Predigt von Bischof Axel Noack anläßlich seiner Einführung

Axel Noack

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, liebe kinderlos gewordene Gemeinde,

es wird jetzt ernst bei dem, was jetzt zu sagen ist. Bei einem so festlichen Gottesdienst kann man ganz leicht vergessen, daß heute erst Samstag ist und noch nicht Sonntag. Viele im Lande bereiten sich auf den Sonntagsgottesdienst vor, der morgen der 6. Sonntag nach Trinitatis sein wird. Er gilt der Erinnerung an unsere Taufe, und er steht unter dem Spruch der Woche : "So spricht der HERR, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein".

Diese tröstliche Zusage wird also morgen die Gottesdienste bestimmen. Für den heutigen Gottesdienst wurde die Lesung für den Vorabend ausgesucht, und die klingt ziemlich streng, sie klingt nicht sonderlich tröstlich. Da geht's fast nur um den Einleitungsteil dieses schönen bekannten Taufspruchs "Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst"; da geht es um den Einleitungssatz, gewissermaßen um die Worte zu Beginn: "So spricht der HERR, der dich geschaffen hat ..."

Ich lese also die Vorabendlese vom 6. Trinitatissonntag aus Jesaja 45:

"Wehe dem, der mit seinem Schöpfer hadert, eine Scherbe unter irdenen Scherben! Spricht denn der Ton zu seinem Töpfer: Was machst du? und sein Werk: Du hast keine Hände! Weh dem, der zum Vater sagt: Warum zeugst du? und zum Weibe: Warum gebierst du? So spricht der HERR, der Heilige Israels und sein Schöpfer: Wollt ihr mich zur Rede stellen wegen meiner Söhne? Und wollt ihr mir Befehl geben wegen des Werkes meiner Hände? Ich habe die Erde gemacht und den Menschen auf ihr geschaffen. Ich bin's, dessen Hände den Himmel ausgebreitet haben und der seinem ganzen Heer geboten hat. Ich habe ihn erweckt in Gerechtigkeit, und alle seine Wege will ich eben machen. Er soll meine Stadt wieder aufbauen und meine Gefangenen loslassen, nicht um Geld und nicht um Geschenke, spricht der HERR Zebaoth."

Gott, segne uns dieses Wort.

Liebe Schwestern und Brüder,

Sie spüren, hier wird's sehr ernst. Vor der Zusage "Fürchte dich nicht" soll man also hören: "So spricht der HERR, der dich geschaffen hat." Ja, man soll sogar akzeptieren, wie man geschaffen wurde: "Wehe dem, der mit seinem Schöpfer hadert ..." Aber nicht wenige "hadern" mit Gott und der Welt. Und eben, weil sie so unzufrieden sind, kommen sie gar nicht bis dahin, zu hören "Fürchte dich nicht !"

Das Hadern mit seinem Schöpfer hat in unserer Welt weite Verbreitung. Vielleicht möchten auch Sie lieber ganz anders sein, als Gott Sie geschaffen hat. Oder denken wir an die, die ernstlich krank sind. Da kann das ganz schnell passieren, daß sie vom Hadern mit ihrer Krankheit so gefangen sind, daß sie das "Fürchte dich nicht !" nicht hören. Auch ich hadere manchmal mit meinem Schöpfer. Das kann im ganz privaten Bereich passieren, weil ich eben nicht schöner, klüger, reicher usw. bin. Das kommt auch in unserer Kirche vor: Noch bevor wir hören können "Fürchte dich nicht !", sind wir schon am Seufzen und Stöhnen, daß Gott unsere Kirche so und nicht anders gemacht hat.

Das kann - und so ist es bei Jesaja ja vor allen Dingen gemeint - auch politisch zu hören sein. Das Jesaja-Wort spricht in eine Zeit hinein, die man als "Wendezeit" bezeichnen kann, mitten hinein zwischen große und kleine Veränderungen, Freiwerden aus Gefangenschaft und Beginn neuer Ärgernisse. Da wird Rückschau gehalten, und die Realität wird an den einstigen Hoffnungen gemessen. Ganz schnell gibt es da Zeitgenossen, die sagen: Ach, wären wir doch lieber anders gemacht; wäre es doch anders gegangen, es hätte doch viel schöner sein können - wie man in Wendezeiten eben so klagt und jammert.

Das kann wie eine Blockade sein, man kann darüber unfähig werden, zu hören: "Fürchte dich nicht. Ich habe dich erlöst".

