Gemeinsame Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes

des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin –

Gemeinsame Stellungnahme
des Bevollmächtigten des Rates der EKD
bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und des Kommissariats der deutschen Bischöfe
– Katholisches Büro in Berlin –
zum
Gesetzentwurf der Bundesregierung
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes
(BTDrs. 19/30230)



Wir begrüßen, dass die Bundesregierung in Folge des Klimaschutz-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 (1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1BvR 288/20) noch in dieser Legislaturperiode den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes [im Folgenden: KSG-ÄGE] vorlegt. Die Feststellung des Grundrechtesenats, dass das Grundgesetz den Gesetzgeber zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen hinweg verpflichtet (Rz. 183), führt so bereits jetzt zu einer Stärkung der legislaturperiodenübergreifenden Perspektive der Klimaschutzgesetzgebung. Dabei sind wir uns der Tatsache bewusst, dass es sich bei der in diesem Gesetzentwurf behandelten Materie um ein komplexes Vorhaben handelt, welches trotz vieler Unwägbarkeiten und Hemmnisse jetzt angepackt werden muss.

Vor diesem Hintergrund nehmen wir die Befassung des Deutschen Bundestags mit dem KSG-ÄGE und die für den 21. Juni 2021 im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit angesetzte Anhörung zum Anlass, zu einigen ausgewählten Aspekten des KSG-ÄGE Stellung zu nehmen.

  1. Artikel 1 Nr. 3 a) KSG-ÄGE ersetzt den bisherigen § 3 Absatz 1 des Bundes-Klimaschutzgesetzes von 2019 [im Folgenden: KSG 2019] und sieht nun vor, dass die Treibhausgasemissionen in Deutschland im Vergleich zu 1990 bis zum Jahr 2030 um mindestens 65%, bis zum Jahr 2040 um mindestens 88% und bis spätestens zum Jahr 2045 so weit gemindert werden, dass Treibhausgasneutralität erreicht wird. Die zulässigen Jahresemissionsmengen der einzelnen Sektoren bis 2030 werden nach Artikel 1 Nr. 9 KSG-ÄGE über einen Austausch der Anlage 2 des KSG 2019 entsprechend dieser neuen Vorgaben verschärft und jährliche Minderungsziele von 2031 bis 2040 nach Artikel 1 Nr. 10 KSG-ÄGE durch eine Anlage 3 neu eingeführt.

    a. Wir begrüßen, dass mit dem KSG-ÄGE noch in dieser Legislaturperiode eine Erhöhung des deutschen Klimaschutzziels für 2030, eine Festlegung eines neuen deutschen Klimaschutzziels 2040 und eine frühere Netto-Treibhausgasneutralität Deutschlands festgeschrieben werden soll. In den letzten Jahren haben wir in unseren Stellungnahmen[1] und Erklärungen immer wieder auf die Notwendigkeit der Anpassung der deutschen Klimaschutzziele und -politik an die Temperaturziele des Pariser Klimaschutzabkommens hingewiesen. Die Zeit drängt, diese Anpassungen vorzunehmen und die deutsche Klimaschutzpolitik auf sie auszurichten.

