„Und die Taube brachte einen Ölzweig“ (1. Mose 8,11) - „Einander aufrichten – miteinander aufbrechen“, Schlossplatz Dresden, Ökumenischer Gottesdienst nach der Flutkatastrophe

25. August 2002

Liebe Besucher aus nah und fern hier beim Gottesdienst auf dem Schlossplatz nach der Flutkatastrophe,

„Und die Taube brachte einen Ölzweig“. In der ältesten Fluterzählung der Menschheit steht dieser bildhafte Satz. Die den grünen Ölzweig als Zeichen wieder beginnenden Wachstums auf der Erde bringende Taube ist ein Symbol dafür, wie die Natur nach einer unheimlichen Zornesgebärde gegen den Menschen diesem wieder die Hand reicht. Die großen Maler aller Zeiten haben diese Taube mit ihrem Ölzweig gemalt. Ihr Bild gehört als ein Urbild der Hoffnung zum Allgemeinbesitz der Menschheit. „Und die Taube brachte einen Ölzweig“, - lasst uns unter diesem Symbol fragen nach den Kräften, die wir brauchen, um einander aufzurichten und miteinander aufzubrechen.

Hinter uns liegen schwere Tage. Vor uns liegen unbestreitbar ernste Herausforderungen. Die Flut an der Mulde, an der Flöha, der Müglitz, der Weißeritz und anderen Flüssen und dann an der Elbe hat viele, viele Menschen hart betroffen. Todesopfer sind zu beklagen. Viele tausende von Menschen haben Tage und Nächte bedrückender Angst hinter sich. Viele tausende haben ihre Wohnungen, ihre Häuser und sehr oft auch ihre Existenz verloren. Die einen sind unterdessen schon mit bewunderungswürdigem Elan wieder an der Arbeit. In anderen arbeitet das Erlebte mit geradezu traumatischen Folgen.

Inmitten alles Erlebten gab es wunderbaren Zusammenhalt von Menschen und aufopferungsvollen Einsatz so vieler bis über die Grenze der eigenen Kräfte hinaus. Dieses inmitten der Flut erwachte Zusammengehörigkeitsgefühl ist vielleicht die innerlich wertvollste Frucht dessen, was wir erlebt haben. Jetzt halten wir nach allem Erlebten inne und suchen nach einem inneren Fundament für die Zukunft.

Natürlich löst die unheimliche Zornesgebärde der Natur gegen den Menschen, die wir erlebt haben, viele Fragen aus. Fragen zum Beispiel an unsere westliche moderne Welt, die eine Welt des Machens, des Genusses und der Zerstörung der Natur ist. Darüber wird hoffentlich ernst nachgedacht werden. Den unmittelbar Betroffenen helfen solche Fragen gegenwärtig nicht. Sie haben elementare Fragen, vor allen Dingen die Frage danach, wie es nun weitergehen kann.

Viele Menschen, gerade auch die Betroffenen, werden über dem Erlebten aber auch nach Gott fragen. Und sie werden dabei die uralte Menschheitsfrage nach dem Warum stellen: warum hat ausgerechnet sie diese Katastrophe so hart getroffen?

Das ist eine Frage, auf die es keine Antwort gibt. Es ist eine Frage, die man von unserem Glauben her eigentlich nur mit in die innere Stille des Gebetes nehmen kann.

Was jetzt aber vor allen Dingen gefragt ist, sind innere Kräfte, die uns stark machen, mit so vielen vor uns liegenden Schwierigkeiten getrost fertig zu werden. Welcher Art diese Kräfte sind, die wir da brauchen, davon will und muss ich uns etwas sagen. Ich möchte es in einem Bild tun, in einem Bild, das die uralte Überlieferung von der Taube und ihrem Ölzweig auf seine Weise aufnimmt.

Unter den mancherlei Berichten der zurückliegenden zwei Wochen hat mich besonders berührt der Bericht von einem Mann in Grimma. Er hatte sein schwer getroffenes Haus besorgten Besuchern gezeigt. Zum Schluss ging er mit ihnen in den Garten. Er hatte dort schon ein wenig Schlamm beseitigen können. Und er zeigte inmitten allen Unrates seinen Besuchern drei schon wieder blühende Rosen. Diese drei schon wieder blühenden Rosen sind inmitten allen gegenwärtigen Erlebens so etwas wie der Ölzweig im Schnabel der Taube jener uralten Menschheitsgeschichte von der großen Flut.

Diesen drei schon wieder blühenden Rosen möchte ich Namen geben.
Die erste möchte ich „Glaube“ nennen. Die zweite „Liebe“. Die dritte „Hoffnung“.

Diese drei Namen stammen vom Apostel Paulus: „Nun aber bleibet Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei“, - so hat er einmal auf den Punkt gebracht, was wir Menschen brauchen, um auch in den ernstesten Herausforderungen des Lebens zu bestehen: den Glauben, dass über unserer Welt dennoch und in jedem Falle ein gütiger Wille regiert, die Liebe, die im Verbundenheitsgefühl dieser Tage so erstaunlich erlebbar ist, und die Hoffnung, die stärker ist als alle Erschütterungen. Das sind die Werte, die wir jetzt brauchen, um einander aufzurichten und miteinander aufzubrechen. Damit lasst uns an die Arbeit gehen, die vor uns liegt.
Amen.