„Der Glaube muss jetzt mehr aushalten als in Friedenszeiten“

Interview mit Pfarrer Haroutune Selimian aus Aleppo/Syrien

Am 8. März ist Reminiszere: Die Evangelische Kirche in Deutschland lädt Christinnen und Christen jedes Jahr ein, an diesem Tag ganz besonders für bedrängte und verfolgte Christen zu beten. Ein Schwerpunkt der Fürbitte 2020 ist die Situation der Menschen in Syrien. Dort ist noch immer Krieg und die Menschen leiden. Haroutune Selimian ist Vorsitzender der Union Evangelisch-Armenischen Gemeinden in Syrien und Pfarrer in Aleppo. Trotz Bürgerkrieg will er in seiner Heimat bleiben.

Pfarrer Haroutune Selimian aus Aleppo (Syrien)

Haroutune Selimian ist Vorsitzender der Union Evangelisch-Armenischen Gemeinden in Syrien und Pfarrer in Aleppo. Trotz Bürgerkrieg will er in seiner Heimat bleiben.

Wie ist die Situation in Aleppo?

Haroutune Selimian: Alle Menschen in Syrien, auch die Christen in Aleppo, haben schlimme Erfahrungen hinter sich, es gab Entführungen. Viele Gebäude sind zerstört. Es mangelt an Wasser und Strom. Dazu kommt die Angst vor der türkischen Expansion. Es ist also nach wie vor sehr kompliziert, in Aleppo zu leben. Dabei brauchen wir Hoffnung.

Ich denke an eine ältere Christin, die in den Trümmern ihres Hauses lebt, weil sie ihr Zuhause nicht verlassen will. Sie hat Steine zu einem Tisch aufgeschichtet, ihr Kopfkissen besteht aus Steinen. Sie sammelt Nahrungsmittel und kocht für Bedürftige.

Was bedeutet der Glauben für die Christen?

Haroutune Selimian: Der Glaube muss jetzt mehr aushalten als in Friedenszeiten. Er wird auf eine harte Probe gestellt, denn jetzt kommt es darauf an, geduldig zu sein, Vertrauen zu haben und auf fremde Menschen zuzugehen, von denen man nicht weiß, ob sie vorher Terroristen waren.

Wir glauben, dass wir die Not nicht überstehen, wenn wir uns allein aufs Überleben konzentrieren. Wir müssen uns auf das Versprechen Gottes konzentrieren.

Vor welchen Herausforderungen steht die evangelische Gemeinde in Aleppo?

Haroutune Selimian: Wir versuchen weiter zu helfen. Wir bauen unsere Schulen wieder auf, in denen Christen und Muslime gemeinsam lernen. Wir ermöglichen jungen Menschen eine berufliche Ausbildung. 300 Handwerksbetriebe sind so entstanden. Wir haben mitten in unserer Kirche eine Poliklinik aufgebaut, in der Christen und Muslime gleichermaßen behandelt werden. Denn predigen allein reicht nicht. Wir setzen das, was wir glauben, in die Tat um.

Interview: Sven Kriszio


Pfarrer Haroutune Selimian ist aktuell zu Besuch in Deutschland. Begleitet vom Generalsekretär des Gustav-Adolf-Werks tritt er bei verschiedenen Veranstaltungen auf, um über das Leben mit dem Krieg und die Arbeit der evangelisch-armenischen Gemeinde in Aleppo zu erzählen.