Predigt zum Pfingstfest, 20. Mai 2018, 10 Uhr in St. Matthäus, München

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

1. Kor 2, 12-16 

Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist.
Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen.
Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden.
Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt.
Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen«? (Jesaja 40,13) Wir aber haben Christi Sinn.

 

Liebe Gemeinde,

da steht er, der Geburtstagsstrauß für die Kirche, den uns liebevolle Geister für das heutige Pfingstfest gebunden haben. Mit den Pfingstrosen, die das heutige Fest schon im Namen tragen, mit den Rosen, die für die Liebe stehen, die in unsere Herzen eingegossen wird, mit Heilpflanzen wie Melisse und Minze, die helfen, dass es dem Leib gut geht. Mit der Lilie, die für den Frieden und die Überwindung der Gewalt steht.

Die Schönheit dieses Straußes ist in sich schon eine kleine Pfingstpredigt. Denn sie ist ein sinnlicher Hinweis auf die Schönheit der vielen bunten Menschenblumen, die an Pfingsten zusammenkommen, um sich dem Geist zu öffnen und sich von ihm bewegen zu lassen. So wie die Jünger sich damals haben bewegen lassen. Die Pfingstgeschichte erzählt, wie sie zusammen sind und plötzlich ein Brausen vom Himmel kommt und sie den Geist Gottes spüren und in unterschiedlichen Sprachen zu reden beginnen und sich trotzdem verstehen. Wie sie zu einer Gemeinschaft werden, die vom Heiligen Geist bewegt und zusammengeführt wird. Wie sie zur „Kirche“ werden.

Dass wir, liebe Gemeinde, immer wieder von Neuem zur Kirche werden, dass wir, so unterschiedlich wir sind, genau in dieser Unterschiedlichkeit durch das Werk des Heiligen Geistes eine große Gemeinschaft werden, das ist ein Wunder, das ist ein Pfingstwunder, heute wie damals. Und es ist gerade jetzt weit über die Kirche hinaus hoch aktuell. Denn es gibt wahrscheinlich kaum ein Thema, das gegenwärtig so leidenschaftlich diskutiert wird wie die Frage nach unserer Identität, nach unserer Heimat, nach dem, was unserer Gemeinschaft Sinn und Ziel gibt.

Zentraler Gegenstand der heftigen öffentlichen Debatte über diese Frage ist das Kreuz als unser zentrales Identitätssymbol. Man kann sich – jenseits aller politischen Diskussionen um den Anlass dieser Debatte - ja nur darüber freuen, dass wir in Bayern und darüber hinaus leidenschaftlich diskutieren, was das Kreuz eigentlich bedeutet, wofür es steht und was es jenseits der jeweiligen religiösen und weltanschaulichen Hintergründe der Gesellschaft insgesamt sagen kann. Und es ist gut, wenn zuallererst wir als Christen darüber nachdenken, uns Rechenschaft darüber ablegen und uns etwas dazu sagen lassen. Denn für uns als Christen ist das Kreuz nicht Gegenstand des Streites unterschiedlicher politischer Überzeugungen, sondern für uns ist das Kreuz das Zeichen unseres Herrn und Heilands Jesus Christus, der gekreuzigt, gestorben und begraben und am dritten Tage auferstanden ist von den Toten. Die Quelle, aus der wir unser Verständnis des Kreuzes beziehen, ist nicht die Weisheit der Welt, sondern es ist Gottes Wort, wie es uns die Bibel bezeugt.

Die Ordnung der Predigttexte wird glücklicherweise nicht nach den zu erwartenden öffentlichen Debatten festgelegt. Und doch scheint sie manchmal mitten hinein zu sprechen in das, was uns gerade bewegt.

Ich empfinde es als pfingstliches Geschenk des Himmels, dass der Predigttext für den heutigen Pfingstsonntag nun ausgerechnet aus den Kapiteln der Bibel kommt, die wie keine anderen den Sinn des Kreuzes zu erkunden suchen. Paulus spricht in den ersten beiden Kapiteln des 1. Korintherbriefs über das Wort vom Kreuz als Weisheit und Kraft Gottes. Und er kontrastiert es mit der Weisheit der Welt, der das Kreuz als Torheit gilt.

