Predigt im Gottesdienst zum Buß- und Bettag in der Münchner St. Matthäuskirche

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

„Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Joh 14,27)

Mit diesen Worten, liebe Gemeinde, verabschiedet sich Jesus nach dem Zeugnis des Johannesevangeliums von seinen Freundinnen und Freunden. Bis heute sprechen sie eine tiefe Sehnsucht in uns Menschen an. Im Frieden mit Gott zu sein, im Frieden mit den anderen Menschen zu sein, im Frieden mit mir selbst zu sein. Das ist glückliches Leben. Das ist Zukunft. Das ist Himmel auf Erden.

Die Worte Jesu treffen eine tiefe Sehnsucht in uns. Und gleichzeitig scheinen sie wie aus einer anderen Welt zu sein an diesem Bußtag des Jahres 2018. Denn im Kleinen wie im Großen erfahren wir Unfrieden. Vielleicht ist fragt sich jemand, wie es zu Hause weitergehen soll. Zerwürfnisse, Missverständnisse und Vorwürfe. Vielleicht geradezu ein Kleinkrieg, oder gar Rosenkrieg. Dann das gereizte Klima in der Politik: Zuspitzungen, die schnell zu Beleidigungen werden. Medien, die nicht die Fairness würdigen, sondern die Schärfe. Das Ringen um die Neuverteilung der Position nach einer gewonnenen oder verlorenen Wahl, das vielleicht Wunden hinterlassen hat. Der

Twitterkrieg der Worte, bei dem Präsidenten mit 280 Zeichen Vernichtungsdrohungen aussprechen können. Oder die handfeste Gewalt, der im Jemen, im Kongo und auch immer noch in Syrien jeden Tag so viele Menschen zum Opfer fallen.

Schließlich sexualisierte Gewalt, mit der wir uns gerade bei der EKD-Synode so intensiv beschäftigt haben. Sie ist eine besonders perfide Form der Gewalt. Ganz besonders, wenn sie innerhalb der Kirche passiert, auf die man sich doch als Raum der Liebe und der Geborgenheit besonders verlassen können müsste! Sie verletzt an Leib und Seele, sie zeichnet einen Menschen fürs ganze Leben. Und vielleicht die tiefste Wunde von allen: sie vergiftet für einen Menschen alles, was mit Gott zu tun hat und nimmt ihm das weg, worauf er vertrauen, woraus er Selbstliebe und immer wieder Lebensfreude schöpfen könnte. Dass wir als Kirche Menschen davor nicht geschützt haben, dafür haben wir allen Grund, Buße zu tun.

„Heute einen Krieg beenden“- so heißt das Motto unserer diesjährigen Bußtagskampagne. Es passt zum Bußtag. Denn der Bußtag ruft zum Handeln. Man kann viel abwägen, man kann viel analysieren. Man kann viel problematisieren. Aber am Ende muss gehandelt werden. Ja, „heute einen Krieg beenden“ – genau das heißt Buße. Heute damit anfangen. Heute die eigene Verstrickung in den Unfrieden wahrnehmen. Heute Konsequenzen ziehen: Ich will das nicht mehr.

Im Blick auf die sexualisierte Gewalt kann ich für unsere Kirche sagen, wir werden noch konsequenter handeln. Wir werden aufklären, was immer aufzuklären ist und aufarbeiten, was im Verborgenen liegt. Noch viel intensiver als bisher wollen wir Prävention betreiben. Und die Menschen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, sollen wissen und spüren, dass sie bei uns Gehör finden. Die Hürden, die Menschen davon abhalten, uns ihre Geschichte zu erzählen, wollen wir abbauen. Denn nur wenn wir wissen, was falsch läuft, können wir es in Zukunft besser machen und der Waffe der sexualisierten Gewalt etwas entgegensetzen.

Heute einen Krieg beenden. In diesen Tagen denken wir an das Ende des 1. Weltkrieges. Es war nicht die Oberste Heeresleitung, die dem Schrecken ein Ende machen wollte. Es waren Soldaten, die nicht mehr bereit waren, für den Irrsinn hoher Militärs in den Tod zu gehen. Die Soldaten waren erschöpft, die Menschen war es auch. Unendlich viele Männer, aber auch Frauen und Kinder hatten den Tod gefunden.

Anfang November 1918 ist der Krieg zu Ende. Es ist natürlich noch lange kein Frieden. Es ist zunächst einmal nicht mehr Krieg. Das ist nach jedem Krieg so. Wer Krieg erlebt hat, wer Gewalt als Mittel kennt, wendet sie an. Nach einem Krieg ist die Gefahr für Frauen und Kinder groß, von ihren Männern und Vätern gewalttätig behandelt zu werden. Weil ihnen selbst die Gewalt noch in den Knochen steckt. Weil sie kaum anders mit ihrem Krieg im Inneren umgehen können. Keiner gibt die Erfahrungen des Krieges an der häuslichen Garderobe ab, wenn der Krieg zu Ende ist. Er ist zum Handlungsrepertoire geworden. So wie der Krieg ein Handwerk ist, das man lernen muss, muss man ihn auch wieder verlernen. So schwierig es ist, die natürliche Hürde zu überwinden, einen anderen Menschen zu töten, so schwierig ist es, wieder Zugang zu finden zu der Tötungshemmung, die in uns allen steckt.

