Prälat Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin

Predigt beim Ökumenischen Gottesdienst anlässlich der Konstituierung des 19. Deutschen Bundestages am 24. Oktober 2017 in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,
sehr geehrter Herr Alterspräsident,
sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrte Mitglieder des alten (18.) und des neuen (19.) Deutschen Bundestages,
liebe Schwestern und Brüder,

lassen Sie mich zunächst denjenigen, die in den 19. Deutschen Bundestag gewählt wurden, herzlich gratulieren und denen von Ihnen, die aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden sind, ein herzliches Vergelt’s Gott für Ihren Dienst für unser Gemeinwesen sagen!

Viele von Ihnen treibt in diesen Tagen die Frage um, was die Zukunft für sie bringt, sei es aus der Perspektive der ausgeschiedenen Abgeordneten, jener der künftigen Opposition oder aber vom Standpunkt der möglichen neuen Regierungskoalition aus.

Viele werden sich heute vor der Konstituierung des neuen Bundestages, am Neubeginn dieser Legislaturperiode die Frage stellen: „Was wird aus mir?“

Eine Antwort lässt sich auf die Frage in jedem Fall geben, aus Ihnen ist schon etwas geworden: Sie dürfen als Abgeordnete und Abgeordneter eine der anspruchsvollsten, verantwortungsvollsten, vornehmsten und ehrenvollsten Aufgaben in unserem Land wahrnehmen. Sie verdanken Ihr Amt nicht sich selbst, sondern Ihrer Partei und vor allem anderen dem Wähler. Im Parlament finden Sie sich in einer bisher nicht gekannten Anzahl von Volksvertretern und mit den meisten Fraktionen aller Zeiten wieder. Egal in welchem politischen Lager Sie sich verorten - ich wünsche mir jedenfalls auch für das kommende Parlament eine Kultur, in der die demokratischen Tugenden über alle Fraktionsgrenzen hinweg gelebt werden. Das dürfen die Bürgerinnen und Bürger von Ihnen erwarten.

Das heutige Evangelium gibt zwar keine Antwort auf die Frage nach einem erfolgreichen Berufsweg. Wohl aber ist das ganze Evangelium eine einzige Handreichung für ein gelingendes und gottgefälliges Leben. Bei der Frage, was aus mir wird, geht es immer um mein Leben vor Gott, mein Leben im Horizont des Reiches Gottes, mein Leben in Relation zu anderen Menschen, zur Schöpfung, zu den Gütern der Erde. Wenn Sie heute anlässlich der Konstituierung des Deutschen Bundestages zusammenkommen und sich fragen sollten, was aus Ihnen in der kommenden Legislaturperiode wird, scheint es mir sinnvoll zu sein, sich auch und gerade dieser Dimensionen Ihres Lebens neu bewusst zu werden. Vielleicht erledigen sich damit ja dann auch Wünsche für die Zukunft, denn auch als Abgeordnete und Abgeordneter kann es im Angesicht Gottes doch nur darum gehen, dass Sie Sinnvolles und Gutes bewirken wollen.

Beim Gleichnis vom Sämann geht es im Kern darum, dass der Sämann lediglich darauf zu achten hat, dass der Samen auf guten Boden fällt, damit er dreißig, sechzigfach und hundertfach Frucht bringt, ein gemessen an den Möglichkeiten der damaligen Landwirtschaft großartiges Ergebnis, für eine scheinbar nicht allzu anspruchsvolle Tätigkeit.

Erfolg oder Misserfolg hängen beim Säen und Ernten von Zufällen, ja wenn man so will vom Schicksal ab. Was kann der Samen dafür, wohin ihn der Sämann streut? Die Möglichkeit des Wachstums hängt davon ab, auf welchen Boden er fällt. Fällt er auf den Weg, den Fels oder unter die Dornen, hat der Samen kaum Chancen auf Wachstum. Fällt er auf fruchtbaren Boden, kann er gedeihen. Von den Teilhabechancen wie auch von der Fortune hängt auch in unserem Leben vieles ab. Vieles können wir beeinflussen, vielleicht sogar das Meiste. Aber nicht alles. Auch wenn der Sämann noch so akribisch darauf achtet, möglichst wenig Samen auf den Weg, auf felsigen Boden oder unter Dornen fallen zu lassen, wird sich dies nicht ganz vermeiden lassen, wenn er denn das ganze Feld ausnutzen möchte. Politikerinnen und Politiker können noch so akribisch versuchen, es allen recht zu machen, aber alles wird sich nicht gerecht und optimal regeln lassen. Auch ein Parlament sieht sich immer wieder vor Ereignisse gestellt, die im Vorfeld nicht gesehen werden konnten, oder die über uns hereinbrechen wie Katastrophen, Naturereignisse, ökologische, ökonomische oder soziale Krisen. Wir können in Kriege und Konflikte hineingezogen werden, ohne dass wir das wollen. Wir sind weder vor Terroranschlägen noch vor den großen Herausforderungen der weltweiten Migration gefeit. Die Zukunft der Einen Welt können wir nur zu einem kleinen Teil beeinflussen. Angesichts der unabschätzbaren Herausforderungen, vor die Sie künftig gestellt sein mögen, wirkt die Parabel entlastend. Nicht alles, was in der kommenden Legislaturperiode auf uns zukommen mag, ist in einem Koalitionsvertrag zu antizipieren.

