Morgenandacht zur EKD-Synode 2017 in Bonn

Dr. Beate Sträter (EKD-Synodale)

(Unredigierte Fassung)

Es gilt das gesprochene Wort

Wir feiern diese Andacht im Namen des einen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Lasst uns beginnen mit dem ersten Lied. Sie finden Liederzettel auf Ihren Tischen. Die Melodie werden Sie alle kennen, der Text ist etwas neuer.

(Lied: Dich rühmt der Morgen)

Ich möchte gemeinsam mit Ihnen Luthers Morgensegen beten.

(EG: 815)

Liebe Schwestern und Brüder: "Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus." Dieses Wort aus dem ersten Korintherbrief fiel mir bei unserem Synodenthema sofort ein, weil er mein Trauspruch ist. Wie er mich in dieser Hinsicht begleitet hat, damit werde ich Sie heute Morgen nicht belangen, sondern ich möchte diesen Vers heute mit Ihnen aus den vier Lernperspektiven des Grundschullehrplans für evangelische Religion in Nordrhein-Westfalen betrachten; denn damit habe ich als Schulreferentin viel zu tun.

Die vier Perspektiven lauten: Hoffnung schöpfen, Gemeinschaft leben, Identität entwickeln und Verantwortung übernehmen. Hinter dem sperrigen Begriff der Lernperspektiven – das hat die Religionspädagogik manchmal so an sich – steckt die Erkenntnis, dass wir Bibeltexte mit ganz unterschiedlichen Fragen betrachten können. Die Religionspädagogen, die diesen Lehrplan entwickelt haben, halten diese Fragen für entscheidend, um die Bibel ins Leben zu holen. Ich mache also ein Experiment mit Ihnen heute Morgen, ob das, was Grundschulkindern nutzt, auch für geübte Christinnen und Christen ein Gewinn ist.

Hoffnung schöpfen: In diesem Sommer habe ich einen meiner längsten und besten Freunde durch einen dramatischen Unfall verloren, einen Menschen, mit dem meine Familie und mein engster Freundeskreis das Leben teilten. Als mich die Nachricht erreichte, war ich im Büro, und meine Mitarbeiterinnen waren dabei. Wir arbeiten schon lange zusammen und haben ein vertrauensvolles Verhältnis zueinander. Sie erlebten, wie fassungslos und tief getroffen ich war.

Für mich überraschend fragten mich wenige Tage später unabhängig voneinander zwei von ihnen sinngemäß das Gleiche: Ist es eigentlich anders, wenn einem so etwas als Pfarrerin geschieht? – Diese Frage war in vielfacher Hinsicht eine Herausforderung. Zum einen weiß ich natürlich nicht, wie es wäre, wenn ich keine Theologin, sondern jemand anders wäre. Zum anderen hörte ich daraus aber auch das ehrliche Interesse, ja den Wunsch nach einer Glaubensaussage, die vielleicht auch einem selbst weiterhilft und Sicherheit gibt. Ich weiß nicht, ob ich das geben konnte. Ich habe mich um eine ehrliche Antwort bemüht und schließlich gesagt, dass es sicher nicht anders ist, was die Trauer und den Verlust betrifft. Dieser Mensch fehlt schmerzlich an allen Ecken unseres Lebens. Aber dass ich keine Angst habe, darin unterzugehen, keinen Grund mehr unter den Füßen zu haben, das bringe ich schon mit dem Glauben in Verbindung – etwas, wofür ich nichts getan habe, auch nicht Theologie studiert.

In den Tagen und Wochen danach, bis heute und auch in anderen Situationen erlebe ich aber, dass dieses Grundgefühl etwas ist, womit ich auch anderen Sicherheit geben kann. Ich glaube, diese Erfahrung teilen sicherlich viele von Ihnen. Diesen Grund zu spüren, das führt nicht zu Abgeklärtheit oder Distanz, sondern ermöglicht erst, sich dem Schrecklichen zu stellen, und ist damit genau das Gegenteil von positivem Denken oder Wishful Thinking.

Sei es in unserem privaten Umfeld, seien es die Schrecken dieser Welt, die uns auf verschiedene Weise begegnen, nur dann, wenn wir uns dem Schrecklichen aussetzen, wenn wir hinsehen, wenn wir dorthin hinabsteigen, werden wir auch Wege finden, damit umzugehen.