    b. Wir begrüßen besonders, dass das angehobene Klimaschutzziel 2030 und das neue Klimaschutzziel 2040 im KSG-ÄGE als echte, auf den Treibhausgasausstoß bezogene Minderungsziele festgelegt werden.
    Klimaschutzziele, in denen Ausstoß und Abbau von Treibhausgasemissionen direkt und ohne separierte Ausweisung miteinander verrechnet werden, halten wir für ungeeignet, Wirtschaft und Gesellschaft eine hinreichende Orientierung für die Lenkung ihrer Ressourcen und Entwicklung ihrer Potenziale für ihre Umgestaltung hin zur Nachhaltigkeit zu geben. Sie bieten, um es mit dem Bundesverfassungsgericht in seinem Klimaschutz-Beschluss (Rz. 251 ff.) zu sagen, nicht den grundrechtlich gebotenen, entwicklungsfördernden und Orientierung gebenden Planungshorizont. Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene und vom Rat der Europäischen Union befürwortete Konstruktion des neuen EU-Klimaschutzziels 2030 als „Netto“-Ziel haben wir im letzten Jahr daher auch kritisiert[2]. Dementsprechend positiv sehen wir es, dass das KSG-ÄGE erst im „Netto“-Ziel der Treibhausgasneutralität 2045 Spielraum für die Anrechnung negativer Emissionen eröffnet. In der Gesetzesbegründung wird hierzu weiter ausgeführt, dass nach derzeitigen Annahmen zu technischen und sonstigen Treibhausgasvermeidungsoptionen bis zum Jahr 2045 eine Verminderung des Treibhausgasausstoßes um 97% im Vergleich zu 1990 anzustreben und die Restemissionen über Senken auszugleichen sind (Gesetzesbegründung S. 18). Wir halten diesen Hinweis für wichtig. Auch in unseren Positionierungen zum Europäischen Klimagesetz[3] haben wir dargestellt, dass es zur Erreichung des Langfristziels der Klimaneutralität sinnvoll sein kann, dieses in ein langfristiges Treibhausgassenkungs- und ein langfristiges Treibhausgasentnahmeziel aufzuspalten und so Wirtschaft und Gesellschaft eine klarere Orientierung für die Ausrichtung ihrer Ressourcen und Verhaltensweisen zu geben, sofern dies nicht zur Verminderung der Anstrengungen zur Reduktion des Treibhausgasausstoßes führt.

    c. Die Höhe der nun in Artikel 1 Nr. 3 a) KSG-ÄGE vorgeschlagenen Klimaschutzziele und der dort anvisierte Zeitpunkt der Treibhausgasneutralität Deutschlands sind aber leider weiterhin unzureichend. Der Gesetzgeber darf sich unseres Erachtens nicht darauf beschränken, verfassungs- und grundrechtliche Minimalanforderungen an den Klimaschutz zu gewährleisten und eine durchschnittliche Umsetzung des jüngst verschärften EU-Klimaschutzziels 2030 zu antizipieren. Er ist vielmehr aufgerufen, einen die ökosystemaren und globalen Interdependenzen unseres Lebens berücksichtigenden, der Einwohnerzahl, globalen Verantwortung und Vorbildfunktion Deutschlands angemessenen Treibhausgasreduktionsbeitrag zu den globalen Klimaschutzbemühungen zu leisten. Das Bundes-Klimaschutzgesetz sollte daher bis zur Treibhausgasneutralität Deutschlands nur noch solche Mengen an Treibhausgasemissionen einplanen, die das vom Sachverständigenrat für Umweltfragen [im Folgenden: SRU] für das 1,75°C-Ziel errechnete CO2-Restbudget Deutschlands möglichst weitgehend unterschreiten. Eine solche Unterschreitung ist erforderlich, um eine Chance zur Begrenzung der Erderwärmung auf durchschnittlich 1,5°C zu bewahren. Sie ist auch ethisch geboten, da, wie Papst Franziskus uns immer wieder in Erinnerung ruft, die Folgen einer Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur auf über 1,5°C vor allem die Ärmsten und Schwächsten dieser Welt am härtesten treffen. Jedes Zehntel Grad Temperaturanstieg, das verhindert wird, bedeutet daher auch Vermeidung von Leid und Rettung von Leben. Auch die EKD hat bereits 2009 gefordert, die Fragen des Klimawandels und der Armutsbekämpfung weltweit stärker in Beziehung zu setzen. Die Erde läuft zudem bei einer über das 1,5°C- Ziel hinausgehenden durchschnittlichen globalen Erwärmung Gefahr, großen und sich über das Auslösen von Kippunkten exponentiell vergrößernden Schaden zu nehmen. Selbst wenn die zu erwartenden Schäden für Mensch und Umwelt weltweit Deutschland direkt zunächst weniger stark betreffen würden oder bei uns mit Anpassungsmaßnahmen teilweise aufgefangen werden könnten, so werden die Folgen dieser Schäden über unsere globale Interdependenz und unsere Abhängigkeit von der Umwelt doch in unser Leben in Deutschland weitergetragen. Mit dem im KSG-ÄGE vorgeschlagenen neuen Pfad der Treibhausgasreduktionen - Emissionsreduktionen in Höhe von 65% bis 2030 und danach jährlich zwei bis drei zusätzlichen Prozent - wird aber nicht einmal die Einhaltung des vom SRU für das 1,75°C-Ziel errechneten CO2-Restbudgets Deutschlands gewährleistet, geschweige denn dieses CO2-Restbudget unterschritten. Wir brauchen größere Anstrengungen.

