Predigt am Ostersonntag 2018 im Berliner Dom

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Sam 2,1-2.6-8a

Und Hanna betete und sprach: Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn, mein Horn ist erhöht in dem Herrn. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils.
Es ist niemand heilig wie der Herr, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist.
Der Herr tötet und macht lebendig, führt ins Totenreich und wieder herauf.
Der Herr macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht.
Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche, dass er ihn setze unter die Fürsten und den Thron der Ehre erben lasse.

 

Liebe Gemeinde an diesem Ostermorgen hier im Dom,

Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! So rufen sich Christinnen und Christen überall auf der Welt am heutigen Morgen zu. Und mit diesem Ruf – ob laut oder still zum Ausdruck gebracht - kommen auch wir heute zusammen an diesem so besonderen Morgen. Manche von uns haben vielleicht in den letzten 7 Wochen gefastet und verbinden ihre Osterfreude jetzt auch mit der Freude über das, worauf sie verzichtet haben und was sie nun wieder genießen können.

Andere kommen einfach mit einer tiefen, vielleicht auch nur intuitiv empfundenen Freude über diese Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi, die inmitten all der Nachrichten von Gewalt, Hass und Tod vom Sieg des Lebens erzählt und damit ein so starkes Zeichen der Hoffnung ist. Wieder andere mögen hier sein, denen das Herz schwer ist, und die noch nicht so recht wissen, ob sie sich anstecken lassen können von dieser Freude, ob sie sich einlassen können auf diese Botschaft, die eine so andere Sprache zu sprechen scheint als das eigene Leben mit all seinen Abgründen.

Ich bin ziemlich sicher, dass die Frau, deren Worte wir eben als Predigttext gehört haben, am besten zu der letzten Gruppe passt. Ich finde es wunderbar, dass wir am Ostermorgen über einen Text aus dem Alten Testament nachdenken dürfen. Wie so oft in den Geschichten des Alten Testamentes kommen die Worte mitten aus dem Leben. Mitten aus dem, was in den menschlichen Beziehungen manchmal so schwer ist, heute wie damals. Die Frau, die hier spricht, heißt Hanna. Und der Beginn des 1. Buchs Samuel gibt ziemlich genau Zeugnis über die Vorgeschichte des Loblieds, das Hanna hier singt.

Es ist die Geschichte von einer Frau, die ausgeschlossen ist. Die sich nicht wirklich als Teil der Gemeinschaft fühlt, weil sie etwas Entscheidendes nicht hat, was von einer Frau erwartet wird. Was ihr fehlt, sind Kinder. Ihr Mann Elkana macht ihr keine Vorwürfe. Er liebt sie von ganzem Herzen. Aber seine zweite Frau, Peninna, die selbst viele Kinder hat, lässt Hanna deutlich spüren, dass sie nichts zählt. „Ihre Widersacherin kränkte und reizte sie sehr, weil der Herr ihren Leib verschlossen hatte“ - heißt es im 1. Buch Samuel. „So ging es alle Jahre; wenn sie hinaufzog zum Haus des Herrn, kränkte jene sie. Dann weinte Hanna und aß nichts.“ Ja, es geht Hanna schlecht. Sie wird immer verzweifelter. Sie verliert den Lebensmut.
Bis sie ein Gelübde ableistet, dass, sollte sie doch noch einen Sohn zur Welt bringen, dieser Sohn ganz Gott gehören solle. So kommt es tatsächlich: Hanna wird schwanger, gebärt Samuel, dessen Leben als Prophet ganz Gott gehört. Im Tempel preist Hanna Gott mit dem Lobgesang, den wir eben gehört haben.

Diese alte Geschichte ist eine Geschichte mitten aus dem Leben. Auch heute machen Frauen die Erfahrung der Kinderlosigkeit. Auch heute kennen sie dieses Gefühl, für die Umwelt nicht wirklich Frau zu sein, wenn sie keine Kinder bekommen. Auch heute fühlen sie sich ausgeschlossen. Und oft genug gibt es kein Happy End mit der Geburt eines Kindes wie bei Hanna – trotz aller moderner Fortpflanzungsmedizin.

Aber vielleicht geht es ja um etwas Tieferes – etwas, was wir alle kennen, egal ob Frau oder Mann, ob alt oder jung. Vielleicht ist das Schlimmste ja das „Ausgeschlossen werden“. Dass ich in meinem Menschsein reduziert werde auf die Erfüllung einer bestimmten Funktion, ohne die ich nichts wirklich wert bin. Dass ich danach beurteilt werde, ob ich den gesellschaftlichen Normen entspreche. Dass Sein oder Nichtsein davon abhängt, ob ich die Erwartungen der Mitmenschen erfülle.

Wenn das so ist, dann kann man die Radikalität der Ostererfahrung gar nicht stark genug betonen. Wenn das so ist, dann bedeutet die Auferstehung Jesu Christi wirklich neues Leben für einen jede und eine jede von uns. Wenn Jesus wirklich lebt und heute in uns wirkt, dann ist der Weg aus dem Dunkel der Ausgrenzung tatsächlich gewiesen.

Denn die Liebe Jesu Christi, das radikalste Gegenprogramm zur Ausgrenzung, das man sich vorstellen kann, hat am Ende gesiegt. Warum haben die Menschen damals Jesus so fasziniert zugehört? Warum haben sie sich von ihm inspirieren lassen? Warum haben sie alles aufgegeben und sind ihm nachgefolgt?

