Predigt im Gottesdienst am Pfingstmontag in der Sophienkirche zu Berlin (Sacharja 4, 6)

Wolfgang Huber

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

Das biblische Wort, das der Predigt heute zu Grunde liegt, stammt aus dem Buch des Propheten Sacharja. Es handelt sich um den Wochenspruch für die Pfingstwoche. Der Prophet Sacharja erhält den Auftrag, dem jüdischen König das folgende Wort Gottes auszurichten:

“Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth”. 
                 (Sacharja 4,6)

I.

Liebe ökumenische Gemeinde hier in der Sophienkirche, zu Hause und unterwegs!

Pfingsten ist das ökumenische Fest schlechthin. Denn Gottes Geist macht an keiner Kirchenmauer Halt. Niemand von uns hat das Recht, ihm zu befehlen, er solle sich nur an die eigene Konfession halten. Gottes Geist benutzt unsere kirchlichen Traditionen in ihrer jeweiligen Besonderheit, aber er lässt sich nicht von ihnen einsperren. “Der Geist weht, wo er will.” Unsere Sache ist es, ihm Raum zu lassen. An uns liegt es, das Wehen des Geistes nicht zu verpassen.

Pfingsten ist das ökumenische Fest schlechthin. Hier in Berlin und auch an manchen Orten in Brandenburg war das auch in der letzten Nacht zu spüren, in der zweiten “Nacht der offenen Kirchen”. Über hundert Kirchengebäude hielten ihre Türen weit offen. Und viele Menschen kamen. Es waren Gemeindeglieder und ökumenische Gäste, Menschen, die in diesen Gebäuden zu Hause sind, und andere, die vorbeikamen, geplant oder ungeplant. Manche haben endlich in die Kirche um die Ecke hineingeschaut, die sie seit Jahr und Tag nur von außen kannten. Hoffentlich haben sie Lust zum Wiederkommen. Der Geist weht, wo er will.

Und nun zum Abschluss ein ökumenischer Gottesdienst in der großen Gemeinschaft der Kirchen, die im Ökumenischen Rat Berlin-Brandenburg zusammengeschlossen sind. Ich hoffe, Sie spüren und Sie hören auch am Radio etwas von der Vielfalt der Traditionen, die hier verbunden sind, orthodox und katholisch, evangelisch und freikirchlich, geeint über die Grenzen unterschiedlicher Sprachen hinweg.

Welches Fest sollte besser geeignet sein, den Zusammenklang dieser verschiedenen Sprachen zu feiern als das Pfingstfest? Mit Pfingsten – so schildert es der Bericht über das erste Pfingstfest in Jerusalem – findet die große Sprachverwirrung ein Ende. Menschen können sich hören – allem Unterschied der Sprachen zum Trotz. Sie verstehen einander, wenn sie von den großen Taten Gottes berichten. Begonnen hatte die Sprachverwirrung nach der Erzählung vom Turmbau zu Babel damit, dass die Menschen nur noch ihre eigenen Taten im Blick hatten. Der Zusammenklang der Sprachen beginnt damit, dass Gottes Geist sie ergreift und sie von Gottes großen Taten erzählen. Auch wir kennen die Sprachverwirrung, in der jeder nur noch an sein Eigenes denkt. Aber auch wir können uns für den Zusammenklang der Sprachen öffnen, in dem wir Gottes große Taten rühmen.

II.

In unser ökumenisches Hochgefühl trifft die prophetische Warnung hinein: “Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.” Eine befremdliche Klarheit geht von diesem Wort aus. Nicht pfingstliche Gefühligkeit breitet sich aus, sondern der Geist deutlicher Unterscheidungen bricht sich Bahn. Statt Heer und Kraft: Gottes Geist. Statt der Durchsetzung eigener Herrschaftsansprüche: Vertrauen auf Gottes Geist. Statt der eigenen Machtgelüste: die Macht des göttlichen Geistes. So heißt die Alternative.

