Predigt zum Gedenkgottesdienst anlässlich der Rückgabe sterblicher Überreste aus dem früheren Deutsch-Südwestafrika

Bishop Ernst //Gamxamûb, Evangelisch Lutherische Kirche in der Republik Namibia, Rat der Kirchen in Namibia, in der Französischen Friedrichstadtkirche, Berlin

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch. Amen.“

Genesis 50, 24 – 26:

24 Und Josef sprach zu seinen Brüdern: Ich sterbe; aber Gott wird euch gnädig heimsuchen und aus diesem Lande führen in das Land, das er Abraham, Isaak und Jakob zu geben geschworen hat.
25 Darum nahm er einen Eid von den Söhnen Israels und sprach: Wenn euch Gott heimsuchen wird, so nehmt meine Gebeine mit hinauf von hier.
26 Und Josef starb, als er hundertzehn Jahre alt war. Und sie salbten ihn und legten ihn in einen Sarg in Ägypten.

Als ich im Jahr 1980 die Sehitwa Mission der Evangelisch-lutherischen Kirche in Botswana besuchte, machte ich eine Erfahrung, die mir Gänsehaut bereitete. Bevor ich mich abends schlafen legte, hörte ich Menschen auf eine sehr bewegende, harmonische und faszinierende Weise ein Lied singen. Auf Nachfrage wurde mir berichtet, dass der Gesang aus dem UNHCR-Lager komme, in dem
namibische Flüchtlinge untergebracht seien. Jede Nacht versammelten sie sich dort um ein großes Lagerfeuer als Treffpunkt und sangen Lieder aus Namibia, wenn sie sich nach ihrer Heimat sehnten.

Ich konnte deutlich hören, dass sie in Otjiherero sangen, aber ich konnte den Text nicht verstehen. Ich fragte meinen Freund, Pastor Jonathan Hevita, der für mich die Bedeutung der Wörter wie folgt übersetzte:

„Tji mbatire ponamba, omatupa undje je
jarure (koSwanu) (konganda).“
„Wenn ich hier sterbe, lass meine Knochen
nach Hause zurückkehren.“

Für mich war dies eine Klage, die getragen wie auf Flügeln der Luft eine Botschaft wiedergab; eine aufrichtige Bitte, die das Herz des Zuhörers berührte, ein starkes Verlangen in den Stimmen der Sänger, mit Trauer gepaart. Obwohl sie Flüchtlinge in einem fremden Land waren, appellierten sie: „Lasst unsere Knochen in unser angestammtes Land zurückkehren, Namibia.“ Dieses Lied hinterließ einen bleibenden Eindruck in mir, dass Leben und Herkunft sehr stark und voneinander unzertrennlich sind.

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn,
wir sind hier versammelt am Vorabend der Rückführung der Überreste unserer Vorfahren, die während des Genozids von 1904-1908 in Namibia brutal getötet wurden. Sie wurden zerstückelt und ihre sterblichen Überreste auf herzzerreißende Weise in ein fremdes Land verbracht, wo wir jetzt versammelt sind, von Leuten, die mit verdeckten Absichten kamen, um die indigenen Völker zu kolonisieren, zu unterwerfen und zu „zivilisieren“. Der Hauptgrund dafür war eine rassistische wissenschaftliche Forschung, die beweisen sollte, dass Afrikaner ihren weißen Unterdrückern unterlegen waren.

Aber anders als unsere Landsleute, die in einem Flüchtlingslager in Sehitwa, Botswana, waren und eine Stimme hatten, um der Welt mitzuteilen, dass sie nach ihrem Tod nach Namibia zurückgebracht werden wollten, repräsentieren die Schädel und Gebeine unserer Vorfahren eine stille Stimme, die zu unseren Herzen und Sinnen spricht und von unsrem Gewissen die Heimkehr einfordert. Wir, die hier versammelten namibischen Menschen, genauso wie die zu Hause, haben die spirituelle, ethische und kulturelle Verantwortung, ihnen als Stimmen zu dienen, als ihre Anwälte zu erklären: "Lasst uns endlich heimkehren!"

Für viele scheint der Genozid zu einem unbedeutenden Ereignis geworden zu sein, aber für uns ist es ein historisches, denkwürdiges und dunkles Kapitel in unserem Kampf gegen Kolonialismus und ausländische Besatzung aus früheren Zeiten.

Liebes Volk Gottes,
im Predigttext lesen wir, dass Josef seine Landsleute in Ägypten zusammenrief und sich von ihnen das Versprechen geben ließ (Vers 25), dass sie - wenn endlich der Tag ihrer Rückkehr ins verheißene Land gekommen sei - seine Knochen in Ägypten nicht zurücklassen sollten. Für Josef war es ein heiliges Anliegen, in das Land seiner Herkunft gebracht zu werden und mit seinen Vorfahren vereint zu sein. Tatsächlich kam Gott schließlich, um Israel vom Joch der Sklaverei zu retten; ungefähr 400 Jahre, nachdem Josef gestorben war.

