Predigt zu Jakobus 3, 1-12 zum Buß- und Bettag

Prälat Dr. Martin Dutzmann

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus…

Liebe Schwestern und Brüder,

Martin Luther mochte ihn nicht. Er nannte den Brief des Jakobus eine „stroherne Epistel“, mit der er in Wittenberg den Ofen heizen wolle. Es war die Theologie des Jakobusbriefes, die der Reformator bemängelte: Nirgends ein Hinweis auf das Leiden, den Tod und die Auferstehung Jesu Christi! Das musste den ohnehin leicht erregbaren Martin Luther erzürnen, hatte er doch die Gemeinden singen gelehrt: „Mit unserer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren; es streit‘ für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren. Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ!“ Und: „Der Glaub sieht Jesus Christus an, der hat für uns genug getan, er ist der Mittler worden.“

Luther hat seine Drohung nicht wahr gemacht, sondern den Jakobusbrief wie die anderen neutestamentlichen Schriften ins Deutsche übersetzt. Bei aller Unzulänglichkeit, so der Reformator, gebe es ja doch „viele gute Sprüche darin“. Allerdings platzierte er den Jakobusbrief in seiner Bibelübersetzung ganz weit hinten…

„Viele gute Sprüche“ – einige davon haben wir gerade gehört, als aus dem 3. Kapitel des Jakobusbriefes gelesen wurde. Verstörende, zerstörerische Sprüche haben sich darunter gemischt. Sprüche, von denen übrigens kein einziger frei erfunden ist. Spüren wir zunächst den guten Sprüchen des Jakobusbriefes nach. Den Sprüchen, in denen es um unser Sprechen geht, um unseren Einsatz von Sprache, unsere Wortwahl. Wir hören noch einmal die Verse aus dem 3. Kapitel des Jakobusbriefes, jetzt im Zusammenhang.

(Lesung des Predigttextes)

Liebe Schwestern und Brüder, Worte wirken. Davon ist Jakobus fest überzeugt, und diese Erkenntnis gehört seit Kindertagen auch zu unseren Lebenserfahrungen. Wie wohltuend ist ein elterliches „Das hast du gut gemacht!“, wie herzerwärmend ein geschriebenes oder gesprochenes „Ich liebe dich!“ und wie niederschmetternd ein unbedacht oder gar mit voller Absicht gesagtes „Aus dir wird nie was werden!“ Worte wirken, und nicht selten ist ihre Wirkung groß. Wenige Worte können einen Menschen aufrichten oder niederschlagen, trösten oder entmutigen, und die Wirkung hält manchmal ein ganzes Leben lang an. Das prägt Jakobus uns gleich mit mehreren Vergleichen ein. Er schreibt: „Wenn wir den Pferden den Zaum ins Maul legen, damit sie uns gehorchen, so lenken wir ihren ganzen Leib. Siehe, auch die Schiffe, obwohl sie so groß sind und von starken Winden getrieben werden, werden sie doch gelenkt mit einem kleinen Ruder, wohin der will, der es führt. … Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet’s an! Auch die Zunge ist ein Feuer…“

Worte wirken. Deshalb ist das Zentrum eines jeden demokratischen Staates das Parlament. Jener Ort, der das Sprechen – französisch: parler – in seinem Namen trägt.

Worte wirken. Manchmal wirken sie zerstörerisch. Das stellt der Jakobusbrief seinen Leserinnen und Lesern besonders deutlich vor Augen: „Eine Welt voll Ungerechtigkeit ist die Zunge unter unseren Gliedern: Sie befleckt den ganzen Leib und setzt das ganze Leben in Brand und ist selbst von der Hölle entzündet.“ heißt es, und weiter: Die Zunge kann kein Mensch zähmen, das aufrührerische Übel, voll tödlichen Gifts…“

Äußerst pessimistisch klingt, was Jakobus von der Macht der Zunge bzw. der Sprache schreibt. Ob er in seinem Umfeld gerade eine ähnliche Verrohung der Sprache wahrnimmt, wie wir sie seit geraumer Zeit in Deutschland und anderen westlich geprägten Ländern erleben?

Nein, ich wiederhole sie jetzt nicht, die schrecklichen Beschimpfungen und Verleumdungen, die wir alle vorhin gehört haben. Mir ist es schon bei der Vorbereitung dieses Gottesdienstes und gerade eben auch wieder kalt den Rücken hinunter gelaufen: Was tun Menschen einander mit Worten an! Wer in den so genannten „sozialen“ Netzwerken unterwegs ist, sieht sich und andere täglich mit neuen Beschimpfungen konfrontiert. Inzwischen halten es viele Absender von Kurznachrichten nicht einmal mehr für nötig, ihren richtigen Namen zu verbergen. Ich bin davon überzeugt: Wo Menschen mit Hilfe der Sprache „tödliches Gift“ verspritzen, wie Jakobus sagt, da bereiten sie – unwissend oder mit voller Absicht - auch körperlicher Gewalt den Boden. Aber es ist ja nicht nur die Verrohung der Sprache. Es ist auch ihr Missbrauch. In den letzten Monaten habe ich dazu zwei englische Begriffe gelernt…

Das eine Wort heißt Fake News, Falsche Nachrichten. Dabei geht es nicht darum, dass einer selbst nicht richtig Bescheid weiß und irrtümlich eine unrichtige Nachricht weitergibt. Nein, Fake News sind bewusst verbreitete Falschinformationen, um möglichst viele Menschen in die Irre zu führen. Gleichzeitig können tatsächlich richtige Informationen als Fake News bezeichnet werden, damit deren Inhalt von möglichst vielen Menschen bezweifelt wird. Eine besonders dreiste Art der Lüge also, mit der nicht zuletzt demokratische Wahlen beeinflusst wurden. Wie schreibt doch Jakobus? „Sie (die Zunge bzw. die Sprache) befleckt den ganzen Leib und setzt das ganze Leben in Brand und ist selbst von der Hölle entzündet.“ Wie Recht er hat!

