Predigt zum letzten Sonntag nach Epiphanias in der Kreuzkirche der Deutschen Evangelischen Gemeindein Addis Abeba (Matthäus 17, 1-9)
20. Januar 2002
Die Verklärung Jesu
Und nach sechs Tagen nahm Jesus
mit sich Petrus und Jakobus und
Johannes, dessen Bruder, und führte sie
allein auf einen hohen Berg.
Und er wurde verklärt vor ihnen, und
sein Angesicht leuchtete wie die Sonne,
und seine Kleider wurden weiß wie das
Licht.
Und siehe, da erschienen ihnen Mose
und Elia; die redeten mit ihm.
Petrus aber fing an und sprach zu Jesus:
Herr, hier ist gut sein! Willst du, so wollen
wir hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose
eine und Elia eine.
Als er noch so redete, siehe, da über-
schattete sie eine lichte Wolke. Und siehe,
eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies
ist mein lieber Sohn, an dem ich
Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!
Als das die Jünger hörten, fielen sie auf
ihr Angesicht und erschraken sehr.
Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an
und sprach: Steht auf und fürchtet euch
nicht!
Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen
sie niemand als Jesus allein.
Und als sie vom Berge hinabgingen,
gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt
von dieser Erscheinung niemandem sagen,
bis der Menschensohn von den Toten
auferstanden ist.
Einführung
Herzlichst grüße ich Sie im Namen der Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ich verbinde das mit dem Dank für alle Vorbereitung und für die herzliche Aufnahme. Über die Aufgaben unserer Reise will ich einige Bemerkungen machen.
- Die evangelischen Kirchen haben seit langem kirchliche Partnerschaften, sowohl mit der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche als auch mit der Lutherischen-Mekane-Jesus-Kirche.
- Das Land Äthiopien und die Menschen mit ihrer Kultur sind mit unserem Land verbunden.
- Die Delegation wollte sich informieren über die Rolle der Religionen im Zusammenhang der Versöhnung zwischen Eritrea und Äthiopien.
- Wir hatten ein großes Interesse daran zu hören, wie die christlichen Kirchen mit der großen Gruppe der Muslime in diesem Lande zusammenleben.
- Schließlich hat die Delegation auch die Möglichkeit gehabt, mit den Pfarrern und Pfarrerinnen der deutschsprachigen Gemeinden auf dem afrikanischen Kontinent zusammen zu sein.
Die besondere Funktion der Auslandsgemeinden ist offensichtlich: Menschen deutscher Herkunft erleben in einer fremden Umgebung Vertrautes, sie erfahren, wie Kirche über den Horizont des Bisherigen hinaus weist. So setzen sie sich ein für eine Gemeinschaft. Das ist für die, die lange in fremden Ländern leben, sehr wichtig. Es ist aber auch von großer Bedeutung für die Gemeinden in Deutschland. Denn viele kommen nach Auslandsaufenthalten zurück und können ihre Erfahrungen in die deutsche Gesellschaft einbringen. Sie sind ja Menschen, die über den Horizont hinaus geblickt haben.
1. Eine Geschichte, die über den Horizont hinausweist
Das Sonntagsevangelium ist eine sehr bildhafte Geschichte. Aber ihre Realität ist geheimnisvoll. Die Geschichte ist anschaulich, aber man könnte sie nicht fotografisch dokumentieren. Jedenfalls ist es eine Geschichte außerhalb des Alltäglichen.
Drei Jünger besteigen mit Jesus einen Berg und haben ein Erlebnis jenseits physikalischer Realität. Die drei sehen „Jesu Angesicht wie die Sonne, sein Kleid wie das Licht.“ Mose und Elia erscheinen, eine Stimme aus der Wolke ertönt, die „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!“ spricht.
Eine schöne Geschichte ist das für dieses Land an diesem Wochenende. Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche hat ihr Timkat-Fest gefeiert, das Fest der Taufe Jesu. Auch in dieser Geschichte die gleiche Stimme vom Himmel: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Das Geheimnis der Versöhnung von Gott zum Menschen hin wird deutlich. Der Menschgewordene ist der Sohn und wird bevollmächtigt durch die Stimme. Immerhin, die Taufe am Jordan ist ein Geschehen innerhalb der äußeren Realität, die Wissenschaftler sagen, es handele sich um eine echte Jesus-Geschichte.