Der Prophet Micha hat Wertvolles dazu zu sagen. Wenig ist von ihm bekannt, wenig hat er schriftlich hinterlassen.  Umso kostbarer ist sein großes Bild vom Reich, in dem Frieden herrscht. Ein Friede, der sich über das ganze Land und alle Welt legt. Von Gott geht dieser Friede aus und wird ganz weltlich, konkret. Von Kriegsgerät ist hier die Rede, das umgeschmiedet wird zum Pflug, zu einem Instrument, das Nahrung hervorbringt und damit Leben schafft. Vom Ende des Krieges überhaupt ist die Rede: „Sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen“. Wie leichtfüßig kommt dieser Satz daher. Dabei verändert er doch eine ganze Welt.

Denn er dreht menschliches Denken einfach um. Wer bisher dachte, einen Krieg zu planen und ihn zu führen, sei die höchste Kunst, lernt nun ein besseres: Nämlich den Frieden. Der eben auch nicht einfach passiert, sondern bewussten Handelns bedarf. Eines großen Wissens, einer inneren Haltung. Die man lernen kann, die man aber auch lernen muss. Gott ist der Grund und Urheber allen Friedens – Frieden ist einer der Namen Gottes. Und doch braucht er Menschen, die sich in ihm üben. Bis das Friedenstiften in Fleisch und Blut übergeht und wir die Seligkeit tief in uns spüren, die Jesus meint, wenn er sagt: „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“

Die wenigsten von uns haben über Krieg und Frieden in der großen Weltpolitik zu entscheiden. Aber wie die Politik bei uns gestaltet ist, unser gesellschaftliches Zusammenleben, der Umgang miteinander überhaupt, in der Familie, im Beruf, in der Kirche – das liegt in der Hand von uns allen. Wer den Frieden lernen will, begibt sich auf einen langen Weg, eine Reise. Gut und hilfreich ist es, wie bei jeder Reise, ein paar Dinge griffbereit zu haben. Als Handgepäck.

Zum einen, die Fantasie. Wer den Frieden lernen will, bricht aus alten Mustern aus. Muss sich vorstellen können, wie es anders sein könnte. Muss sich innerlich darauf einstellen, neue Wege zu gehen.

Der Frieden braucht Fantasie. Der Frieden braucht die Wahrheit. Der kongolesische Arzt Denis Mukwege arbeitet daran in seinem Land und gibt der ganzen Welt ein Beispiel.

Und der Frieden braucht Demut. Bereit zu sein, die eigene Position noch einmal zu überdenken, sie zur Disposition zu stellen. Sie nicht für die einzige und einzig richtige zu halten. Umzukehren, weil man merkt: Da habe ich mich verrannt. Der Buß- und Bettag heute ist eine Gelegenheit, für sich selbst genau hier einzuhaken.

Und dann gehört ins Handgepäck des Friedens: die Klugheit. Die Klugheit, mit diplomatischem Geschick, Positionen aneinander anzunähern. das offene Fenster sehen, wo andere nur die Wand sehen. Den Schlüssel für die fest verschlossene Tür finden. Die ganze Kraft des Verstandes nutzen, um der Logik des Krieges und der Gewalt eine Logik des Friedens entgegenzusetzen. Und manchmal hilft auch der Humor. Ein Lachen kann entwaffnend sein. Ein pfiffiger Satz kann die die Spannung lösen. Wer über seine eigenen Unzulänglichkeiten lachen kann, wird fähig zum Frieden.

 „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ So sagt Jesus zu seinen Jüngern. Und so sagt er zu uns am Buß- und Bettag des Jahres 2018. Öffnet euch den Lebensquellen Gottes. Schaut auf Christus und lasst euch von seiner Liebe inspirieren. Lasst diese Liebe in Euer Herz hinein. Lasst sie in die Seele fließen. Und lasst euch dadurch verändern, neu machen. Lasst die Liebe, mit der Gott euch euer Herz füllt, überfließen zum Nächsten. Hört die Engel, die in der Nacht von Jesu Geburt gesungen haben: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden“ und stimmt mit Wort und Tat in ihren Gesang ein.

Dann öffnet sich die Tür in die Welt, die der Prophet Micha beschreibt: „Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken“. Jeder wird das haben, was zum Leben nötig ist. Das sind die Feigen. Und jeder wird auch das haben, was das Leben zur Feier macht – den Weinstock und seine Früchte. Und: Niemand wird mehr Angst vor einem anderen Menschen haben, weil der Mensch nicht mehr des Menschen Feind, sondern des Menschen Freund geworden ist.

„Heute einen Krieg beenden“. Mit dem Ehepartner, dem schwierigen Kollegen, dem politischen Gegner. Das ist schwer, manchmal sehr schwer. Aber die Mühe lohnt sich. Denn sie steht unter der wunderbaren Verheißung, dass der Frieden uns leben lässt.

Es hat seinen tiefen Sinn, liebe Gemeinde, dass es ein biblisches Wort über den Frieden ist, das wir ans Ende jeder Predigt setzen: „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“

Amen.