Menschenfreund und Moderator

Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider wird 70 Jahre alt

Nikolaus Schneider beim Jahresempfang der EKD 2015
Nikolaus Schneider (M.) beim Jahresempfang der EKD 2015 in Berlin.

Das Ringen mit Gott und mit seiner Kirche hat Nikolaus Schneider geprägt. Wenn Seelsorge in Widerspruch zu kirchlichen Grundpositionen gerät, steht für ihn der Mensch im Mittelpunkt. Denn: „Gute wissenschaftliche Theologie ist nicht unbedingt identisch mit guter alltagstauglicher Theologie“, sagt Schneider im Mai auf dem evangelischen Kirchentag in Berlin. Am 3. September wird der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 70 Jahre alt.

Weniger als fünf Jahre stand der Rheinländer an der Spitze der EKD, bevor er sich vorzeitig zurückzog, um seiner krebskranken Frau beizustehen. 2010 hatte sich Schneider nach dem Rücktritt Margot Käßmanns als deren Stellvertreter in die Pflicht nehmen lassen. Wortmeldungen gegen die soziale Spaltung im Land und Weichenstellungen für ein ökumenisches Miteinander mit Blick auf das 500. Reformationsjubiläum im laufenden Jahr bleiben aus seiner Amtszeit in Erinnerung.

Überlieferung und Lebenswirklichkeit

In der innerkirchlich teils scharfen Auseinandersetzung über eine sogenannte Orientierungshilfe des Rates zu Ehe und Familie bezog Schneider deutlich Stellung: Zwar könne die Ehe zwischen Mann und Frau als Leitbild für verlässliche familiäre Bindungen dienen, doch seien die biblischen Überlieferungen an der Lebenswirklichkeit von heute auszurichten. Und dazu gehörten neben der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Betonung des Kindeswohls auch homosexuelle Partnerschaften.

„Ich lebe gut und gerne mit der Vielstimmigkeit in meiner Kirche“, sagt Schneider, der sich in seinem Leitungsämtern stets als Moderator verstand. Sonore Stimme, freundliche Augen, verständiges Lächeln sind geeignet, einen Gesprächspartner für sich einzunehmen. Eine kämpferische Miene passt nicht zu dem rundlichen Gesicht des Mannes, den seine Freunde „Niko“ nennen.

Gemeindepfarrer im Revier

Der Lebensweg von Nikolaus Schneider war alles andere als vorbestimmt. Aufgewachsen in einem atheistischen Arbeiterhaushalt in Duisburg ist es der schulische Religionsunterricht, der in ihm Interesse am Glauben weckt. Nach Theologie-Studium und Vikariat wird der Sohn eines Hochofenmeisters Gemeinde- und Diakoniepfarrer. An der Seite der Krupp-Arbeiter in Duisburg-Rheinhausen kämpft Schneider, der in seiner Freizeit als Fußball-Torwart beim VfL Hüttenheim auf dem Platz steht, für den Erhalt der Arbeitsplätze in der Kohle- und Stahlindustrie. „Es reicht nicht aus, im Namen der Kirche großzügige Mildtätigkeit und individuelle Fürsorge zu praktizieren“, sagt Schneider. Gottes Wort rufe Christen dazu auf, den sozialen Spaltungen in der Welt entgegenzuwirken.

1997 wird Schneider Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, 2003 folgt er Manfred Kock als Präses. An der Spitze der zweitgrößten deutschen Landeskirche steht er bis 2013, seine Amtszeit als EKD-Ratsvorsitzender soll erst zwei Jahre später, im Herbst 2015 enden. Doch es kommt anders: Als bei Schneiders Frau Anne, die er im Studium kennengelernt und 1970 geheiratet hat, im Sommer 2014 Brustkrebs diagnostiziert wird, ist für ihn binnen weniger Tage klar: „Jetzt ist eine Situation, da geht die Liebe zu meiner Frau vor dem Dienst.“

Tod der Tochter gibt dem Glauben Risse

Nach dem Studium hatte Anne Schneider als Religions- und Mathematiklehrerin gearbeitet – und ihrem Mann in seinen Ämtern als Ratgeberin zur Seite gestanden. Von „einer fast 50-jährigen theologischen Denk- und Gesprächsgemeinschaft“ spricht Nikolaus Schneider. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor. Die jüngste Tochter Meike starb 2005 im Alter von 22 Jahren an Leukämie. Meikes Tod habe seinem Glauben Risse gegeben, sagt Nikolaus Schneider. Schon am Tag ihrer eigenen Diagnose führen die Ärzte Anne Schneider die bevorstehende zehrende Krebsbehandlung vor Augen. „Da war mir plötzlich das Leid von Meike ganz nah“, sagt sie.

Was das Paar bewegt, schildern Anne und Nikolaus Schneider, die 2013 aus dem Rheinland nach Berlin gezogen sind, noch im Sommer 2014 in mehreren Interviews. Wenn Anne es wünsche, werde er sie sogar zur Sterbehilfe in die Schweiz begleiten, sagt Schneider. Aus Liebe – gegen seine eigene theologische Überzeugung und im Widerspruch zur kirchlichen Position in der Sterbehilfe-Debatte.

„Wir sind jeden Tag sehr, sehr dankbar“, sagt Nikolaus Schneider ein Jahr später, als Anne mit Hilfe der Ärzte den aggressiven Krebs besiegt hat: „Eigentlich waren wir darauf eingestellt, dass wir nicht mehr viel Zeit haben.“