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft und

Erneuerung unserer Kirchen aus dem Geist der Versöhnung und des Friedens

sind auf das engste verbunden. In der Frage nach dem Frieden geht es auch um die Relevanz des Evangeliums und die künftige gesellschaftliche und politische Rolle der Kirchen.

Aufgabe der Synode der EKD wird es sein, die Friedensbotschaft des Evangeliums neu in die gegenwärtigen Herausforderungen und Aufgaben hineinzusprechen. Die Friedensdenkschrift von 2007 ist dafür ein guter Rahmen, aber längst nicht mehr ausreichend. Neben der Aufgabe, evangelische Friedensethik weiterzudenken, soll so etwas wie eine Selbstverpflichtung der evangelischen Kirche stehen, ihre eigene Botschaft und Gestalt zu prüfen und konkrete Schritte auf dem Weg zu einer "Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens" zu gehen.

Kernthemen

Das Präsidium der Synode der EKD hat eine Vorbereitungsgruppe berufen, die unter Vorsitz des Friedensbeauftragten der EKD, Renke Brahms, des leitenden Geistlichen der Bremischen Evangelischen Kirche, um Rückmeldungen aus der ganzen Breite der Friedensarbeit gebeten hat. Auf die Frage "Welches sind die wichtigsten Themen für gegenwärtige Friedensverantwortung" kamen 27 Rückmeldungen von Synodalen der EKD und der Gliedkirchen, von Organisationen, etwa aus der Mitgliedschaft der AGDF (Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden mit 31 zivilgesellschaftlichen Mitgliedsorganisationen) und der EAK (Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden als Zusammenschluss der landeskirchlichen Friedensarbeit), und von Einzelpersonen. In einem Treffen der Vorbereitungsgruppe am 21. Juni wurden die Rückmeldungen ausgewertet und in neun Kernthemen zusammengefasst, die im Rahmen der Friedenskonsultation in Wittenberg diskutiert. Für jedes der Kernthemen gibt es einen Themenpaten oder eine Themenpatin. Im Anschluss an die Friedenskonsultation sollen Arbeitsgruppen unter Beteiligung von Fachleuten diese Kernthemen vertiefen und zu knappen Stellungnahmen zusammenfassen, die im Frühjahr 2019 dem Präsidium der Synode als Grundlage für die Vorlagen der Dresdener Synodaltagung dienen werden. Die bisher benannten Kernthemen sind:

  • Frieden im Alltag, soziale Praktiken des Friedens und der Versöhnung, Zusammenleben in Verschiedenheit
  • Friedensbildung, Friedenspädagogik, Erinnerungskultur
  • Friedensspiritualität und Friedenstheologie
  • Gewalt, Gewaltfreiheit, Pazifismus
  • Interreligiosität und Interkulturalität
  • Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Entwicklung, Klima
  • Rüstung / Abrüstung, Waffentechnologie (Atomwaffen, autonome Waffensysteme, Cyberwar) 
  • Europa als Friedensprojekt
  • Friedensverantwortung der Kirche, Gestaltung von friedensfördernden Prozessen

Protokoll der Friedenskonsultation zur EKD-Synode „Frieden“ 2019

12. bis 14.September 2018 in Wittenberg

Ablaufplan der Friedenskonsultation als PDF-Datei

12. bis 14. September 2018 in Wittenberg

Begrüßung und Einführung zur Friedenskonsultation

Pastor Renke Brahms, Leitender Geistlicher der Bremischen Evangelischen Kirche und Friedensbeauftragter des Rates der EKD:  Konsultation „Auf dem Weg zu einer Kirche des Gerechten Friedens“  -  Wittenberg 12. – 14. September 2018

Andacht zur Eröffnung der Friedenskonsultation Luthergarten – Wittenberg

Pastor Renke Brahms, Leitender Geistlicher der Bremischen Evangelischen Kirche und Friedensbeauftragter des Rates der EKD

Geistlicher Impuls Morgenandacht 13. September 2018 Wittenberg

Prälaturpfarrerin Heike Bosien, Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung, Stuttgart

