Predigt zur Land-Kirchen-Konferenz in Bad Alexandersbad

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Es gilt das gesprochene Wort

Predigttext: Matthäus 6, 25-34

Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

Liebe Gemeinde,

wir alle kennen diese Verse aus der Bergpredigt Jesu. Viele von uns haben schon mehrmals darüber gepredigt. Und doch sind diese Sätze Jesu – so geht es mir jedenfalls – jedes Mal wieder von neuem wunderschön – und zugleich eine Irritation. Sie sind eine faszinierende Zusage, denn was könnte es schöneres geben als gesagt zu bekommen: „Hab keine Angst, sorge dich nicht. Weder um dein Einkommen, noch um deine Zukunft.“ Gleichzeitig gibt es ja nun wahrhaftig gute Gründe, sich Sorgen zu machen. Sorgen um die politische Zukunft, wenn überall auf der Welt ganze Staaten immer selbstbezogener werden. Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft, wenn Handelsabkommen beschnitten oder ausgesetzt werden. Sorgen um die globale ökologische Zukunft, wenn man sieht wie unser Planet durch sorglosen Umgang mit den natürlichen Ressourcen immer wärmer wird. Und die bange Frage kommt auf: Werden unsere Kinder und Kindeskinder noch die Voraussetzungen haben, ein gutes Leben auf der Welt zu führen? Oder geht alles bergab?

Auch als Kirche sorgen wir uns natürlich um die Zukunft. Wie wird es sein, wenn durch demographischen Wandel und Kirchenaustritte die Einnahmen immer geringer werden? Können wir dann noch unsere kirchliche Arbeit gut tun und sind wir in der Lage, dann noch unseren Verpflichtungen nachzukommen? Werden wir junge Leute wieder neu für das Evangelium interessieren, vielleicht sogar begeistern können?

Besonders groß ist die Sorge, wenn man sieht wie die Bevölkerung auf dem Land immer mehr zurückgeht. Wenn ganze Dörfer entvölkert sind, weil die junge Generation vor Ort keine berufliche Perspektive sieht und in die Städte zieht, da es dort entsprechende Arbeit und Infrastruktur gibt.

Und so könnte man sagen: Der Bibeltext aus der Bergpredigt nach Matthäus hat wenig mit dem realen Leben zu tun. Wenn Jesus das so gesagt hat, dann scheint er keine Ahnung vom wahren Leben zu haben. Nein – wie die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde leben, leben, ohne sich zu sorgen, das ist wirklichkeitsfremd.

Und doch sind diese Verse aus dem Matthäusevangelium faszinierend. Nicht nur schöne Worte, die beruhigen und vertrösten. Auch nicht nur eine Zusage, die für die Zukunft gilt. Sie beschreiben eine Wirklichkeit, auf die wir uns heute, jetzt sofort, einfach einlassen können.

Sorglosigkeit im Sinne der Bergpredigt bedeutet ja nicht, seine Verantwortung nicht mehr wahrzunehmen. Es bedeutet vielmehr, frei zu werden von dem verkrampften Versuch alles auf lange Sicht und Zukunft planen zu wollen und sich für und gegen alle Eventualitäten absichern zu wollen.

Nicht Weitsicht kommt daraus, sondern ein Tunnelblick, der verhindert, dass wir uns auf das „Jetzt und hier“ einlassen.

Einer von denen, die sich intensiv mit diesem Abschnitt auseinandergesetzt haben, war der dänische Theologe und Philosoph Sören Kierkegaard. Kierkegaard ließ sich durch diesen Abschnitt der Bergpredigt inspirieren, die darin enthaltene Botschaft in Gestalt einer Fabel zu erzählen. Ich will sie Ihnen hier weitergeben.

Es war einmal eine Waldtaube; sie hatte ihr Nest im düsteren und einsamen Wald. Auf dem Bauernhof in der Nähe wohnten einige zahme Tauben. Mit einer von ihnen traf sich die Waldtaube des Öfteren. Eines Tages sagte die Waldtaube: „Ich habe bisher mein Auskommen gehabt. Ich lasse jeden Tag seine Plage haben, und so komme ich durch die Welt.“ Die zahme Taube hatte genau zugehört, gurrte und antwortete: „Da gehen wir zahmen Tauben anders zu Werke. Bei uns – das heißt, auf dem Hof, wo wir wohnen –, da fährt der Bauer ein Fuder Korn nach dem anderen ein, und wenn er so viele eingefahren hat, dass ich sie nicht mehr zählen kann, dann ist Vorrat da für lange Zeit. Das weiß ich aus Erfahrung.“

Als die Waldtaube heim kam, dachte sie über diese Sache nach. Es leuchtete ihr sofort ein. Es müsste ein Behagen sein zu wissen, dass man sein Auskommen für lange Zeit hätte. Das Beste wäre – sagte sie zu sich selbst -, an ganz sicheren Stellen Vorräte anzulegen.

Am nächsten Morgen flog sie früher aus, als gewöhnlich, und begann mit dem Sammeln. Aber – o weh! Sie fand zwar jeden Tag auskömmlich ihre Nahrung. Doch die gesammelten Vorräte waren stets weg. Und so begann etwas Neues, ihr bisher Unbekanntes. Sie hatte zwar genug zu essen, aber sie fing an sich sorgen zu machen. Ihre Ruhe war dahin: Was soll werden, wenn ich in der Zukunft Not leide?