In diese Situation hinein spricht Jesaja seine kräftigen Worte. Die Antwort, die er hier gibt, ist so klar, wie sie hart ist: Wer bist du überhaupt, Mensch, daß du hier haderst? Wie kommst du überhaupt dazu, dich zu beklagen?

Wir kennen diese Antworten aus dem Hiob-Buch unserer Bibel. Dem Hiob ergeht es ähnlich. Auch er muß diese harte Antwort auf sein Klagen und Hadern hören. Gott selbst spricht zu ihm: Wer bist du überhaupt, Hiob, daß du hier zu fragen wagst? Wo warst du denn, als ich, Gott, die Welt geschaffen habe?

Auch beim Apostel Paulus finden wir Vergleichbares: "Ja, lieber Mensch", schreibt Paulus im Römerbrief, "wer bist du, daß du mit Gott rechten willst? Spricht denn das Werk zu seinem Meister: warum machst du mich so?"

Freilich, wir möchten lieber Tröstliches hören. Wir möchten lieber davon hören, wie neues Zutrauen in Gottes Güte gewonnen werden kann. Aber vielleicht ist das eine der unbequemen Wahrheiten, die man auch in der Kirche sagen muß, und sogar bei solch festlichem Gottesdienst: Das Erschrecken vor der Größe Gottes, das Innehalten, das Akzeptieren, daß mich Gott gemacht hat, daß ich sein Werk bin, das alles ist der erste Schritt, um hören zu können: "Fürchte dich nicht !".

Schon Luther hat es so aufgeschrieben: "Wir sollen Gott fürchten und lieben....". Und gerade wir evangelischen Christen stehen leicht in der Gefahr, das "Lieben" sehr stark zu betonen und das "Fürchten" nur noch ganz leise zu sagen. Solche Worte wie "Ehrfurcht", "Gottesfurcht", "ich bin der Heilige, spricht Gott, der Heilige" - das sind Worte, die fallen uns schwer in unserer Zeit. Und wenn die Worte nicht mehr so recht benutzt werden, scheint's um die Sache, die sie bezeichnen, auch nicht so gut zu stehen. Als ob das auch in der christlichen Kirche ein Stück in den Hintergrund getreten ist.

Das Anerkennen Gottes, Ehrfurcht vor Gott haben, Gottesfurcht leben, das heißt - so ist es jedenfalls bei Jesaja gesagt - : "Du Gott hast die Erde und den Himmel erschaffen und mich mittendrin. Zuerst und vor allem habe ich das dankbar zu akzeptieren und nicht zu meckern oder zu murren!" Dieses Verweisen auf den Schöpfer, auf den Gott, der die Erde und mich gemacht hat, ist sozusagen elementar. Das ist gewissermaßen die Grundschule des Glaubens. Nicht von ungefähr beginnt damit die Heilige Schrift. Der erste Satz unserer Bibel lautet: "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Unsere modern und aufgeklärt denkende Zeit hat aus diesem Satz immer mehr herausgestrichen. "Am Anfang", das ist weg, weil doch alles ewig ist und sich im Kreise dreht und weder Anfang noch Ziel hat. Und daß Gott die Erde geschaffen hat, sagen die Leute im Land längst nicht mehr. Und der "Himmel" ist nur noch Weltall. Vom ganzen ersten Satz der Bibel ist nur noch übrig geblieben: "und die Erde" - mehr nicht. Und dann schwebt sie im Weltall herum, die arme Erde, und selbst "Pfadfinder-Raketen", die auf den Mars geschickt werden, sagen letztlich nichts anderes.

Die Erde, ohne Anfang und Ziel, ohne Himmel und ohne Schöpfer, das hat etwas Verlorenes, etwas Trostloses. Daran muß ich denken, wenn ich in Wolfen auf den Friedhof gehe. Dort steht ein Denkmal an einer Grabanlage für die anonymen Beerdigungen. In Stein gehauen kann man den Satz lesen: "Ein Flügelschlag und hinter uns Äonen". Also ein Flügelschlag nur ist unser Leben auf dieser einsam kreisenden Erde. Das war's dann. Das ist trostlos. Da spüre ich die Verlorenheit einer Erde, die keinen Anfang und kein Ziel hat und keinen Schöpfer kennt.