Abendandacht, EKD-Friedenskonsultation Wittenberg, 13. September 2018

Pfarrerin Sabine Müller-Langsdorf, Referentin für Friedensarbeit am Zentrum Oekumene der EKHN und der EKKW

Impulse zum Einstieg in die Friedenskonsultation…

  • …aus dem „Pilgrimage of Justice and Peace“ (Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens)

    “Design the will of God in a fragmented world”

    Impuls Wittenberg EKD-Friedenskonsultation 12.-14.9.2018

    Prälaturpfarrerin Heike Bosien, Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung, Stuttgart

    Am 8. März diesen Jahres in Arusha im Nordosten von Tansania stellte der Bischof der Lutherischen Kirche, Dr. Frederic Shoo bei der Eröffnung der 14. Weltmissionskonferenz des Ökumenischen Rates der Kirchen die Frage: „Wie wird unser spiritueller Pilgerweg der Zukunft aussehen? Wo ist der Ort der Spiritualität“, wenn die Welt in die vierte Industrialisierung aufbricht? Was meinen wir, wenn wir heute von Nachfolge sprechen? Die Vorsitzende des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen, Agnes Abuom von der anglikanischen Kirche in Kenia fügte dort in Arusha hinzu, wir sind zusammengekommen als Pilger des Friedens und der Gerechtigkeit. Unsere Aufgabe ist es angesichts der weltweiten Herausforderungen von Krieg und Gewalt, von Wirtschaftlichen Unrechtsbeziehungen, von Armut und Hungersnöten, von Flucht und Migration: „To design the will of God in a fragmented world“.

    Gottes Willen zeichnen in einer fragmentierten Welt.

    Wie kann das gehen? Was heißt das für Kirchen in Europa? Für Landeskirchen in Deutschland, für eine EKD-Synode 2019 wenn sie sich dem Thema Frieden widmet...“design the will of God in a fragmented world“. Mir gefällt die Begrifflichkeit. Etwas Skizzieren vom großen Shalom, in den uns Gott hineingestellt hat.

    Die Konferenz in Arusha selbst war konzipiert als ein Pilgerweg für Frieden und Gerechtigkeit, inhaltlich, methodisch, spirituell. So, dachte ich in diesen Tagen in Arusha immer wieder, genau so muss Kirche sein, genau so wünsche ich mir Begegnungen von Christen unterschiedlichster Prägung auf ihrem Pilgerweg des Friedens und der Gerechtigkeit und so könnte ich mir auch eine EKD-Synode vorstellen. Seit ich 1998 als Jugenddelegierte an der ÖRK Vollversammlung in Zimbabwe teilnahm, war ich mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen verbunden. Erlebte die ÖRK-Vollversammlungen in Harare, Porto Alegre und Busan. Begleitete die Arbeit des Zentralausschusses 15 Jahre als EKD- Delegierte. Auf der Vollversammlung in Busan 2013 beschloss der ÖRK einen Internationalen Pilgerweg für Gerechtigkeit und Frieden. Es war ein neuer großer Entwurf nach den internationalen Erfahrungen mit dem Programm zur Überwindung des Rassismus, dem Programm zur Überwindung von Gewalt, der Peace-to-the-City-Campaign, der Ökumenischen Dekade „Gewalt überwinden“ (2001-2010), nach der Internationalen Friedenskonsultation in Jamaika. Viele Kirchen weltweit haben seit Busan 2013 diesen internationalen Impuls für einen Pilgerweg aufgegriffen und haben ihn in ihrem Kontext mit Leben gefüllt. Ich möchte am Beginn unserer Konsultation hier in Wittenberg Ihnen diesen Pilgerweg und sein Konzept ans Herz legen am Beispiel der Weltmissionskonferenz in Arusha.

    Dort in Arusha kamen etwas über 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus allen Teilen der Welt zusammen aus ganz unterschiedlichen Kirchen. Anglikaner, Orthodoxe, Protestanten, Katholiken, Pfingstler, Vertreter und Vertreterinnen der unabhängigen Kirchen, der independant churches, viele junge Theologinnen und Theologen. Es war die größte Weltmissionskonferenz unter dem Dach des Ökumenischen Rates der Kirchen, die je stattfand.