Das andere englische Wort heißt framing. Frame heißt auf Deutsch: Rahmen. Menschen setzen mit einem oder wenigen Worten einen Rahmen für ein Phänomen oder einen Sachverhalt, so dass dieser in ein bestimmtes Licht gerückt wird. Das kann verheerende Folgen haben, insbesondere wenn jemand spricht, der von vielen Menschen gehört wird. Nehmen wir das Wort „Asyltourismus“. Der Begriff „Tourismus“ lässt Bilder entstehen. Bilder von Kreuzfahrtschiffen, Stränden, Palmen, Hotels. Diese Bilder werden in dem zusammengesetzten Wort nun mit „Asyl“ verbunden, also dem Schutz, den Menschen auf der Flucht vor Gewalt, Krieg und Hunger suchen und der ihnen von unserem Grundgesetz bzw. der Genfer Flüchtlingskonvention garantiert ist. Die mit einem einzigen Wort wirksam transportierte Botschaft heißt: Menschen, die Asyl suchen, tun das eigentlich nicht, weil sie in Not sind, sondern weil sie sich bei uns ein schönes Leben machen wollen. Es ist schamlos, unrecht und gefährlich, ein Wort wie „Asyltourismus“ in die Welt zu setzen. Jakobus schreibt: Eine Welt voll Ungerechtigkeit ist die Zunge unter unseren Gliedern.“  Und: „Sie setzt das ganze Leben in Brand.“ Wer Worte wie „Asyltourismus“ erfindet und verbreitet, wer mit solchen Begriffen starke Gefühle von Neid und Wut herbeiredet, darf sich nicht wundern, wenn andere sich in einer solchen Atmosphäre ermutigt sehen, Flüchtlingsheime in Brand zu setzen. Allerdings ist nicht jedes framing so offensichtlich und so plump. Seien wir also auf der Hut. Hören wir aufmerksam hin, wer welche Worte benutzt und achten wir peinlich genau auf unsere eigene Wortwahl, damit wir die Macht, die uns mit unserer Sprache gegeben ist, nicht missbrauchen.

Warum, liebe Schwestern und Brüder, mahnt uns Jakobus so eindringlich zu solcher Vorsicht? Den Grund dafür nennt er eher beiläufig, wenn er schreibt: „Mit ihr (der Zunge) fluchen wir den Menschen, die nach dem Bilde Gottes gemacht sind.“ Wer also andere Menschen beleidigt, wer sie durch fake news in die Irre führt, wer mit framing Vorurteile schürt, der missachtet die Würde des Menschen. Mehr noch: Wer so handelt, vergeht sich an Gott, denn der Mensch ist nach dem Bild Gottes gemacht. Das gilt übrigens auch für den Menschen, dessen politische Einstellung ich nicht teile und für jenen, der mich zuvor mit Worten verletzt hat.

Wo immer ich also einen Menschen anspreche, habe ich es mit dem Bild Gottes zu tun Das bedeutet nicht, dass kein kritisches Wort mehr gesagt werden darf. Im Gegenteil! Wer einen Menschen kritisiert, zeigt damit, dass dieser Mensch ihm nicht gleichgültig ist. Aber die Kritik ist so zum Ausdruck zu bringen, dass der oder die andere sie hören kann. Vor allem aber muss er oder sie heraushören können: Mein Kritiker will mich nicht vernichten, meine Kritikerin achtet meine mir von Gott gegebene Würde. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ heißt es in Artikel 1 des Grundgesetzes. Diese Überzeugung muss in jeder, auch und gerade in jeder strittigen Kommunikation, spürbar sein.

Jakobus schreibt: „Mit der Zunge loben wir den Herrn und Vater und mit ihr fluchen wir den Menschen, die nach dem Bilde Gottes gemacht sind. Aus einem Munde kommt Loben und Fluchen. Das soll nicht so sein, meine Brüder und Schwestern.“ – „Mit der Zunge loben wir den Herrn und Vater…“ Das sollten wir immer wieder, am besten täglich, tun. Wir haben doch so viel Grund dazu: Gott hat uns Menschen eine Würde gegeben, die wir nicht verlieren können. Er versorgt uns mit allem, was wir zum Leben brauchen. Gott hat sich in Jesus Christus auf unsere Seite gestellt und alles auf sich genommen, was uns belastet und was uns von ihm trennt: unseren Hochmut und unseren Kleinmut, unser Versagen und unsere Schuld. Ja, selbst den Tod hat er entmachtet, so dass der sich nicht mehr zwischen Gott und uns schieben kann. Und seinen Geist hat er uns gegeben, den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Wer Gott für alles das loben will, benötigt mindestens tausend Zungen. Und die bösen Zungen, die sollten dann eigentlich verstummen.

Und der Friede Gottes…