    d. Anregen möchten wir daher, ein ambitionierteres neues deutsches Klimaschutzziel für 2030 innerhalb des von uns schon 2019[4] vorgeschlagenen Korridors von Treibhausgaseinsparungen in Höhe von 67% bis 78% im Vergleich zu 1990 festzusetzen. Dabei weisen wir darauf hin, dass das Wuppertal Institut im Oktober 2020 in seinen „Eckpunkten eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5°C-Grenze“ berechnet hat, dass Deutschland zur Einhaltung seines auf das 1,5°C-Ziel ausgerichteten CO2-Restbudgets im Jahr 2030 eigentlich 89% seiner Treibhausgase im Vergleich zu 1990 reduziert haben müsste. Nach 2030 müssen die Treibhausgasreduktionen dann je nach Verortung des Klimaschutzziels 2030 im oben genannten Korridor zusätzlich um jährlich mehr oder weniger weitere Prozentpunkte erhöht werden. Die in Artikel 1 Nr. 9 (Anlage 2) dargestellten Jahresemissionsmengen für die einzelnen Sektoren und die jährlichen Minderungsziele in Artikel 1 Nr. 10 (Anlage 3) für die Jahre 2031 bis 2040 sind dementsprechend anzupassen. Eine ambitioniertere Festsetzung der Klimaschutzziele bis 2040 als im KSG-ÄGE vorgeschlagen würde nicht nur dem Deutschland obliegenden Beitrag zur Bewahrung einer Chance auf die Begrenzung der durchschnittlichen Erderwärmung auf 1,5°C ein Stück näherkommen. Sie würde auch den in Wirtschaft und Gesellschaft notwendigen Entwicklungen hin zur Treibhausgasneutralität frühzeitiger mehr Dynamik verleihen, zu einer faireren Verteilung der Emissionsreduktionserfordernisse zwischen den Generationen beitragen und Staat, Gesetzgeber und Industrie nicht zuletzt aufgrund eingesparter Kosten mittel- und langfristig größere politische und wirtschaftliche Gestaltungsspielräume verschaffen. Da allerdings auch bei den von uns angeregten Treibhausreduktionspfaden Überschreitungen des CO2-Restbudgets Deutschlands wahrscheinlich sind, müssen die natürlichen Senken Deutschlands möglichst schnell und möglichst umfassend gestärkt und ausgebaut werden.Wir sind uns dabei bewusst, dass eine Erhöhung der deutschen Klimaschutzziele, zumal eine die tatsächlich dem Deutschland obliegenden Beitrag zur Bewahrung einer Chance auf die Begrenzung der durchschnittlichen Erderwärmung auf 1,5°C gerecht würde, unsere Wirtschaft und Gesellschaft vor sehr schwierige Implementierungsfragen stellt. Diese gilt es daher so bald wie möglich zu adressieren und insbesondere das Klimaschutzprogramm 2030 unter Beteiligung der Wissenschaft, der Wirtschaft und aller gesellschaftlicher Akteure ambitioniert zu überarbeiten und zu ergänzen.
     