    Was macht den Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens aus? Was prägte die Konferenz in Arusha? Dazu sechs Punkte:

    1. Hören auf die Stimmen aus den Kontexten – „Geschichten sind Fakten mit Seele“

    In ihrer Eröffnungsrede zum Konferenzthema „Transforming Discipleship“ / Transformierende Nachfolge sagte die junge pfingstlerisch geprägte Theologin Dr. Mutale Mulenga Kaunde aus Südafrika: Transformation does not happen in a vacuum. / Veränderung geschieht nie in einem Vakuum, sondern dort, wo ich hingestellt bin. Jetzt und Heute.

    Für uns heißt das, dass wir Gesprächspartner brauchen, wenn wir uns hier in Deutschland zu Frieden und Sicherheitspolitik in der Welt äußern. Gesprächspartner aus den Orten, wo Verwundungen stattfinden, wo Krieg und Gewalt den Alltag prägen. So wie in Aleppo, wo ein Pfarrer gegenüber Najla Kassab Abousawan äußerte: „I never exspected that my life changes so much.“

    2. Die Dimension der Klimatischen Veränderungen

    Für Prof Dr. Upolu Vaai aus dem Südpazifik von der methodistische Kirche, Unidozent und Vertreter der sog. Pacific Oceanic Philosophy heißt Frieden: Wir brauchen eine neue Beziehung zur Natur und zu den Wassern. Wir brauchen Lebensweisen, die die Ökosysteme dauerhaft schützen. Der Heilige Geist führt uns hin zur Bewahrung. Er zentriert uns neu. Der Mensch darf nicht länger im Zentrum der Schöpfung als dessen Krone stehen, sondern muss sich als Teil der Schöpfung einsortieren in Abhängigkeit, so Upolu Vaai. Wir brauchen eine Hermeneutik der Relationalität, ein neues Grundverständnis der gegenseitigen Bezogenheit. Auch und gerade in der Theologie! Für uns heißt das, das Thema Schöpfungsbewahrung und ihre Zerstörung im Blick zu haben bei unserm Nachdenken hier in Wittenberg.

    3. Anwaltschaftliches Handeln in Solidarität

    Eine Frau aus Ostkongo: Isis Kangudie Mana vom Ökumenischen Zentrum in Goma sagte in Arusha: „Ich komme aus einem Kontext, der sehr mitgenommen ist“. „Wir sind eine Generation, die weint.“ Une generation qui pleut. Eine Generation, die völlig entmutigt ist. Von all der Gewalt im Land: „Die Kirche kann nicht mehr sprechen angesichts der politischen Situation“. „Unsere Pfarrer sind nicht mehr in der Lage uns ein Wort der Hoffnung zu geben.“ „Setzt eure Bemühungen fort.“ „Continue la bateille. Nous somme paralusé“. Wir können es nicht mehr selbst. Der Osten des Kongos ist besonders stark von der Gewalt der ugandischen Rebellengruppe ADF betroffen.

    Anteilnahme und Solidarität durchwebte die Gemeinschaft, die sich dort in Arusha versammelt hatte. Für uns heißt das: den Platz, den Haushalts- und Strukturdebatten in unseren Landeskirchen haben, zu hinterfragen angesichts der Not unserer Geschwister.

    4. Die Ortsgemeinde als Akteur des Friedensengagements der Kirche im Blick bewahren.

    Am Sonntag der Konferenz verteilen sich 1000 internationale Gäste auf die vielen Ortsgemeinden der unterschiedlichen Kirchen in und um Arusha.

    Ich war zu Gast in einer kleinen mennonitischen Gemeinde. Im Anschluss an den Gottesdienst stellt uns die Gemeinde ihre Arbeit vor.

    Als es um die aktuellen Herausforderungen ging, steht eine der ältesten Frauen der Gemeinde auf. Sie ist eine Massai Frau. Sie erzählt, wie sie seit vielen Jahren gegen die Praktiken der Genitalverstümmelung kämpfen. Noch immer werden jedes Jahr im Juni, wenn die Schule zu Ende ist, tausende von Schülerinnen dieser Praxis unterzogen.