Es ist nötig, daß wir gegen diese Trostlosigkeit etwas sagen. Aber da werden wir zu sagen haben: Wir sollen Gott fürchten, Ehrfurcht und Gottesfurcht üben. Wir sollen das erkennen, daß ER der Schöpfer ist und wir seine Werke. Wir werden von Gottes Heiligkeit reden müssen. Ob das heute jemand hören will? Viele empfinden doch die Trostlosigkeit, und auf dem Dorf sagen z. B. die Leute, wenn sie über die Jugend reden: Denen ist nichts heilig. Damit meinen sie genau das, was auch die Politiker beklagen - letzlich ist das überhaupt nichts anderes - : Unserer Gesellschaft gehen die "Werte" verloren. Wir müssen uns um die Werte in der Gesellschaft kümmern. Sie meinen genau dasselbe. Aber ist uns denn etwas heilig? Gibt es denn das? Haben wir den Mut, das zu nennen und auch auszusprechen, was uns heilig ist, das, was nicht zur Disposition steht? Ich glaube nicht, daß die Kirche für die Werte der Gesellschaft zuständig ist. Daß den Menschen im Lande etwas heilig ist, was unumstößlich ist und gelten soll, dafür sind alle zuständig: die Eltern für ihre Kinder, die Lehrer in den Schulen, und auch die Obrigkeit hat da ihren Teil. Aber unsere Kirche hat die Aufgabe, immer wieder darauf hinzuweisen, daß das Heilige einen Namen hat, daß man zu ihm "Du" sagen kann, daß es Orte gibt, an denen man dem Heiligen nahe ist und in denen man das üben und lernen kann, was "Ehrfurcht" bedeutet. Aus der Ehrfurcht vor Gott folgt die Ehrfurcht vor seiner Schöpfung, vor dem Leben und also vor allen unseren Mitgeschöpfen. Dort haben die meisten "Werte" der Gesellschaft einen festen Ankerplatz.

Vielleicht gehört das zur Zivilcourage in unserer Zeit, daß man dies sagt. Zivilcourage heute ist, sich nicht zu scheuen, auszusprechen und laut zu sagen, was mir heilig ist und was nicht zur Disposition steht. Vielleicht braucht das unser Land gerade heute, daß es davon mehr Menschen gibt, die das sagen und die sich nicht scheuen, das auch auszusprechen.

Das braucht unser Land, und dies braucht auch unsere Kirche. Wenn wir so einen Satz hören: "So spricht der HERR, der dich, Jakob, geschaffen hat und dich gemacht hat, Israel", muß man nicht auch sagen - das sage ich jetzt mehr für den innerkirchlichen Dienstgebrauch - "der auch dich gemacht hat Kirchenprovinz Sachsen mit deinen Gemeinden und deinen Kirchenkreisen"? Und dann sollen wir auch für unsere Kirche hören "Fürchtet euch nicht". Aber ich kenne uns ja. Schon bevor wir soweit kommen, denken wir: Das hätte Gott doch ein bißchen anders machen können mit unserer Kirche. Da ist so vieles verkehrt und so vieles daneben, und das Geld und die Strukturen.... Also für den innerkirchlichen Dienstgebrauch: Auch wir als Kirche sollen ruhig ein bißchen erschrecken und Ehrfurcht haben, auch davor, wie Er unsere Kirche gemacht hat. Das fällt in so einem erhabenen Dom relativ leicht. Aber ich denke an die Kirche in Hinterposemuckel, die vielleicht schon fast einfällt. Da ist es wichtig, daß dann auch dort von der Heiligkeit Gottes gesprochen wird. Dort müssen wir etwas dazu tun, daß uns und möglichst vielen anderen deutlich wird: Hier ist ein Ort an dem Gottes Ehre wohnt. Vielleicht ist das der gesellschaftliche Dienst, den wir diesem Lande jetzt schuldig und zu leisten genötigt sind.

Ich frage mich zum Schluß noch: Kann man eigentlich Gott fröhlich fürchten? Also, loben kann man ihn fröhlich. Man soll ihn sogar "billig" loben. Aber kann man ihn fröhlich fürchten? Das klingt ein bißchen komisch, etwas eigenartig. Aber wenn man - und damit möchte ich dann einfach schließen - an einen Menschen wie Paul Gerhardt denkt, er hat Gott fröhlich gefürchtet. Und das kann man in der Gebetsbitte eines Liedverses hören, wo von "Gottesfurcht" die Rede ist:

"Beschirm die Obrigkeiten, richt auf des Rechtes Thron,
steh treulich uns zur Seiten, schmück wie mit einer Kron
die Alten mit Verstand,
mit Frömmigkeit die Jugend,
mit Gottesfurcht und Tugend das Volk im ganzen Land."

Amen.