EKD zieht positive Bilanz nach Spitzentreffen mit Muslimen

Berlin (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hat eine positive Bilanz des zweiten Spitzentreffens der EKD mit muslimischen Verbänden gezogen. Es habe ein echter und sehr offener Dialog stattgefunden, sagte Bischof Huber am Mittwoch in Berlin.

Auch über schwierige Themen wie den Karikaturen-Streit, die Einbürgerungstests, muslimischen Religionsunterricht und Religionsfreiheit sei diskutiert worden. Im Laufe des Jahres solle auf Fachebene über die Haltung zu Ehe und Familie gesprochen werden. Dabei müsse auch über Zwangsehen geredet werden, betonte Huber. Sie seien kein geeigneter Weg. Eben so wenig sei allerdings die geplante Heraufsetzung des Mindestalters für nachziehende Ehepartner aus dem Ausland zur Verhinderung von Zwangsehen sinnvoll.

Die muslimischen Vertreter betonten, dass es mehr Gemeinsamkeiten als Streitpunkte bei dem Treffen gegeben habe. Die beiden Religionsgemeinschaften könnten gemeinsam für das Gemeinwohl arbeiten, sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Ayyub Axel Köhler. Das gelte etwa für die derzeitige familienpolitische Debatte.

Ali Kizilkaya vom Islamrat sprach von einer "fruchtbaren Zusammenkunft". Der Dialog sei ein gutes Signal in die Gesellschaft und in die Politik und finde dort hoffentlich Nachahmung. "Wir vermissen ein solches Gespräch der Politik mit den muslimischen Verbänden", sagte Kizilkaya.

Der Hamburger Imam Ayatollah Seyed Ghaemmaghami bezeichnete die EKD als Vorreiterin im Dialog mit den Muslimen. Es sei wichtig, die ethnischen Gewohnheiten von Muslimen zu trennen von den religiösen Grundsätzen des Islam. Huber unterstützte dies und sprach von der Notwendigkeit eines innerislamischen Dialogs.

In einem Jahr soll es ein weiteres Treffen auf Spitzenebene geben. Das erste hatte im Januar 2005 stattgefunden. Überlegungen, das Treffen auf Vertreter des Judentums in Deutschland auszuweiten, bezeichnete Huber als verfrüht. Das setze voraus, dass der jeweilige Dialog funktioniere. Er habe den Muslimen geraten, direkt den Kontakt zu den jüdischen Institutionen zu suchen.

Die Vertreterin muslimischer Frauenorganisationen, Hamideh Mohagheghi, wies darauf hin, dass es auf regionaler Ebene bereits Kontakte zwischen Muslimen und Juden gebe. An dem Treffen mit der EKD nahmen auch die "Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion" (DITIB), die Deutsche Muslimliga und der Verband der Islamischen Kulturzentren teil.

30. März 2006


Berlin (rbb) EKD trifft muslimische Verbände

Zum zweiten Mal trafen sich gestern Vertreter der wichtigsten muslimischen Verbände mit der Evangelischen Kirche in Deutschland – zum Kennenlernen und zum Austausch über gemeinsame Ziele. Beim ersten Treffen fehlte ganz demonstrativ der Zentralrat der Muslime – diesmal war er dabei, und auch sonst war alles ganz harmonisch. Kirsten Dietrich kommentiert:

"Harmonie, wenn auch mit Debatte. Sogar über die kniffligen Punkte wurde harmonisch gestritten. Und das ist gut, auch wenn es so simpel klingt. Bei solchen Begegnungen lügt man sich sonst gern in die Tasche – da muss dann alles freundlich, konstruktiv und auf dem Weg nach vorn sein, auch wenn die Konflikte ungelöst bleiben und all die freundlichen Worte nur heiße Luft sind. Den Eindruck machten die Gesprächsteilnehmer gestern nicht. Der evangelische Ratsvorsitzende Wolfgang Huber und die Vertreter von sieben muslimischen Organisationen sind vielleicht nicht Freunde fürs Leben geworden, aber sie scheinen nach etlichen Missstimmungen eine konstruktive Gesprächsebene gefunden zu haben. Natürlich wurde viel gelobt und gewertschätzt – die muslimischen Verbände als Friedensstifter für Deutschland im Karikaturenstreit, die evangelische Kirche als Fürsprecher gegen diskrimierende Gesinnungstests in der Einbürgerungsdebatte. Und selbstverständlich ist die Evangelische Kirche, die gerade in Berlin eine empfindliche Schlappe in Sachen Religionsunterricht erlitten hat, ein natürlicher Verbündeter im Kampf für einen regulären islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen.

Allerdings: Wenn man sich so schnell und einfach auf „Familie“ als Thema verständigte, zu dem gemeinsame religiöse Impulse für die Gesellschaft entwickelt werden sollen, hinterlässt das zumindest auch gemischte Gefühle. Die vorrangige Inanspruchnahme der Familie für die Versorgung von Alten, wie vom Islamrat vor einiger Zeit vorgeschlagen, würde wohl vordringlich vor allem Frauen belasten, genauso wie die intensive Werbung fürs Kinderkriegen durch die Kirchen Frauen durchaus zumindest auf die Nerven gehen kann.

Ein hoffnungsvolleres Signal kam ausgerechnet vom Vertreter des schiitischen Islams in Deutschland, dessen iranische Akteure ja gerade maßgeblichen Anteil am Beunruhigungspotential des Islam haben: der Hamburger Ayatollah Seyed Ghaemmaghami rief dazu auf, klarer zu trennen zwischen Islam und Elementen aus den Kulturen, in denen heimisch geworden ist. Erscheinungen wie Ehrenmorde und Zwangsheiraten wären damit nicht mehr als genuin islamisch zu rechtfertigen und würden nicht unter religiöse Selbstbestimmung fallen. Stattdessen, so der Hamburger Ayatollah, gehe es um einen ehrlichen europäischen Islam. Ein interessantes und hoffnungsvolles Konzept – es muss sich jetzt zunächst in der innerislamischen Debatte bewähren.

Aber für den Moment zählt: man hat das offene Gespräch gesucht, und das ist gut so. Alles hilft, was Vertrauen stiftet für und gegenüber Muslimen, was gegen den Rückzug in immer hermetischere Zirkel wirkt, – und gestern scheint in Berlin eine vertrauensstiftende Maßnahme ersten Ranges stattgefunden zu haben."

Quelle: RBB Kulturradio, Kommentar 30. März 2006

30. März 2006