Wahrhaftig leben
Geistlicher Impuls zur Fastenzeit von Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland
1. Johannes 3,16–18
Daran haben wir die Liebe erkannt, dass Er sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen. Wenn aber jemand dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und verschließt sein Herz vor ihm, wie bleibt dann die Liebe Gottes in ihm? Meine Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit.

Wer würde nicht von sich sagen, dass er in einer Notsituation ohne Zögern einen Rettungsring zuwerfen würde? Doch manchmal fällt es schwer, nicht nur zu mit Worten die Wahrheit zu bezeugen, sondern auch mit der Tat.
Mal ehrlich! Sieben Wochen ohne Lügen. Das wirkt, als ginge es um die kleinen Lügen, Ausflüchte, das gelegentliche Flunkern, Übertreiben, nicht ganz bei der Wahrheit bleiben. Wer aber die Passage aus dem 1. Johannesbrief liest, ihr meditierend nachgeht, dem fällt auf: Bei Wahrheit und Lüge geht es nicht um Abstufungen, darum, was vielleicht gerade noch als Wahrheit durchgehen kann, was sich im Graubereich befindet. Bei der Wahrheit geht es um das Große und Ganze.
Es geht eben nicht um die einzelne Ausflucht. Vielleicht aber gerade doch. Denn wer zu oft die Ausflucht sucht – eine Ausrede hier, eine Notlüge dort – bei dem verschwimmt irgendwann die Grenze, das innere Barometer. Denn nicht nur anderen macht man etwas vor, auch sich selbst.
Warum lügen Menschen? Häufig genug, um die Zuneigung eines anderen Menschen zu gewinnen oder sie zu erhalten. Oder ihn nicht zu verletzen. Auch, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Nur: Die Lüge macht es der Liebe schwer. Weil die Liebe die Wahrheit braucht. Die Wahrheit, die sich in dem ausdrückt, was einer sagt: in Worten und mit der Zunge. Die Liebe braucht das aufrechte Wort, die ehrliche Meinung. Die Liebe ist darauf angewiesen, dass ein Mensch einem anderen gegenüber bei der Wahrheit bleibt, auch wenn es gelegentlich unangenehm ist und Überwindung kostet. Das geht nicht immer: Manche Wahrheiten sind so unangenehm, dass man sie auch vor sich selbst verstecken möchte. Andere Wahrheiten sind kränkend genug, um einen Menschen fast zu töten. Nicht jede Wahrheit ist für jedes Ohr bestimmt. Und doch schafft die aufrichtige Rede der Liebe ein Zuhause.
In der Wahrheit leben, heißt auszustrahlen, wovon wir sprechen
Bei Johannes 3,16–18 ist mir vor allem der letzte Vers wichtig: „Lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit.“ Ich habe ihn als 14-Jähriger als meinen Konfirmationsspruch ausgewählt. Ehrlich zu sein, ist eine Lebenshaltung. Wer sich in der Tugend der Wahrheit übt, wird eines feststellen, worauf auch der Schreiber des Johannesbriefes abzielt: Die Wahrheit sagen, ist das eine. Nach der Wahrheit zu leben, ist das andere, das noch Größere. „Action speaks louder than words.“ Die Liebe, von der Johannes redet, liegt im Kleinen, in dem, was vor Augen ist. Zu behaupten, Gott zu lieben, ist einfach. Ungleich schwerer aber ist es, den Kollegen mit seinen unmöglichen Kommentaren auszuhalten. Am Kollegen oder an der Schwester entscheidet sich aber die Liebe.
Im Deutschen gibt es das Wort „Lippenbekenntnis“. Das vollmundige Sich-Bekennen zu hehren Werten, das aber folgenlos bleibt. Mit Worten moralisch als Tiger zu starten und dann aber – wenn es um das wirkliche Tun geht – als Bettvorleger zu landen, hilft niemandem. Wer von der Nächstenliebe redet, sollte zuallererst sich selbst angesprochen fühlen. Wenn es für einen selbst keine Konsequenzen hat, ist es wohlfeil, andere zu etwas aufzufordern.
In der Wahrheit leben, heißt auszustrahlen, wovon wir sprechen. Die Liebe braucht die Wahrheit, die sich bewährt im Reden. Viel mehr noch aber im Tun.
Heinrich Bedford-Strohm
Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland
Impulsfragen
1. Kennen Sie Menschen, die in Ihren Augen Wahrhaftigkeit ausstrahlen? Wen?
2. Können Sie manchmal nicht so großherzig sein, wie Sie eigentlich möchten? Wann zum Beispiel?
Was hindert sie in solchen Situationen daran?
3. Wann haben Sie mal so gehandelt, dass Sie richtig im Einklang mit sich waren?
Der Text stammt aus dem Magazin „ZUTATEN. Themenheft zur Fastenaktion der evangelischen Kirche 2019“, edition chrismon.

Die Fastenaktion der evangelischen Kirche