Oase der Ruhe für Schiffsbesatzungen
Seemannsmission in Alexandria: Gästezimmer, Getränke und Gespräche
Alexandria (epd). Vermutlich ist es die kleinste Oase Ägyptens, doch mit Sicherheit eine der schönsten: Im Stadtteil Wabour el Maya in Alexandria steht das Seefahrerheim der Deutschen Seemannsmission. Die Stadtvilla aus der Zeit um die Jahrhundertwende mit Garten, kleinem Hühnerstall und ausladender Veranda hebt sich wie ein Fremdkörper von den ägyptischen Hochhäusern ab. Für Sebastian Drabinski ist das Heim seit drei Jahren sein Zuhause.

Ein Raum in der Villa der Deutschen Seemannsmission im Stadtteil Wabour el Maya in Alexandria (Foto vom 04.04.2025).
Seit 2022 leitet er die Seemannsmission in Ägypten. Im Gespräch wird schnell klar: Seine Arbeit ist weit mehr als Gastfreundschaft. „Zu uns kommen Seeleute aus der ganzen Welt - manche schlafen in unseren Gästezimmern, andere bleiben nur für einen Tee oder Kaffee und ein Gespräch“, erzählt Drabinski. Die Villa sei ein Zufluchtsort für Menschen, die oft monatelang isoliert auf See unterwegs seien. Und sie ist auch eine Station in einem der kompliziertesten gesellschaftlichen und politischen Umfelder, die die Missionsarbeit heute kennt.
Der Alltag in Alexandria fordert viel: Rund 5.400 Schiffe legen jährlich im Hafen an, etwa 13.600 Schiffe durchqueren den Suezkanal. Drabinski betreut von hier aus auch die Häfen in Damietta, Port Said und Abukir. Als Prädikant ist er derzeit überdies vertretungsweise für die Deutsche Gemeinde in Kairo unterwegs. „Alexandria hat eine lange Geschichte als wichtiger Mittelmeerhafen. Das bedeutet viele Menschen, viele Geschichten, viele Sorgen. Die Seelsorge-Arbeit ist entsprechend intensiv.“
Die Tage des Stationsleiters sind gefüllt mit Organisation, Gesprächen, Fahrten in die Häfen oder nach Kairo, aber auch mit wachsendem Druck. Denn die finanziellen Mittel der Mission schrumpfen. Die Finanzierung über Spenden und Zuschüsse wird zunehmend schwieriger, während der Bedarf an Begleitung steigt. Gerade in einem Land wie Ägypten, in dem Migrationsbewegungen und ökonomische Spannungen das tägliche Leben prägen, stoßen diese Einrichtungen an ihre Grenzen.
„Auch wenn es selten Seeleute selbst betrifft, merken wir, dass viele Menschen aus Ägypten nach Europa drängen. Diese gesellschaftliche Stimmung schwappt auch auf unsere Arbeit über. Sie prägt die Gespräche und unsere Rolle als Zuhörer“, sagt Drabinski.
Immer öfter ist Improvisation gefragt. Die Seemannsmission bietet Gespräche, auf Wunsch auch Rituale. „An Bord kann alles passieren, was man sich vorstellen kann, und manchmal noch mehr“, sagt Drabinski. Umso wichtiger ist es, einen Ort der Ruhe zu schaffen, wenn die Schiffe anlegen. Dabei helfe auch das gute Verhältnis zu den ägyptischen Hafenbehörden, das sich über die Jahre aufgebaut hat. „Wir werden heute stärker als Partner wahrgenommen. Das war harte Beziehungsarbeit“, sagt der Stationsleiter und ist sichtlich stolz auf den Erfolg.
Neben den klassischen Angeboten sind es auch kleine Gesten, die große Wirkung zeigen: Ramadan-Tüten zum muslimischen Fastenmonat, kleine Geschenke zu Weihnachten: Unabhängig von Religion oder Herkunft würden diese auf allen Schiffen gern angenommen. „Die Freude darüber ist riesig. Das zeigt mir, wie viel ein bisschen Aufmerksamkeit ausmachen kann“, so Drabinski. Die überregionale und weltweite Arbeit finanziert sich nach eigenen Angaben hauptsächlich mit Geldern des Bundes, der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie aus Spenden der maritimen Wirtschaft, Kollekten von Kirchengemeinden und von Privatpersonen.
Nicht nur Seeleute schätzen Sebastian Drabinski und die historische Villa im Herzen Alexandrias. Sie ist längst auch Treffpunkt für Europäer im Nildelta. Das Seefahrerheim scheint ein Ort der Begegnung, wo Gespräche entstehen und Menschen zur Ruhe kommen. Dass das Haus der Bundesrepublik Deutschland gehört und Drabinski formal Mitarbeiter der Deutschen Botschaft ist, verleiht dem Ort zusätzliche Stabilität - auch wenn der Alltag alles andere als diplomatisch ist. „Ich sehe mich eher als Sozialarbeiter mit viel Improvisationstalent“, sagt er lachend.