Dazu braucht es Hoffnung und das Vertrauen darauf, dass der Tod nicht Recht behalten wird, auch wenn er machtvoll in unserem Leben wüten kann. So kann ich hoffen, dass mein Freund mit seinem Tod nicht ins Bodenlose fällt, sondern in Gottes Ewigkeit gut aufgehoben ist.

Gemeinschaft leben. In meiner Kirche, der Evangelischen Kirche im Rheinland, wird heftig diskutiert über den Islam, über Mission und die Frage, ob und wie wir unseren Glauben an Jesus Christus in der Begegnung mit Muslimen einbringen. Viel Angst ist da im Spiel, dass wir uns als Kirche zu sehr zurücknehmen, ja, dass wir unsere Grundlagen aufgeben könnten, die eh schon wacklig und angeknackt zu sein scheinen. Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Dieser Satz, in die Debatte hineingesprochen, scheint denen Recht zu geben, die die Fundamente unseres Glaubens infrage gestellt sehen, wenn wir mit zu viel Entgegenkommen Menschen muslimischen Glaubens begegnen.

Doch was bedeutet er eigentlich konkret im Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher Religionen? Glauben wir wirklich, dass wir diesen Grund verlieren können? Glauben wir, es liegt an uns, ihn stark zu machen, indem wir offensiv bekennen? Und wenn wir das nicht tun, geht er dann verloren? Wie kann es sein, wenn es doch gerade nicht unserer Anstrengung zu verdanken ist, sondern ein Geschenk, eine Gnade ist, dass wir auf diesem Grund stehen dürfen?

Ich wünsche mir, dass wir mehr darüber nachdenken was es konkret, ganz praktisch für unser Zusammenleben mit anderen und für unser Handeln bedeutet, wenn ich meinen Grund nicht verschweige, wohl aber davon absehe, ihn in Gestalt von Dogmen, Glaubenssätzen und Formeln vor mir herzutragen. Kann ich denn überhaupt anders leben denn als Christin, wenn der Grund für mich in Jesus Christus liegt? Lasst uns doch darauf vertrauen, dass wir in diesem Grund einen Standpunkt haben, von dem aus wir anderen offen begegnen können, und lasst uns auch den anderen zugestehen, nur als solche zu reden und zu glauben, wie sie sind.

Ich wünsche mir, dass wir mutiger sind, unser Handeln in der Welt durch Jesus Christus bestimmen zu lassen. Ich wünsche mir, dass wir bereit sind, daraus zu lernen, wie Jesus selbst Menschen begegnet. Dieser Weg, den er gegangen ist, ist der Weg, auf dem die Welt Erlösung findet. Das ist durch die Auferstehung, durch den Sieg über den Tod bestätigt worden. An diesem Weg allerdings müssen wir uns alle messen lassen, egal, welcher Religion, einem Weg der Klarheit, der Barmherzigkeit, der Versöhnung, des Friedens und des Vertrauens darauf, dass Gott uns Menschen mit Liebe ansieht. Jeder religiöse Anspruch, egal, welcher Provenienz, der Menschen in Angst versetzt und sie Zwängen aussetzt, der andere missachtet, verliert damit sein Recht. Unser Blick und unser Herz werden jedoch geöffnet für alle, die in ihrem Glauben, wenn auch auf eigene Weise, diesen Wegen folgen.

Identität entwickeln. Seit ich Mitglied der EKD-Synode bin, erlebe ich, wie über konfessionelle Identität gestritten wird, und ich weiß, dass diese Debatte natürlich eine viel, viel längere Geschichte hat. Zum Glück ist unsere Identität wie auch unsere Kultur kein eisernes Korsett, sondern in Bewegung und offen für Veränderung. Paulus spricht diesen Vers ja in eine Gemeindesituation hinein, in der es um Identität geht. Auf wen beziehe ich mich? Welcher Gründungsvater ist für uns als Gemeinde entscheidend? Hier plädiert Paulus für die Relativierung solcher Gründungsmythen, indem er die Gemeinde auf Jesus Christus als den eigentlichen Grund zurückführt. Angesichts der Vielfalt von Konfessionen und Kirchen wäre es naiv zu meinen, damit wäre es schon getan, abgesehen davon, dass sich damit Institutionen und Apparate verbinden, an deren Gestaltung zum Beispiel wir hier für die Kirchen in der EKD kräftig mitwirken.