Von nun an war die Waldtaube bekümmert. Ihr Gefieder verlor das Farbenspiel, ihr Flug seine Leichtigkeit. Ihr Tagwerk brachte sie mit dem vergeblichen Versuch zu, sich Vorräte anzusammeln, um sich die Zukunft zu sichern. Sie wurde nei­disch auf die zahmen Tauben. Sie fand ihr Futter jeden Tag und wurde satt, und doch war es gleichsam, als würde sie nicht satt, weil sie von Nahrungssorgen für die Zukunft geschüttelt wurde: „Ach, warum bin ich nur eine arme Waldtaube und nicht eine von den Haustauben des reichen Bauern!“ grämte sie sich.

Da erdachte sie sich eine List. Eines Tages flog sie hin und setzte sich auf das Dach des Bauernhofs mitten unter die zahmen Tauben. Als sie die Öffnung ent­deckte, durch welche jene in das aus hineinflogen, flog auch sie hinein. Da musste ja wohl die Vorratskammer sein. Aber als der Bauer am Abend kam und den Taubenschlag schloss, entdeckte er sofort die fremde Taube. Er griff sie sich, schlachtete sie – und befreite sie so von ihren Sorgen.

Wäre die Waldtaube damit zufrieden gewesen, ein Vogel unter dem Himmel zu sein, so hätte der himmlische Vater sie genährt, kommentiert Sören Kierkegaard seine ziemlich drastisch endende Fabel. Der Mensch, sagt er, ist wie diese Waldtaube. Wenn er sich nicht gleich ihr damit begnügt, er selbst zu sein, fängt er an, sein Leben mit Sorgen anzufüllen.

Liebe Schwestern und Brüder,

Es geht nicht darum, dass wir als Christen nichts für den morgigen Tag planen sollen, sondern es geht darum, dass wir nicht aus der Sorge leben, so als ob es keinen Gott gäbe, der für uns sorgt. Es geht nicht darum, dass wir als Christen nicht säen und nicht ernten und nicht in die Scheunen sammeln sollen, sondern es geht darum, dass wir unser Leben auf etwas anderes gründen dürfen, auf etwas, was jenseits der materiellen Sicherheit trägt.

Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Wer aus diesem Vertrauen leben darf, für den ändert sich alles. Es ändert sich nichts an den Fakten, aber der Blick auf die Fakten wird ein anderer. Die berühmte Rede von dem halb vollen und dem halb leeren Glas drückt etwas davon aus. Die Menge bleibt unabhängig der Wahrnehmung die gleiche. Aber durch die negative oder positive Sicht verändert sich der Betrachter und mit ihm sein Umfeld.

Während die Rede von dem halb vollen und dem halb leeren Glas leicht zur Verbreitung eines krampfhaften Optimismus missbraucht werden kann, geht es bei Jesu Worten um etwas viel Tieferes. Es geht um das tiefe Gefühl in der Seele, dass genug für mich da ist, dass genug für uns alle da ist, dass Gott für mich sorgen wird, dass Gott für uns alle sorgen wird. Dieses innere Gefühl der Fülle hängt nicht von der Dicke des eigenen Geldbeutels ab oder von der Zahl, die in der Überschrift kirchlicher Haushaltspläne steht. Dieses Gefühl der Fülle kann ein Christ in einer Lehmhütte in Ruanda genauso ausstrahlen wie ein Mensch hier im wohlhabenden Bayern. Und wenn wir bayerischen Christen im Rahmen unserer nun 70-jährigen Kirchenpartnerschaft unsere Geschwister in Mecklenburg besuchen, dann sehen wir, wie sie dort auch mit weit dünneren Stellenplänen ausstrahlungsstark Kirche sind und fahren nach Hause mit der Zuversicht, das wir auch in Bayern zurechtkommen werden, wenn die Zeiten materiell schlechter werden.

Gerade auf dem Land gibt es so viele Beispiele in den Kirchengemeinden, wo Innovationskraft und Ideen zur Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Kräften den Weg in eine ausstrahlungsstarke Kirche der Zukunft weisen. Hier auf der Landkirchenkonferenz beschäftigen Sie sich in besonderer Weise auch mit solchen Beispielen. Wenn wir als Kirche anpacken und uns nicht von der Sorge um das morgen und das übermorgen lähmen lassen, dann wird das ansteckend wirken. Dann wird das dazu beitragen, dass die ländlichen Räume wieder neu als das entdeckt werden, was sie sind: Räume mit besonderer Lebensqualität, in denen es sich gut und gerne leben lässt.

Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass es ein Bild aus der Landwirtschaft ist, mit dem Jesus uns die tiefe Zuversicht eines Lebens mit Gott in die Herzen spricht. Nehmen wir es als Zeichen dafür, dass Jesus genau zu uns in unseren Diskussionen um die Zukunft der ländlichen Räume spricht, wenn er sagt: „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? … Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.“

Aus dieser Gewissheit lässt sich leben. Mit dieser Zuversicht lässt sich die Zukunft bewältigen. Gott wird für uns sorgen. Darauf vertrauen wir von ganzem Herzen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.