  2. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir den in Artikel 1 Nr. 4 KSG-ÄGE enthaltenen Vorschlag der Einfügung eines neuen § 3a in das KSG 2019 seinem Grundsatz nach. Ausweislich seines Wortlauts soll dieser Paragraph den Klimaschutzbeitrag des Sektors Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft [im Folgenden: LULUCF] im KSG 2019 stärken. Angesichts des Verlusts der Netto-Senkenfunktion der deutschen Wälder und steigender bzw. zu langsam sinkender Emissionen aus Acker- und Grünlandflächen ist eine solche Stärkung auch dringend erforderlich. Daher erscheint es auch grundsätzlich zielführend, die Erreichung konkreter negativer Emissionsbilanzen im LULUCF-Bereich gesetzlich festzulegen. Gemessen an den im Bereich des Moorbodenschutzes bis 2030 bisher von der Bundesregierung an den Tag gelegten Ambitionen (Gesetzesbegründung S. 16), die wir an anderer Stelle bereits kritisiert haben[5], scheint allerdings bei der Festlegung dieser Emissionsbilanzziele noch einige „Luft nach oben“ zu bestehen.
    Gesetzgeberisch halten wir es darüber hinaus für erforderlich klarzustellen, dass eine Verrechnung des im LULUCF-Bereich erreichten Netto-CO2-Abbaus erst nach Einhaltung der bis 2040 gesetzten Treibhausgasminderungsziele vorgenommen werden darf. Der neu in das KSG 2019 einzufügende § 3a Absatz 3 Nr. 1, nach dem die Bundesregierung zum Erlass einer Rechtsverordnung u.a. zur Regelung der „Anrechnung und Verbuchung gemäß unionsrechtlicher Vorgaben“ ermächtigt werden soll, schafft hier aus unserer Sicht Unklarheiten. Der von uns kritisierte[6] Netto-Charakter des EU-Klimaschutzziels 2030 und die damit verbundenen Verrechnungsmöglichkeiten dürfen nicht dazu führen, dass der Charakter der deutschen Klimaschutzziele 2030 und 2040 als auf den Treibhausgasausstoß bezogene, echte Minderungsziele verfälscht wird. Aus den oben unter 1. b. genannten Gründen ist an dieser Stelle ebenso wie auch bei den anderen Faktoren der Berechnung der Emissionsbilanzen, die die Bundesregierung nach dem neuen § 3a Absatz 3 per Rechtsverordnung regeln will, Eindeutigkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit erforderlich.
     
  3. Nach Artikel 1 Nr. 5 b) KSG-ÄGE soll der bisherige § 4 Absatz 1 Satz 5 KSG 2019 durch einen neuen Satz ersetzt werden, nach dem die Bundesregierung die in der Anlage 2 festgelegten zulässigen Jahresemissionsmengen im Lichte möglicher Änderungen der Europäischen Klimaschutzverordnung und der Europäischen Emissionshandelsrichtlinie zur Umsetzung des erhöhten Klimaschutzziels der Europäischen Union für das Jahr 2030 überprüfen und erforderlichenfalls spätestens 6 Monate nach ihrem Inkrafttreten einen Gesetzgebungsvorschlag zu ihrer Anpassung vorlegen soll. 
    Diese Formulierung erscheint uns zu eng. Das neue EU-Klimaschutzziel 2030 wird nicht allein über Änderungen an der Europäischen Klimaschutzverordnung und der Europäische Emissionshandelsrichtlinie umgesetzt. Vielmehr wird dieses Ziel in den nächsten Monaten, ggf. auch Jahren, und insbesondere Mitte 2021 durch die im „Fit for 55“-Paket zu erwartenden, europäischen Richtlinien- und Verordnungsvorschläge eine inkrementelle und kontinuierliche Umsetzung erfahren. Diese Maßnahmen werden voraussichtlich auch spezifische unionsrechtliche Regelungen für einzelne Sektoren wie etwa den Verkehrs- oder den Gebäudesektor enthalten. Dementsprechend möchten wir anregen zu formulieren, dass die in Anlage 2 festgelegten zulässigen Jahresemissionsmengen „regelmäßig im Lichte der Rechtsetzungsakte der Europäischen Union zur Umsetzung des EU-Klimaschutzziels 2030 überprüft“ und, falls erforderlich, „im Rahmen der in diesen vorgeschriebenen Umsetzungsfristen, spätestens aber sechs Monate nach deren Inkrafttreten“ ein Gesetzgebungsvorschlag zu ihrer Erhöhung vorgelegt werden soll. 
     