Derselbe Herr, der sein Volk aus der Sklaverei gerettet hat, rettete auch unsere Vorfahren davor, von den mächtigen kaiserlichen deutschen Streitkräften vollständig von der Erde ausgelöscht zu werden. Er sorgte dafür, dass aus der Saat, die fast ausgelöscht war, eines Tages ihre Nachkommen auferstehen würden. So hat Er uns den Sieg gebracht. Deshalb singen wir in unserer Nationalhymne: „Ihr Blut floss für unsere Freiheit.“

Heute sind die betroffenen Gemeinschaften, das gesamte namibische Volk, das von friedliebenden Bürgern der Welt unter der Führung unserer namibischen Regierung unterstützt wird, hier versammelt, um eine Mission zu erfüllen. Dass nämlich die Gebeine der Toten wieder mit dem Boden ihrer Geburt vereint werden und schließlich in einem freien und unabhängigen Namibia Ruhe finden, wie es unserer afrikanischen Kultur und Glaubens-tradition entspricht, so wie auch Josefs Knochen in das verheißene Land zurückgebracht wurden.

Bei seiner Abreise aus Ägypten nahm Moses Josefs Gebeine in das verheißene Land mit (Ex 13, 19). Obwohl er das verheißene Land nicht betrat, war er sich der Bedeutung der Rückführung voll bewusst und wies Josua an, dafür zu sorgen, dass diese Verheißung (Josua 24, 32) erfüllt wird: „Der Leichnam Josefs die das Volk Israel aus Ägypten mitgebracht hatte, wurde in Sichem begraben, in dem Stück Land, das Jakob von den Söhnen Hamors, dem Vater Sichems, gekauft hatte.“

Liebes Volk Gottes,
warum ist es so wichtig und bedeutend, diese menschlichen Überreste nach Hause zu bringen?
• Erstens gehören sie nicht hierher; deshalb nehmen wir sie dahin mit, wo sie hingehören.
• Zweitens sind diese Schädel und Gebeine eine Anklageschrift, Zeugen ganzer Dokumentations-bände von Ungerechtigkeiten, die an unserer Menschlichkeit begangen wurden.
• Drittens erzählen diese Schädel und Gebeine die Geschichte der brutalen und gottlosen kolonialen Vergangenheit und der unterjochenden Unterdrückung des namibischen Volkes. Sie sagen: „Nie wieder!“
• Viertens fordert dieser barbarische Akt restaurative Gerechtigkeit für die gesamte namibische Nation, die immer noch von dem Genozid von 1904 - 1908 betroffen ist.
• Fünftens werden die Schädel und Gebeine nicht mehr als nummerierte Objekte dienen, sondern in Würde als stille Helden des namibischen Kampfes für die Selbstbestimmung empfangen.

Sehr geehrte Frau Ministerin für Bildung, Kunst und Kultur, Katrina Hanse-Himarwa,
Sie stehen kurz davor, unsere Lieben entgegen-zunehmen und in unsere geliebte Heimat zurückzubringen. Diese heiligen Momente sind voller Emotionen und Trauer. Seien Sie stark und mutig bei der anstehenden Aufgabe, denn Sie vertreten Seine Exzellenz, den Präsidenten der Republik Namibia, Dr. Hage Gottfried Geingob, die betroffenen Gemeinden und das namibische Volk. Gott segne und tröste Sie.

Liebe Schwestern und Brüder,
die Geschichte Namibias und Deutschlands ist geboren aus einer sehr schlimmen Erfahrung rzen vor Gott in tiefer Trauer beugen, danken wir Gott, dem Begründer der menschlichen Geschichte, dass wir uns die Hände reichen und der Zukunft stellen können, indem wir uns im Geist des Gebens und Nehmens aufeinander verlassen. Gleichzeitig müssen wir erkennen, dass wir eine tief verwurzelte gemeinsame Geschichte teilen, von der wir uns nicht trennen können. Lasst uns darum aus unserer Vergangenheit lernen, unsere Zukunft, die durch die folgenden Werte geprägt ist, neu zu schreiben: menschliche Würde, Respekt, Gleichheit, gutes Zusammenleben, gegenseitige Ermächtigung, Frieden und Gerechtigkeit.
Bei der Gnade des Gottes Abrahams, Isaaks und Jacobs, ja, bei der Gnade unseres Herrn Jesus Christus: "Lasst uns endlich heimkehren!"

„Und der Frieden Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.“