Der Verklärungsgeschichte aber ist abzuspüren, dass sie im Ablauf noch andere religiöse Dimensionen spiegelt.
Eine Frau hat mir einmal ihre „Verklärungsgeschichte“ erklärt. Sie hatte ihren Mann nach fünfundzwanzigjähriger Ehe plötzlich verloren. Die Ehe war voller Spannungen, aber eben spannend und darum lebendig. In den Tagen am Krankenbett hatten beide tiefe Gespräche, über das Glück der Liebe, über die Vergänglichkeit und den Abschied. Dann kam der Tod ganz plötzlich. Der Trauergottesdienst fand in der Kirche statt. „Wie betäubt“ habe sie in der Bank gesessen, sagte die Frau. Ein Freund der Kinder spielte eine Melodie auf der Oboe. „Ich sah plötzlich“, sagte sie, „ich sah plötzlich vor dem Altar meinen Mann, ich reichte ihm meine Hände und wir tanzten, so lange die Oboe blies.“
Natürlich war ihr Leib in der Bank geblieben, aber im Geist hatte sie ein Erlebnis: Das Glück ihrer Verbindung war lebendig.
„Verklärung“ – manche haben so etwas Ähnliches erlebt inmitten der Dunkelheit ihrer Welt.
Ich glaube, dass auch glückliche ökumenische Erlebnisse solche Verklärung darstellen, obwohl die Christenheit als Ganze doch gespalten ist.
Es gibt die Erfahrung von Versöhnung, obwohl die Welt voller Streit ist.
Es gibt den Einsatz unserer Kirche für Frieden, auch nachdem noch vor nicht langer Zeit die Waffen gesegnet wurden. Und es gibt trotz heilloser Friedlosigkeit in der ganzen Welt immer wieder Zeichen der Hoffnung.
Es gibt die Freude über ein Entwicklungsprojekt, wenn es gelingt, und die es betreiben, sind stolz – obwohl manches auch scheitert, weil die Not so groß ist und die Bemühungen unvollkommen.
2. Die Bilder der Verklärungsgeschichte
Der Berg, das Licht, die Sonne, das leuchtende Gesicht, die hellen Kleider, die Stimme aus den Wolken, die Bilder sind mit religiöser Bedeutung gefüllt.
Der Berg: Symbol der Einsamkeit und der Gottesnähe zugleich. Die biblische Beziehung ist deutlich: Mose am Berg Sinai, der hatte unter Blitz und Donner die Weisungen Gottes gehört. Elia auf dem Berg Karmel erlebte die Macht über die falschen Götter. Jesus predigte auf dem Berg das neue Gesetz, und auf Golgatha, im Berg des Kreuzes, ist das Lebenszeichen aufgerichtet.
Das andere Bild, das Licht. Wir sagen in unserer Sprache: Plötzlich wird etwas klar, wir sprechen von Erleuchtung. Unsere Sehnsucht nach Licht im Dunkel ist angesprochen. Und dann ist da die Stimme: „Dies ist der Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr erhören.“
3. Die Verlockung zum Bleiben
Petrus möchte bleiben: „Lasst uns drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose, eine für Elia.“ Das ist der Wunsch, so soll es bleiben. Und er weist auf die Gefahr solcher mystischen, religiösen Erlebnisse hin. Es soll möglichst so bleiben: „Verweile Augenblick, du bist so schön.“
Inmitten der kalten Welt, die immer unanschaulicher wird, gibt es die Sehnsucht nach innerer Erfahrung, die immer wieder abrufbar ist. Viele moderne religiöse Bewegungen locken deshalb, weil sie Ausstieg aus der Wirklichkeit versprechen. Das Kriterium christlicher mystischer Erfahrung ist aber die Rückkehr. Auf die Hinreise muss die Rückreise folgen. Elia in der Wüste, von ihm ist berichtet, dass er sterben möchte, er möchte bleiben in dieser Versenkung und Verzückung und wird gespeist und geht wieder in den Alltag der Welt. So ist es mit Mose ebenso auf dem Berg, er hat die Enttäuschung des goldenen Kalbes erlebt und steigt wieder auf den Berg, und muss doch wieder zurück, hinunter zum Volk.