  4. Artikel 1 Nr. 5 b) KSG-ÄGE ersetzt § 4 Absatz 1 Satz 6 KSG 2019 durch einen neuen Satz 6, der in Verbindung mit der neuen Anlage 3 nun auch jährliche Gesamtminderungsziele für die Jahre 2031 bis 2040 in das KSG 2019 einführt. Der mit Artikel 1 Absatz 5 c) KSG-ÄGE ebenfalls seine Vorgängerregelung ersetzende § 4 Absatz 6 Satz 1 sieht vor, dass die Bundesregierung per Rechtsverordnung im Jahr 2024 für die Jahre 2031 bis 2040 und im Jahr 2034 für die Jahre 2040 bis 2045 Jahresemissionsmengen für die einzelnen Sektoren festlegen wird.  
    Diese Erweiterung des Zeithorizonts der Klimaschutzplanung Deutschlands über 2030 hinaus begrüßen wir dem Grundsatz nach. Das Bundesverfassungsgericht hat eine solche Erweiterung in seinem Klimaschutz-Beschluss vom 24. März 2021 auch gefordert (Rz. 251 ff.). Ob die Festlegung von jährlichen, prozentual ausgewiesenen Treibhausgasminderungszielen bis 2040 allerdings ausreicht, um die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen an einen entwicklungsfördernden Planungshorizont nach 2030 zu erfüllen, halten wir für zweifelhaft. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet den Gesetzgeber nämlich darauf, für die Zeit nach 2030 „Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben so differenziert“ festzulegen, „dass eine hinreichend konkrete Orientierung entsteht (…), dass und welche Produkte und Verhaltensweisen im weitesten Sinne schon bald erheblich umzugestalten sind“ (Rz. 254). Dies spricht zunächst einmal für ein stärkeres Herunterbrechen der jährlichen Treibhausgasminderungsziele 2031 bis 2040 auf die einzelnen Sektoren. Diese Konkretisierung müsste wohl auch früher vorgenommen werden als in den Jahren 2024 bzw. 2034, da nach dem Bundesverfassungsgericht eine Vorbereitungszeit von fünf Jahren in vielen Produktions-, Konsum- oder Infrastrukturbereichen keinen hinreichenden Planungshorizont bietet (Rz. 258). Vor allem aber schreibt das Bundesverfassungsgericht in seinem Klimaschutz-Beschluss explizit die Festlegung von Jahresemissionsmengen – nicht prozentualen jährlichen Minderungszielen – für die Zeiträume nach 2030 durch den Gesetzgeber vor (Rz. 263). Dass solche Minderungsziele ja letztlich die Summe der zulässigen Jahresemissionsmengen vorgeben, wie es in der Gesetzesbegründung heißt (Gesetzesbegründung S. 21), halten wir angesichts der kritischen Haltung des Bundesverfassungsgerichts zu prozentualen Emissionsminderungszielen für unzureichend. Das Gericht bezeichnet diese gar als „Klimaschutz ins Blaue hinein“ (Rz. 218) und befürwortet für eine effektive Politikgestaltung die Übersetzung von Temperaturzielen in Emissionsmengen (Rz. 217, 219 f). Im Sinne des entwicklungsfördernden Planungshorizonts des Bundesverfassungsgerichts wäre es also mindestens hilfreich, die mit dem KSG-ÄGE neu einzuführenden jährlichen Minderungsziele für die Jahre 2031 bis 2041 zusätzlich als Gesamtemissionsmengen darzustellen und für ausgewählte Jahre, etwa die Jahre 2035 und 2040, noch einmal auf die einzelnen Sektoren herunterzubrechen.
     
  5. Darüber hinaus möchten wir anregen, in dem geänderten Bundes-Klimaschutzgesetz zusätzlich zu den Minderungszielen und Jahresemissionsmengen auch das Deutschland anteilig zur Erreichung des 1,75°C- respektive des 1,5°C-Ziels noch verbleibende CO2-Restbudget jährlich oder zumindest in geringen Jahresabständen auszuweisen. Eine solche Ausweisung würde dazu beitragen, deutsche Klimaschutzpolitik auf ihre Plausibilität hin überprüfbar zu machen, sie in den Kontext globaler Klimaschutzbemühungen einzuordnen und so Transparenz für die heimische, europäische und internationale Klimaschutzdebatte und -gesetzgebung zu schaffen. Auch das Bundesverfassungsgericht hält in seinem Klimaschutz-Beschluss den (Rest)Budgetansatz trotz der mit ihm verbundenen Unsicherheiten für ein geeignetes Instrument zur Ausrichtung von Politik an Temperaturzielen (Rz. 217 f.). Die Ausweisung des deutschen CO2-Restbudgets würde zudem die Abstimmung der deutschen mit der europäischen Klimaschutzpolitik befördern. Entsprechend der Einigung von Europäischem Parlament und Rat der Europäischen Union wird nämlich auch die Europäische Kommission zukünftig das EU-Treibhausgasbudget 2030 – 2050 projizieren und so eine transparentere, solide Grundlage für die Ausgestaltung europäischer Klimaschutzpolitik im Rahmen der global erforderlichen Klimaschutzbemühungen schaffen. 
     