„Wir aber“ – so sagt Paulus- „haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen.“

Was ist es aber, das der Geist uns lehrt? Was sind die geistlichen Dinge für geistliche Menschen, von denen Paulus spricht? Es ist genau das Kreuz, das für Paulus der Schlüssel für die Unterscheidung zwischen Weisheit Gottes und Weisheit der Welt ist. Die Worte, die er im 1. Kapitel des 1. Korintherbriefes dafür wählt, sind ziemlich drastisch:

„Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme“ (1. Kor. 1,27-29).

Das, liebe Gemeinde, das sitzt. Was nichts ist, hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was etwas ist. Einen radikaleren Aufruf zur Demut kann man sich kaum vorstellen. Die Weisheit der Welt ist Selbstbehauptung, Machtanspruch,  Status, Stärke. Die Weisheit Gottes ist die Torheit des Kreuzes: Was schwach ist, was gering ist vor der Welt, was verachtet ist, was nichts ist. Die Nähe zu den Verlierern. Die Sensibilität gegenüber den Verletzlichen – das ist das, was Paulus mit dem Kreuz verbindet.

Welch eine Umwertung aller Werte! Welch Provokation für unser bürgerliches Leben! Welch revolutionäre Standortbestimmung!

Wer den religiösen Sinn des Kreuzes ernst nimmt, der geht in den Modus des Hörens gegenüber dem Mann, für den das Kreuz steht. Und der öffnet sein Herz für die Liebe zu allen Menschen, für die der Mann am Kreuz steht. Das Kreuz ist etwas so Kostbares, weil es steht für die Verwandlung der Logik der Gewalt und der Ausgrenzung, die so viel Leid in die Welt bringt, in eine Logik der Liebe und der Gemeinschaft. Und weil es genau darin Humanität ausstrahlt.

„Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes;“ – sagt Paulus in unserem heutigen Predigtwort – „es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden… Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen«? (Jesaja 40,13) Wir aber haben Christi Sinn.“

 

Wir aber haben Christi Sinn – das ist unser Leitspruch, wenn wir uns als Christen heute in der Welt engagieren.

Was heißt das für unser Verständnis von Gemeinschaft, von Heimat? Was wir in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes erfahren, mag auch ein Zeichen für die Welt sein. Es ist eine Gemeinschaft, die weiß, woher sie kommt und genau deswegen ihre Arme ausbreitet. Die pfingstliche Gemeinschaft ist inklusiv! Sie vereint unterschiedliche Nationen! Sie ermöglicht, dass Menschen sich trotz ihrer Unterschiede verstehen. Für mich ist das auch eine Vision für die Welt. Und immer wieder mache ich die Erfahrung, dass diese Vision auch Wirklichkeit werden kann.

Im letzten Jahr war die zentrale Aktion unseres Bayerischen Bündnisses für Toleranz, in dem sich inzwischen 70 Organisationen und Institutionen aus der Mitte der bayerischen Gesellschaft zusammengeschlossen haben, die von der Landjugend initiierte Aktion „Maibaum für Toleranz“. Überall in Bayern wurden am 1. Mai Maibäume aufgerichtet, die der Toleranz gewidmet waren. Den Menschen, die da zusammenkamen, sah man die jeweils unterschiedliche Herkunft an. Bei manchen war die Sprache der Verständigung ein freundliches Gesicht oder ein dankbares Lächeln. Aber es war ein Gefühl der Gemeinschaft da, ein Gefühl, dass alle dazugehören, dass alle teilhaben können, dass alle sich an dieser Tradition mitfreuen dürfen, die neben vielem für das steht, was unsere bayerische Heimat so lebenswert macht.

