Predigt am 17. Sonntag nach Trinnitatis im Berliner Dom (Matthäus 15, Vers 21-28)
Manfred Kock
Und Jesus ging weg von dort und zog
sich zurück in die Gegend von Tyrus und
Sidon.
Und siehe, eine kanaanäische Frau kam
aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr,
du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
Meine Tochter wird von einem bösen
Geist übel geplagt.
(1) Und er antwortete ihr kein Wort. Da
traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und
(2) sprachen: Laß sie doch gehen, denn sie
schreit uns nach.
(3) Er antwortete aber und sprach: Ich bin
nur gesandt zu den verlorenen Schafen des
Hauses Israel.
Sie aber kam und fiel vor ihm nieder
und sprach: Herr, hilf mir!
Aber er antwortete und sprach: Es ist
nicht recht, daß man den Kindern ihr Brot
nehme und werfe es vor die Hunde.
Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen
die Hunde von den Brosamen, die vom
Tisch ihrer Herren fallen.
Da antwortete Jesus und sprach zu ihr:
Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe,
wie du willst! Und ihre Tochter wurde
gesund zu derselben Stunde.
Von der Beharrlichkeit des Glaubens
In der Bibel gibt es einige Geschichten von Menschen, die mit großer Beharrlichkeit auf ihrem Glauben bestehen. Sie ringen, um ihren Glauben, sie ringen mit Gott selbst. Hiob ist so einer, der sich nicht abfindet mit seinem Leid und Gott geradezu anschreit, sein göttliches Wesen doch nicht hinter ungerechtem Leid zu verbergen. Da ist ein anderer, Jakob. Er hat im Traum mit Gott gerungen: „...ich lasse dich nicht los - nur unter der Bedingung, dass du mich segnest“. Zwar erwacht er mit ausgerenkter Hüfte, die ihn sein ganzes Leben lang hinken lässt, aber in seiner Beharrlichkeit hat er obsiegt.
Eine Geschichte der Beharrlichkeit des Glaubens ist auch das Evangelium, das wir hörten. Die Geschichte kommt nicht aus mythischer Ferne oder aus den Irrlichtern der Traumwelt.
Die Geschichte berichtet von der Beharrlichkeit einer Frau, einer Kanaanäerin. Eine Heidin ist sie. Für ihre kranke Tochter steht sie ein, mit großer Beharrlichkeit. Nicht mit verzweifeltem Schrei wie Hiob, nicht in männlichem Ringkampf wie Jakob, sondern mit Willen und Geist. Ihr Glaube lässt sich nicht entmutigen.
Von dieser Geschichte können wir lernen.
1. Der Glaube überwindet Grenzen
Wir kennen nicht den Namen dieser Frau. Sie ist eine Kanaanäerin, heißt es, eine Heidin also. Die Wurzeln des Glaubens der Kanaanäer liegen außerhalb der Tradition Israels. Potenz und Fruchtbarkeit sind die göttlichen Symbole der Kanaanäer, für Israel ist das Götzendienst. Diese kanaanäische Frau will aber Hilfe von Jesus. Sie fällt ihm zu Füßen. Aber sie erlebt brutale Erniedrigung. „Man nimmt nicht den Kindern das Brot weg und wirft es vor die Hunde.“
Das ist ein schroffer Satz, eigentlich ist das Gespräch beendet. Die Grenze des Volkes ist die Grenze der Verantwortung Jesu, so sagt er es, so scheint es. Seine ausschließliche Aufgabe ist es, Messias seines Volkes zu sein. Dieses Volk Gottes muss er zur Umkehr rufen.
Aber der Glaube überwindet diese Grenze, überwindet die Grenze des Volkes Gottes zu den Heiden hin. Mit dieser Geschichte hatten die Christen in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts sich bei Jesus legitimiert für die ihre Mission über die Grenzen des jüdischen Volkes hinaus.
Der Glaube der Frau aus Kanaan, der Glaube der Heidin, zeigt die große Vision, auf die so viele hoffen. Er zielt auf die Überschreitung, die Öffnung der Grenze. Jesus folgt dieser Frau. Er gibt ihr nach.
So ist diese Geschichte ein Modell für Offenheit, ein Aufruf gegen Abgrenzung aus Gründen der Nationalität oder der religiösen Herkunft.