  6. Artikel 1 Nr. 5 d) KSG-ÄGE fügt § 4 KSG 2019 einen neuen Absatz 7 an, nach dem die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag im Jahr 2028 einen Bericht vorlegen wird, in dem sie u.a. untersucht, ob angesichts der Entwicklungen von Technik und CO2-Bepreisung innerhalb der Europäischen Union auf die Zuweisung von Jahresemissionsmengen für einzelne Sektoren verzichtet werden kann.
    Bei einer solchen Überprüfung der Erforderlichkeit von Jahresemissionsmengen für einzelne Sektoren in Deutschland im Jahr 2028 muss unseres Erachtens aber berücksichtigt werden, dass ein Verzicht auf diese weder zu sozial oder intergenerationell ungerechten Belastungen oder Freiheitseinschränkungen noch zu mangelnden Transformationsanreizen in den treibhausgasintensiven Sektoren führen darf. Diesbezüglich verweisen wir erneut auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Klimaschutz-Beschluss, nach denen der Gesetzgeber für die Zeit nach 2030 „Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben so differenziert“ festlegen muss, „dass eine hinreichend konkrete Orientierung entsteht (…), dass und welche Produkte und Verhaltensweisen im weitesten Sinne schon bald erheblich umzugestalten sind“ (Rz. 254, s.o.). Denn, so das Bundesverfassungsgericht, „erst wenn im Einzelnen konkret erkennbar ist, dass, wann und wie die Möglichkeit endet, Treibhausgas zu emittieren, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass klimaneutrale Technologien und Verhaltensweisen in diesem Entwicklungspfad entsprechend zügig etabliert werden“ (Rz. 254). Diese Vorgaben hat die Bundesregierung auch in dem von ihr 2028 dem Deutschen Bundestag vorzulegenden Bericht zu berücksichtigen.
     
  7. Artikel 1 Nr. 7 a) KSG-ÄGE ergänzt im bisherigen § 12 Absatz 3 Nr. 1 KSG 2019 die Verpflichtung der Bundesregierung, Stellungnahmen des Expertenrats für Klimafragen nicht nur bei Änderungen, sondern auch bei Festlegungen der Jahresemissionsmengen nach diesem Gesetz einzuholen. Zusätzlich fügt Artikel 1 Nr. 7 b) KSG-ÄGE in § 12 KSG 2019 dann einen neuen Absatz 4 ein, nach dem der Expertenrat für Klimafragen dem Deutschen Bundestag erstmals 2022 ein Gutachten zu bisherigen Treibhausgasemissionen, Trends bezüglich der Jahresemissionsmengen und Wirksamkeit von Maßnahmen mit Blick auf die Zielerreichung nach diesem Gesetz vorlegen soll.
    Wir begrüßen diese Erweiterung der Kompetenzen des Expertenrats für Klimafragen. Sie kommt jedenfalls in Teilen von uns bereits 2019 geäußerten Forderungen[7] einer Anreicherung des Aufgabenkatalogs des Expertenrats nach. Entscheidend erscheint uns aber, dass dem Expertenrat sowohl im Rahmen seiner ab 2022 vorzulegenden Gutachten als auch unabhängig hiervon explizit ein eigenes Vorschlagsrecht für aus seiner Sicht erforderliche Anpassungen der Minderungsziele, für Änderungen der Gesamt- und Sektoren-Jahresemissionsmengen sowie der LULUCF-Ziele des neuen § 3a und für zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen eingeräumt wird. Ein solches explizites, selbständiges Vorschlagsrecht fehlt bisher. Es ist aber unseres Erachtens erforderlich, um eine angemessene Beratung bei der Verwirklichung erfolgreicher Klimaschutzpolitik sicherzustellen. Wir bitten daher darum, dem Expertenrat für Klimafragen ein solches Vorschlagsrecht über das KSG-ÄGE einzuräumen.
     
