Mehr als ein Dach über dem Kopf
Kirchliches Modellprojekt kümmert sich um Senioren nach der Haft

Wenn Karl-Heinz F. aus dem Fenster schaut, kann er die Justizvollzugsanstalt Detmold sehen. Dort hat er einen Teil seiner zweieinhalbjährigen Haftstrafe abgesessen. „Die Dummheiten liegen hinter mir“, sagt der 62-Jährige. Er lebt jetzt in einer ehemaligen Dienstwohnung der Justizvollzugsanstalt. Die neue Unterkunft gehört zu einem Modellprojekt von Lippischer Landeskirche und Detmolder Haftanstalt, das vor einem Jahr gestartet wurde.
Der Tag von Karl-Heinz F. ist ausgefüllt: Um acht Uhr beginnt er seinen Fahrdienst für einen Umzugs- und Renovierungsdienst der diakonischen Stiftung „Herberge zur Heimat“. „In der Gruppe verstehen wir uns gut“, erzählt Karl-Heinz F., dem der Stolz über seinen ehrenamtlichen Fahrerjob anzumerken ist. Ab Mittag stehen dann oft Arzt- und Behandlungstermine auf seinem Programm. Wenn F. nach Hause kommt, widmet er sich seiner Leidenschaft: den großformatigen Puzzlespielen.
Um F. und einen weiteren älteren Haftentlassenen kümmern sich Mitarbeiter der Stiftung „Herberge zur Heimat“. Das Detmolder Projekt will mehr bieten als nur ein Dach über dem Kopf, erläutert Paul Martens vom Sozialdienst der „Herberge zur Heimat“. Ziel sei es, nach der Haft den Weg wieder in ein selbstständiges Leben zu ebnen.
Für das Projekt hat die Stiftung „Herberge zur Heimat“ die Wohnung gemietet, die zwei Plätze bietet. Finanziert wird das Projekt für Menschen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Nach Angaben der Diakonie Deutschland gibt es bundesweit nur wenig Vergleichbares, beispielsweise ein Wohnprojekt beim Diakonischen Werk im bayerischen Rosenheim.
Wenn die „Herberge zur Heimat“ zur Weihnachtsfeier einlädt, ist auch F. dabei. „Jetzt, wo alles weg ist, habe ich auch keine Freunde mehr“, erzählt er. Seine Frau hat sich während seiner Haft von ihm getrennt. Nur zu zwei seiner sieben Kinder, die überwiegend in Pflegefamilien und Heimen aufwuchsen, hat er Kontakt.
„Ausdruck christlicher Nächstenliebe“
In die Haft nach Detmold und Bielefeld kam der gebürtige Koblenzer, weil er neue Handys bestellt hatte und sie, ohne sie zu bezahlen, weiterverkaufte. Karl-Heinz F. hatte seinen Job als Binnenschiffer auf der Donau verloren, mit dem Arbeitslosengeld II kam er nicht hin. „Da hat der Vater dann Dummheiten gemacht“, sagt er.
Der Theologische Kirchenrat der Lippischen Landeskirche, Tobias Treseler, nennt das Projekt einen „Ausdruck christlicher Nächstenliebe“. Es sei wichtig, dass endlich einmal Modellprojekte für ältere Haftentlassene eingerichtet werden, sagt Sabine Bruns von der Straffälligenhilfe der Diakonie Rheinland Westfalen Lippe. Es gebe dafür „einen großen und spezifischen Bedarf, der leider überhaupt nicht abgedeckt wird“.
„Mir wurde eine helfende Hand entgegengestreckt, und ich habe sie angenommen“
Ältere Haftentlassene haben häufig mit den Folgen einer langen Haftzeit zu kämpfen, wie der Experte für Straffälligenhilfe der Diakonie Deutschland, Rolf Keicher, erläutert. Dazu gehörten oft ein Verlust der Selbstständigkeit sowie Antriebslosigkeit. Im fortgeschrittenen Alter kämen reguläre Jobs kaum noch infrage. Dadurch werde es noch schwerer, an eine Wohnung zu kommen.
Eine günstige Voraussetzung in Detmold war, dass die Justizvollzugsanstalt als erste von 38 Vollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen eine eigene Abteilung für ältere Gefangene eingerichtet hat. Bei älteren Menschen, denen sämtliche soziale Bezüge weggebrochen seien, werde es bei der Entlassung schwierig, sagt Direktor Oliver Burlage. Senioren- und Pflegeheime hätten ohnehin lange Wartelisten. Dort gebe es wenig Begeisterung, „wenn wir sie fragen, ob sie einen entlassenen Gefangenen übernehmen können“, erzählt der Direktor.
Karl-Heinz F. will jetzt nach vorne schauen. Er sei bin dankbar, dass er in dem Detmolder Projekt eine Chance habe. „Mir wurde eine helfende Hand entgegengestreckt, und ich habe sie angenommen.“
Holger Spierig (epd)