Ich will das übertragen:
Seit 1989 ist etwas geschehen, das Mauer und Stacheldraht beseitigt hat. Die Grenzen sind offener geworden. Aber in den Köpfen sind die Grenzen noch da. Völker reagieren nationalistisch, Serbien, Kroatien, Bosnien, Kosovo. Glaube, der sich in Fanatismus übersteigert, richtet neue Grenzen auf: Panzer rollen an, Raketen explodieren. Ungeheure Anschläge wurden verübt. In den Köpfen sind die Grenzen des Hasses. Und schon müssen auch die Grenzen zwischen den Ländern und innerhalb unseres Landes aufgerichtet und befestigt werden mit den üblichen Kontrollen und Fahndungen. Grenzen sind Gebilde, die der Bosheit notdürftig Einhalt gebieten sollen. „In dieser noch nicht erlösten Welt“ sind sie ein Mittel, um für Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen. (Barmer Theol. Erkl. 5)
Aber wir erleben heute, wie auch der Glaube selber wieder benutzt wird zur Abgrenzung und zur Ausgrenzung. Offensichtlich gibt es Varianten der Religion, die sich in Fanatismus entladen. Heute erleben wir das in erster Linie in den muslimischen Herkünften. Die Gefahr eines fanatischen Missbrauchs der Religion ist aber nicht eine spezifisch muslimische. Die Geschichte unserer Kirche zeigt auch eine christliche Anfälligkeit. Inquisition mit ihren Scheiterhaufen und Kreuzzüge mit ihrer gewalttätigen Missionsabsicht sind die dunklen Seiten unserer Geschichte. Nordirland ist ein Beispiel dafür, dass Aufklärung und Jesu Geist auch in unserem Kulturkreis noch verschüttet sein können.
Gott sei Dank hat unsere Geschichte auch die hellen Seiten. Sie sind genährt durch Geschichten, wie diese von der kanaanäischen Frau. Jesus wird von ihr bewogen, die Grenze zwischen Juden und Heiden zu überschreiten.
2. Aber das Heil kommt von den Juden.
Alle Grenzüberschreitung darf das nicht vergessen.
Glaube, Geist und Wirkung des Mannes von Nazareth, entstammen der Erwählung Israels. Hier wurzelt der Glaube. Hier hat er die Fundamente. Allerlei mythisches Gewabere wird heute als Religion angepriesen. Es spukt viel Spiritismus und Satanismus, allerlei Okkultes und Geheimnisvolles durch die Köpfe. Das Fundament unseres Glaubens ist eine Geschichte, nicht ein religiöses Fluidum, sondern es ist die Geschichte Gottes mit Israel. Diese Herkunft darf unser Glaube nicht verdrängen. Seine Weite entwickelt sich aus dieser Wurzel, seine Grenzen kann er überschreiten, weil er aus dieser Wurzel seine Vision bezieht: Weil Gott aus der Chaos-Menschheit, aus der babylonischen Verwirrung sich das eine Volk erwählt als Sinnbild und Erstling für die Gemeinschaft aller Völker in Frieden und Gerechtigkeit.
Es ist irrig zu meinen, das Zusammenleben der Religionen könne gelingen, wenn jede Religion ihre speziellen Äußerungen zurückstellte und man sich auf einer allgemeinen religiösen Friedensebene verständigte. Für uns Christen ist das Christusbekenntnis mit seiner jüdischen Wurzel kein entbehrliches „Sahnehäubchen“. Zusammenleben kommt aus der Kraft der eigenen Identität. Sie kann die Andersartigkeit respektieren.
3. Die Person neben Jesus ist eine Frau
Eine fremde, leidgeprüfte Frau mit einer kranken Tochter sucht Hilfe.
Trotz der knappen Beschreibung lässt sich ahnen, welche Lasten Tag und Nacht auf ihr liegen.
Sie ist Abbild aller, die unter den Lasten und Sorgen leiden, die Grund hätten zu resignieren. Aber sie resigniert nicht. Eine starke Frau!
Sie ist stark, wie viele Frauen in ähnlicher Lage. Gerade wenn es sich um ihre Kinder handelt und wenn die krank sind, dann zeigt sich diese Stärke besonders. Welcher Einsatz hier gebracht wird, was Frauen in diesem Feld leisten, ist beeindruckend und oft überwältigend. Wir haben in unserem Land zur Zeit eine gute Initiative zur Förderung des Ehrenamtes. Da ist es gut, darauf hinzuweisen, wie gerade pflegende Frauen für ihre Kinder sich einsetzen. Unsere ganze Gesellschaft hat davon den Nutzen. Hier sind die Vorbilder, die zum Respekt nötigen. Sie sind Gegenbilder zu der wachsenden Neigung, auf Eigeninteresse und Egoismus zu setzen.
Bei dieser Frau, die Jesus begegnet, kommt noch etwas hinzu: Ihr Glaube behauptet sich in einer Männergesellschaft. Mitten auf der Straße stellt sie sich dem Jesus in den Weg. Das schickte sich nicht für eine Frau damals. Dass sie eine Ausländerin ist, verschlimmert das noch. Darum wollen die Jünger sie verjagen. Eine Stimme, die nach Hilfe ruft, soll mundtot gemacht werden, aber sie lässt sich nicht zum Schweigen bringen.
4. Eine Serie der Zurückweisungen
Weil sie lästig fallen, werden Menschen, die um Hilfe bitten, abgewimmelt. Achten wir noch mal auf die kleine Erzählung. Sie beschreibt die Serie der Zurückweisung.
Der erste Schlag: Die Frau ruft nach Hilfe und Jesus schweigt.
Der zweite: Die Jünger wollen sie fortjagen.
Der dritte: Als Jesus endlich spricht, sagt er: ich bin nicht zuständig und erniedrigt sie, bis zu den Hunden.
Keine Antwort, - Zurückweisung, - nicht zuständig.
Viele hilfsbedürftige Menschen machen solche Erfahrungen. Briefe bleiben ohne Antwort, deutliche Signale, die nach Hilfe suchen, werden überhört, vor allem die Ausreden der Unzuständigkeit.
Von dieser Frau ist die Beharrlichkeit zu lernen. Sie gibt nicht auf, sie lässt sich nicht mundtot machen. Eine klassische Frauengeschichte ist das. Stärke wird in ihr deutlich, „women‘s power“.
Ohne Aussicht ist die Frau gekommen, hat standgehalten, hat gekämpft um die Tochter.
„Dein Glaube ist groß“ sagt Jesus.
Ihr Glaube ist nicht fertig, er provoziert die Auseinandersetzung, aber er lässt sich nicht abschütteln.
Wer macht solche Erfahrungen mit seinem Glauben?
Lebensphasen, in denen alles nicht zu gelingen scheint, in denen das Leben sich als widerständig erweist, die eigenen Denkstrukturen auch, Lebensphasen in denen man resigniert aufgibt. Alle Anstrengungen scheinen nicht zu helfen.
Es gibt Frauen, einzelne oder in Gruppen, auch in unserer Kirche, die aus Enttäuschung eben nicht mehr weitermachen. Sie geben auf, weil sich für sie nichts zu ändern scheint.
Diese Geschichte der namenlosen Frau aus Kanaan aber will durchhalten helfen. Gerade in einer Zeit, in der die Abgründe der Bosheit soviel Leid über die Menschen bringen – gerade in einer Zeit, da alle so hilflos scheinen und alle Aktionen so risikoreich sind – gerade jetzt gilt es, durchzuhalten. Wenn alle sich abwenden, dann schenkt Gottes Geist doch Kraft. Es gehört geradezu zum Wesen des Glaubens, dass er sich gegen das NEIN durchsetzt. Gott beim Wort nehmen, das ist die Devise.
Das Ziel der Evangeliumsbotschaft ist dieses: Der Glaube bewirkt Veränderung, schenkt Befreiung und Heilung.
5. Welch ein Glaube!
Jesus nennt die Beharrlichkeit dieser Frau: Glaube; der besiegt die Dämonen der Krankheit.
Das ist kein dogmatischer, bekennerhafter, entfalteter Glaube, keine Gottesvorstellung, schon gar kein System, wie sich ICH und Welt zu Gott und Christus verhalten. Es geht um eine Haltung, die auch gegen den Anschein auf die Quelle des Glaubens setzt – auf Christus.
Martin Luther hat gesagt „ unser Herz ist angefochten, es meint, es sei nur nacktes Nein da, wie Christus sich hier stellt, darum muss sich das Herz von solchem Fühlen kehren. Und das tiefe, geheime Ja hinter dem Nein mit festem Glauben fassen und halten, wie es dies Weiblein tut. So haben wir gewonnen und fangen Gott in seinen eigenen Worten“.
Entzündet ist die Hoffnung. Jesus lernt von dieser Frau und gibt sich geschlagen. Sie überschreitet die Blockaden. Sie ist ein Vorbild nicht nur für Frauen.
Ich selber möchte gerne dem Beispiel dieser Frau folgen . In schweren Krisen und in schweren Kirchenzeiten beharrlich sein mit meinem Glauben. Ich bewundere diese Frau, weil sie sich nicht einschüchtern lässt, sie liegt auf den Knien und ist doch aufrecht.
So gedenken wir heute dieser namenlosen Frau und setzen auf die geschenkten Kräfte, dass eine Welt entsteht in Gerechtigkeit und Frieden.