Schon in der Zeit des Propheten Sacharja war es alles andere als selbstverständlich, in dieser Alternative klar Partei zu ergreifen und auf die Seite der schwächeren Bataillone zu wechseln. Sacharja und sein Volk hatten nicht nur Anlass, sich vor “Heer oder Kraft” zu fürchten; sie hatten auch gute Gründe, bei “Heer oder Kraft” ihre Zuflucht zu suchen. Am Anfang des 6. Jahrhunderts vor Chr. waren sie selbst einem gewaltigen militärischen Ansturm erlegen. Das jüdische Volk war unterjocht, die Führungsschicht nach Babylon abgeführt worden. Inzwischen war diese Großmacht einer anderen unterlegen. Die Israeliten kehrten nach Hause zurück, bebauten das verwüstete Land und errichteten den Tempel in Jerusalem aufs neue. Doch auch jetzt gab es wieder Konfrontationen und Zusammenstöße der Großmächte, zwischen die das kleine jüdische Volk förmlich eingekeilt war.

Gibt es in einer solchen Situation eine andere Möglichkeit, als mit einer dieser Mächte zu paktieren? Ist nicht gerade der Schwächere darauf angewiesen, sich mit Heer und Kraft zu verbünden, weil er sonst keine Chance hat? Auf sich allein gestellt, geht er unter. Diese Einsicht gehört zum kleinen Einmaleins der Macht.

In dieses naheliegende Kalkül trifft die prophetische Warnung: Nicht auf das machtpolitische Kalkül kommt es an, am Vertrauen auf Gottes Geist hängt alles. Das soll der Prophet dem König sagen, unter dessen Leitung der Wiederaufbau unternommen wird.

Das Dilemma des Königs steht uns deutlich vor Augen. Seine Aufgabe ist es doch, dem kleinen Volk Israel auf Dauer politische Stabilität zu verleihen, damit die Mühen des Wiederaufbaus sich lohnen. Dieses Dilemma politisch Verantwortlicher wird uns in diesen Tagen auf schmerzliche Weise und erneut am Beispiel jenes kleinen Landes Israel bewusst, in dem diese Weisung zuerst ausgesprochen wird. Was wäre wohl, wenn heute vor dem Ministerpräsidenten Scharon ein Prophet aufträte und sagte: “Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth?“ Wir ahnen, auf welche Reaktion er stoßen könnte, gerade heute. Was wäre, wenn ein solcher Prophet dem Palästinenserführer Arafat entgegentrete, heute, nach dem Blutbad in Tel Aviv? Nicht eine Waffenruhe aus Kalkül, sondern ein Ende der Gewalt würde er fordern. Aber auch für unser eigenes Land, auch hier in Berlin und Brandenburg, gilt: Das Zusammenleben – gerade mit Fremden – gelingt nur, wenn wir der Gewalt eine Absage erteilen.

Aber gerade an diesem Beispiel spüren wir auch die tiefe Wahrheit dieser Aufforderung. Denn gerade an dem zerstörerischen Gegeneinander von Israelis und Palästinensern ist es doch mit Händen zu greifen, dass Heer und Kraft keinen Frieden bringen und den Weg in die Zukunft nicht erschließen. Vielmehr drängt sich gerade an diesem Beispiel die Einsicht auf: Erst wenn der Geist der Versöhnung einzieht, wird das Morden ein Ende finden. Die Gewalt der Waffen wird das nie bewirken. Frieden entsteht nicht durch die Gewalt der Waffen, sondern daraus, dass Menschen aufeinander hören. Frieden braucht den Geist der Versöhnung .

Auch wir kennen das lähmende Gefühl, dass der Geist der Versöhnung gegen Macht und Gewalt nichts ausrichten kann. Aber wir kennen auch die Erfahrung, dass die prophetische Zumutung uns trifft. Sie rechnet mit der Wirklichkeit Gottes. Sie beruft sich auf den Gott Israels, den Vater Jesu Christi.

Für diese Wahrheit wird die geschichtliche Erfahrung des Volkes Israel aufgeboten: Wie war das beim Auszug aus Ägypten? Nicht mit den Mitteln überlegener Rüstung hat Gott die ägyptischen Heere bezwungen, ja mitsamt ihren Rossen und Wagen geschlagen, sondern mit der Kraft seines gebieterischen Wortes, mit dem schöpferischen Wirken seines Geistes. Diese Erfahrung hat sich bei der Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft wiederholt. Und deshalb gibt es für den Glauben Israels keine zwei Wirklichkeiten – die eine, in der die “Realitäten” von Heer und Kraft zu respektieren oder auch wegzubomben wären, und die andere, in der man “geistlich” auf Gottes Wort achtet und es preist. Nein: die ganze Welt ist der Raum, in dem Gottes Geist wehen und sich entfalten will.