  8. Artikel 1 Nr. 8 KSG-ÄGE schließlich schlägt eine Reihe von Änderungen und Präzisierungen des § 13 KSG 2019 vor, mit dem die Träger öffentlicher Aufgaben auf Bundesebene in ihren Investitions- und Beschaffungstätigkeiten zur Berücksichtigung der Klimaschutzziele und -vorgaben des Bundes-Klimaschutzgesetzes verpflichtet werden. Dem § 13 Absatz 1 KSG 2019 wird dabei ein Satz 3 angefügt, der den alten § 13 Absatz 3 Satz 2 KSG 2019 ersetzt und nach dem die öffentliche Hand auf Bundesebene zukünftig „bei der Planung, Auswahl und Durchführung von Investitionen und bei der Beschaffung (…) für die Vermeidung oder Verursachung ein[en] CO2-Preis“ und zwar mindestens den „nach § 10 Absatz 2 BEHG gültig[en] Mindestpreis oder Festpreis“ zugrunde zu legen hat. Die Bevorzugungsregelung des § 13 Absatz 2 KSG 2019 wird redaktionell präzisiert und schreibt der öffentlichen Hand bei mehreren Realisierungsmöglichkeiten für Investitionen oder Beschaffungen vor, „in Abwägung mit anderen relevanten Kriterien mit Bezug zum Ziel der jeweiligen Maßnahmen solchen [den] Vorzug zu geben, mit denen das Ziel der Minderung von Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus der Maßnahme zu den geringsten Kosten erreicht werden kann.“
    Wir begrüßen zunächst, dass Artikel 1 Nr. 8 KSG-ÄGE die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand auf Bundesebene im Sinne von „nachhaltigen Finanzen“ weiter ausformt. Die Verpflichtung der öffentlichen Hand zur Berücksichtigung von Klimaschutzzielen und -vorgaben in ihren Investitions- und Beschaffungstätigkeiten ist ein wichtiges Instrument der Klimaschutzpolitik und kann einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung nachhaltiger öffentlicher Finanzen insgesamt in Deutschland leisten. Mit Blick auf das Beschaffungswesen haben wir bereits an anderer Stelle[8] darauf hingewiesen, dass die im Vergaberecht bereits existenten Spielräume zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in Ausschreibungen konsequenter als bisher von öffentlichen Auftraggebern genutzt werden müssen, und dementsprechend die Einführung des alten § 13 KSG begrüßt. Dass Artikel 1 Nr. 8 KSG-ÄGE diesen nun weiter präzisiert und darüber hinaus zur Berücksichtigung eines (Schatten)CO2-Preises bei Investitions- und Beschaffungstätigkeiten der öffentlichen Hand verpflichtet, sehen wir daher zunächst grundsätzlich positiv.
    Allerdings wird in dem neuen Satz 3 von § 13 Absatz 1 KSG 2019 nicht ganz klar, an welcher Stelle der Planung, Auswahl und Durchführung von Investitionen und der Beschaffung dieser neu einzubeziehende CO2-Preis tatsächlich zu berücksichtigen ist. In der Gesetzesbegründung wird diesbezüglich darauf hingewiesen, dass es um die Einbeziehung des CO2-Preises „in die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung“ (Gesetzesbegründung S. 22) der Investition- oder Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand gehen soll. Hier wäre eine zusätzliche Klarstellung im Wortlaut des neuen § 13 Absatz 1 Satz 3 hilfreich. 
    Dass der einzubeziehende CO2-Preis „mindestens [dem] nach § 10 Absatz 2 BEHG gültig[en] Mindest- oder Festpreis“ entsprechen soll, ist dabei aus Praktikabilitätsgründen nachvollziehbar. Auch ist zu begrüßen, dass dieser Preis lediglich eine Untergrenze bezeichnen soll und laut Gesetzesbegründung auch eine Preisbestimmung bspw. nach der aktuellen Methodenkonvention zur Ermittlung von Umweltkosten des Umweltbundesamtes vorgenommen werden kann (Gesetzesbegründung S. 22). Bei Investitions- oder Beschaffungstätigkeiten der öffentlichen Hand in Bereichen, die dem Europäischen Emissionshandel unterfallen, erscheint es uns aber systembedingt passender, zusätzlich Rückgriff auf den im Europäischen Emissionshandel gültigen, durchschnittlichen Emissionszertifikatepreis als Preisuntergrenze zu nehmen. Darüber hinaus ist es aus unserer Sicht in jedem Fall erforderlich, gesetzgeberisch klarzustellen, welcher Zeitpunkt in einem Investitions- und Beschaffungsverfahren der öffentlichen Hand die „Gültigkeit“ der Preisuntergrenze bestimmt. Da diese Verfahren viel Zeit in Anspruch nehmen können und sich in dieser die Preise ändern, macht es einen großen Unterschied, ob die öffentliche Hand bspw. den zum Zeitpunkt der Ausschreibung eines Beschaffungsauftrags oder den zum Zeitpunkt des Zuschlags gültigen Mindest- oder Festpreis nach dem BEHG zu berücksichtigen hat. Mit Blick auf den CO2-Preis ist im Übrigen positiv zu bewerten, dass nicht nur die Verursachung sondern auch die Vermeidung von Treibhausgasemissionen bei den Investitions- und Beschaffungstätigkeiten der öffentlichen Hand preislich einberechnet werden sollen. Damit werden Anreize für frühzeitige Treibhausemissionsreduktionen geschaffen, die teurere Reduktionen zu einem späteren Zeitpunkt überflüssig machen und so Kosten einsparen. 
    Dass Artikel 1 Nr. 8 b) KSG-ÄGE schließlich die Bevorzugungsregelung des § 13 Absatz 2 KSG 2019 präzisiert und redaktionell anpasst, ist zunächst einmal folgerichtig. Allerdings eröffnet sich im neuen Satz 2 des § 13 Absatz 2 aus unserer Sicht die wichtige, bisher aber noch nicht genutzte Gelegenheit festzuschreiben, dass bei einer Auswahl zwischen Realisierungsoptionen für Investitions- und Beschaffungsmaßnahmen solchen der Vorzug zu geben ist, die das Ziel der Treibhausgasemissionsminderung nicht nur zu den geringsten Kosten sondern auch sozialverträglich erreichen. Bisher stehen soziale Aspekte als „anderen relevanten Kriterien“ in der Abwägung hinter dem Ziel der Treibhausgasemissionsminderung zu den geringsten Kosten zurück. Hieraus können sich Spannungen zwischen sozialpolitischen und klimapolitischen Zielsetzungen der öffentlichen Hand ergeben, die stattdessen in Einklang miteinander gebracht werden sollten. Wir regen daher an, § 13 Absatz 2 Satz 2 so umzuformulieren, dass bei mehreren Realisierungsmöglichkeiten eines Investitions- oder Beschaffungsvorhabens solchen in der Abwägung mit anderen relevanten Kriterien der Vorzug zu geben sein soll, „mit denen das Ziel der Minderung von Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus der Maßnahme hinweg sozialverträglich und zu den geringsten Kosten erreicht werden kann.“  
     

