Mainzer Gemeinde startet erfolgreich einen Gottesdienst-Livestream

„Der Heilige Geist macht offenbar vor keiner Technik Halt“

Verschlossene Kirchentür mit Schild, dass Gottesdienst wegen Coronakrise ausfällt

Viele Gemeinden entwickeln momentan Alternativen zu den Sonntagsgottesdiensten. (Symbolbild)

Mainz (epd). An diesem sonnigen Sonntagmorgen hat Heinz Stralla eine eher undankbare Aufgabe. Er steht am 15. März vor dem Haupteingang der evangelischen Auferstehungsgemeinde in Mainz und soll alle Menschen wieder nach Hause schicken, die zum Gottesdienst kommen. Gewöhnlich bleibt hier sonntags kaum ein Sitzplatz leer, weit mehr als 200 Gottesdienstbesucher sind in der Gemeinde eigentlich normal. Jetzt bleiben die Türen zu und die Stuhlreihen verwaist, aber Gottesdienst wird trotzdem gefeiert: Ein kleines Helferteam überträgt Gebete, Predigt und die Musik der Gemeindeband per Internetstream in Echtzeit in die Mainzer Wohnzimmer.

„Zusammenrücken, ohne uns körperlich auf die Pelle zu rücken“

Auch für Pfarrer Jens Martin Sautter ist die Situation neu. „Das ist ein Versuch“, grüßt er in die Kamera. „Wir müssen zusammenrücken, ohne uns körperlich auf die Pelle zu rücken“, schwört er seine Gemeinde ein. Es gebe auch keinen Grund, sich in Angst zu verlieren. Dann erinnert er an eine Debatte, die unlängst in der Landeskirche aufgekommen war – darüber, ob es eigentlich noch flächendeckend jeden Sonntag in jeder Kirche einen Gottesdienst geben muss. „Als hätte man es geahnt“, sagt Sautter. Er hat keinen Zweifel, dass vielen Menschen aus seiner Gemeinde etwas sehr Wichtiges fehlt, seit der Virus den Alltag aller bestimmt.

Am Freitag und Samstag hatten wegen des Coronavirus immer mehr evangelische Landeskirchen und katholische Bistümer alle kirchlichen Veranstaltungen ausnahmslos und bis auf weiteres abgesagt. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, zu deren Gebiet auch die Stadt Mainz gehört, hatte hingegen zunächst mitgeteilt, Gottesdienste blieben unter bestimmten Umständen weiter zulässig – mit Sicherheitsabstand in den Kirchbänken, ohne Abendmahl und ohne Austeilung von Gesangbüchern.

Viele Kirchen blieben vorsorglich schon geschlossen

Da eine weitere Verschärfung der Vorschriften unmittelbar bevorsteht, blieben viele Kirchen aber schon vorsorglich geschlossen. In der Mainzer Innenstadt waren deshalb am Sonntagmorgen kaum noch Kirchenglocken zu hören. In einigen Gemeinden hatten stattdessen die Pfarrer zu persönlichen Einzelgesprächen eingeladen. Auch in der Auferstehungsgemeinde war schnell klar, dass es unter solchen Umständen keinen gewöhnlichen Sonntagsgottesdienst mehr geben kann. Schnell kam die Idee mit dem Internetstream auf. Allerdings habe noch vor zwei Tagen niemand eine Vorstellung davon gehabt, wie so etwas technisch zu bewerkstelligen wäre, erzählt die Gemeindemitarbeiterin Sonja Lindequist.

Am Ende des rund einstündigen Gottesdienstes in der eher schmucklosen Betonkirche aus der Nachkriegszeit wird für die Politiker gebetet, die schwierige Entscheidungen treffen müssen, für die Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts und der Gesundheitsämter. Dann spielt die Band – zwei Saxofone, E-Gitarre, Cachon und ein Sänger am Flügel – noch ein melancholisch geswingtes Abschiedslied. „Ich wart, dass einer mit mir geht, der auch im Schweren zu mir steht“, heißt es darin, „der in den dunklen Stunden mir verbunden.“

Tatsächlich funktioniert der Livestream problemlos. Bis zu 70 Menschen schalten sich ein, und es gibt viele lobende Kommentare von den ausgesperrten Gemeindemitgliedern. „Der Heilige Geist macht offenbar vor keiner Technik Halt“, schreibt eine Zuschauerin. Auch Heinz Stralla ist erleichtert. Die meisten aus der Gemeinde hatten rechtzeitig von der Absage erfahren, so dass nur eine Handvoll Menschen vor dem Kirchengebäude wieder umdrehen muss. „Ich fand das sehr ermutigend“, sagt er. „Es gibt Möglichkeiten, etwas zu machen. Man muss nicht hier sein, und kann trotzdem Gemeinde bleiben.“

Karsten Packeiser (epd)