Wir kommen nicht darum herum uns klarzumachen: Die Zumutung des Propheten Sacharja gilt auch uns als Christen, als christliche Gemeinden und Kirchen. Das grundlegende Ereignis unseres Glaubens hat auf seine Weise die militärischen Mächte und politischen Machtansprüche regelrecht umgestürzt: “Die Soldaten wurden, als wären sie tot”, heißt es in der Ostergeschichte. Ostern hat der tödlichen Gewalt eine Grenze gesetzt – und zwar genau in dem Augenblick, als der mit Gewalt beseitigt werden sollte, der ganz und gar den Geist Gottes verkörperte, der deshalb die Gewalt des Schwertes verwarf, als sie zu seinem Schutz eingesetzt werden sollte. Dieses grundlegende Ereignis unseres Glaubens ist die Auferweckung des Gekreuzigten. Der Geist, den er verkörperte, ist nicht tot. Der Geist, den er verkörperte, will auch uns erreichen. Deshalb feiern wir Pfingsten.

III.

Was für unsere Wirklichkeit im Ganzen gilt, das gilt erst recht für die Kirchen. Nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch Gottes Geist soll bewirkt werden, was wir erbitten. Eine überzeugende Gemeinschaft der Kirchen, deutliche Zeichen der ökumenischen Zusammengehörigkeit erbitten wir an diesem Pfingstfest Wir tun es nicht dadurch, dass die einen die anderen überwältigen. Wir tun es auch nicht dadurch, dass die einen den anderen ihr Kirchesein absprechen. Sondern wir vertrauen miteinander auf die Kraft des Geistes, der unsere Kräfte in Anspruch nimmt, aber unseren Grenzziehungen keine letzte Geltung zuerkennt. Um dieses Geistes willen nehmen wir unsere unterschiedlichen Wurzeln ernst; aber noch wichtiger ist uns der gemeinsame Ursprung im Evangelium Jesu Christi. Um dieses Geistes willen machen wir unsere unterschiedlichen Prägungen geltend; vor allem aber preisen wir gemeinsam Gottes große Taten in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi.

Was sind die nächsten Schritte der Ökumene hier in Berlin? Konkrete Zeichen gehören dazu, in denen sich unsere Bereitschaft zeigt, miteinander zu teilen. Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung des Ökumenischen Rats Berlin-Brandenburg, der kleinen äthiopisch-orthodoxen Gemeinde in Berlin dabei zu helfen, dass sie einen eigenen Priester haben kann. Die Kollekte am Ende dieses Gottesdienstes ist ein weiterer Baustein dieser Unterstützungsaktion. Eine große Freude ist es, dass Priester Abba Merhane Beskel Tedla Mengistu schon seit Ostern in Berlin und auch heute unter uns ist. Der Chor, den wir vor der Predigt gehört haben, stammt aus seiner Gemeinde.

Auch nach weiteren ökumenischen Zeichen sollten wir Ausschau halten. Der katholische Bischof von Erfurt, Joachim Wanke, hat vor kurzem ein ökumenisches Glockenläuten vorgeschlagen – freitags nachmittags um 15 Uhr, mitten in dem Trubel, in dem Menschen sich zum “Wochenende” aufmachen.. Ein gemeinsames Läuten in jeder Woche zur Todesstunde Jesu, um daran zu erinnern, was wir diesem Tod miteinander verdanken.

Der Ökumenische Kirchentag liegt vor uns, hier in Berlin, im Sommer 2003. Er soll zeigen: Das, was uns verbindet, ist wichtiger als das, was uns trennt. Aber auch das geschieht nicht mit Heer oder Kraft, sondern durch den Geist Gottes, der uns eint. Nur so bezeugen wir, was dieses Land insgesamt braucht: Höre des Herrn Wort; rühme seine Taten. Amen