Was das, was da gebaut wird, ob mit Gold, Silber, Edelsteinen, Holz oder Stroh
 – so Paulus – , wert ist, wird der Tag des Gerichts ans Licht bringen, und selbst die, deren Bauwerke keinen Bestand haben, werden gerettet werden. Wahrscheinlich bauen wir alle auch in unserer eigenen Kirche mal mit Gold und Silber und mal mit Holz und Stroh. Eine tröstliche Aussicht, die zu Demut in gutem Sinne führt und auch den Blick auf die Ökumene entspannt.

Unsere Debatten sind allerdings harmlos angesichts der Identitätsdebatten, die in unseren westlichen Gesellschaften toben und die sich in einer politischen Praxis zeigen, die in keiner Weise christlichen Maßstäben standhält, auch wenn sie die christlichen Werte auf ihre Fahnen schreibt.

Auch hier, so wird gesagt, gehe es um Beheimatung. Doch geschürt werden Angst und Hass und gnadenloser Egoismus, der doch auch immer nur die Angst ist, zu kurz zu kommen. Und schließlich werden andere Menschen zu Feinden gemacht, um diese Haltung zu rechtfertigen.

Damit komme ich zur letzten Lernperspektive: Verantwortung übernehmen. Zurück zur Frage meiner Mitarbeiterinnen, aber etwas variiert: Macht es einen Unterschied, wenn man als Christin oder Christ dieser Welt begegnet? – Ja, macht es, möchte ich antworten. Sicher nicht darin, dass auch uns vieles Angst macht. Leider auch nicht darin, dass sich auch in unseren Kirchen Menschen finden, die ihrer Angst nur damit begegnen können, dass sie den starken Sprüchen neuer Nationalisten Glauben schenken möchten. Aber letztlich sind für uns als Christinnen und Christen nicht ein irgendwie konstruiertes deutsches Volk, nicht irgendwelche westlichen Werte, nicht unser Wohlstand, nicht der Zufall, durch den wir in diesen Teil der Welt geboren sind, Grund unserer Existenz.

Der Grund, der durch Jesus Christus gelegt ist, macht den Unterschied, und der führt in die Auseinandersetzung hinein und gleichzeitig in ein Programm für Entängstigung und Zutrauen, ein Programm dafür, dass Menschen aus ihrer Angst und ihren Egoismen befreit werden, vielleicht dadurch, dass sie entdecken können, dass sie auch eine andere, großzügige, gebende Seite in sich haben, und indem sie gehört und gesehen werden.

Sprachfähig und auskunftsfähig zu werden, was ja für unseren Glauben immer wieder als nötig erachtet wird, erschöpft sich dabei nicht in der Übersetzung von Glaubenssätzen in Leichte Sprache. Es geht um ihre Übersetzung in unser Leben und unsere Welt. Das gibt wahrscheinlich Streit. Das ist nicht harmlos, sondern mit spürbaren Folgen verbunden. Wie schwer es ist, trotz aller vernünftigen Erkenntnis zu einem veränderten Handeln zu kommen, sehen wir gerade bei der dramatischen Situation des Klimawandels, um die es heute noch gehen wird.

Doch wer, wenn nicht wir als Christinnen und Christen können mit so einem Zuspruch, mit so einem soliden Fundament den Schrecken unserer Zeit begegnen. Denn: "Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus." – Amen.

(Lied "Die Erde ist des Herrn", 1-2 – Vaterunser)

Lasst uns um Gottes Segen bitten: Herr, wir leben hier. Segne uns! Du schickst uns in die Welt. Behüte uns! Du gibst uns Aufgaben. Lass dein Angesicht über uns leuchten! Wir versagen oft. Sei uns gnädig! Wir fühlen uns oft allein. Erhebe dein Angesicht auf uns, gib uns und der Welt Frieden! – Amen.

(Lied: "Die Erde ist des Herrn", 3-4)