    Das Familienoberhaupt entscheidet darüber und auch die Großmütter. 90% der Frauen der Massai, die in Krankenhäusern gebären, sind nach Aussagen der UN noch immer Genitalverstümmelt. Das müsse aufhören, so die Frau. Die Gemeinden sind dabei eine ganz wichtige Stimme. Es gibt auch kirchliche Zufluchtshäuser für Mädchen, die sich der Prozedur durch Weglaufen entziehen. Sie können nie wieder zurück zu ihren Familien. Für uns heißt das, die Ortsgemeinden zu Stärken weltweit in ihrer Wertevermittlung und ihrem Einsatz für die Würde und Unversehrtheit von Leben.

    5. Verbündete finden in den Zentren der Macht

    Pastorin Kathyln Lore Lutheranerin aus den USA erzählt in Arusha: Als im Januar vergangenen Jahres ein Einreiseveto über einige muslimische Länder von Trump verhängt wurde, fingen die Lutheraner ihrer Gemeinde mit Protesten an. An etlichen Abenden, so berichtete sie, packte sie ihre 4 Kinder ins Bett und machte sich auf zum Flughafen, um dort zu protestieren. Auf ihren Schildern stand: Lutheran christians love their muslim neighbours! (Lutherische Christen lieben ihre muslimischen Nachbarn). Lutherans welcome refugees! (Lutheraner heißen Flüchtlinge willkommen!) Für sie waren diese Abende dort am Flughafen Costly Dicipleship, eine Nachfolge, die für sie persönlich Gewicht hatte.

    Protest von US-Amerikanern ist oft spontan, schroff, manchmal ohne starke Zivilgesellschaft. Doch es ist ein starker Ausdruck und wohltuend. Solche Aktivitäten sollten unsere kirchliche Presse erreichen. Ein Kreis renommierter Journalisten um Michael Gleich hat vor etlichen Jahren mit ihrem Projekt Peace Counts bewiesen, dass Friedensreportagen auch medial eine Chance haben, wenn sie hochqualitativ sind in Bild und Text. Für uns heißt das, neben der kirchlichen Mahnstimme des Prophetentums auch das Friedensgeflüster in journalistische Szene zu setzen.

    Ein letzter Punkt: „What are the resources that keeps us going? En Mitglied der Begleitgruppe des ÖRK für den Pilgerweg sagte in einem Workshop in Arusha, mit dem Pilgerweg machen wir uns als internationale Gemeinschaft immer wieder auf, die Orte der Wunden weltweit aufzusuchen (Visiting the wounds: Kolumbien, Nigeria, Palästina, Sudan). Wir erlebten, dass Menschen müde wurden in ihren Friedensbemühungen angesichts der Übermacht der Kräfte. Deshalb sei ihre zentrale Frage: Welches sind die spirituellen Ressourcen, die uns ermutigen, weiterzugehen. Ein Opfer von Boko Haram sagte nach ihrem Entkommen.... Unser Gott hat sich selbst verwundbar gemacht, deshalb können wir mit den Wunden weitergehen.

    Was wir weltweit brauchen, ist eine Theologie des gegenseitigen Begleitens.

    Una theologia del Accompanamiento, so der orthodoxe Bischof Josif aus Argentinien. In den Konflikten dieser Welt bestehen wir nur, wenn wir von anderen und durch andere gestärkt werden.

    Enden möchte ich mit zwei Fragen im Blick auf den vor uns liegenden Diskussionsprozess:

    ie kann es uns gelingen, die Stimmen unserer Geschwister in der weltweiten Ökumene und in unseren Partnerkirchen stärker wahrzunehmen im tagespolitischen Gewirr der Meldungen und in den Friedensaktivitäten unserer Kirche?

    Wie kann es uns gelingen, ihre Erfahrungen und ihre Beiträge hörbar zu machen, damit wir erkennbar sind als Christi Leib, dessen Glieder diesen Erdkreis umspannen?