Es war – mitten in der Welt - eine pfingstliche Gemeinschaft, die ich da erlebt habe. Ich weiß gar nicht, wo die Menschen alle herkamen. In der Pfingstgeschichte waren es die Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer. Es waren Juden und Proselyten, Kreter und Araber, die sich wie durch ein Wunder in ihren unterschiedlichen Sprachen verstehen konnten.

Bei den Maibaumaktionen waren es vermutlich neben den Deutschen eher Syrer, Afghanen, Iraner oder Äthiopier und vielleicht auch wie in der Pfingstgeschichte Araber. Aber verstanden haben sie sich auch hier. Es war der Geist der Liebe, den ich an diesem 1. Mai gespürt habe. Es war der Geist des Mannes, der am Kreuz gestorben und am dritten Tage auferstanden ist. Es war der Geist des Mannes, der uns in den geringsten seiner Brüder und Schwestern begegnet. Es war der Geist desjenigen, der die Schreie der Verzweiflung der Opfer von Armut und Gewalt kennt, weil er am Kreuz selber einen Schrei der Verzweiflung ausgestoßen hat.

Ich liebe meine bayerische Heimat. Und ich danke meinem Gott, dass ich hier leben darf. Und weil mir das Kreuz so wichtig ist, freue ich mich von Herzen, dass sie auch zur Heimat für Menschen werden kann, die bedroht sind von Gewalt, Krieg und Verfolgung.

Es war der Geist, für den das Kreuz steht, den ich bei den Maibaumaktionen gespürt habe. Und es ist der Geist, den ich mir für unser Land wünsche, jenseits der jeweiligen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, die seine Bürger haben. Es ist der Geist, der überall da unsere Herzen erreichen soll, wo das Kreuz zu sehen ist. Und wenn das Kreuz in öffentlichen Gebäuden hängt, dann ist das der Geist, den es ausstrahlen soll. Vor diesem Geist muss niemand Angst haben. Dieser Geist kann Juden, Christen und Muslime zusammenführen und die unseligen Identitätsdebatten überwinden, in denen man versucht, die eigene Identität durch die Abwertung der anderen zu stärken.

Das Kreuz ist ein radikaler Gegenentwurf zu solchen Debatten. Weil es für die radikale Liebe dessen steht, der für uns Menschen am Kreuz gestorben ist, damit wir frei werden, damit wir neu werden, damit wir ganz Menschen werden, damit wir ganz Mitmenschen werden, bestimmt dazu, mit den anderen zu leben und nicht gegen sie.

Der Pfingstgeist ist gerade deswegen ein so besonderer Geist, weil er von Kreuz und Auferstehung weiß. Wo wir ihm unser Herz öffnen, durch das Wort, was wir hören, durch die Menschen, denen wir heute begegnen, durch die wunderbare Musik, die unsere Seele erreicht und uns berührt, da spüren wir vielleicht innerlich etwas von der Ganzheit, die der Geist uns schenkt. Und das so Besondere und Verbindende ist: es ist eine Ganzheit, die nicht die Zerbrochenheit wegdrängt und so letztlich zum Strohfeuer wird. Der Pfingstgeist strahlt heller: Er wirft ein Licht auf die Ganzheit, die durch die Zerbrochenheit hindurch die Kraft Gottes spürt. Es ist eine Ganzheit, die uns durch alle Dunkelheiten des Lebens hindurch hin zum Licht führt.

Und uns als Gemeinschaft zusammenführt, uns schönmacht! Wie den bunten Geburtstagsstrauß, den wir als Gemeinde heute bekommen und den wir jetzt hier vor uns sehen. Lasst uns selbst als bunte Blumen am großen Pfingststrauß wieder in die Welt gehen, als Rose, die für die Liebe steht, als Heilpflanze, die anderen hilft, dass es ihnen gut geht. Als Lilie, die sich für den Frieden und die Überwindung der Gewalt engagiert. Als Pfingstrose, die pfingstliche Glaubensbegeisterung ausstrahlt. Es würde mich nicht wundern, wenn dann viel andere auch Teil dieses bunten Blumenstraußes werden wollten.

Also, liebe Gemeinde, uns allen herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN