Grußwort des Deutschen Evangelischen Kirchentags zur EKD-Synode 2022

Präsident Dr. Thomas de Maiziére

Dr. Thomas de Maiziére

Dr. Thomas de Maiziére, Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags

- unredigierte Fassung -

Es gilt das gesprochene Wort

Vielen Dank! Solch einen Beifall beim Hereinkommen habe ich in meinen besten Zeiten kaum gehabt!

Frau Präses, liebe Anna-Nicole,
liebe Ratsvorsitzende
liebe Schwestern und Brüder,

bei mir stand 18 Uhr. Jetzt ist es 18 Uhr. Aber, ehrlich gesagt, hatte mein Zug Verspätung. Von daher bin ich jetzt noch ein bisschen außer Atem.

Ich habe auf dem Herweg überlegt, wann ich schon einmal vor der Synode gestanden habe. Das war in Dresden.

Da sagt er: Das wissen wir! – Da war ich Bundesinnenminister und hatte mir vorgenommen, kein Blablagrußwort zu halten. – Da nickt er immer noch.

Natürlich traf nicht alles, was ich gesagt habe, auf ungeteilte Zustimmung. Aber wir haben, denke ich, sehr gut diskutiert. Das habe ich in intensiver Erinnerung.

Heute wollten wir gemeinsam, Kristin Jahn und ich, ein Grußwort halten. Das machen wir jetzt nacheinander. Sie haben gehört, dass wir in einem Zukunftsprozess sind, dass wir glauben, dass sich nicht nur die Zeiten verändern, sondern auch wir in ihnen und dass man das lieber aktiv gestaltet, als dass man abwartet, bis es zu spät ist. Wenn man als Kirchentag erfolgreich ist – wir glauben, dass wir das sind –, dann ist es die beste Zeit, sich zu verändern.

Unser Losungswort ist heute oft zitiert worden, hat mir Kristin Jahn erzählt. Jetzt ist die Zeit. Als wir lange vor dem Krieg darüber befunden haben, gab es beachtliche Gegenargumente. Ein Gegenargument war: So ein trivialer Satz! Er passt immer und nirgends. Jetzt ist die Zeit, das ist doch eigentlich immer. Jede Generation nimmt sich wichtig. Was soll das eigentlich sagen? Wir hatten einen anderen Vorschlag für eine Losung, der dann knapp unterlag. Er hieß: Steh auf und geh. Das fand ich eigentlich schön. Wir haben dann aber gesagt, dass man das aus Gründen der Inklusion usw. nicht sagen kann. Aber das Aktive daran hat mir gefallen.

Jetzt ist die Zeit so, dass alle und auch wir sagen: Das ist genau die richtige Losung. Wir leben jetzt wirklich in besonderen Zeiten. Sie haben das alles diskutiert, Zeitenwende, Epochen- bruch. Ich will das nicht im Einzelnen wiederholen.

Klar ist: Wir planen jetzt einen Kirchentag. Sie wissen alle, welch lange Vorläufe das hat. Da gibt es die Projektleitung und Anfragen und partizipative Prozesse, „bottom up“ statt „top down“; ich sage gleich noch etwas dazu.

Aber wir wissen nicht, wie die Lage vom 7. bis 11. Juni tatsächlich ist. Deswegen planen wir graue und weiße Flecken. Wir haben jetzt schon bestimmte Zeiten, die wir nicht verplanen. Die planen wir dann erst im März/April. Wir haben uns gesagt, wir brauchen die innere Bereitschaft, auch  ganz viel umzuschmeißen. Wir  werden das „top down“  anstoßen, aber

„bottom up“ entwickeln, was das dann heißt.

Ich weiß nicht, wie der Winter wird. Ich weiß nicht, wie unsere soziale Situation dann sein wird. Ich weiß nicht, wie der Zustand unserer Demokratie dann sein wird. Ich weiß nicht, wie es dann in der Ukraine aussieht. Das behandeln wir natürlich; ich komme gleich kurz darauf. Also: Wir wollen anders als sonst auf dem Weg zum Kirchentag auch die Bereitschaft haben, Inhalte, Abläufe, Themen zu verändern.

Wir wollen auch das Meinungsspektrum breiter machen, als es bisher der Fall ist. Wenn wir ganz ehrlich sind – das haben wir aus allen politischen Lagern gehört –, war es doch ein bisschen oft zu sehr eine Wohlfühlveranstaltung derer, die alle schon immer der gleichen Meinung waren. Das wollen wir aufbrechen, in alle Richtungen. Dafür ist auch jetzt die Zeit.

Wir haben beschlossen: Auf jedem Podium soll jemand unter 30, 35 teilnehmen – auf jedem Podium, egal zu welchem Thema. Das ist schnell gesagt, schnell gefordert, aber gar nicht so leicht gemacht. Wenn es dann ein-, zweimal nicht gelingt, seien Sie nicht böse. Aber das ist, glaube ich, ein interessantes Vorhaben.

Es bleibt natürlich bei dem Dreiklang: Der Kirchentag soll ein Fest des Glaubens sein, ein Forum für Debatten und eine Bühne für Kultur. Das wird bleiben. Aber wir wollen gemeinsam versuchen, das in einer bestimmten Haltung zu tun, und zwar in einer Haltung, die gerade jetzt sagt: Wir sind nicht Weltmeister darin, das Jammertal zu beschreiben, und es sogar zu genießen, wie vorzüglich wir das beschreiben. Wir wollen keine Selbstbespiegelung darbieten. Nach dem Singen und Beten, was Kern ist, wollen wir dann fragen: Was ist jetzt zu tun, nicht nur von der Gesellschaft, sondern von jedem und jeder Einzelnen von uns auf dem Kirchentag und danach?

Zu einigen Schwerpunkten: Wir leben in Zeiten erschütternder Gewissheiten. Das spüren wir ja alle. Deswegen werden wir natürlich über diese erschütternden Gewissheiten sprechen, über Krieg und Frieden, über Überfluss und Wohlstandsmehrung und Mangel und Entbehrung, über Globalisierung und Abschottung, über die Handlungsfähigkeit von Politik in Deutschland und auch in der Welt.

Wir planen verschiedene Hauptpodien, die die Schwerpunkte abbilden. Ein sehr wichtiges wird sein: Was gibt uns eigentlich in dieser Lage Halt? Da sagen wir natürlich, wir haben die beste Botschaft der Welt, aber wie geht das? Oder ist es besser, ich mache eine Urschreitherapie am Wochenende? Komme ich dann befriedigter nach Hause, als wenn ich am Sonntag um zehn in einem Gottesdienst im ländlichen Raum bin? Was gibt uns wirklich Halt?

Das Zweite, was wir diskutieren, ist: Zukunft des Glaubens – weniger Zukunft der Kirche; das ist mehr Ihre Baustelle – in einer säkularen Welt. Da bin ich ganz der Meinung von Annette Kurschus – jedenfalls wie es berichtet worden ist –: Ich finde, es ist keine Zeitenwende, dass wir nicht mehr die Hälfte der Bevölkerung sind. Das ist ein statistischer Wert. Wir sind noch immer ganz schön viele. Wenn wir so viele sind, dann muss man unsere Stimme auch hören – unverwechselbar, klar, deutlich und anders als sonst in der Gesellschaft. Ich denke, das ist etwas, was wir zeigen können.

Vielen Dank für den Beifall. Die Frage ist nur, wie das geht.

Die Überschrift ist schnell formuliert. Wir wollen dann natürlich darüber diskutieren und streiten, wie das geht.

Die Frage, was in der Klimakatastrophe zu tun ist, wird ein Schwerpunkt sein.

Eine etwas neuere Fragestellung, die ich sehr interessant finde und die mich auch besonders umtreibt, ist: Ist Demokratie angesichts der Zeitläufte eigentlich zukunftsfähig und, wenn ja, wie?

Im Moment wird alles Unwichtige langatmig diskutiert, und alles zentral Wichtige wird über Nacht entschieden. Die besonders Extremen in der Klimabewegung sagen: Das dauert zu lang. Ihr müsst etwas ändern. – Gibt es eine Entscheidung zwischen Demokratie und Klimaschutz, und wie sähe die aus? Wie können wir angesichts der Krisenstapel, die wir haben, Demokratie überhaupt so organisieren, dass sie Akzeptanz hat und Probleme löst?

Ein nächster Punkt: Wir werden natürlich auch das Thema Rassismusdebatte angehen. Wir hatten im Präsidium eine lange Diskussion darüber: Ist Rassismus ein Gründungsgen der Kirche oder nicht, und was heißt das? – Darüber wollen wir diskutieren.

Dann natürlich: Wie geht internationale Sicherheitspolitik?

Auch wollen wir eine sehr kontroverse Debatte – das haben Sie auch gemacht, im und nach dem Gottesdienst – über Friedensethik führen und auch die klassischen Fragen ansprechen: Wann ist die Anwendung von Gewalt erlaubt und nötig? Welche Schuld entsteht durch Tun und Unterlassen?

Vielleicht gibt es auch den Anstoß, dass die EKD einmal überlegt und sagt: Jetzt ist die Zeit, eine neue Friedensdenkschrift zu erarbeiten bzw. zumindest zu überprüfen, ob die alte noch gilt, und das in einem klugen Verfahren. Mir schiene das nötig zu sein. Mal sehen, ob wir dazu kommen.

Vieles wird anders in unserem Land. Das wollen wir diskutieren. Wir wollen Teil der Lösung und nicht Teil der Beschreibung des Problems sein.

Das alles wollen wir fröhlich, zuversichtlich, in ernster Zuversicht und in nüchternem Realismus machen, mit viel Singen und Beten, in den Hallen, auf den Straßen, auf den Plätzen, in den U- Bahnstationen, und da gehört das hin.

Mein letzter Satz: Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie alle – und noch viel mehr – nach Nürnberg kommen und uns auf diesem Weg begleiten.