    Als 1994 in dem kleinen Land El Salvador in Mittelamerika die ersten demokratischen Wahlen nach 12 Jahren Bürgerkrieg stattfanden, fragte uns die UN, ob sie mit ihrer Wahlbeobachtung zu Gast sein dürfte in den Landgemeinden. Denn die Kirche sei die einzige Institution, die bis in die letzten Winkel des Landes präsent sei. Das hat mich damals sehr beeindruckt.

    Unser Pilgerweg führt uns von den Zentren in die Peripherie und von der Peripherie ins Zentrum. Diesen Pilgerweg gilt es immer wieder zu beginnen theologisch, spirituell, kirchenpolitisch.

    Ich wünschte mir, die EKD-Synode 2019 könnte dafür ein Zeichen setzen.

    Heike Bosien, September 2018

  • ... aus dem Konsultationsprozess „Orientierungswissen zum gerechten Frieden“ der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) e.V.

    Konsultationsprozess „Orientierungswissen zum gerechten Frieden“

    PD Dr. Ines-Jacqueline Werkner

    Einige von Ihnen werden vom FEST-Konsultationsprozess „Orientierungswissen zum gerechten Frieden“ schon gehört haben; ich sehe in dieser Runde auch einzelne Teilnehmer dieses Konsultationsprozesses; anderen dagegen wird dieses Projekt noch nicht vertraut sein. Von daher möchte ich Ihnen unseren Konsultationsprozess kurz vorzustellen. In der sich anschließenden Runde würde ich dann gerne – neben Ihren Fragen – einige Ausführungen zu einzelnen Ergebnissen machen.

    Ausgangs- und Bezugspunkt unseres Konsultationsprozesses ist die Friedensdenkschrift der EKD, die vor gut zehn Jahren erschienen ist. Seitdem hat sich die Weltlage verändert: Eine zivile und gewaltfreie Konfliktbearbeitung scheint eher ferne Vision als politische Realität, Friedenspolitik wird zunehmend auch durch poststaatliche Konstellationen geprägt, zudem stellen qualitativ neuartige Entwicklungen wie autonome Waffensysteme oder der Cyberwar aktuelle Herausforderungen dar. Die EKD-Denkschrift muss also auf Situationen reagieren, die sie friedensethisch nicht im Blick hatte bzw. haben konnte. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, Analysen fortzuführen, sie um neue Problemlagen zu erweitern sowie Konkretionen vorzunehmen. Das ist das zentrale Ziel unseres Konsultationsprozesses.

    Seit nunmehr zwei Jahren tagen vier interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppen mit insgesamt über 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der FEST. Es sind führende Friedensethiker und Friedensethikerinnen: Politikwissenschaftler, Soziologen, Völkerrechtler, Philosophen, evangelische – aber auch katholische – Theologen bis hin zu Naturwissenschaftlern, ergänzt um jeweils einen Vertreter der Praxis.

    Unsere erste Arbeitsgruppe widmet sich ethischen Grundsatzfragen. Das umfasst Fragen vom gerechten Frieden als Orientierungswissen über die Bestimmung der Funktion eines politisch-ethischen Leitbildes bis hin zu Herausforderungen eine Ethik in pluralen Gesellschaften. Hier diskutieren wir u.a. auch die Frage, was es konkret heißt, von der „Anerkennung kultureller Vielfalt“, eine der Dimensionen des gerechten Friedens, zu sprechen.

    Unsere zweite Arbeitsgruppe nimmt das Verhältnis von gerechtem Frieden und Gewalt in den Blick. Dazu gehört die Klärung der Verortung und Begründungszusammenhänge der rechtserhaltenden Gewalt, das Verhältnis von Bündnissolidarität einerseits und friedensethischen Selbstbindungen von Staaten andererseits – ein Problem, das sich insbesondere beim Afghanistaneinsatz gezeigt hat, ethische Herausforderungen neuer technologischer Entwicklungen im Bereich der Rüstung wie autonome Waffensysteme sowie der Cyberwar als eine neue Form der Kriegsführung. Aber auch die Frage nuklearer Abschreckung ist nach wie vor relevant, sind die friedensethischen Konsequenzen der EKD-Denkschrift, sich von den Heidelberger Thesen zu distanzieren, bis heute nicht geklärt.

