Johannisempfang des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union
Dr. Stephan Reimers
Es gilt das gesprochene Wort.
Anrede
Zum zweiten Johannisempfang in der Hauptstadt Berlin heiße ich Sie alle herzlich willkommen. Johannes – aus dem Hebräischen wörtlich übersetzt – bedeutet soviel wie „Gott hat Gnade erwiesen, Gott hat seine Gunst geschenkt.“ Das ist eine passende Überschrift für zehn Jahre wiedergewonnene Einheit unserer Kirche.
Überschriften sind wichtig. Denn sie entscheiden in welchem Licht wir das Licht sehen. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob das Leben kühl oder mit hoffender Liebe angesehen wird – mit Vertrauen auf Geleit und Zukunft.
Die Loccumer Erklärung vom 17. Januar 1990 eröffnete den Vereinigungsprozess, der Ende Juni 1991 mit der ersten gemeinsamen Synode in Coburg seinen Abschluss fand.
Ich soll Sie alle sehr herzlich von Bischof Engelhardt grüßen, der wegen einer lange zugesagten Verpflichtung in Konstanz heute nicht bei uns sein kann. Er hat sich sehr gefreut, dass andere, die die Beratungen damals geprägt haben, zusagen konnten. Ich nenne stellvertretend die beiden Präsides der Synoden Frau Cynkiewicz und Herrn Dr. Schmude … Schön, dass Sie an diesem Tag bei uns sein können.
Damals mussten viele heiße Eisen schnell und gleichzeitig angepackt werden.
Ich nenne nur drei Stichworte:
Religionsunterricht,
Kirchensteuer
und die Militärseelsorge.
Dass es gelang, sich in kurzer Zeit zu verständigen, ist nicht selbstverständlich, sondern nur durch das Fundament eines ungebrochenen Zusammengehörigkeitsgefühls zu erklären.
Auch in der Zeit der institutionellen Trennung von Kirchenbund in der DDR und EKD lebte die Einheit der Kirche in tausendenden von Gemeindepartnerschaften weiter.
In unserem Sprengel Hamburg z.B. hatten 120, das sind zwei Drittel aller Kirchengemeinden und 15 diakonische Einrichtungen regelmäßige und enge Kontakte zu den Partnergemeinden in Mecklenburg und Vorpommern. Ein Aktiver aus dieser Arbeit erinnert sich in einem Brief:
„ Das war das Wichtigste. Es waren unsere Leute, die zu uns gehörten. Es war keine andere Kirche. Über diese Kanäle liefen Freundschaften, theologische Gespräche, Austausch über die jeweils neuesten ideologischen Strömungen in Ost und West. Es liefen persönliche Verbindungen, Patenkinder. Es liefen viele Bücher. Manchmal ein Skoda, Bananen und Kaffee. Wichtiger: über diese Kanäle lief kirchliche Identität.“
Die 24 evangelischen Landeskirchen in Deutschland hatten ein enges und belastbares Netz geknüpft. Auf der Rückseite Ihres Liederzettels haben wir versucht, diese Partnerschaftsbeziehungen mit einer farblichen Umrandung der Logos der Landeskirchen abzubilden. Die Logos sind abziehbar und so zugleich eine Einladung, die Partnerzugehörigkeit der eigenen Landeskirche bei dem anschließenden Empfang auf dem Revers von Kostüm oder Anzug abzubilden. Auch unsere ökumenischen Gäste haben wir mit dem passenden Symbol bedacht, dem Schiff ökumenischer Geschwisterlichkeit.
Einer der unermüdlichen Brückenbauer zwischen den getrennten Kirchen war der Berliner Propst Dr. Heinrich Grüber. An seinen 110 Geburtstag ist hier am letzten Sonntag, dem Johannistag, erinnert worden.
Ab 1938 unterstützte das „Büro Pfarrer Grüber“ im Auftrag der Bekennenden Kirche verfolgte christliche Juden. Etwa tausend von ihnen ermöglichte das Büro die Ausreise, vielen anderen wurde im alltäglichen Leben geholfen. 1940 wurde Grüber auf Anordnung von Heydrich in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Von 1941 bis 1943 war er Häftling im KZ Dachau. Als einziger deutscher nicht-jüdischer Zeuge im Eichmann-Prozess hat er von einem Dialog mit dem Angeklagten berichtet. Der hatte ihn 1939 gefragt, warum er sich so für Juden einsetzte. Grübers Antwort:
„Sie kennen die Straße von Jerusalem nach Jericho! Auf dieser Straße lag einmal ein überfallener und ausgeplünderter Jude. Ein Mann, der durch Rasse und Religion von ihm getrennt war, ein Samariter, kam und half ihm. Der Herr, auf dessen Befehl ich alleine höre, sagt mir: Gehe du hin und tue desgleichen.“
Nach der Befreiung 1945 wurde Grüber Propst an der Berliner Marienkirche. Von 1949 bis 1958 vertrat er unsere Kirche bei der Regierung der DDR als Bevollmächtigter des Rates der EKD. 1958 haben ihm die Behörden der DDR die Vertreterfunktion als Bevollmächtigter aberkannt und ab 1961 die Einreise nach Ostberlin überhaupt verweigert und damit die Rückkehr in seine Gemeinde.
In meinem ersten Gespräch mit dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der PDS Gregor Gysi habe ich ihm Vorbehalte in unserer Kirche gegenüber seiner Partei genannt. Einer der Gründe für unsere Reserviertheit sei, dass die PDS bisher keine Anstrengung zeige, die Unterdrückungsgeschichte der Christen in der DDR anzusehen und dazu Stellung zu nehmen. Gregor Gysi war für diese Frage ansprechbar, aber Folgerungen habe ich bisher nicht wahrgenommen.
Christen sind gänzlich uninteressiert daran, Menschen oder auch Menschengruppen auf ihre Vergangenheit festzunageln, nach dem Motto: Du bist, was du warst. Und du bleibst, was du warst. Vielmehr ermutigt uns das Evangelium, auf Veränderung und Entwicklung zu vertrauen.
Aber zugleich gehört zur politischen Verantwortung von Christen, Fragen zu stellen und nicht blauäugig gegenüber einer Partei zu sein, in der die kommunistische Plattform und das marxistische Forum eine sehr aktive Rolle spielen.
Verehrte Gäste, der heutige Johannisempfang ist wesentlich dem Erinnern gewidmet, das so wichtig ist angesichts einer hastigen, schnelllebigen Zeit und in einer so turbulenten Hauptstadt, wie Berlin sie ist. Deshalb schließe ich mit einem Wort, das Sie, lieber Herr von Weizsäcker, in Ihrer wichtigen Rede zum 8. Mai 1985 gesprochen haben:
„Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu
gedenken, daß es zu einem Teil des eigenen Innern wird.
Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit.“
Ich wünsche uns eine gute Begegnung.