Weil er diese Liebe ausgestrahlt hat. Weil die Menschen im Kontakt mit ihm gespürt haben: Er sieht mich. Er nimmt mich an, so wie ich bin. Er behandelt mich als das, was ich bin: Gottes gutes Geschöpf, wunderbar gemacht und kostbar, so wie ich bin. Das haben die Menschen gespürt. Und sie haben die göttliche Energie gespürt, die darin zum Ausdruck kommt.

Es hätte alles zu Ende sein können an dem Tag, an dem dieser Jesus mit einem Schrei der Gottverlassenheit am Kreuz starb. Alles sprach dafür, dass es zu Ende war. Und dann machen die trauernden Frauen am Grab diese unglaubliche Erfahrung der Begegnung mit dem Auferstandenen: Jesus ist da. Er lebt! Und sie spüren diese göttliche Energie der Liebe, die von ihm ausgeht, und merken: Es ist wahr! Der Herr ist auferstanden! Sie laufen zu den Jüngern und erzählen davon. Und die halten es für „Weibergeschwätz“. Bis sie ihm selbst begegnen, bis sie diese göttliche Liebesenergie selbst wieder spüren. Und es aller Welt weitersagen, so dass wir heute im Berliner Dom sie auch spüren dürfen, diese österliche Kraft der Liebe. Und spüren, wie sie unter uns wirkt, wie wir einander sehen lernen, wie wir einander annehmen lernen, wie wir einander als kostbare Geschöpfe Gottes neu entdecken lernen.

Weil Hanna dieses Gefühl in sich spürte deswegen hat sie Gott gelobt. Und viele Jahrhunderte später hat eine andere junge Frau ihr Lied aufgenommen und neu gesungen. Sie heißt Maria und lobt Gott dafür, dass sie den Heiland gebären soll: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.“ Und wie Hannah singt sie von der Umkehrung aller Verhältnisse durch die Kraft Gottes: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ (Lk 1,46ff).

Es ist schwer, bei diesen Worten nicht an die Diskussionen zu denken, die wir gegenwärtig in unserem Land über Menschen führen, die leer ausgehen, wenn es darum geht, ob die Taschen mit Gütern gefüllt werden können oder nicht. Was bei der Essener Tafel geschehen ist, beschäftigt uns noch immer. Wie kann es sein, dass wir in einem der wohlhabendsten Länder der Erde eine Diskussion darüber führen müssen, wer Zugang zu den übrig gebliebenen Lebensmitteln bekommen darf, die bei den Tafeln verteilt werden?

Niemand darf das Gefühl der Bedrängnis, das ältere Damen beim Anstehen bei der Essener Tafel hatten, einfach wegwischen. Dass man Menschen in Not je nach Pass unterschiedlich behandelt, kann aber sicher nicht die Lösung sein. Durch all das dürfen wir uns indessen nicht ablenken lassen von der Diskussion, die eigentlich geführt werden muss. Wie kann es sein, dass in einem so reichen Land wie unserem für die Schwächsten nicht genug da ist?

Bei Armut geht es nicht nur um Geld. Armut ist im Kern fehlende Teilhabe. Viele Menschen trauen sich gar nicht, sich in die Schlange der Tafel zu stellen, weil es ihnen peinlich ist. Wer nicht hungern muss, ist noch lange nicht heraus aus der Armut. Er muss teilhaben können. Er muss spüren und erfahren, dass er wirklich Teil dieser Gesellschaft ist, dass er gewollt ist, dass er gebraucht wird, dass er einfach sein darf, dass er eine Würde hat.

Dass alle Menschen in unserer Gesellschaft, auch die Schwächsten und Verletzlichsten, in diesem Gefühl leben können, das ist die große Aufgabe in Politik und Gesellschaft der nächsten Jahre. Die richtigen politischen Weichenstellungen gehören dazu. Die Eigenverantwortung der Betroffenen gehört dazu. Aber auch die Verantwortung von uns allen, dass wir diejenigen, die zu kämpfen haben, überhaupt erst einmal sehen und sie dann, wo immer möglich, unterstützen und begleiten.

In drei Tagen ist es genau 50 Jahre her, dass der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King in Memphis/Tennessee erschossen wurde. Die Botschaft, die er in einem fiktiven Brief des Apostels Paulus an die Amerikaner formuliert hat, ist heute so aktuell wie damals und für uns so aktuell wie für die Menschen in den USA: „Ihr seid das reichste Volk der Erde geworden, habt die größten Produktionsstätten aufgebaut, die je gesehen wurden. Das alles ist rühmenswert. Aber, Amerikaner, ihr könntet in Gefahr geraten, euren Kapitalismus zu missbrauchen.“ Und – so heißt es weiter in dem Brief: „Ihr müsst eure mächtigen wirtschaftlichen Ressourcen nützen, um die Armut aus der Welt zu vertreiben. Gott will nicht, dass ein Volk im Überfluss und Reichtum lebt, während andere nur die Armut kennen.“

„Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn“ – singt Hanna. Ihr Leben ist durch die Kraft Gottes neu geworden.
„Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes“ – singt Maria.
Weil sie versteht, dass in Jesus die Liebe Gottes in menschlicher Gestalt erscheinen wird und niemand mehr die Hoffnung auslöschen kann, die dadurch in die Welt gekommen ist.

„Christ ist erstanden! – Halleluja!“ - singen wir. Und freuen uns über den Sieg des Lebens und darüber, dass die Welt nicht so bleiben muss wie sie ist, sondern mit der Osterfreude auch die österliche Hoffnung Einzug in unsere Herzen hält.

Ja; das ist vielleicht das Schönste, was wir uns gegenseitig wünschen können: Frohe Ostern!

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herze und Sinne in Christus Jesus.

AMEN