    Unsere dritte Arbeitsgruppe unterzieht den Ansatz „Frieden durch Recht“ einer kritischen Fortschreibung. Das beinhaltet Kontroversen um die internationale Schutzverantwortung – die Responsibility to Protect – sowie das sich daran anschließende Spannungsverhältnis von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht. Auch wird die generelle Leitvorstellung der Friedensdenkschrift, diese Friedensordnung könne und müsse primär mit dem Mittel des Rechts herbeigeführt werden, kritisch hinterfragt.

    Und unsere vierte Arbeitsgruppe wendet sich dem Schwerpunkt „Gerechter Frieden und politische Friedensaufgaben“ zu. In diesem Kontext verhandelt die Arbeitsgruppe eine Reihe von Fragen: Fragen nach europäischen Friedensordnungen und Sicherheitsarchitekturen sowie Fragen um das Konzept der menschlichen Sicherheit, erfährt dieses Konzept in der EKD-Denkschrift eine hohe Aufmerksamkeit. Des Weiteren werden in der Friedensdenkschrift Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als wesentliche Friedensbedingungen gesetzt. Wie ist aber mit autokratischen Regimen oder poststaatlichen Konstellationen umzugehen? Auch sind Schärfungen im Bereich der zivilen Konfliktbearbeitung notwendig. Denn so zustimmungsfähig hierzu die Aussagen in der Friedensdenkschrift sind, bleiben sie relativ unbestimmt. Explizit sollen hier auch noch einmal die Differenzen militärischer und polizeilicher Einsatzkräfte in den Blick genommen werden.

    Unser Konsultationsprozess ist auf 3 ½ Jahre angesetzt; er läuft bis Ende 2019. Vom zeitlichen Rahmen ist vorgesehen, die Konsultationen in den einzelnen Arbeitsgruppen bis zur EKD-Synode im Herbst 2019 abzuschließen, so dass die zentralen Ergebnisse bis dahin vorliegen können. Bereits an dieser Stelle würde ich gerne auf unsere Abschlussveranstaltung verweisen und Sie schon herzlich dazu einladen: Sie wird am 19. September 2019 in Berlin stattfinden.

    Noch ein paar weitere Punkte zu unserem Konsultationsprozess: Drei Promotionsarbeiten – jeweils eine theologische, völkerrechtliche und politikwissenschaftliche Arbeit – ergänzen den Konsultationsprozess. Damit sollen zugleich Nachwuchswissenschaftler in das Projekt mit eingebunden werden.

    Die Ergebnisse unseres Konsultationsprozesses veröffentlichen wir im Rahmen einer 25-bändigen Schriftenreihe „Gerechter Frieden“ im Springer VS. Es handelt sich hierbei um ein Taschenbuchformat, mit dem es uns möglich wird, zeitnah und v.a. auch themenspezifisch unsere Ergebnisse öffentlich zu machen. Nachdem der Konsultationsprozess inhaltlich seine Arbeit aufgenommen hat, sind mittlerweile die ersten acht Bände publiziert. Weitere Bände sind im Erscheinen bzw. in der Vorbereitung, so dass jetzt in dichter zeitlicher Folge auch die Erträge unseres Prozesses sichtbar werden.

    Zudem berichten wir über den Verlauf und den aktuellen Stand unseres Konsultationsprozesses auf einer eigenen Projekt-Homepage. Die zentralen Informationen über unseren Konsultationsprozess – einschließlich unserer Homepage-Adresse und entsprechender Kontaktdaten – können Sie direkt auch unserem Flyer entnehmen. – Soweit vielleicht an dieser Stelle zu unserem Projekt, gerne mehr im Anschluss.