Berlin, den 22. Juni 2021

 

[1] Vgl. bspw. die Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin - zum deutschen Klimaschutzpaket 2019 vom 30.10.2019, Nr. II.1, siehe unter https://cutt.ly/EbSTdcr.

[2] Erklärung von Prälat Dr. Karl Jüsten und Prälat Dr. Martin Dutzmann vom 9.12.2021 anlässlich des Treffens des Europäischen Rates am 10. und 11. Dezember 2020, siehe unter https://cutt.ly/nnEWekd.

[3] Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – zum Europäischen Klimagesetz vom 28. September 2020, Nr. 3 und 4, siehe unter https://cutt.ly/GbSTcrZ.

[4] Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin - zum deutschen Klimaschutzpaket 2019 vom 30.10.2019, Nr. II.2, siehe unter https://cutt.ly/EbSTdcr; Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland „Umkehr zum Leben – Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels“ Seite 126 ff.

[5] Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – zum Entwurf einer Bund-Länder-Zielvereinbarung zum Klimaschutz durch Moorbodenschutz vom 24.2.2021, Nr. 1, siehe unter https://cutt.ly/lbST7b9.

[6] Erklärung von Prälat Dr. Karl Jüsten und Prälat Dr. Martin Dutzmann vom 9.12.2021 anlässlich des Treffens des Europäischen Rates am 10. und 11. Dezember 2020, siehe unter https://cutt.ly/nnEWekd.

[7] Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin - zum deutschen Klimaschutzpaket 2019 vom 30.10.2019, Nr. II.7.b, siehe unter https://cutt.ly/EbSTdcr.

[8] Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie –Weiterentwicklung 2021– vom 1.11.2020, S. 14, siehe unter https://cutt.ly/UnsJJZk; siehe auch „Geliehen ist der Stern auf dem wir leben“, EKD-Text 130, Kapitel 5.

 

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