Die Parabel lehrt auch: Ertrag, wirtschaftlicher oder politischer Erfolg wird sich nie zu 100 Prozent einstellen. Das weiß jeder Sämann. Es ist eine Alltagserfahrung, dass wir überall Rahmenbedingungen, Sachzwänge oder Mehrheitsverhältnisse vorfinden, die bestimmte Vorhaben erschweren oder gar unmöglich erscheinen lassen. Jesus weiß darum, deshalb findet sich auch kein kritisches Wort über den Sämann, der sät, auch wenn er den möglichen Misserfolg einkalkuliert. Aber ohne, dass er das Risiko eingeht, dass Samen auf unfruchtbaren Boden fällt, würde er nur einen geringeren Ertrag erzielen. Wenn er penibel darauf achtet, dass der Samen nur auf fruchtbaren Boden fällt, braucht er wahrscheinlich viel zu lange bis er gesät hat, das Vorhaben wird zu teuer und unrentabel. Streuverluste sollte ein erfolgreicher Sämann bei der Berechnung des erhofften Ernteertrages einkalkulieren.

Schauen wir uns das Profil des Sämanns noch etwas genauer an. Jesus beginnt das Gleichnis mit einer scheinbar großen Selbstverständlichkeit. Der Sämann ging aus zu säen. Das ist eine vergleichbar banale Jobbeschreibung. Dahinter verbirgt sich aber eine anthropologische Grundaussage, nämlich, dass der Mensch dazu da ist, mit der vorgefundenen Möglichkeit etwas anzufangen. Er ist dazu berufen, den Boden zu bearbeiten, also Welt zu gestalten. Politikerinnen und Politiker müssen unser Gemeinwesen gestalten. Wie der Sämann alles Erdenkliche tut, damit die Ernte dreißigfach, sechzigfach und hundertfach ausfällt, so müssen auch Sie das Optimale erstreben. In den Worten des Amtseides von Regierungsmitgliedern ist das so ausgesagt.

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. (So wahr mir Gott helfe).

Von der Persönlichkeit des Sämanns erfahren wir eigentlich recht wenig. In der Auslegungsgeschichte der Parabel wird der Sämann üblicherweise mit dem Verkündiger verglichen. Es liegt an ihm, das Wort Gottes so zu vermitteln, dass es bei möglichst vielen Menschen auf fruchtbaren Boden fällt. Also dass viele Menschen das Wort Gottes annehmen können. Indem Jesus auf eine Charakterisierung des Sämanns verzichtet, sagt er implizit etwas über die Eigenschaften von Verkündigern aus. Sie sollen unprätentiös und uneitel sein, weniger auf ihre eigene Performance achten, sondern hauptsächlich darauf, dass das Wort Gottes bei den Menschen tatsächlich ankommt. Alles, was dem zuwider steht, soll er unterlassen. Er hat darauf zu achten, dass der kostbare Samen – das Wort Gottes – auf fruchtbaren Boden fällt. Es geht also um eine sehr große Verantwortung. Der Verkünder des Wortes Gottes ist ein guter, wenn er die Menschen tatsächlich erreicht. Vielleicht hat mein Beruf mit dem Ihrigen etwas gemeinsam. Wir müssen die Menschen erreichen, dabei dürfen wir ihnen nicht nach dem Mund reden. Wir müssen die Wahrheit sagen, wir dürfen die Menschen nicht mit falschen Versprechungen verführen, nicht mit ihren Ängsten spielen, um sie zu vereinnahmen. Wir dürfen nicht auf den eigenen Vorteil aus sein, wir müssen authentisch sein. Wir müssen die Menschen gewinnen, sich zu engagieren. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, dass aus jedem etwas wird, zumindest das, was er werden kann und Perspektiven schaffen für das, was er werden will.

Wenn sich jeder darum bemüht, eine gute Politikerin, ein guter Politiker zu sein, in einem sachlichen und in einem moralischen Sinne, in einem menschlichen und charakterlichen. Wenn das Ziel meines Handelns das Gute für den Einzelnen und die Res Publica ist, dann sollten sich die Sachfragen im demokratischen Meinungsfindungsprozess des Parlaments einer guten Lösung zuführen lassen, dann werden Sie auch über Fraktionsgrenzen hinweg immer wieder zueinanderfinden

Hierzu wünsche ich Ihnen Gottes Segen!