Wert und Bedeutung der Familie für unsere Gesellschaft

Manfred Kock

Rittertag der Rheinischen Genossenschaft des Johanniterordens, Kaiserswerth

Sehr geehrte Damen und Herren,

Was Aktien und Geld, Autos und Fernseher, was materiellen Reichtum angeht, zählt Deutschland nach wie vor zu den Spitzenreitern. In dieser Zeit des Klagens und Jammerns muss das hin und wieder gesagt werden. Kaum ein Land hat eine so hohe Sparrate, kaum ein Land hat ein so hohes Pro-Kopf-Einkommen. Aber was den wirklichen Reichtum einer Gesellschaft ausmacht, die Zahl ihrer Kinder nämlich, da zählt unser Land zu den ärmsten. Deutschland ist das Land mit der zweitgeringsten Geburtenrate auf der Welt.

Merkwürdigerweise aber steht dieser Befund in erstaunlichem Kontrast zu den Wünschen der einzelnen Menschen: Nichts wünschen sich junge Erwachsene mehr als eine glückliche Ehe mit Kindern, nichts wünschen sich Menschen meiner Generation mehr als Enkelkinder.

I.
Keine andere soziale Institution hat in den letzten zwanzig Jahren einen solch hohen Zustimmungszuwachs erhalten wie die Familie. Dem widerspricht nicht, dass die Tendenz zur Individualisierung auch zu Einstellungen führt, die das Eingehen von Bindungen ablehnen, vor allem weil Mobilitätsanforderungen der Wirtschaft dauerhafte Bindungen erschweren. Alle Umfragen und Studien zur Lebenseinstellung junger Menschen zeigen, dass bei ihnen Lebenspartnerschaft und Kinder hoch im Kurs stehen. Für 80 bis 90 % der jungen Menschen ist Familie wichtig bis sehr wichtig. Ebenso viele wollen selbst eine Familie gründen, d.h. sie wollen auf Dauer mit einem Partner oder einer Partnerin zusammenleben – wenn auch nicht immer in Form einer Ehe - und die meisten wollen Kinder. Dabei möchten die jungen Menschen sowohl eine eigene Familie haben als auch eine Erwerbstätigkeit ausüben. Bei Mädchen wie auch bei Jungen gehört beides zu ihrem zentralen Lebenskonzept.

Freilich, der Zeitpunkt, zu dem solche Wünsche realisiert werden sollen, wird von vielen jungen Leuten ziemlich weit in die Zukunft verlegt. Erst sollen noch die ersten Berufsschritte getan werden. Dann muss man noch etwas von der Welt kennenlernen. Bei vielen gehört zur Vorbereitung der Familienphase auch die Sicherung der materiellen Basis für eine Familie. All das dauert oft lange Jahre. Partnerschaften gehen darüber zu Bruch, Beziehungen sind nicht immer gleich zu realisieren. Und dann ist die Zeit dahin gegangen und für die Gründung einer Familie wird es manchmal zu spät.

Wenn die Gründung der Familie gelungen ist, gibt es Fragen zu lösen, die sich viele Generationen vorher nicht gestellt haben. Immer mehr junge Menschen streben eine Rollenverteilung in Familie und Partnerschaft an, die von Gleichberechtigung und fairer Teilung der Aufgaben bestimmt ist. Eine Arbeitsteilung, wonach Mütter für die Erziehung der Kinder und Väter für den Familienunterhalt zuständig sind, entspricht nicht mehr ihren Lebensentwürfen. Manche junge Männer möchten nicht ausschließlich auf Erwerb und Karriere festgelegt sein, und junge Frauen möchten auch ökonomisch über mehr Selbständigkeit verfügen. In der Realität des Zusammenlebens setzt sich dann allerdings häufig eine eher herkömmliche Aufgabenverteilung durch, was dann oft vor allem von Frauen als Beeinträchtigung empfunden wird.

Die Wunschkinderzahl liegt derzeit im Durchschnitt bei zwei Kindern. Eine Untersuchung aus dem Jahre 1994 ergab, dass ein Fünftel der ostdeutschen Paare nur ein Kind wollte, während sich nur 6 % der westdeutschen Paare für ein Einzelkind aussprachen. In Westdeutschland wünschte sich fast ein Drittel der Paare sogar mehr als zwei Kinder, in den neuen Ländern war und ist dieser Wunsch nur vereinzelt vorhanden. Je ausgeprägter die Berufsorientierung insbesondere der Frau ist, desto weniger Kinder wünschen sich die Paare. Teilweise spielen dabei Eindrücke oder Erfahrungen bezüglich einer mangelnden Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit eine Rolle.

II.
Ehe und Familie sind für den christlichen Glauben gute Gaben Gottes. Die evangelische Kirche sieht in ihnen die grundlegende und exemplarische Form menschlichen Zusammenlebens. Die Kirche erinnert Frauen und Männer an die Maßstäbe, die für das Zusammenleben in Ehe und Familie unerlässlich sind: gegenseitige Liebe und Anerkennung, Verlässlichkeit und Treue im Miteinander, die Bereitschaft, in guten wie in schweren Tagen füreinander Verantwortung zu tragen, die Fähigkeit, an Konflikten zu arbeiten, Kompromisse einzugehen und Gegensätze zu ertragen. Diese Maßstäbe haben ihre Grundlage in dem Bekenntnis, dass Frau und Mann zum Ebenbild Gottes geschaffen und mit Menschenwürde begabt sind. Die Liebe in Ehe und Familie findet deshalb ihr Maß darin, "wie sehr es ihr gelingt, sich auf die ganze Lebensgeschichte eines anderen Menschen einzulassen und mit ihm auch dann Gemeinschaft zu halten, wenn diese Geschichte beide verändert und schließlich Krankheit und Alter ihren Tribut fordern" (Ehe und Familie 1994. Ein Wort des Rates der EKD aus Anlaß des Internationalen Jahres der Familie 1994, EKD-Texte 50, S. 7).

Das neuerliche Erstarken des Familienwunsches innerhalb der nachwachsenden Generation stellt eine erfreuliche Entwicklung dar. Es gehört zu den Wirkungen des Evangeliums in der Geschichte, mündige Partnerschaft zu gestalten und diese durch Ordnungen zu schützen. Diese Ordnungen haben ihren Wert nicht in sich selbst. Auch die Familie ist um des Menschen willen da und nicht der Mensch um der Familie willen.

Die lebensdienliche Aufgabe der Familie liegt vor allem in der Erziehung von Kindern. Sie sind ihren Eltern anvertraut, damit diese sie im Aufwachsen begleiten und schützen. Dazu gehören die leibliche Fürsorge, die Förderung der geistigen und seelischen Entwicklung, die Erfahrung von Liebe und Verlässlichkeit. Darin und darüber hinaus geben die Eltern ihren Kindern Gelegenheit „dem in Jesus Christus gegenwärtigen, handelnden und offenbaren Gott zu begegnen“ (Karl Barth).

Zur Rechtsform der Ehe wird betont (erstmalig in der Stellungnahme des Rates zum evangelischen Eheverständnis von 1970), dass es in allen Kulturen Formen der öffentlichen Anerkennung der Ehe gibt, dass aber die jeweilige Rechtsform sich den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen muss. Durch alle solche Anpassungsprozesse hindurch bleibt es der besondere Vorzug der durch Öffentlichkeit und bindende Rechtsbeziehungen bestimmten Rechtsform der Ehe, dass sie geeignete Grundlagen für Verbindlichkeit und Verlässlichkeit schafft. Die Bereitstellung und Anpassung rechtlicher Regelungen für die Ehe sind Aufgabe des Staates, solange diese die freie Gattenwahl, Eheschließung auf Lebenszeit und Einehe garantieren. Die Mittel des Rechts sind allerdings nicht geeignet, die Unauflöslichkeit der Ehe durchzusetzen. Die Möglichkeit des Scheiterns von Beziehungen ist nicht auszuschließen. Auch die nicht geschriebenen Normen des Zusammenlebens haben sich derart verändert, dass die Belastungen von Lebensbeziehungen zunehmend häufig zum Scheitern dieser Beziehungen führen.

Umso wichtiger ist es für die Kirche, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen, die Menschen bereits frühzeitig zu Verlässlichkeit und Übernahme lebenslanger, wechselseitiger Verantwortung unter dem Schutz der Institution Ehe zu befähigen und zu ermutigen. Auch wenn es in unserer Lebenswirklichkeit verschiedene Formen des Zusammenlebens von Frau und Mann gibt, so ist doch aus evangelischer Sicht die auf Dauer angelegte Gemeinschaft in einer Ehe dafür die geeignetste Form.

Mit ihrem Angebot fachkundiger Familien- und Lebensberatung und ihrem vielfältigen familienbezogenen Bildungsengagement von den Kindergärten bis zu den Familienbildungsstätten will die Kirche den Familien angesichts der Vielfalt von Lebensentwürfen und Lebensstilen Werte vermitteln, eine Orientierung ermöglichen und ihnen in kritischen Lebenssituationen helfen, ihre Konflikte zu bewältigen.

Notwendig ist allerdings auch, in der gesellschaftspolitischen Diskussion einzutreten für eine Neubesinnung über das Verhältnis der Werte von Mobilität und Veränderung und denen der Beständigkeit und Verlässlichkeit. Langfristige Perspektiven dürfen nicht modischer Kurzfristigkeit geopfert werden.

In jüngster Zeit tritt die Förderung der Kinder unabhängig vom familienrechtlichen Status der Eltern immer stärker in den Vordergrund. In der EKD-Stellungnahme „Gottes Gabe und persönliche Verantwortung. Zur ethischen Orientierung für ein Zusammenleben in Ehe und Familie“ (1998) heißt es: „Da, wo Kinder geboren werden, entsteht Familie: Familie wird durch Elternschaft konstituiert.“ Damit werden alle Verantwortungsgemeinschaften von ein oder zwei Erwachsenen mit ihren Kindern als Familien anerkannt. Sie können kirchlicher Unterstützung gewiss sein und haben nach Art.6 GG einen Anspruch auf den besonderen Schutz des Staates.

Die EKD tritt nach wie vor dafür ein und ermutigt dazu, dass Kinder im Rahmen von Ehe und Familie aufwachsen können; sie bestärkt Eltern darin, in ihren biographischen Planungen auf das Aufwachsen von Kindern Rücksicht zu nehmen und sich dafür Zeit zu nehmen. Aber die Kirche sieht zugleich die Notwendigkeit, der veränderten Lebenswirklichkeit gerecht zu werden, in der immer mehr biographische Situationen dazu führen, dass Eltern ihre Kinder nicht im Rahmen der Institution Ehe erziehen. Darin liegt nach den einschlägigen empirischen Befunden oft keine Entscheidung gegen das Leitbild der Ehe; vielmehr hat dies vielfältige Ursachen in der Lebensgeschichte der Einzelnen, in ihren Beziehungen bzw. deren Scheitern sowie in den sozioökonomischen Rahmenbedingungen. Daher ist es notwendig, den Ursachen, die Eheschließung und Familiengründung behindern, weiter nachzugehen und bei deren Überwindung zu helfen. Das gemeinsame Wort der beiden großen Kirchen „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ (1997) enthält hierzu grundlegende Aussagen.

Die Kirche wendet sich dem Bereich von Ehe und Familie in verschiedenen Formen zu. Dazu gehört die familienfreundliche Gestaltung des kirchlichen Lebens, eine Begleitung von Kindern und Jugendlichen, die ihre Familien einbezieht, aber auch ein Umgang mit alten Menschen, der die Gemeinschaft der Generationen stärkt. Zu den vorrangigen kirchlichen Aufgaben zählt es unter den heutigen Bedingungen, die Familienbildungsarbeit zu stärken und Vorsorge dafür zu treffen, dass Ehen und Familien in Konflikten Begleitung finden, dass ihnen Gottes Vergebung zugesprochen wird und sie so zum gemeinsamen Neubeginn ermutigt werden.

III.
Das Füreinander-Einstehen der in Ehe oder Lebenspartnerschaft miteinander verbundenen Menschen und die Bereitschaft von Eltern und Kindern, lebenslange Verantwortung füreinander zu übernehmen und wahrzunehmen, sind zentrale Existenzgrundlagen einer jeden Gesellschaft. Im alten jüdischen Dekalog, den wir als die 10 Gebote kennen, ist diese Erkenntnis formuliert: "Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest im Lande, das dir der HERR, dein Gott, gibt."

Dieses Gebot zielt nicht allein auf den Kindergehorsam, sondern auf die lebenslange Verantwortungsgemeinschaft. Dazu gehört auch die Pflege von kranken und alten Familienangehörigen. Familie ist also nicht nur überall dort, wo Eltern Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, sondern sie ist auch der Ort, an dem Kinder für ihre alten Eltern Sorge tragen.

Es gibt Gott sei Dank noch viele Familien, in denen das geschieht. Sehr häufig sind allerdings die Lebens- und Wohnbedingungen nicht gegeben, um diese Sorgen unter einem Dach zu leisten. Auch fordert das Lebensgefühl alter Menschen die Selbständigkeit, solange es irgend geht. Aber auch in solchen Lebenssituationen ist Verantwortung der Kinder wahrzunehmen und sie wird auch häufig wahrgenommen.
Die Familie besitzt viel an gestalterischer Kraft. In "guten Ordnungen" bietet sie Raum für das Aufwachsen von Kindern und deren Entwicklung zu lebenskompetenten und verantwortungsbewussten Erwachsenen. Viele gesellschaftliche Unzulänglichkeiten werden durch die Institution Familie kompensiert, spiegeln sich gleichwohl aber auch in ihr wider.

Was im Rahmen von Erziehung und Pflege aus individuellen Gründen in Kinder „investiert“ wird, kann durch keine andere Institution vergleichbar zuträglich und effektiv geleistet werden. Vor allem der „Fünfte Familienbericht“ (BMFS 1994) hat auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass die Leistungen der Familien nicht nur gesellschaftlich, sondern auch volkswirtschaftlich unverzichtbar und zudem in ökonomischen Größenordnungen bewertbar sind.

Die vielfältigen Leistungen der Familien stützen die Arbeitswelt und die sozialen Sicherungssysteme ebenso wie die Konsummärkte und zudem die Gesamtgesellschaft in ihrem Gefüge von Jung und Alt als einem Gesamtorganismus. Jeder dieser Bereiche ist auf die Leistungen von Familien angewiesen. Dabei besteht eine Wechselwirkung: Das Wohl und die Leistungsfähigkeit von Familien wird wesentlich bestimmt von den Rahmenbedingungen, die ihnen das Schul- und Bildungssystem, die Arbeitswelt, die sozialen Sicherungs- und Abgabesysteme u.a.m. bieten. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört auch die Erhaltung eines gemeinsamen Sonntags, weil ohne ihm die Gestaltung gemeinsamer Zeit sehr schwierig wäre.

In Familien wird der Grundstein für die Gesellschaft von morgen gelegt. Unter guten Bedingungen können hier Fähigkeiten entwickelt, Glauben und Werte vermittelt werden, die für die Zukunft unseres Zusammenlebens in der Gesellschaft unerlässlich sind.

Gesellschaften sind zu ihrem Überleben, aber auch zu ihrer weiteren Entwicklung auf die Geburt von Kindern angewiesen. Kinder und Jugendliche suchen neue Wege, sie stellen das Gewohnte in Frage und bedeuten darin für Eltern und Gesellschaft die Herausforderung, das Vertrautgewordene zu überprüfen und Verkrustungen des bisherigen Denkens und Verhaltens zu überwinden. Sie sind auch die Arbeitskräfte und das innovative Potential von morgen.

Auch unsere sozialen Sicherungssysteme sind auf Familien angewiesen. Tatsächlich leisten die Familien hier doppelt: durch ihre finanziellen Beiträge zu den Sozialversicherungen und durch die nur von ihnen erbrachten Leistungen mit der Geburt und Erziehung von Kindern. Diese Leistungen sind eine Investition in die Sicherung der nachwachsenden Generation.

Realisierten die meisten Menschen bis zum Beginn der 90er Jahre noch ihren Kinderwunsch, so ist in den letzten Jahren ein Anstieg der Kinderlosen festzustellen. Zwar sinken die Geborenenzahlen abgesehen von kürzeren Unterbrechungen bereits seit Mitte der 60er Jahre, was zunächst auf den Rückgang dritter und weiterer Kinder zurückgeführt werden konnte, doch nimmt seit den 90er Jahren Kinderlosigkeit generell zu. So werden voraussichtlich mehr als 30 % der westdeutschen Frauen und jede vierte ostdeutsche Frau des Jahrgangs 1965 kinderlos bleiben. Unter den 25 Jahre älteren Frauen waren dies nicht einmal halb so viele. Vieles spricht dafür, dass auch in Zukunft ein hoher Anteil der Frauen ihr Leben lang kinderlos bleiben wird.

IV.
Woran, meine Damen und Herren, liegt es, dass sich hier Wunsch, Notwendigkeit und Ermutigung nicht zu dem von allen gewollten Ziel führen? Ich denke, dies liegt sowohl an strukturellen Rahmenbedingungen wie auch an der gesellschaftlichen Atmosphäre. Zu den strukturellen Fragen hat der Rat der EKD gerade vor wenigen Monaten eine ausführliche familienpolitische Stellungnahme abgegeben, in der wir vor allem drei Bereiche identifiziert haben, in denen Handlungsbedarf besteht: Materielle Absicherung gegen Armut, Betreuungsangebote sowie Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der Alterssicherung.

Ich denke, keinen der drei Punkte muss ich hier ausführlich darstellen; dass Kinder nach wie vor das größte Risiko in Deutschland darstellen, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, ist und bleibt ein unerträglicher Skandal, gegen den wir alle beständig und lautstark protestieren müssen.

Bei der Frage des Betreuungsangebotes hat mich insbesondere erschüttert, dass von den jungen Akademikerinnen in Deutschland über 40% kinderlos bleiben. Wenn Sie sich vor Augen führen, was dies für die Weitergabe bestimmter kultureller Traditionen bedeutet, werden Sie sicher mit mir hier ein erhebliches Problem für unsere Gesellschaft sehen.

Ich denke, diese erschreckend hohe Kinderlosigkeit liegt vor allem an der heute von Akademikerinnen geforderten Mobilität. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei über 50% der jungen Familien die Großeltern mindestens teilweise bei der Kinderbetreuung helfen. Meine Vermutung geht dahin, dass Frauen mit nichtakademischer Ausbildung im Durchschnitt wesentlich häufiger in der Nähe ihres Heimatortes wohnen bleiben und so die Möglichkeit haben, auf ihre Eltern mindestens gelegentlich oder im Notfall zur Betreuung zurückzugreifen, während für Studentinnen oft schon die Aufnahme des Studiums, sonst aber meist der Berufseinstieg mit einem Ortswechsel verbunden ist. Wer in Hamburg lebt, seine Eltern aber in Düsseldorf und Nürnberg weiß, muss die gesamte Kinderbetreuung fremd organisieren, was naturgegeben einen immensen logistischen und zuletzt auch finanziellen Aufwand darstellt.

Ich freue mich, wenn Sie diese familienpolitischen Forderungen in Ihrer Arbeit, Ihren Gesprächen und Ihrem politischen Leben mit unterstützen. Gleichzeitig möchte ich Sie sehr dazu ermutigen, das Ihre zu einer gesellschaftlichen Atmosphäre beizutragen, in der Kinder sich willkommen fühlen, junge Eltern Anerkennung für ihre Entscheidung für Kinder erfahren und die Notwendigkeit einer entsprechenden Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen immer weiter in das Bewusstsein der Gesellschaft eindringt. So etwas geschieht nicht nur durch die ganz persönliche Unterstützung, die Sie Ihren Kindern und Enkeln zukommen lassen, sei es emotional, sei es durch das Angebot, bei der Betreuung zu helfen, sei es finanziell. Dies geschieht auch durch Arbeitgeber, die nach meinem Eindruck völlig zu Recht erkennen, welche großen Qualifikationen sich insbesondere Mütter während der Erziehungszeit erwerben, etwa was die Fähigkeit betrifft, mehrere Aufgaben gleichzeitig unter hoher Belastung zu erfüllen. Die Unterstützung von Familien geschieht aber auch in unseren Kirchengemeinden durch die Art und Weise, wie wir Kinder und junge Familien in unseren Gottesdiensten willkommen heißen.

"Gott ist ein Freund des Lebens", so haben wir vor einigen Jahren eine gemeinsame Stellungnahme des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz überschrieben. Der Einsatz für den Schutz des menschlichen Lebens - sei es in Fragen der Friedensethik, sei es in Fragen der Bioethik - gehört zu den Kernaufgaben des gesellschaftlichen Zeugnisses der Kirche. Dieser Einsatz ist unverzichtbar darauf angewiesen, gleichzeitig und gleichwertig für den Schutz des geborenen menschlichen Lebens einzutreten. Wer das Glück hatte, mit Kindern gesegnet zu werden, weiß: Es gibt nichts Schöneres. Es gibt auch nur wenig Anstrengenderes, aber vor allem gibt es nichts Schöneres. Lassen Sie uns gemeinsam nicht nachlassen, junge Menschen in dem zu unterstützen, was sie selber wollen, was die Gesellschaft braucht und wozu die Kirche ermutigt; Lassen Sie uns gemeinsam institutionelle und atmosphärische Bedingungen schaffen, unter denen aus dem allseitigen Wunsch Wirklichkeit werden und Deutschland zu einem wahrhaft reichen Land werden kann.