  • …aus dem Diskursprojekt „dem Frieden der Welt zu dienen…“ der Evangelischen Akademien in Deutschland

    EKD-Friedenskonsultation, 12.-14.09.2018, Wittenberg Präsentation des Diskursprojekts „dem Frieden der Welt zu dienen…“ der Evangelischen Akademien in Deutschland (EAD)

    Uwe Trittmann, Ev. Akademie zu Berlin und Villigst

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    erinnern Sie sich noch an den Neujahrstag 2010? In der Dresdner Frauenkirche (die Synode im nächsten Jahr findet auch in Dresden statt) predigt die damalige EKD-Ratsvorsitzende und es fällt der Satz „Nichts ist gut in Afghanistan“. Dieser Satz von Margot Käßmann löste einen Sturm an Reaktionen aus – mehrheitlich negative, aber durchaus auch einige positive.

    Warum beginne ich damit? Anhand von zwei kurzen Reaktionen wird sehr schnell klar, welche Bedeutung dieser Satz am Neujahrsmorgen 2010 für ein damals noch in Planungen steckendes neues Diskursprojekt der Ev. Akademien haben sollte:

    1. Der damalige (noch im Amt befindliche) Bundespräsident Horst Köhler sprach wenige Tage später bei einer Veranstaltung in Anwesenheit von Margot Käßmann diese direkt an: „Ich mache mir nicht alle Ihre Worte zu eigen. Aber das, was Sie in Ihrer Neujahrspredigt gesagt haben, kann Deutschland nicht nur verkraften. Unser Land braucht solche Beiträge sogar. Mit der Predigt in der Frauenkirche haben Sie uns allen einen guten Dienst erwiesen.“
       
    2. In der „Süddeutschen Zeitung“ wurde auch der Leserbrief eines Soldaten veröffentlicht: „Wir Soldaten sollten der Bischöfin dankbar sein. Es ist Aufgabe und Verantwortung der Kirchen, sich zu den Lebensfragen unserer Gesellschaft zu äußern. Welche ist wichtiger als die nach Krieg und Frieden? [...] Seit Jahren wird dazu eine breite Diskussion angemahnt. Sie ist überfällig.“

    Es war damit kurzfristig die Debatte um die Zukunft und strategische Ausrichtung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik eröffnet. Ein breit geführter und öffentlicher Diskurs dazu fand bis dahin nicht statt. In diesem Zusammenhang haben wir uns in den Ev. Akademien entschlossen, mit einem langfristig angelegten Diskursprojekt zu reagieren. Als Basis dafür dienten auch die 2007 erschienene EKD-Friedensdenkschrift mit Ihrem Leitbild des „Gerechten Friedens“ und der grundgesetzliche Auftrag „dem Frieden in der Welt zu dienen…“. Dabei waren für uns drei Zielsetzungen bis heute leitend:

    • Evaluation von Zielen, Strategien und Instrumenten deutscher Außen- und Sicherheitspolitik
    • Ethische Reflexion: Normative Prinzipien und Grenzen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik
    • Unterstützung der Policy-Entwicklung: Impulse für die Erarbeitung eines friedens- und sicherheitspolitischen Gesamtkonzeptes für Deutschland.

    Inzwischen haben wir seit dem Start des Projekts in 2012 zwei Projektphasen abgeschlossen. In jeder Phase wurde in mehr als 40 unterschiedlichen öffentlichen und geschlossenen Veranstaltungsformaten der kirchliche, fachliche und öffentliche Diskurs über das, was dann später als „Deutschland müsse mehr Verantwortung in der Welt übernehmen“ bezeichnet wurde, kontinuierlich befördert. Dabei konnte auch die Position der Kirche eingebracht werden. Als ein Erfolg des Projekts ist hervorzuheben, dass es in besonderem Maße gelungen ist, die sicherheitspolitische Community mit den friedenspolitischen Akteuren aus Kirche und Zivilgesellschaft zusammen und ins Gespräch zu bringen.