Elia, Moses, Jesus, sie sind nicht in religiöser Versenkung geblieben. Sie sind zurück in den Alltag gegangen. Und die drei Jünger ebenso. Der Abstieg vom Berg ist der Weg der Nachfolge: „Den sollt ihr hören.“
Wir Menschen sind nicht am Ziel.
Bis heute ist Nachfolge der Weg in einer unfertigen Welt. Religiöse Erfahrung, religiöses Glück kann nicht am Kreuz vorbei. Aber das Kreuz ist angeleuchtet von dem Licht der Zuversicht. So lange wir leben, gibt es die Erfahrung von Trost in der Bedrohung.
Nachfolge – den sollt ihr hören! – Er geleitet uns hinunter in den Alltag. Dem Einfluss dieser Stimme können wir uns öffnen. Und so können wir Jesus kennen als die „Sonne der Gerechtigkeit,“ nicht auf dem Berg der Verklärung, sondern im Alltag dieser Welt.
4. „Ja, Gott ist meine Rettung – auf ihn will ich vertrauen und niemals verzagen.“
Das ist die Jahreslosung aus dem Jesajabuch. Sie entfaltet, was dem Sohn übertragen ist: Es ist die Botschaft vom Frieden und Gerechtigkeit. Sie antwortet auf die von Terror, Krieg und Ungerechtigkeit und Katastrophen geplagte Welt. Gottes Volk, seine Gemeinde ist der Resonanzkörper der Botschaft von Frieden und Heil, denn sie hört auf den Sohn. Sie stimmt nicht ein in die Sprache der Gewalt, nicht ein in das Schweigen der Resignation, nicht ein in die Schreie der Verzweiflung. Gerade wo das übermächtig Böse fassungslos macht oder wütend und zu Hass und Vergeltung verführen will, erinnert diese Botschaft an Recht und Frieden. Das ist die Stimme, die sollt ihr hören.
Ja, Gott ist meine Rettung. Das ist Antwort auf diese Stimme, die wir hören sollen. Ich weiß, viele mögen nicht so persönlich über ihre Glaubenserfahrungen sprechen. Die Sprachlosigkeit im Glauben ist häufig Ausdruck großer Unsicherheit, ja, Hilflosigkeit. Manche haben ihren Glauben nicht in leuchtenden Bildern und Gleichnissen vermittelt bekommen, sondern eher eng und dogmatisch fordernd. Sie empfanden es als Zumutung, solche Kindheitserfahrung im Erwachsenwerden beizubehalten. Und darum waren sie froh, das vermeintlich Kirchliche hinter sich zu lassen. Aber meistens trat an die Stelle nicht eine erwachsene evangelische Freiheit, die weiß, wem sie sich verdankt, sondern häufig trat an die Stelle Gleichgültigkeit und Leere.
Sie haben, darauf hat Jürgen Habermas hingewiesen, die religiöse Sprache abgelegt, ohne eine neue zu lernen, um diese Welt zu bewältigen.
Ich will nicht über die Gefahren reden, was alles in das Vakuum eindringt, wenn Menschen ihren anfänglichen Glauben hinter sich lassen. Es ist seit jeher besonders das Materielle. Oder oft ist es auch die erschreckende Leichtgläubigkeit, die Menschen ergreift.
„Auf ihn sollt ihr hören.“ Das ist die Einladung in eine Sprachschule des Glaubens. Das ist die Aufgabe der Gemeinde hier in Addis Abeba und in den anderen Gemeinden Afrikas wie bei uns zu Hause. Dem Traditionsabbruch Einhalt gebieten ist das eine - sprachfähig werden, auskunftsfähig über den Glauben, das ist das andere. Denn die Menschen hören die Stimme des Sohnes nicht vom Himmel, sondern aus den Erfahrungen der anderen. Darum bin ich so froh, wenn eine Gemeinde, und sei sie noch so klein, Raum gibt für Geborgenheit und Einübung in die christliche Liebe. „Den sollt ihr hören, Gott ist unsere Rettung.“ Wo die Mühseligkeiten heute sind, das sehen wir deutlich vor Augen. Also lasst uns teilhaben am Werk der Rettung.