    Zwei Veranstaltungsthemen will ich exemplarisch herausgreifen, die besondere Aufmerksamkeit erhalten haben. Von Vorteil war, sie mit öffentlichen und geschlossenen Formaten mehrfach zu bedienen, um so unterschiedliche Diskursöffentlichkeiten erreichen zu können:

    1. Der sog. „PeaceLab-Prozess“ des Auswärtigen Amtes, der am Ende die neuen Leitlinien der Bundesregierung "Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern" hervorgebracht hat. Die Ev. Akademien sind dabei zunehmend als gefragter Partner in Erscheinung getreten, kirchliche Positionen – wie z.B. das Beharren auf dem Primat des Zivilen und der Prävention – wurden wahr- und ernstgenommen.
    2. Angesichts der aktuellen geopolitischen Situation wird die Ausbalancierung von Interessen, Normen und Werten immer wichtiger. Schwierige Güterabwägungen sind hier unvermeidlich und führen nicht selten zu ethischen Dilemmata. Eine Verständigung darüber kann nur im internationalen Austausch stattfinden. Wir sind dies gerade in der letzten Projektphase verstärkt angegangen.

    Unsere interne Zwischenauswertung zeigt: Die aktuellen geopolitischen Entwicklungen, die Gleichzeitigkeit und Unübersichtlichkeit von Krisen und Konflikten, das Aufbrechen multilateraler Strukturen stellt Friedensethik immer öfter zwischen „Aktualität“ (Dringlichkeit) und

    „Grundsätzlichkeit“. Das öffentliche Interesse an Information und Interpretation ist einerseits gewachsen. Laut repräsentativer Umfragen (z.B. der Körber-Stiftung) haben mehr als Zweidrittel der Deutschen ein „starkes“ bzw. „sehr starkes“ Interesse an Außenpolitik. Andererseits befinde sich Deutschland in diesem Politikfeld in einem „diskursiven Wachkoma“, so hat gerade unser amtierender Außenminister Heiko Maas in einem Buchbeitrag die aktuelle Situation gekennzeichnet. Als Ausweg will er die Bundesregierung verpflichten, „den Menschen (zu) verdeutlichen, dass wir für unsere Interessen eintreten müssen“ (Christoph von Marschall, Wir verstehen die Welt nicht mehr.

    Deutschlands Entfremdung von seinen Freunden, Herder 2018). Die Frage, welches „unsere Interessen“ sind, bleibt aber nach wie vor offen und zu klären – wir sehen es aktuell wieder deutlich an der Frage, ob sich Deutschland an einer militärischen Intervention des Westens als Reaktion auf die Bombardierung Idlibs in Syrien beteiligen soll.

    Ich komme zum Schluss: Wie geht es weiter? Dass die Zukunft der Menschheit nicht alleine von „Frieden und Sicherheit“ im vordergründigen Sinn abhängig ist, wird spätestens seit den massiven Fluchtbewegungen wie auch den ökonomischen und ökologischen Herausforderungen deutlich. Wie darauf reagieren? Nur auf der Grundlage eines integrierten Ansatzes können die Probleme dieser Welt angegangen werden. Gerechtigkeit und Frieden spielen dabei eine entscheidende Rolle. „Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden“, so formuliert die „Agenda 2030“ der VN den neuen globalen Orientierungsrahmen (SDGs).

    Wir werden diesen Zusammenhang von Frieden und Nachhaltigkeit zum Schwerpunkt bei der Fortsetzung des Diskursprojektes im nächsten Jahr machen. Dabei bleibt die vom Friedenbeauftragten Renke Brahms und dem Ev. Militärbischof Sigurd Rink in ihrem Kommentar zum „Weißbuch“ vor zwei Jahren markierte Zielbestimmung für den öffentlichen Diskurs weiterhin aktuell: „Wir vermissen aber eine ausreichende Analysetiefe in Bezug auf die sozialen und ökonomischen Asymmetrien der Globalisierung … Wir brauchen in Deutschland dringend eine in unserer Gesellschaft verankerte … Debatte darüber, welche politischen Konzepte in Fragen von Frieden und Sicherheit zukunftsweisend sind“.

    Es wartet also auf uns in den Ev. Akademien nach wie vor sehr viel friedensethische, außen- und sicherheitspolitische Diskursarbeit.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

  • …aus den landeskirchlichen Prozessen auf dem/den Weg(en) „Kirche des Gerechten Friedens“
    Mind Map
    ©EKD
    Mind-Map der landeskirchlichen Prozesse auf dem/den Weg(en) „Kirche des Gerechten Friedens“ (Pfarrerin Eva Hadem Leiterin des Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrums und Friedensbeauftragte der EKM)